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E-Book

Gesichter der Macht

Über die Gestaltungspotenziale der Bundespräsidenten. Ein Essay

AutorKarl-Rudolf Korte
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl388 Seiten
ISBN9783593440804
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Kann der Bundespräsident die Demokratie vor Populisten schützen? Der Bundespräsident gilt gemeinhin als Staatsoberhaupt mit geringer Machtausstattung. Und doch haben alle Amtsinhaber - und zwar jeder auf seine individuelle Weise - durch ihr Reden und Handeln die politischen Geschicke Deutschlands mitbestimmt. In spektakulären Ausnahmen haben sie sogar eine herausgehobene Rolle eingenommen. Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat ein Bundespräsident? Welche nutzten die Amtsinhaber, welche ließen sie brachliegen? Wie agierten sie im Kompetenzstreit mit anderen Verfassungsorganen? Karl-Rudolf Korte, einer der renommiertesten Analysten des politischen Betriebs der Berliner Republik, wirft in diesem Buch einen Blick hinter die Kulissen der Macht. So wird deutlich: Gerade heute, in unserer 'Demokratie unter Druck', steht der 'Hüter der Verfassung' vor ganz neuen Herausforderungen: als Meinungsbildner, Versöhnungsstifter, Zivilitätswächter und Weiterdenker.

Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und seit 2006 Direktor der NRW School of Governance.Schwerpunkte seiner Arbeit bilden die Regierungs-, Parteien- und die Wahlforschung. Einer breiten Öffentlichkeit ist Korte seit vielen Jahren durch regelmäßige Auftritte und treffende Analysen im ZDF, Deutschlandfunk, WDR und bei Phoenix bekannt.

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Leseprobe

2.GESTALTUNGSOPTIONEN


Beginnen wir mit den Chancen für politische Gestaltung, die sich aus der Wahl von Bundespräsident Steinmeier im Jahr 2017 ableiten lassen. Vom Konkreten führt schließlich der Weg zum Abstrakten, den Möglichkeiten, die Amtsinhaber nutzen könnten.

2.1Präsidentenpoker und stereotype Erwartungen


Was stand für die politischen Parteien bei der Bundesversammlung 2017 auf dem Spiel? Kann man aus den Mechanismen der Kandidatenkür Rückschlüsse ziehen, wie auch für die Gestaltungsmacht der Bundespräsidenten? Haben möglicherweise die Umstände, wie man ins Amt kommt, Auswirkungen auf die Möglichkeiten, die sich als Präsident ergeben könnten? Diese Fragen sind zunächst zu klären und zu beantworten. Dabei sind verschiedene Gesichter der Macht zu behandeln,1 was in Kapitel 2.2 geordnet geschieht.

Da Bundespräsidentenwahlen häufig als Vorboten des Wandels für den Parteienwettbewerb interpretiert werden, kam dem 12. Februar 2017 eine besondere Bedeutung zu. Der innere Zusammenhang zwischen dem Ausgang der Bundesversammlung und dem die damalige Bundesregierung tragenden Parteienbündnis ist evident: zumal wenn, wie nur selten zuvor, lediglich sieben Monate beide Wahltermine voneinander trennen. Als legendär gilt die Bundesversammlung von 5. März 1969, im Vorfeld und am Tage selbst. Mit Gustav Heinemann (SPD) wählten die Wahlleute im dritten Wahlgang den ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten in der Bonner Republik. Zusammen mit den Stimmen der FDP strahlte ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl 1969 ein koalitionspolitisches Signal – von der ersten Großen Koalition in Richtung sozial-liberal, dem »Stück Machtwechsel«, wie es Heinemann in einem Zeitungsinterview interpretierte.2 Von der Parteienforschung wird eine generelle koalitionspolitische Signalfunktion jedoch bestritten oder eher relativiert.3 Doch Anfang 2017 sah es, nach der zugesagten Unterstützung des Unionslagers für den SPD-Kandidaten Frank-Walter Steinmeier, durchaus nach einer vorweggenommenen Neuauflage der Großen Koalition für die Bundestagswahlen im September aus.

Der Jahresstart 2017 hätte für die SPD nicht besser sein können: Ein sozialdemokratischer Frühling schien zu erblühen. Es war eine Stimmungskonstellation, die bereits im Sommer surreal wirkte. Und das hing ursächlich an den Personalrochaden, die im Umfeld der Bundespräsidentenwahl eintraten. Hans-Peter Schwarz formulierte als Zeithistoriker und Politikwissenschaftler zum Kontext Präsident und Kanzlerwahlen zielsicher:

»Zu den Eigentümlichkeiten des deutschen Regierungssystems gehört die Tatsache, dass das Amt des Bundespräsidenten politisch wenig Gewicht hat, gleichzeitig aber die Präsidien aller Bundestagsparteien schon ein gutes Jahr vor jeder fälligen Wahl durch die Bundesversammlung in knisternde Erregung versetzt werden.«4

Der SPD-Parteivorsitzende und amtierende Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel löste diese »knisternde Erregung« aus, als er im November 2016 den damaligen Außenminister Steinmeier als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten präsentierte.5 Vorausgegangen war zunächst die Ankündigung des Bundespräsidenten Joachim Gauck am 6. Juni 2016, nicht mehr für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Ende April 2016 hatte Gauck, nachdem es galt, den öffentlichen Druck auf ihn zu kanalisieren, bereits angedeutet, dass er aufgrund seines Alters wohl nicht mehr zur Verfügung stehen werde. Die Folgemonate waren dadurch gekennzeichnet, dass mögliche Kandidaten für die Nachfolge ein kräftiges Dementi artikulierten – vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle bis zum Bundestagspräsidenten Lammert, was Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) als »grassierende Verantwortungsvergessenheit«6 zum Schaden des Amtes kritisierte. Die vielen Absagen lagen sicher nicht nur an den unklaren Mehrheitsverhältnissen in der Bundesversammlung.

