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Gig Economy

Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co.

AutorColin Crouch
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783518763681
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR

Ob Foodora, Deliveroo oder Uber - die Unternehmen der Plattformökonomie bieten denen, die für sie arbeiten, oft das Schlechteste aus beiden Welten: die Unfreiheit von Angestellten gepaart mit der Unsicherheit von Freelancern. Die sogenannte Gig Economy ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs.

Längst ist auch das Standard-Beschäftigungsmodell in die Krise geraten: Minijobs und aufgeweichter Kündigungsschutz, unfreiwillige Teilzeit und Zeitarbeit sind allesamt Facetten einer Entwicklung, die den Arbeitsmarkt des globalen Nordens seit den späten siebziger Jahren erschüttert. Colin Crouch liefert eine differenzierte Analyse und bietet Vorschläge für zeitgemäße Reformen, mit denen die Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt abgefedert werden könnten.



<p>Colin Crouch, geboren 1944, lehrte bis zu seiner Emeritierung Governance and Public Management an der Warwick Business School. F&uuml;r sein Buch <em>Das befremdliche &Uuml;berleben des Neoliberalismus</em> erhielt Crouch 2012 den Preis &raquo;Das politische Buch&laquo; der Friedrich-Ebert-Stiftung.</p>

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Leseprobe

1. Der Aufstieg prekärer Arbeit


Mit dem Tod eines dreiundfünfzigjährigen Paketzustellers, der im Süden Englands für das Logistikunternehmen DPD arbeitete, trat die dunkle Seite der sogenannten Gig Economy im Januar 2018 ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Der Mann war kein Angestellter, sondern seit neunzehn Jahren als selbständiger Subunternehmer für DPD tätig. Er starb an einem diabetischen Koma, nachdem er mehrere Arzttermine versäumt hatte – noch am Tag zuvor hatte DPD ihm eine Strafe in Höhe von 150 Pfund aufgebrummt, weil er seine Zustellquote aufgrund eines Arztbesuchs nicht erfüllt hatte. Im Kielwasser der Aufregung, die die Umstände seines Todes auslösten, änderte DPD zwar seine Politik gegenüber den Arztterminen der Arbeitskräfte – doch blieben alle grundlegenden Fragen unbeantwortet, die sich stellen, wenn ein Unternehmen Arbeitskräfte beschäftigt, die es nicht als Arbeitnehmer ansieht und denen gegenüber es sich auch nicht als Arbeitgeber mit den entsprechenden Pflichten betrachtet, obgleich es offensichtlich Strafen gegen sie verhängen kann, um sie zu disziplinieren. Die Idee eines derartigen Verhältnisses von Unternehmen und Arbeitskraft ist das grundlegende Konzept von Jobplattformen.

Das Problem ist alles andere als marginal. Viele neoliberale Politiker halten plattformvermittelte Jobs für die ideale Beschäftigungsform, die die überkommenen Anstellungsverhältnisse mit ihrer kostentreibenden Unbeweglichkeit in naher Zukunft ablösen könne. Unternehmen gewännen ein Höchstmaß an Flexibilität, wenn sie »selbständige« Arbeitskräfte ausschließlich nach Bedarf und für spezifische Aufgaben beschäftigten und entlohnten. Sie sparen sich damit nicht nur Sozialversicherungsabgaben, sondern können auch den Mindestlohn und zahlreiche andere Verpflichtungen umgehen, die ihnen das sogenannte Normalarbeitsverhältnis zuweist. Die Arbeitskräfte wiederum genössen unternehmerische Freiheit, da sie sich ihre Auftraggeber und Arbeitszeiten selbst aussuchen könnten. Nach dem Tod des zuckerkranken Kurierfahrers machte DPD seinen Zustellern das Angebot, zukünftig als Festangestellte mit Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld und Betriebsrente arbeiten zu können, wofür sie allerdings Lohneinbußen in Kauf nehmen müssten. Auf diese Weise, so wird behauptet, kommen auch Arbeitskräfte in den Genuss des höchsten Guts eines kapitalistischen Wirtschaftssystems: der Wahlfreiheit.

Doch werden Arbeitskräfte, deren ökonomische Verhältnisse es nicht einmal erlauben, dass sie sich für einen Krankenhaustermin freinehmen, wirklich bereit sein, auf bares Geld zu verzichten, um sich einen Anspruch auf Krankengeld und eine Betriebsrente in ferner Zukunft zu sichern? Allgemeiner gefragt: Kann man von jemandem, der oder die in Vollzeit für ein Unternehmen arbeitet, wirklich behaupten, er oder sie erfreue sich der Freiheit eines Selbständigen? Und wie ist es möglich, dass ein Unternehmen, das Tausende Menschen als Paketzusteller beschäftigt, nicht deren Arbeitgeber ist? Die heraufdämmernde schöne neue Welt der flexiblen Arbeitsverträge ist randvoll mit linguistischen und juristischen Unklarheiten dieser Art. Unternehmen wie die weltweit agierende Firma Uber, die die Erbringung von Fahrdienstleistungen über das Internet vermittelt, nehmen für sich in Anspruch, lediglich eine »Plattform« zur Verfügung zu stellen, was für sich genommen kein Arbeitgeber-Arbeitnehmerinnen-Verhältnis begründe. Wenn sie es geschickt anstellen, können sie ebenfalls von sich sagen, dass sie nicht einmal über eine geografisch eindeutig verortbare Niederlassung auf diesem Planeten verfügen und ihre gesamten Profite in der für sie günstigsten Jurisdiktion versteuern. Und weil das Internet Inbegriff des Neuen und Pionierhaften ist, zieht jeder, der ihre Praktiken zu kritisieren wagt, den Vorwurf auf sich, ein Hemmschuh des Fortschritts zu sein.

