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Glaube mir, ich habe von alledem nichts gewusst

Die Verstrickung von Unterstaatssekretär Martin F. J. Luther in den Holocaust

AutorHans Jürgen Paas
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl350 Seiten
ISBN9783748113904
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
»Glaube mir, ich habe von alledem nichts gewusst« sagte Martin F. J. Luther im Mai 1945 zu seinem Sohn. Er war Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt unter Ribbentrop und Teilnehmer der Wannseekonferenz. Diese Geschichte brachte Hans Jürgen Paas, den Ehemann von Luthers Enkelin, dazu, dessen Lebenslauf und seine Verstrickung in den Holocaust intensiv zu erforschen. Was hat ein Mensch in dieser Position wirklich gewusst? Was musste er als Teilnehmer einer Konferenz zwangsläufig wissen, einer Besprechung, auf der ausführlich beratschlagt und maßgeblich mit darüber entschieden wurde, wo wie viele Juden vernichtet werden sollten? Allein Luthers berufliche Funktion, spätestens aber seine Konferenzteilnahme strafen seine Aussage Lügen! Das vorliegende Buch ist nicht nur eine detaillierte Aufzeichnung von Luthers Lebensweg und Beschreibung seiner Persönlichkeitsstruktur, sondern eine generelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Hans Jürgen Paas, Jahrgang 1956, studierte Mathematik und Philosophie mit dem Schwerpunkt Mathematische Logik an der Universität Bonn. Nach einem USA-Aufenthalt als Lehrer arbeitete er als IT-Architekt für mehrere internationale Unternehmen. Im November 2016 verlegte er seinen Schwerpunkt auf die Beschäftigung mit neuerer Geschichte. Sein Hauptinteresse gilt dabei der Zeit des Nationalsozialismus und hier insbesondere dem Holocaust. Die hier vorliegende Auseinandersetzung mit Unterstaatssekretär Martin Luther ist sein erstes Buch zu diesem Thema.

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Leseprobe

Vorwort


»Glaube mir, ich habe von alledem nichts gewusst«, hat mein Großvater Martin Luther im Mai 1945 zu seinem jüngsten Sohn gesagt. Und dieser hat ihm das immer geglaubt. Mein Vater, der mittlere Sohn Luthers, hat zeitlebens gezweifelt, aber eher angenommen, dass sein Vater wohl doch über das Ausmaß seiner eigenen Beteiligung am Holocaust im Bilde gewesen ist. Ich als seine Enkelin weiß definitiv, dass Martin Luther über alle seine Taten und auch über alle ihre Konsequenzen bestens informiert war und seine Karriere rücksichtslos in und mit der Naziideologie aufgebaut hat.

In meinen jüngeren Jahren habe ich den Machenschaften meines Großvaters, den ich glücklicherweise nie persönlich kennengelernt habe, lange Zeit nicht den angemessenen Stellenwert eingeräumt. Erst als mein Mann Hans Jürgen Paas, der sich schon immer für geschichtliche Zusammenhänge im Allgemeinen und für den Holocaust im Besonderen interessiert hat, genauer nachfragte, begannen wir, dieses heikle Thema in allen seinen Facetten zu beleuchten. Mehr und mehr hat er herausgearbeitet, ob und in welchem Umfang mein Großvater über sein Tun und dessen Folgen Bescheid wusste, wissen musste. Ich danke meinem Mann sehr, dass er durch diese umfangreiche Arbeit ganz klar belegen konnte, wie Martin Luther seine ganze Familie, ja, vielleicht sogar sich selber, belogen und betrogen hat.

Luther war nicht nur ein Mensch, der durch Passivität das Naziregime nicht verhinderte, sondern er hat sich aktiv daran beteiligt. Er war Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt und am 20.1.1942 Teilnehmer der Wannseekonferenz, auf der ausführlich besprochen und maßgeblich mit darüber entschieden wurde, wo wie viele Juden vernichtet werden sollten. Und ein Anwesender dieser Besprechung will nichts gewusst haben? Allein Luthers berufliche Funktion, spätestens aber seine Konferenzteilnahme strafen ihn Lügen!

