Sie sind hier
E-Book

Gewaltprävention in der Grundschule

AutorKatja Küchemann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl238 Seiten
ISBN9783640151530
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Schulwesen, Bildungs- u. Schulpolitik, Note: 2, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, 36 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Phänomen Gewalt in der Schule ist nichts Neues, sondern in den letzten Jahren immer stärker ins Blickfeld gesellschaftlichen, politischen und medialen Interesses geraten. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der die Menschen und vor allem die Medien sensibler auf Gewaltakte Jugendlicher und Kinder reagieren. 'Die kulturelle Sensibilität hat sich gegenüber allen Formen von Gewalt erhöht.' Diese Tatsache ist nicht nur negativ zu bewerten, ganz im Gegenteil, sie trägt dazu bei, dass die Pädagogen, Lehrerinnen und Lehrer sich mit diesem Problem auseinander setzen, und wenn nötig an ihren Schulen Präventionsarbeit leisten können. 'Gewalt unter Schulkindern ist zweifellos ein sehr altes Phänomen. Die Tatsache, daß einige Kinder häufig und systematisch von anderen Kindern gemobbt und angegriffen werden, wurde in Werken der Literatur beschrieben, und viele Erwachsene haben damit Erfahrung aus ihrer eigenen Schulzeit. In den letzten Jahren hat dieses Problem an Schärfe deutlich zugenommen.' Der aktuelle Vorfall an der Berliner Rütli-Hauptschule im Stadtteil Neukölln macht deutlich, dass Gewalt an Schulen heutzutage präsenter und aktueller ist, als viele Menschen angenommen haben. Wenn es Pädagogen nicht mehr darum geht ihren Lehrplan zu erfüllen, sondern sie nur noch froh sind, mit dem Leben aus dem Klassenzimmer zu kommen und ihre Schüler als unbeschulbar deklariert werden, so zeigt dies deutlich, wie schlimm die Lage wirklich ist. Der Hilferuf der Lehrer der Rütli-Schule an die Regierung 'Das Verhalten im Unterricht ist geprägt durch totale Ablehnung und menschenverachtendes Auftreten. (...) Der Intensivtäter wird zum Vorbild! (...) Wir sind ratlos.', kommt zu spät. Die Lehrer sind nicht mehr 'Herr' der Lage. Die Ursache für diese gewalttätigen Vorkommnisse liegt im Umfeld der Schule. Der hohe Ausländeranteil (ca. 83% der Schüler sind nicht deutscher Herkunft) und fehlende Integration sowie fehlende Zukunftsperspektiven fördern Aggressionen und Gewalt.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2. Einordnung in die Grundschulpädagogik


 

Der pädagogische Auftrag der Grundschule besteht darin, „jedem Kind tragfähige Grundlagen für sein lebenslanges Lernen zu vermitteln“[6], was durch das Gewähren von mehr Lernzeit sowie besonderer Förderung für jeden Schüler realisierbar ist. Die Grundschule sollte daher als „Stätte der Anthropogenese, als Ort, der vielfältiges Lernen und Leisten grundlegt, der aber auch ein Lebensraum für junge Menschen ist, in dem sie einen großen Teil der Zeit verbringen“[7] angesehen werden. Neben dem Erteilen von Unterricht (Qualifizierungen) kommen ihr vielgestaltige – auch sozialerzieherische und kulturell-integrative – Aufgaben zu.

 

Die Schüler kommen mit ihren spezifischen Erfahrungen, Interessen und Problemen, die sich oftmals auch aus ihrer besondern Lebenswelt ergeben, in die Schule. Die Familie spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Die Erfahrungen, die innerhalb der Familie gemacht werden, können als prägende Grundlage für spätere individuelle Verhaltensdispositionen angesehen werden. Hierzu zählen u.a. die Lebenseinstellung, grundlegende Werte, Erziehungspraktiken und -ziele, Kommunikation und Interaktion im Elternhaus und die Übernahme grundlegender Verhaltensorientierungen. 