Eine klare Mehrheit für den ersten Wahlgang in der 16. Bundesversammlung hatten nur zwei Konstellationen: Union/SPD und Union/Grüne. Die erste Option wäre ein Zeichen für die Fortsetzung der Großen Koalition gewesen, was im Frühjahr 2017 die jeweiligen Parteiführungen angesichts der Kampagnenfähigkeit für das laufende Superwahljahr ausschlossen. Ende 2016 wollte niemand ein großkoalitionäres Zeichen setzen.

Die zweite Option wäre als sichtbare Ansage für eine schwarz-grüne Bundesregierung gewertet worden, was in beiden Lagern kontrovers diskutiert wurde. Unklare Mehrheiten ließen keine Favoriten aufkommen, aber offenbar eine Angst vor unkalkulierbaren Niederlagen. Gleichwohl sollte daran erinnert werden, dass es ehrenvolle Niederlagen gab – von Johannes Rau (1994 gegen Herzog), von Richard von Weizsäcker (1974 gegen Scheel) und von Joachim Gauck (2010 gegen Wulff). Beide kamen bei späteren Wahlen zum Zuge. Andere dynamische Zeittaktungen geben mehrmaligen Kandidaturen heute keine Chance mehr. Jede Wahl erfordert offenbar jeweils neue Kandidaten. Auch deshalb zögerten »richtige« Kandidaten, als sogenannte »Zählkandidaten« benannt zu werden. Ebenso gehört zur zeithistorischen Erinnerung, dass es in der Geschichte der Bundespräsidentenwahlen auch offensive Eigenbewerbungen gab: mehrfach Richard von Weizsäcker und ebenso Walter Scheel und Johannes Rau.

Schließlich ging Gabriel im Oktober 2016 in die Offensive und verkündete, dass Steinmeier der Kandidat der SPD sei. Bundeskanzlerin Merkel musste kontern, denn die Union verfügte über die meisten Sitze in der Bundesversammlung und konnte nicht erneut ohne einen eigenen Kandidaten ins Rennen gehen.

Sie spielte dabei ganz offensichtlich zwei Optionen hinter den Kulissen.7 Ein Gespräch mit dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, fand im Kanzleramt statt.8 Die grüne Karte hätten Merkel und Kretschmann gerne gespielt. Die CSU widersetzte sich jedoch diesem Vorschlag. Der Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzende Seehofer sympathisierte zwar mit dieser Idee, konnte sich damit jedoch nicht in der eigenen Partei durchsetzen. So suchte Merkel weiter. Mit Marianne Birthler, der ehemaligen Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, wollte Merkel den SPD-Vorschlag Steinmeier kontern. Doch Birthler sagte nach einer Bedenkzeit ab. Sie hätte die Mehrheit von Union und Grünen klar hinter sich bekommen. Merkels Suche nach weiteren Kandidaten blieb vertraulich. Erst nachdem diese abgesagt hatten, legte sie sich öffentlich auf die Unterstützung des in der Bevölkerung überaus beliebten Außenministers Steinmeier fest, was durchaus als großkoalitionäres Signal wahrgenommen wurde.9 Wie so häufig, wenn sie ihre Ziele nicht durchsetzen konnte, stellte sich Merkel urplötzlich an die Spitze der Gegenbewegung und tat so, als wäre sie schon immer von dieser Idee begeistert gewesen. Viele Unionsmitglieder in der Bundesversammlung grollten und ließen sich nur widerwillig zum zweiten Mal hintereinander auf einen Kandidaten ein, den die Union nicht selbst auserkoren hatte.

Es sah nach einem SPD-Coup aus, ein Glanzstück von Gabriel, der sich durchgesetzt hatte. Steinmeier erhielt im ersten Wahlgang schließlich 931 von 1.239 gültigen Stimmen. Drei Viertel der Delegierten votierten für ihn.10 Steinmeier war sich gleichwohl im Vorfeld keinesfalls sicher, dass er eine ausreichende Mehrheit hinter sich versammeln würde.11

Volker Zastrow, der für das »Politik«-Ressort der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verantwortliche Redakteur, erinnerte an die Pokerkonstellation der Vorgeschichte:

»Gabriel hat ein überaus riskantes Spiel gespielt. Viele haben ihm vorhergesagt, dass er verlieren (und dadurch auch noch Steinmeier beschädigen) werde. Er hat gewonnen, nun stand Merkel dumm da. Eine Woche später sieht das anders aus. Wie jetzt herausgekommen ist, hatte sie eine Kandidatin, und sie hatte auch die nötigen Truppen hinter sich […] Oberdrein hatte Merkel es geschafft, ihren Plan geheim zu halten, nicht zuletzt vor Gabriel. […] Weil Merkel ihr Blatt bis zuletzt verdeckt hielt, konnte sie sogar noch der Steinmeier-Lösung zustimmen, ohne das Gesicht zu...

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