Dabei ist schon der Begriff »Gig Economy« eine Täuschung. Er spielt auf den »Gig« an, das Engagement eines Unterhaltungskünstlers, der an ständig wechselnden Orten auftritt, ohne langfristige Verträge mit örtlichen Veranstaltern zu haben. Unterhaltungskünstler jedoch sind immer schon Selbständige, »Freiberufler« gewesen: Sie bewegen sich in der Tat auf einem freien Markt und sind für verschiedene Auftraggeber tätig, ohne zu einem von ihnen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Etwas völlig anderes ist die Situation von Menschen, die jeden Tag Pakete für ein (im Ausnahmefall vielleicht zwei) Großunternehmen ausliefern, von dem sie hinsichtlich ihres Lebensunterhalts vollständig abhängig sind und das ihnen die Arbeitszeiten ohne Weiteres diktieren kann und das auch tut. Einen solchen Zustand mit den »Gigs« von Musikern gleichzusetzen, gleicht eher dem zynischen Manöver, eine prekäre Beschäftigungsform mit der Romantik des Entertainmentgewerbes aufzuhübschen, als einem ernsthaften Versuch, eine neue Art Arbeitsverhältnis zu beschreiben.

Allerdings ist zweifelhaft, ob Jobplattformen tatsächlich derart wichtig sind, wie ihre Verfechter (etwa Annabel Denham [2018] in ihrem Artikel »The Gig economy is the future and women can lead the charge«, sinngemäß: »Jobplattformen bestimmen die Zukunft und Frauen können dabei die Führung übernehmen«) überschwenglich behaupten. Schätzungen der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution zufolge verzeichnen die sich als »Vermittler von Dienstleistungen« verstehenden Jobplattformen zwar ein höheres Umsatzwachstum als Firmen mit richtigen Angestellten (zwischen 2010 und 2014 wuchsen sie etwa im Bereich der Personenbeförderung in US-amerikanischen Großstädten um 69 Prozent, klassische Arbeitgeber hingegen nur um 17 Prozent), stehen aber dennoch lediglich für 3 Prozent des Gesamtumsatzes der amerikanischen Wirtschaft (Hathaway und Muro 2016). Laut einer Studie des McKinsey Global Institute (2016) gehen in Europa und den USA bis zu 162 Millionen Menschen, also 20 bis 30 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, einer »unabhängigen Beschäftigung« (»independent work«) nach – aber das ist, auch wenn im Titel der Studie der Begriff »Gig Economy« vorkommt, eine weit umfassendere Kategorie, unter die auch herkömmliche Selbständige und Freiberufler fallen. Trotzdem erscheint die Zahl angesichts des allgemeinen Rückgangs der Selbständigkeit in fortgeschrittenen Ökonomien, unter denen lediglich Griechenland und Spanien Anteile wie die von McKinsey behaupteten aufweisen, sehr hoch. Das ist vermutlich auf eine Überschneidung mit der (illegalen) Schattenwirtschaft zurückzuführen, in der die Beschäftigten natürlich ebenfalls nicht über den Status von Festangestellten verfügen. Außerdem sind laut der Studie etwa 40 Prozent dieser »unabhängigen Arbeitskräfte« nur »gelegentlich« tätig, bestreiten also nur einen kleineren Teil ihres Lebensunterhalts mit Erwerbsarbeit, weil es sich in der Hauptsache etwa um Studenten oder Rentnerinnen handelt, die nach den Regeln behördlicher Erhebungen »dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen«. Mit diesen Gruppen kommen wir zwar den vom McKinsey Institute genannten Zahlen näher, doch können gelegentlich jobbende Studentinnen und Rentner kaum als die endlich von den Fesseln der Festanstellung befreiten Entrepreneure einer neuen Epoche gelten.

Der Studie zufolge gehen 30 Prozent der unabhängigen Arbeitnehmerinnen dieser Form der Beschäftigung aus freien Stücken als Hauptbeschäftigung nach, während 14 Prozent dies »widerstrebend« tun, da sie lieber festangestellt wären, und weitere 16 Prozent diese Arbeit nur machen, weil sie »mittellos« sind. Der Anteil der Beschäftigten, die mit ihrer Tätigkeit in der Gig-Ökonomie zufrieden sind, lässt sich aus der Studie nicht ablesen. Dennoch ist klar, dass nicht alle »Gig-Jobber« diese Art der Arbeit uneingeschränkt bejahen. Der im Auftrag der britischen Regierung entstandene Taylor-Review über die Arbeitsbedingungen in der – von den Autoren grundsätzlich positiv bewerteten – Gig-Ökonomie konstatiert, dass sich lediglich 25 Prozent der 16- bis 30-jährigen Briten eine Beschäftigung innerhalb derselben vorstellen könnten (Taylor 2017, S. 28). Anhand eines anderen Ansatzes und aus einer eher kritischen Perspektive kam eine öffentlich-rechtliche EU-Agentur, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound), zu dem Ergebnis, dass 17 Prozent aller formell selbständigen Arbeitnehmer in der...

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