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Gewalt begegnen

Konzepte und Projekte zur Prävention und Intervention

AutorKlaus Fröhlich-Gildhoff
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783170295384
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Dieses Buch stellt auf der Grundlage eines modernen entwicklungspsychopathologischen Störungskonzepts von (über-)aggressivem bzw. gewalttätigem Verhalten verschiedene praktische Präventions- und Interventionsprogramme vor und bewertet diese. Nach einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu Ursachen und auslösenden Faktoren gewalttätigen Verhaltens werden neuere, in unterschiedlichen Zusammenhängen realisierte Programme präsentiert. Das vom Autor entwickelte und bereits evaluierte 'Freiburger Anti-Gewalt-Training' (FAGT) wird in Kurzform dargestellt.

Professor Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff ist Professor für Klinische Psychologie, Entwicklungspsychologie und Kinder- und Jugendhilfe an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg. Er leitet dort das Zentrum für Kinder- und Jugendforschung.

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Leseprobe

2 Einführung, Überblick


2.1 Definitionen


Je nach theoretischem Hintergrund und praktischer Ausrichtung der AutorInnen finden sich in der Literatur eine Vielzahl von Definitionen von Aggression, Gewalt, antisozialem Verhalten und Delinquenz.

Dabei hat sich in den letzten Jahren eine Grundübereinstimmung herausgebildet, die Aggression bzw. aggressives Verhalten mit einer Schädigungsabsicht verbindet.

Unter Aggression wird eine zielgerichtete und beabsichtigte körperliche oder verbale Tätigkeit verstanden, die zu einer psychischen oder physischen Verletzung führt.

Oder: „Bei Aggression handelt es sich um ein Verhalten mit Schädigungsabsicht, das vom Opfer als verletzend empfunden wird.

Aggression verläuft dabei auf drei Ebenen (Scheithauer, 2003):

  • Motivationale Ebene mit Einstellungen oder Absichten (z.B. Feindseligkeit),
  • Emotionale Ebene (z.B. Ärger),
  • Verhaltensebene der ausgeführten Handlung (direkt, verbal, indirekt/ relational oder körperlich)“ (Scheithauer & Petermann, 2004, S. 369).

Diese Definition erscheint griffig, ist allerdings mit der Problematik verbunden, dass sich die Absicht der Schädigung zunächst nur indirekt erschließen lässt, „deren Beurteilung (…) ist auf das soziale Urteil eines Beobachters angewiesen“ (Kleiber & Meixner, 2000, S. 193; vgl. auch Essau & Conradt, 2004). Scherr (2004) betont die Perspektive des Opfers: „Dass Gewalt vorliegt, ist … nur unter der Perspektive ihrer Opfer erkennbar: Gewalt liegt dann vor, wenn Individuen sich unerwünschten Angriffen auf ihre psychische und/oder physische Unversehrtheit ausgesetzt sehen“ (ebd., S. 204).

Die o. g. Definitionen sind auf das aggressive Handeln von Individuen bzw. Gruppen in konkreten sozialen Kontexten bezogen – andere Form von Aggression und/oder Gewaltausübung, z.B. das Konzept der strukturellen Gewalt (Galtung, 1993, vgl. Überblick bei Nolting, 1999 oder bei Borg-Laufs, 1997, S. 19ff), sind in dem vorliegenden Zusammenhang nicht von Bedeutung. Der Begriff der Gewalt wird i.d.R. für massive Formen aggressiven Verhaltens benutzt, „wobei sich personale Gewalt auf aktive Handlungsvollzüge bezieht, die zu einer effektiven Schädigung von Personen oder Dingen führen und bei der in der Regel ein Ungleichgewicht der Kräfte (z.B. von zwei Personen) vorliegt“ (Scheithauer & Petermann, 2004, S. 369).

Nunner-Winkler (2004) analysiert ausführlich die mit einer Gewalt-Definition verbundenen Schwierigkeiten und plädiert für eine Reduktion des Begriffs, indem Gewalt „als absichtsvolle physische Schädigung“ (ebd., S. 27) verstanden werden sollte. Das Ausüben psychischer Gewalt sei immer durch ein interaktives Geschehen geprägt: „Im prototypischen Fall (kann) physische Gewalt monologisch, d.h. vom Täter allein vollzogen werden …, während psychische Gewalt ein interaktives Geschehen ist, d.h. der Täter ist für den Erfolg auf die Mitwirkung des Opfers angewiesen“ (ebd., S. 39).

Weitere, oft benutzte Begriffe in diesem Zusammenhang sind die des aggressiv-antisozialen Verhaltens und der Delinquenz. Dabei umfasst der Begriff antisoziales Verhalten solche Handlungen, die offen und klar gegen gesellschaftliche und soziale Regeln gerichtet sind und die Rechte anderer Menschen verletzten. „Der Begriff einer ‚Delinquenz‘ wird zur Beschreibung des Verhaltens von Kindern (und Jugendlichen; die Verfasser) verwandt, die einen Gesetzesverstoß begangen haben, der schwer genug ist, den Jugendstrafvollzug einzuschalten (Kazdin, 1995)“ (Essau & Conradt, 2004, S. 16 f), – hierbei sollte allerdings immer beachtet werden, dass unter diesem Begriff zum Teil sehr unterschiedliche Formen von Gesetzesverstößen, vom Ladendiebstahl bis zum Mord, gefasst werden (s.u.).