 

Jeder Lebensraum (Dorf, Stadt, Stadtrandgebiet) bietet den Kindern unterschiedliche Erfahrungs- und Erlebnisqualitäten. Viele Menschen neigen dazu, dörfliche Lebensräume für die Entwicklung von Kindern positiver zu bewerten als städtische Lebensräume. Diese Einschätzung ist oftmals von Vorurteilen und unzugänglichen Idealisierungen geprägt. Für die kindliche Entwicklung ist es besonders wichtig, dass Kinder verschiedene Räume, wie z.B. Wohn-Räume, Spiel-Räume, betreute Räume (u.a. die Schule) usw., zur Verfügung haben, die sie sich individuell „einrichten“ und in denen sie sich ihre eigenen Welten schaffen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Räume im städtischen oder ländlichen Raum liegen. Die Aufgabe der Schule ist es, die verschiedenen Kinderwelten wahrzunehmen und anzunehmen und nötigenfalls einzugreifen, wenn von diesen Räumen Gefahren für die Kinder ausgehen. Der Bremer Pädagoge Fritz Gansberg schreibt dazu: „Für unsere Stadtkinder zumal ist die Menschenkunde mit ihren sozialen, sittlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Fragen viel wichtiger, vertrauter, aufregender, geheimnisvoller und lebensvoller als es Streifzüge durch die Natur sein können.“[8]

 

So spielt neben der Vermittlung von Grundkenntnissen und Grundfertigkeiten in einem gemeinsamen Bildungsgang die Sozialisation eine wichtige Rolle. Als Sozialisation wird der „Prozess des Aufbaus von Verhaltenspositionen und der Eingliederung eines Individuums in die Gesellschaft oder in einen ihrer Gruppen über den Prozess des Lernens der Normen, Werte, Symbolsysteme und Interpretationssysteme der jeweiligen Gruppe und Gesellschaft“[9] beschrieben. Der Staat erwartet von den Schulen, dass die Schüler an das politische System der Demokratie herangeführt werden, aber auch grundlegende sittliche Normen und Werte bzw. Regeln vermittelt bekommen sowie in die gemeinsame Kultur, Sprache und Geschichte des Landes eingeführt werden. Durch die Einführung z.B. von Ritualen und Regeln vom Tag der Einschulung an lernen Kinder demokratisch zu leben. Durch z.B. die Wahl eines Klassenrates oder die Übernahme von besonderen Aufgaben (Klassendienste) wird den Kindern ein gewisses Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht eingeräumt und ihnen die Möglichkeit des Zusammenlebens so angenehm wie möglich gestaltet. Die Schüler werden so unterstützt, sich langsam in das demokratische System einzufinden und gleichzeitig ihre eigene Persönlichkeit mit Stärken und Schwächen zu entwickeln. „Der Mensch [darf] niemals als bloßes Mittel gebraucht werden (...), sondern [besitzt] eine eigene Würde.“[10]

 

„Die Schule muss sich auf die Bedingungen der kindlichen Sozialisation einerseits einlassen, andererseits wird sie aber gerade dadurch in ihrer Eigenart geprägt, sie wird zur Dorfschule oder zur Stadtschule, zur Brennpunktschule oder zur Vorortschule – jede mit ihren Chancen und ihrer eigenen Problematik.“[11] Die Personalisation sowie die Sozialisation stellen eine große Aufgabe für jede Schule dar.

 

Obwohl der Staat „nur ein bedingtes Interesse ... an der schulischen Personalisation“[12] besitzt, ist die Schule dennoch verpflichtet, die notwendigen Bedingungen für eine optimale Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen. „Die Grundschule übernimmt Verantwortung für die grundlegende Bildung, für eine in physischer und psychischer Gesundheit verlaufende Persönlichkeitsentwicklung und für eine an demokratischen Grundsätzen orientierte Gemeinschaftsbildung von Kindern.“[13] Ermöglicht wird diese umfassende Förderung der Kinder durch ein ständiges Wechselspiel von pädagogischen, didaktischen und demokratischen Prinzipien, die sich am permanenten Wandel der Gesellschaft (Änderung der Familienstruktur, Zunahme kultureller Vielfalt, Erhöhung des Medienkonsums usw.) orientieren und diesen berücksichtigen müssen. Die Auswirkungen eines gesellschaftlichen Wandels werden im Vergleich zu anderen Schulzweigen in der Grundschule früher erkennbar.

 