Die Generation meiner Eltern, die wir ja großteilig noch erlebt haben, mit denen wir gesprochen haben, hat in den meisten Fällen nur ungerne über ihre Erlebnisse in Nazideutschland geredet. Diese Generation, die in den späten 20er und in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren wurde, ist – wenn überhaupt – nur noch in den letzten Phasen des ausgehenden zweiten Weltkriegs beteiligt gewesen. Die Jungen und Mädchen wurden jedoch bei der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel er- bzw. verzogen oder auch in den ausgehenden Kriegstagen als Kanonenfutter verheizt. Sie trifft also weniger Schuld, die Überlebenden mussten sich aber später damit auseinandersetzen, dass das, was sie eingetrichtert bekommen hatten, falsch gewesen ist.

Viel mehr Schuld hingegen haben die Generationen unserer Großeltern und Urgroßeltern, die vor und im Krieg erwachsen genug gewesen waren, um sich ein objektives Bild zu machen – wenn sie es denn gewollt hätten. »Wir haben von alledem nichts gewusst« hat nicht nur der Vater meines Vaters gesagt, wir haben es fast alle so oder ähnlich von den Großeltern gehört.

Auch in der Familie meiner Mutter hat man angeblich nichts gewusst. Wenn ich jedoch die Memoiren des Großvaters meiner Mutter lese, einem hohen Funktionär eines bedeutenden deutschen Industrieunternehmens, fühle ich mich regelrecht abgestoßen. Er glorifiziert Hitler und seine Komparsen und ihre Ideologie und hat diese Einstellung erfolgreich an seine Kinder weitergegeben. Man spielte nicht mit Judenkindern, man kaufte nicht in jüdischen Geschäften ein und man wechselte beizeiten seine Ärzte.

Im Garten dieser meiner ach so feinen Familie gab es eine Laube, unter der – so wurde hinter vorgehaltener Hand erzählt – eine Goebbelsbüste vergraben gewesen sein sollte, die man in den letzten Kriegstagen hat verschwinden lassen. Warum hat man diese Beweisstücke für die eigene Gesinnung denn versteckt, wenn man doch angeblich völlig unwissend und schuldlos gewesen ist? Ist es nicht Eingeständnis genug, dass man diesen Leuten zugejubelt und sie hochgelobt hat, dass man eine solche Büste überhaupt besessen hat?

Es geht nicht darum, die Großeltern anzuklagen, denn wir haben die Entwicklungen in den damaligen Zeiten nicht miterlebt. Es geht auch nicht darum, die Eltern anzuklagen, denn wir haben die damaligen, perfiden Methoden der Gehirnwäsche nicht erlebt. Ich bemängele jedoch, dass einige unserer Eltern auch nachdem sie Zeit hatten, darüber nachzudenken, ihre Fehler nicht zugeben konnten oder wollten. Jeder einigermaßen intelligente Mensch muss wissen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Und dies nicht erst seit 1949, seit es an prominenter Stelle im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht, sondern seit Menschengedenken! Selbstverständlich hätten auch schon in Nazideutschland alle Menschen vor dem Gesetz gleich sein müssen, denn es ist nicht das von Menschen zu irgendeinem Zeitpunkt erlassene Gesetz, sondern das sich aus der Menschlichkeit ergebende, natürliche Gesetz. Alle Menschen sind gleich – unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung. Es mag sein, dass sich einzelne Menschen durch ihr Verhalten selbst ausgrenzen und straffällig werden. Dies hat jedoch überhaupt nichts mit ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihrem Geschlecht zu tun. Und daraus ergibt sich auch die Schuld unserer Eltern und Großeltern: auch sie hätten wissen müssen, dass die Diskriminierung eines ganzen Volkes allein aufgrund seiner Religion falsch sein muss. Und ganz selbstverständlich hätte es jedem völlig klar sein müssen, dass kein Mensch der Welt das Recht hat, andere Menschen umzubringen!