Tab. 1: Verschiedene Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens (nach Vitiello & Stoff, 1997; erweitert von Petermann, Döpfner & Schmidt, 2001, S. 3)

Ausdrucksform aggressiven Verhaltens

Erläuterungen

feindselig vs. instrumentell

  • mit dem Ziel, einer Person direkt Schaden zuzufügen
  • mit dem Ziel, indirekt etwas Bestimmtes zu erreichen

offen vs. verdeckt

  • feindselig und trotzig, eher impulsiv und unkontrolliert (z.B. kämpfen)
  • versteckt, instrumentell und eher kontrolliert (z.B. stehlen oder Feuer legen)

reaktiv vs. aktiv

  • als Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung oder Provokation
  • zielgerichtet ausgeführt, um etwas Bestimmtes zu erreichen

körperlich vs. indirekt

  • in offener, direkter Konfrontation mit dem Opfer
  • die sozialen Beziehungen einer Person betreffend und manipulierend

affektiv vs. „räuberisch“

  • unkontrolliert, ungeplant und impulsiv
  • kontrolliert, zielorientiert, geplant und versteckt

Ausgehend von dieser Definition, kann man verschiedene Formen aggressiven Verhaltens unterscheiden. Die gebräuchlichste Unterscheidung von Vitiello & Stoff (1997) haben Petermann et al. (2001) noch etwas weiter differenziert (s. Tab. 1).

Eine weitere, insbesondere unter geschlechtsspezifischer Sichtweise analysierte Form der Aggression ist die sog. ‚relationale Aggression‘: „Relationale Aggression wird ein Verhalten genannt, durch das andere Schaden nehmen, indem Beziehungen, Freundschaften, Gruppenzugehörigkeit oder ein Gefühl der Akzeptanz zerstört werden oder eine solche Zerstörung angedroht wird (Crick, 1995)“ (Essau & Conradt, 2004, S. 19). Dieses auch als indirekte oder antisoziale Aggression bezeichnete Verhalten hat Scheithauer (2003) weitergehend untersucht. Es umfasst „die indirekte oder direkte Schädigung einer anderen Person über die soziale Gruppe, in der sich die Person bewegt, beispielsweise über soziale Manipulation, Deformierung, Ausschluss oder dem Verbreiten von Gerüchten“ (Petermann et al., 2004, S. 370; auf den Aspekt der Geschlechtsspezifik wird später noch genauer eingegangen).

2.2 Klassifikationen


Die international gebräuchlichsten Klassifikationssysteme, das DSM-IV und der ICD-10 ordnen aggressives bzw. gewalttätiges Verhalten in etwas unterschiedliche Systeme ein, deshalb seien sie im Folgenden tabellarisch erläutert:

Das DSM-IV (Saß et al., 1996) geht von zwei Störungsformen aus, zum einen der ‚Störung des Sozialverhaltens‘ und zum anderen der ‚Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten‘.

Die Störungen des Sozialverhaltens sind gekennzeichnet durch sich wiederholende Verhaltensmuster: Über einen Zeitraum von 12 Monaten müssen mindestens drei der 15 Kriterien nach Tab. 2 aufgetreten sein, zusätzlich müssen klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen im sozialen bzw. schulischen Bereich vorliegen. Es werden zwei Subtypen abhängig vom Alter unterschieden: zum einen der Typus mit Beginn in der Kindheit (Auftreten von mindestens einer der charakteristischen Verhaltensweisen vor dem 10. Lebensjahr) sowie der Typus mit Beginn in der Adoleszenz (Auftreten nach dem 10. Lebensjahr).

Die Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten umfasst als Hauptmerkmal „ein Muster wiederkehrender trotziger, ungehorsamer und feindseliger Verhaltensweisen gegenüber Autoritätspersonen (z.B. gegenüber der Mutter oder dem Vater). Das Verhalten muss mindestens über einen Zeitraum von sechs Monaten andauern und es müssen mindestens vier von acht Kriterien erfüllt sein“ (Scheithauer & Petermann, 2004, S. 371; vgl. Tab. 3).

Tab. 2: Symptomliste für die Störung des Sozialverhaltens (nach DSM IV) (American Psychiatric Association, 1994, S. 129 f; nach Scheithauer & Petermann, 2004, S. 370 f)

Aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Tieren:

  • bedroht oder schüchtert andere häufig ein
  • beginnt häufig Schlägereien
  • hat schon häufig eine Waffe benutzt, die anderen schweren körperlichen Schaden zufügen könnte (z.B. Schlagstöcke, Ziegelsteine, zerbrochene Flaschen, Messer, Gewehre)
  • war körperlich grausam zu Menschen
  • quälte Tiere
  • hat in Konfrontation mit dem Opfer gestohlen (z.B. Überfall, Taschendiebstahl, Erpressung, bewaffneter Raubüberfall)
  • ...
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