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Gespräche über das Neue Testament

AutorAlbert Schweitzer
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783406704710
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Von 1901 bis 1904, während seiner frühen Straßburger Jahre als Privatdozent für neutestamentliche Theologie, hat Albert Schweitzer 33 Gespräche über das Neue Testament in einem elsässischen Kirchenblatt erscheinen lassen. Winfried Döbertin hat sie hier einem breiten Leserkreis zugänglich gemacht. Die Gespräche bieten nach dem Urteil des Bonner Theologen Erich Gräßer nichts Geringeres als eine Einführung in das '?Verständnis vom Wesen des Christentums'?, wie es '?in dieser geschlossenen, allgemein verständlichen Form nicht gab'.

Ludwig Philipp Albert Schweitzer war ein deutsch-französischer Arzt, Philosoph, evangelischer Theologe, Organist und Pazifist.

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Leseprobe

Gottes Wort durch Menschen geschrieben


Das Neue Testament ist nicht vom Himmel gefallen. Es gibt Religionen, welche die Entstehung ihrer heiligen Schriften ins Dunkel hüllen. Sie suchen zu verschweigen, was menschliche Arbeit daran getan hat; sie wollen, daß jeder glaube, diese Schriften seien auf eine übernatürliche Weise entstanden, damit diejenigen, welche sie lesen, desto größere Ehrfurcht davor haben.

Das brauchen wir Christen nicht. Unser Neues Testament ist von Menschen geschrieben; wir kennen ihre Namen und wissen auch manches über ihre Lebensumstände. Aber das nimmt unserer Schrift nichts von ihrer Heiligkeit; ja es macht sie uns nur noch lieber und werter. Sie bleibt Gottes Wort – aber Gottes Wort durch Menschen geschrieben.

Es muß so sein; denn beruht nicht das Christentum in seinem innersten Wesen auf der Vereinigung des Göttlichen und des Menschlichen? Besteht nicht das Geheimnis der Person unseres Herrn Jesu darin, daß Gott sich vollkommen in einem Menschen geoffenbart hat? Und das Reich Gottes auf Erden, das Jesus gründete, entsteht und wächst es nicht durch das Zusammenwirken Gottes mit den Menschen? Wir Menschen sollen und müssen daran arbeiten, indem wir unser Herz, die Dinge und Verhältnisse des irdischen Lebens im Geiste Jesu heiligen und umgestalten. Dabei sind wir der gewissen Hoffnung, daß Gott durch seine allmächtige Kraft, was wir tun, zur Vollendung führen wird. Wie in Jesu, wie im Reiche Gottes, so sind auch im Neuen Testament das Göttliche und das Menschliche beisammen.

Wie sollen wir uns das denken? Es gab eine Zeit in unserer Kirche, wo man meinte, Gott zu ehren, indem man das, was Menschen an der Schrift getan, möglichst herabsetzte. Gott bediente sich ihrer, wie der Flötenspieler sich seiner Flöte bedient. Durch den heiligen Geist diktierte er ihnen die Schrift, wie ein Herrscher seinen Schreibern diktiert: kurz, die Evangelisten und die Epistelschreiber waren unselbständige willenlose Instrumente.

Es ist immer schlecht bestellt, wenn die Menschen, um Gott mehr Ehre anzutun, die Bedeutung edler und frommer Personen, wie die, welche unser Neues Testament geschrieben haben, herabsetzen wollen. Gott hat das nicht nötig, sondern er will, daß wir auch den Menschen, die durch ihn Großes geleistet haben, Ehre antun; denn diese Ehre kehrt doch wieder zu ihm zurück. Die Evangelisten waren nicht Gottes Schreiber, sondern seine Minister.

Was ein rechter Herrscher ist, der kann gar keine unselbständigen Personen um sich sehen, als ob er alles selbst ausführen müßte, damit seine Ehre und Herrschaft nicht geschmälert werde; sondern wenn er einen Erlaß an sein Volk richten will, teilt er seine Gedanken dem Minister mit. Dieser verfaßt dann die Verfügung, wie er’s versteht, tut auch in der näheren Ausführung manches von dem Seinigen hinzu. Nachher klebt aber doch das kaiserliche Siegel daran; es ist kaiserliches Wort, es wird als solches respektiert, obwohl der Minister in seiner Weise daran mitgearbeitet hat und jedermann dies weiß.

Die Evangelisten sind also mehr als Leute, die nur den Griffel führen. Es sind nicht die Schreiber, sondern die Minister Gottes im Verkehr mit den Menschen. Aber auch damit ist noch nicht alles gesagt, denn es handelt sich eigentlich um ein Geheimnis. Das Menschliche an der Schrift beeinträchtigt nicht die Reinheit und die Göttlichkeit der darin geoffenbarten Wahrheit, sondern Gott hat dieses Menschliche gewollt, weil er es für notwendig hielt. Es ist, als wollte er dieses Geheimnis aus dem Reich des Geistes den Menschen im Reich der Natur andeuten.

Das Wasser, so von den Wolken des Himmels auf die Erde niederrieselt, ist zwar reines Himmelswasser, denn es enthält keine irdischen Bestandteile. Und doch ist es so nicht bestimmt, die Menschen zu erquicken, sondern es sickert in den Boden ein, nimmt dort kräftigende Bestandteile der Erde in sich auf, Salze, Kalk und andere Stoffe, und erst dann, wenn es so irdisch geworden ist, entströmt es als lebendige Quelle der unergründlichen Tiefe der Erde. So muß auch die ewige göttliche Wahrheit in die Tiefen eines Menschenherzens sich versenken, dort menschlich werden, damit sie den Menschen zur Quelle des ewigen Lebens werde. Das Gotteswort ist nur lebendig für uns, wenn es aus Menschenherzen zu uns redet.