Selbst wenn ich meinen Vorfahren zugutehalte, dass sie tatsächlich nicht (alle) über die genauen Details um die Massenmorde informiert waren, so reichte alleine das Mitmachen bei den Diskriminierungen und das Wegschauen, als ganz eindeutig immer mehr Menschen verschwanden und nicht wiederkamen, um doch von einer Schuld sprechen zu dürfen.

Auch die Unfähigkeit, nach Kriegsende die eigenen Verhaltensweisen kritisch zu überdenken und sich ab sofort oder zumindest nach einem Lernprozess richtig zu verhalten, ist ein Fehler. Meist wurden die Gedanken und Beweisstücke wie die Goebbelsbüste tief vergraben irgendwo versteckt – es war klar, dass so etwas nicht mehr »salonfähig« war. Wie viele wirklich aus den Geschehnissen gelernt hatten und sich nicht nur oberflächlich untadelig verhielten, vermag ich nicht zu beurteilen.

Mein Vater jedenfalls hatte gelernt – wobei ich nicht glaube, dass er trotz seines Vaters jemals eine judenfeindliche Einstellung gehabt hatte. Er war ein allen Menschen gegenüber sehr tolerant eingestellter Mann, der mit mir und meinen Schwestern, Vettern und Cousinen offen über die Nazizeit geredet hat. Probleme hatte er zwar zeitlebens, die Taten seines Vaters zu verstehen – »aber er war doch mein Vater«, aber dass mein Großvater maßgeblich mitbeteiligt gewesen ist, hat er zumindest als sehr wahrscheinlich angesehen.

»Glaube mir, ich habe von alledem nichts gewusst.« Mein Mann hat mit der vorliegenden Arbeit jeden Zweifel ausgeräumt und bewiesen, dass dieser Ausspruch Martin Luthers definitiv als Lüge entlarvt werden konnte.

Ziel und Zweck dieses Buches ist es aber nicht, mit dem Finger darauf zu zeigen, was ein einzelner Mensch in der Vergangenheit falsch gemacht hat. Ziel und Zweck ist es, anhand eines exemplarischen Falles deutlich zu machen, zu welchen Verhängnissen Verhaltensweisen von einzelnen führen können.

Und dies ist nicht nur eine Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern leider ein brandaktuelles Thema! Konnten wir uns in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts noch im Glauben wiegen, dass Naziansichten »aussterben« werden, so werden wir spätestens seit dem Wiedererstarken der rechtsgerichteten politischen Parteien eines anderen belehrt. Rechte Gesinnungen gewinnen wieder begeisterten Zulauf – genauso, wie es vor fast einem Jahrhundert gewesen ist.

Deshalb ist es wichtig, dass wir Enkel uns noch einmal deutlich die Mechanismen vor Augen führen und analysieren, welche Konsequenzen die Denkweisen haben können, die damals zum Holocaust führten. Insbesondere auch deshalb, weil die Zeitzeugen aufgrund ihres Alters bald nicht mehr für Berichte und Rückfragen zur Verfügung stehen werden. Aber all diejenigen, deren Eltern noch leben, sollten sie fragen, wie es damals war. Und diejenigen, denen dies nicht mehr möglich ist, dürfen nicht nachlassen, sich zu informieren – es gibt genügend Quellen.

So wie ich als Jugendliche es ablehnte, mich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, »weil ich ja keine Schuld hatte, nicht beteiligt gewesen war«, so argumentieren auch heute unsere Kinder- und Enkel-Generationen. Das ist wohl richtig, es enthebt aber niemanden der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich nicht wieder eine oder mehrere Generationen schuldig machen werden. Jeder Mensch ist verantwortlich dafür, sich die damaligen Zusammenhänge deutlich zu machen und auf diese Weise zu verstehen, wie sich aus anfänglich kleinen Fehlern eine Katastrophe entwickeln konnte.

Natürlich ist...

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