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Gewalt durch Pflegepersonal in Pflegeheimen. Häufigkeit, Formen und Prävention

AutorSiegfried Huhn
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783656761907
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Gesundheit - Pflegewissenschaft - Gewalt in der Pflege, , Sprache: Deutsch, Abstract: Für pflegebedürftige alte Menschen in Pflegeeinrichtungen besteht eine Gefahr, Opfer von Gewalt durch Pflegepersonen zu werden. Insbesondere für Menschen mit hohem Pflegebedarf, für an Demenz erkrankte und für Bewohner mit herausforderndem Verhalten ist das Risiko sehr hoch. Die Pflegepersonen selbst empfinden das oft nicht als Gewalt, sondern als unumgängliche Maßnahme, damit Pflegehandlungen durchgeführt werden. Als Gründe für gewalttätiges Vorgehen werden überwiegend Stress, besonders hohe Arbeitsbelastung und geringe Wertschätzung durch Bewohner, Kollegen und Vorgesetzte angegeben. Gewalt kann sich in grenzverletzendem Verhalten, in Misshandlung und in Vernachlässigung zeigen. Es werden wissenschaftlich gesicherte Daten über Prävalenz von Gewalt durch Pflegepersonen, über Gewaltformen und Interventionen zur Prävention gesichtet und für die Hypothese, das es sich bei Gewalt durch Pflegepersonen nicht um ein Einzelphänomen handelt, das nur über den jeweiligen Täter erklärbar ist, sondern um eine institutionelle, gesellschaftliche und berufspolitische Dimension, die eine Täterschaft begünstigt oder erst möglich macht. Die Untersuchung macht einen großen Bedarf an robusten Studien deutlich. Insbesondere zu Risiken, Opfer- und Tätermerkmalen und zur Prävention von Gewalt und zu den institutionellen und gesellschaftlichen Einflüssen auf die Gewaltentwicklung besteht ein dringender Bedarf.

Siegfried Huhn M.A. Studium Gesundheitswissenschaften, Sozial- und Bildungsmanagement WB Persönliches u. Betriebliches Gesundheitsmanagement u. Resilienztraining Berufsausbildung zum Krankenpfleger; WB Fachpflege f. Geriatrische Rehabilitation und Gerontopsychiatrie und Fachpflege für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin Lehraufträge im In- und Ausland für klinische Pflegeforschung, Gerontologie, Gesundheitsbildung und Sucht/ Abhängigkeitskrankheiten; Veröffentlichungen zu den Themen

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Leseprobe

3 Theoretische Grundlagen


 

3.1 Beschreibung der Zielgruppen


 

3.1.1 Bewohner von Pflegeeinrichtungen


 