Darum ist das Menschliche in der Schrift nicht eine Art notwendiger Unvollkommenheit, die dem geoffenbarten Gotteswort anhängt, sondern es ist selbst heilig.

Was sind doch die Menschen so kleinlich und so oberflächlich, wenn die Rede auf die Widersprüche und Unvollkommenheit der Schrift kommt! Die einen meinen, wenn sie das alles aufdecken, dann haben sie die Schrift gerichtet und damit auch die göttliche Wahrheit, die darin enthalten ist. Die anderen suchen die Widersprüche zu verheimlichen und auszugleichen in der Meinung, damit der Schrift einen Dienst zu leisten und die göttliche Wahrheit zu retten. Beide irren. Das Menschliche an der Schrift mit allen Unvollkommenheiten ist nicht wie der Staub, der auf einem geheimnisvollen Spiegel liegt, daß nun der eine höhnisch sagt,»man sieht nichts«, und der andere sich abmüht ihn wegzuwischen, damit man hindurchschauen könne; sondern das Menschliche ist der See, in dem die Sonne der göttlichen Wahrheit sich spiegelt. Ob auch der Wind die Wellen bewegt, das Bild der Sonne erscheint doch glitzernd und hell darin, gerade durch das wechselnde Spiel der Wellen. Darum haben wir keine Angst, daß jemals eine Gelehrsamkeit, die auf das Menschliche in der Schrift ausgeht, ihr schaden könne. Im Gegenteil. Wir sagen: forschet nach dem Menschlichen! Laßt uns hineinblicken in die Herzen derjenigen, die hier das Evangelium zu uns reden, damit wir sie recht und immer besser verstehen! Zeigt uns die Menschen in der heiligen Schrift – und in den Menschen werden wir Gottes Größe und Wahrheit erkennen! Diese Menschen in der Schrift sind gar mannigfacher Art. Man meint, Gott habe darauf gesehen, daß jeder Stand und jeder Charakter in dem Neuen Testament zur Rede käme, um in seiner Art das Evangelium zu verkündigen.

Da ist einmal Markus, der bescheidene Dolmetscher des Apostels Petrus, welcher die Geschichte Jesu, die er gar manchmal nach der Rede des Jüngers verdolmetscht hat, schlicht und einfach niederschreibt.

Da ist auch der gelehrte Lukas zu Rom, der selbst nie den Herrn gekannt hat. Aus Schriften und nach dem, was er von ihm hat erzählen hören, berichtet er seinem Freunde Theophilus, was man von Jesus weiß. Ganz anders ist wieder der Evangelist Johannes. Für ihn treten die Einzelheiten des irdischen Lebens Jesu zurück hinter der ewigen Wahrheit, die aus seinen Worten redet. Er erschaut das Leben des Herrn mit dem tiefen Blick, der auf die Ewigkeit gerichtet ist.

Dazu kommt noch der gelehrte Rabbiner Paulus, den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, aber vor allem ein lebendiger, von Christo ergriffener Mensch. Wer nicht in das Herz dieses Menschen hineinblickt, der kann das lebendige Evangelium in seinen Briefen gar nicht recht erfassen. Man muß ihn vor sich sehen in seiner Stube zu Korinth, wie er aus der Einsamkeit heraus, vom Heimweh ergriffen nach seinen lieben Sorgenkindern, den Thessalonikern, den ersten Brief schreibt, der uns von ihm im Neuen Testament erhalten ist. Ganz anders ist wieder der Paulus in den Korintherbriefen und im Galaterbrief. Wild und heftig, wie ein Gewittersturm, und dann nachher wieder sanft und mild, wie der Abendsonnenstrahl, wenn das Gewitter verzogen ist. Im Römerbrief ist es der ruhige, zuversichtliche Paulus. Er fühlt, daß in Kleinasien und Griechenland seine Arbeit getan ist; nun winkt ihm das Abendland, Rom und Spanien, daß er auch dort von Christo rede. Und dann, im Philipper- und Kolosserbrief redet ein gefangener Mann aus irdischen Banden von der Siegeskraft des Evangeliums.

So kommen im Neuen Testament alle Arten von Menschen und diese wieder in den verschiedensten Lebenslagen zu Wort und verkünden den Glauben an das Evangelium auf gar mancherlei Weise. Jeder kann seine Art, das Evangelium aufzufassen, ich möchte sagen seine eigene Glaubensnatur, darin wiederfinden.

Das hat Luther gefühlt, als er seinem Volke das Neue Testament in der Übersetzung in die Hand gab, daß jeder für sich darin forsche. Für ihn war die Predigt vom Kreuze und von der allein seligmachenden Gnade in Christo die Hauptsache im Gegensatz zu der katholischen Lehre von der Werkheiligkeit. Darum stellt er die Schriften am höchsten, welche seine Art zu glauben am besten ausdrücken. In den andern fühlt er sich weniger zuhause.»Johannis Evangelium und St. Pauli Episteln, sonderlich die zu den Römern, und Sankt Peters erste Epistel...

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