Die Umsetzung des erzieherischen Auftrags der Grundschule wird oftmals als Gratwanderung angesehen, die das pädagogische Handeln erschwert und die Entwicklung positiver sozialer und emotionaler Handlungen behindert. Aufgrund der wandelnden Familienverhältnisse und einer Verschiebung der sozialen Schichten ist es vielen Eltern nicht mehr möglich, ihren Kindern soziale Wärme und Geborgenheit zu geben oder einfach das Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln. Die Schule stellt in solchen Fällen meist den einzigen Ort dar, an dem sie ihre sozialen Kontakte pflegen und ausbauen können sowie Zuwendung und Geborgenheit erfahren. Insbesondere durch den erzieherischen Auftrag trägt die Grundschule die Verantwortung, die Schüler als ganze Menschen in den Blick zu nehmen. Jedes Kind hat als individuelle Persönlichkeit mit Stärken und Schwächen das Recht darauf, ernst genommen und gefördert zu werden, so dass es die Grundschule als positive Chance für seine weitere Entfaltung erleben kann.[14] Die Erziehung, die in der Grundschule zu leisten ist, sollte also an der Individualität, am Bedürfnis nach Zuwendung und am Streben nach Anerkennung und Leistung jedes einzelnen Kindes ansetzen. „Die Grundschule der Vielfalt muss deshalb auch als humane Schule des Respekts vor der Würde und Einzigartigkeit der betroffenen Kinder (und Lehrkräfte) gedacht werden.“3 Die Stichwörter „humane Schule“ und „Respekt vor der Würde“ machen deutlich, dass es Ziel der Grundschule sein muss, die ihr anvertrauten Schüler vor gewalttätigen Angriffen, welcher Art auch immer, zu schützen. Ihrem Auftrag gemäß soll die Grundschule gleiche Bildungschancen für alle Kinder herstellen und eigenständige Ziele der sozialen Kompetenz gegenüber den Zielen und Erscheinungen im sozialen Erfahrungsraum Gesellschaft mit Egoismus, Konkurrenz, Kälte, Isolation, Macht und Mangel an Zivilcourage gewinnen.[15] Die soziale Kompetenz beinhaltet unter anderem Gesprächsfähigkeit und Regelbewusstsein. So zählt es zu den Aufgaben der Grundschule, will sie den ihr gegebenen Auftrag gewissenhaft erfüllen, die soziale Kompetenz ihrer Schüler auszubilden und zu stärken. Ute Wilms (Lehrerin) hat einmal gesagt „Respekt ist die Grundlage dafür, wie wir über Kinder, Kollegen und Eltern denken und reden.“[16] In der heutigen Zeit stellt der Aufbau von Sozialkompetenzen, d.h. einem Wir-Gefühl und Sachkompetenzen sowie die Entwicklung der Ich-Stärke eines Kindes eine Herausforderung für jeden Lehrer dar. Integration spielt in diesem Fall eine sehr wichtige Rolle und bezieht sich nicht nur auf die an Schulen vorherrschende kulturelle Vielfalt. „Kinder brauchen in der Grundschule nicht nur eine Entwicklung, Öffnung und Vertiefung ihrer Sozialbeziehungen, sondern auch eine Vertiefung und Öffnung ihres Bezugs zu den Sachen, zu den Gegenständen des Lernens. (…) Die Grundschule muss ihrem Bildungsauftrag gemäß praktische und sinnbezogene Auseinandersetzung der Kinder mit der Welt der Dinge, der Ideen und kulturellen Traditionen aufgreifen und die sich aus der Begegnung mit der Umwelt ergebenden Lernchancen zu Lernsituationen gestalten.“[17] Durch selbstbestimmtes und handlungsorientiertes Lernen wird Schülern ermöglicht, sinnliche Erfahrungen zu sammeln und eigenständig oder zusammen mit anderen tätig zu werden. Dies stärkt nicht nur das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, sondern gibt den Schülern die Möglichkeit, von anderen zu lernen, eigene (neue) Erlebnisse und Erfahrungen zu machen oder diese mit einfließen zu lassen sowie das Arbeiten in der Gruppe, das Zugehörigkeitsgefühl zu entdecken und auszubauen.

 

Joachim Kahlert betont in diesem Zusammenhang die Aufgabe des sozialwissenschaftlichen Lernbereichs des Sachunterrichts, nämlich Einsichten für das Verständnis sowie Fähigkeiten und Verantwortung für die bewusste Gestaltung sozialer Beziehungen anzubahnen.[18] Eine sog. bewusste Gestaltung sozialer Beziehungen kann nicht meinen, dass über Akte der Gewalt in der Schule hinweggesehen werden kann. Die Sozialisationsleistungen, die die Grundschule zu erfüllen hat, die sowohl...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Pädagogik - Erziehungswissenschaft

Weitere Zeitschriften

Augenblick mal

Augenblick mal

Die Zeitschrift mit den guten Nachrichten "Augenblick mal" ist eine Zeitschrift, die in aktuellen Berichten, Interviews und Reportagen die biblische Botschaft und den christlichen Glauben ...

Burgen und Schlösser

Burgen und Schlösser

aktuelle Berichte zum Thema Burgen, Schlösser, Wehrbauten, Forschungsergebnisse zur Bau- und Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Denkmalschutz Seit ihrer Gründung 1899 gibt die Deutsche ...

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft. Für jeden, der sich gründlich und aktuell informieren will. Zu allen Fragen rund um die Immobilie. Mit ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...