Von den insgesamt 2,5 Millionen im Rahmen der Pflegeversicherung erfassten pflegebedürftigen Menschen leben circa 743.000 Personen in einer stationären Pflegeeinrichtung. Etwa die Hälfte der Bewohner ist 85 Jahre und älter und nur 6 Prozent der Bewohner sind unter 70 Jahre alt. 74 Prozent der Bewohner sind Frauen (Statistisches Bundesamt 2013). Durch die stetig bessere ambulante Versorgung und die familiale Pflege steigt das Einzugsalter in eine Pflegeeinrichtung weiter an, was mit einem höheren Pflegebedarf und einer kürzeren Wohndauer korrespondiert (ebenda; Seidl 2010). Die durchschnittliche Wohndauer (im Originaltext wird von „Verweildauer" gesprochen) wird im ersten Bericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit 52 Monaten angegeben, wobei 28 Prozent der Bewohner bereits im ersten Jahr, und 19 Prozent in den ersten sechs Monaten versterben (BMFSFJ 2006). Als Motive für den Umzug in ein Pflegeheim geben 11 Prozent der befragten Bewohner an, den Angehörigen nicht zur Last fallen zu wollen, 63 Prozent geben gesundheitliche Gründe an, und 35 Prozent der Bewohner führen den eigenständigen Wunsch nach geeigneter Betreuung und Pflege an (ebenda; S. 108). Bei den heutigen Bewohnern von Pflegeheimen handelt es sich um überwiegend schwer- und schwerstpflegebedürftige Bewohner, mit entsprechend eingeschränkter Alltagskompetenz (Schmidt 2011). Circa 20 Prozent finden sich in der höchsten Pflegestufe III (Statistisches Bundesamt 2013). Die Bewohner sind pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes und bedürfen aus überwiegend altersbedingten gesundheitlichen Problemen heraus der fachlichen pflegerischen Unterstützung (Wingenfeld 2003). Nach dem Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) gilt als pflegebedürftig, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich jedoch für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höheren Maße der Unterstützung bedarf (PflegeVG § 14) (SGB XI 2013; Klie 2010). Der Unterstützungsbedarf (Pflegebedarf) entspricht den jeweiligen pflegerischen Interventionen, die geeignet sind, die Problemlage zu bewältigen (Wingenfeld 2003, S. 339). Nach der Infratest- Heimbefragung (Schneekloth & von Törne 2007 in: Seidl 2010, S. 101ff) sind insbesondere in den Bereichen der Mobilität, der Hygiene einschließlich der Toilettenbenutzung und bei der Nahrungsaufnahme Einschränkungen mit Pflegebedarf vorhanden. So war es etwa 40 Prozent der Bewohner nicht möglich, sich selbstständig in ihrem Zimmer zu bewegen und die Hälfte der Bewohner war nicht in der Lage, sich selbstständig zu waschen oder zu duschen und anzukleiden. 57 Prozent brauchten Assistenz bei der Toilettenbenutzung, 16 Prozent konnten selbstständig keine Nahrung und Getränke zu sich nehmen und bei 22 Prozent waren Essen und Trinken nur unter großen Schwierigkeiten möglich. Ein weiteres Merkmal der Bewohner von Pflegeheimen sind kognitive Beeinträchtigungen und psychische Störungen (ebenda). Letzteres wird bestätigt in einer gerontopsychiatrischen Untersuchung bei 1.120 Bewohnern von Pflegeheimen (Hirsch & Kastner 2004), wonach bei 728 Bewohnern (65 Prozent) eine psychische Krankheit diagnostiziert wurde. Von diesen Bewohnern litten etwa 70 Prozent an einer Demenz und 22 Prozent an einer psychischen Störung wie einer Schizophrenie oder Depression. Ein Großteil der Bewohner zeigt ein sogenanntes „Herausforderndes Verhalten" wie Agitation, Auffälligkeiten beim Essen, Schlafstörungen oder vokale Störungen (Halek & Bartholomeyczik 2006).

 

Neben diesen körperlichen und intellektuellen Einbußen findet sich bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen die Diagnose der „sozialen Isolation" (Ehmann & Völkel 2012; Matolycz 2011). Zum Teil ist das biologisch begründbar aus dem Alter der Bewohner, in deren Folge die Sozial- und Beziehungspartner versterben. Jedoch kommt es auch aufgrund der in aller Regel schon länger bestehenden körperlichen Einschränkungen insbesondere im Bereich der Mobilität zu einer Kontaktverarmung, weil das Aufrechterhalten von Kontakten mit einem hohen Aufwand verbunden und nur noch selten ohne Hilfe zu bewältigen ist (Matolycz 2011; Franzkowiak 2011). Die Situation der Kontaktverarmung verschärft sich beim Umzug in eine Pflegeinrichtung zusätzlich und macht die Bewohner von den Möglichkeiten und dem Wohlwollen anderer Personen abhängig (ebenda). Vielfach führt der Umzug in eine Pflegeinrichtung auch zum Wechsel des Wohnsitzes in einen anderen Stadtteil oder Ort (Statistisches Bundesamt 2013), was dann zu einem völligen Kontaktverlust führen kann. Hinzu kommen das Erleben von Isolation und ein Mangel an Teilhabe innerhalb der Institution, was sich schon in der Phase des Einlebens in der neuen Wohn- und Lebenssituation, aber auch später bemerkbar macht (Elsbernd et al. 2010; Els- bernd 2000), sowie der nahezu völlige Verlust an Verwirklichkeitsmöglichkeiten, der sich nicht erst mit dem Umzug in die Pflegeeinrichtung vollzieht, jedoch spätestens jetzt unausweichlich wird (Füsgen & Böhmer 2008). Die Bedingungen in Pflegeeinrichtungen führen dazu, dass die bisher eingenommene Lebensrolle nur bedingt aufrecht erhalten werden kann, was zu einem teilweisen oder umfänglichen Verlust an Identität und Orientierung durch Zuordnung der bisherigen Lebensleistung führen kann und die konkrete Lebenssituation als extrem fragil erscheinen lässt. Es wird deutlich, dass es sich bei Bewohnern von Pflegeheimen um eine äußerst vulnerable Personengruppe handelt, die sich in einem massiven Abhängigkeitsverhältnis zu professionellen und nicht professionellen Helfern befindet, was sie besonders schutzlos gegenüber möglicher Gewalt ihrer Helfer macht (Brandl & Raymond 2012; Ramsey-Klawsnik & Teaster 2012; Koch-Straube 2003).

 

3.1.2 Beruflich Pflegende und berufliche Pflege


 

Beruflich Pflegende sind im Kontext dieser Arbeit alle Personen, die unmittelbar bewohnernahe Aufgaben wahrnehmen. Im weiteren Text wird neben der Bezeichnung „beruflich Pflegenden" die Bezeichnung „Pflegepersonen" verwendet. Mit dieser Begrifflichkeit folgt der Verfasser der Vereinbarung der deutschsprachigen Pflegeverbände in Europa (DBfK Bundesverband 2012). Pflegepersonen sind demnach alle beruflich Pflegenden ungeachtet ihrer formalen Qualifikation. Pflegefachpersonen sind hingegen beruflich Pflegende, die eine Pflegeausbildung abgeschlossen haben und berechtigt sind, die entsprechende Berufsbezeichnung zu führen und den Pflegeberuf eigenverantwortlich auszuüben. Das sind in Deutschland Altenpfleger/-innen, Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen und Gesund- heits- und Kinderkrankenpfleger/-innen. In anderen europäischen und nichteuropäischen Ländern ist eine andere Zuordnung und Berufsbezeichnung möglich (ebenda).

 

Aufgrund fehlender Registrierung lässt sich nicht exakt beziffern, wie viele Pflegepersonen und Pflegefachpersonen in Deutschland beschäftigt sind. Für die Pflegeeinrichtungen ergeben sich Zahlen aller Beschäftigten aus den Angaben der Pflegeversicherung für Einrichtungen der Altenpflege nach SGB XI. In Deutschland werden für das Jahr 2011 insgesamt 661.179 Beschäftigte in stationären Pflegeeinrichtungen angegeben, was etwa 480.000 Vollzeitstellen entspricht (Statistisches Bundesamt 2013, S. 16f). Von den Beschäftigten werden 562.000 weiblich (85 Prozent) und 99.179 (15 Prozent) männlich angegeben. Die meisten Beschäftigten haben ihren Arbeitsschwerpunkt im Bereich von Pflege (439.678 = 66 Prozent) (ebenda, S. 17), von denen wiederum ca. 179.000 Pflegefachpersonen sind (ebenda, S. 20). Pflegepersonen, insbesondere Pflegefachpersonen, haben in Deutschland einen geringen Organisationsgrad, der auf Anfrage beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Bundesverband mit etwa 8 Prozent angegeben wird. Im DBfK, der größten berufsständischen Vertretung der Pflegeberufe, sind ca. 23.000 Personen Mitglied (DBfK Emailkontakt Dez. 2013). Weitere Mitgliedschaften bestehen in weiteren Berufsverbänden wie dem Deutschen Pflegeverband (DPV) oder den verschiedenen Schwesternschaften wie der Diakonie oder den Johanniter oder in einer Gewerkschaft, sowie in besonderen Fachgesellschaften für Lehrer oder Leitungspersonen in der Pflege, oder den Wissenschaftsbereichen wie der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) oder der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG). Zum Teil bestehen Mehrfachmitgliedschaften einzelner Personen.

 

Die beruflich Pflegenden in Einrichtungen der Altenhilfe sind häufig Quer- und Späteinsteiger und kommen aus unterschiedlichen Bildungszusammenhängen und nahezu allen denkbaren nichtakademischen Berufen und Vorbeschäftigungen, sodass von einer heterogenen und unterschiedlich strukturierten Beschäftigtengruppe ausgegangen werden kann, was sich auch in der Fachlichkeit und Aufgabenerfüllung niederschlägt. Bei einer bewussten Entscheidung für die Altenpflege wird als Motiv überwiegend das Helfen-wollen und die Suche nach sinnhafter Beschäftigung angegeben sowie den alten Menschen das letzte Stück Leben angenehmer gestalten zu wollen (Baur-Enders et al. 2012; Beine 2011; Lanius 2010; Koch-Straube 2006). Damit wird unbemerkt ein hoher philanthropisch-altruistischer Anspruch formuliert, den einzulösen fast schon utopisch scheint, und der dann mit einem Berufsalltag kollidiert, der so nicht...

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