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Gleichheit ist Glück

Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind

AutorKate Pickett, Richard Wilkinson
VerlagHaffmans Tolkemitt Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783942989329
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
In jahrzehntelanger Forschung haben die beiden Wissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Pickett empirische Daten gesammelt und ausgewertet, anhand derer sie den Einfluss der Ungleichheit auf eine Vielzahl der drängendsten sozialen Probleme entwickelter Gesellschaften untersuchen. Die geistige und körperliche Gesundheit oder der Drogenkonsum der Mitglieder einer Gesellschaft, Lebenserwartung, Übergewicht, Bildung, die Geburtenrate bei Minderjährigen, die Verbrechensrate und nicht zuletzt die soziale Mobilität: All diese Phänomene hängen statistisch eindeutig davon ab, wie ungleich die Einkommens- und somit Chancenverteilung einer Gesellschaft ist. Ab einem gewissen Einkommensniveau, das etwa auf der Höhe dessen von - ausgerechnet - Kuba liegt, ist es eben nicht mehr die Höhe des Durchschnittseinkommens, die es den Menschen immer bessergehen lässt, sondern die Verteilung des Einkommens. Dieser Titel befasst sich, wie das zur Zeit viel besprochene Buch von Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, mit der Verteilung des Reichtums.

Richard Wilkinson ist einer der international führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Erforschung von Ungleichheit und sozialen Einflüssen auf die Gesundheit; seine Arbeiten wurden in zehn Sprachen übersetzt. Er hat an der London School of Economics Wirtschaftsgeschichte studiert und dann eine Ausbilung zum Epidemiologen absolviert. Wilkinson ist emeritierter Professor der Nottingham Medical School und Honorarprofessor am University College London. Kate Pickett ist Senior Lecturer an der University of York und forscht am englischen National Institute for Health Research. Sie hat Anthropologie in Cambridge studiert, Ernährungswissenschaften an der Cornell University und Epidemiologie in Berkeley, bevor sie vier Jahre Assistenzprofessorin an der University of Chicago wurde.

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Leseprobe

1.


Das Ende einer Ära


Ich seh, welch große Macht das Geld besitzt, die Fremden zu beschenken und den krank gewordnen Leib mit Spenden durchzubringen; doch das Brot für jeden Tag, das kostet wenig; jeder, der sich voll gegessen, ob reich, ob arm, er kriegt das gleiche Maß.

Euripides, Elektra, 398 – 402

Es scheint paradox: Der Menschheit gelingen immer neue materielle Erfolge und technische Höchstleistungen, aber wir leiden unter Ängsten und Depressionen, sorgen uns darum, wie wir in den Augen der anderen erscheinen, und wissen nicht, wem wir trauen können. Wir konsumieren, statt Beziehungen mit unseren Nachbarn zu pflegen, und weil uns die unangestrengten sozialen Kontakte und das emotionale Wohlbefinden fehlen, das jeder Mensch braucht, suchen wir Trost in Extremen: viel essen, viel einkaufen und Geld ausgeben, viel Alkohol, viele Psychopharmaka oder Drogen.

Wie kommt es, dass die Menschen länger und komfortabler leben als jemals zuvor, aber zugleich psychisch und emotional leiden? Oft fehlt uns kaum mehr, als uns hin und wieder einmal mit Freunden zu treffen, aber wir können die Zeit dafür nicht erübrigen. Wir handeln so, als sei unser Leben ein ständiger Kampf ums psychische Überleben, ein Kampf gegen Stress und emotionale Abstumpfung, aber in Wahrheit ist unser Leben so luxuriös und extravagant, dass es unseren Planeten in Gefahr bringt.

In den USA hat das Harwood Institute for Public Innovation in einer von der Merck Family Foundation in Auftrag gegebenen landesweiten empirischen Untersuchung belegt, dass viele Menschen glauben, der »Materialismus« sei das eigentliche Problem; er hindere sie an der Befriedigung ihrer sozialen Bedürfnisse. Die Studie, erschienen unter dem Titel Yearning for Balance (»Sehnsucht nach Gleichgewicht«), kommt zu dem Schluss, dass die Befragten »ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Wohlstand und materiellem Gewinn zeigten«.1 Eine deutliche Mehrheit wünscht, dass die Gesellschaft sich »von Gier und Maßlosigkeit abkehrt und einen Lebensstil wählt, in dem Wertvorstellungen, Gemeinschaft und Familie eine größere Rolle spielen«. Jedoch glauben die Befragten, dass die meisten Amerikaner diese Meinung nicht teilten, weil sie »mit zunehmender Vereinzelung selbstsüchtig und verantwortungslos« geworden seien. Viele der Befragten fühlten sich isoliert. Die Studie belegt aber auch, dass die Teilnehmer von Kontrollgruppen, in denen genau diese Probleme diskutiert wurden, sich »überrascht und begeistert zeigten, dass andere ihre Ansichten teilten«. Viele von uns fühlen sich unbehaglich in ihrem Streben nach materiellem Gewinn und weil ihnen dabei die sozialen Werte abhanden gekommen sind; aber statt uns in diesem gemeinsamen Anliegen mit anderen zusammenzutun, glauben wir, die Vereinzelung sei unser persönliches Problem.

In der großen Politik spielen solche Fragen keine Rolle mehr, eine gemeinsame Vision für eine bessere Gesellschaft steht nicht auf der Agenda. Und wenn wir bei Wahlen unsere Stimme abgeben, sind soziale Veränderungen auch kein Entscheidungskriterium; unter den gegebenen Verhältnissen ist fast jeder nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

Diese Diskrepanz zwischen materiellem Erfolg und sozialem Versagen ist ein wichtiges Indiz für den gesellschaftlichen Zustand vieler reicher Nationen. Wenn wir mehr echte Lebensqualität wollen, dann dürfen wir nicht länger nur nach Wirtschaftswachstum und Wohlstand streben, sondern müssen uns Gedanken um die Verbesserung des psychischen und sozialen Wohlergehens unserer Gesellschaft insgesamt machen. Aber psychologische Fragestellungen gelten gemeinhin als ein Fall für die individuelle Therapie; Politiker scheinen sich dafür nicht zuständig zu fühlen.

Heute kann man sich allerdings ganz andere, überzeugendere Möglichkeiten vorstellen, die Gesellschaft vor solchen Fehlentwicklungen zu bewahren. Es wird die Politik und unsere Lebensqualität von Grund auf verändern, wenn wir erst einmal die Lage richtig einzuschätzen gelernt haben: Wir werden einen neuen Blick auf die Welt gewinnen, wir werden andere Präferenzen setzen und unsere Forderungen an die Politik ändern.

Zunächst wollen wir zeigen, in welcher Weise die materiellen Grundlagen einer Gesellschaft ihre sozialen Beziehungen determinieren. Der Grad der Einkommensunterschiede hat einen großen Einfluss darauf, wie die Menschen miteinander umgehen. In diesem Buch geht es also weniger um die üblichen Schuldzuweisungen an Eltern, Religion, Wertvorstellungen, Erziehung oder Justiz, es soll vielmehr deutlich gemacht werden, in welchem Maße sich soziale Ungleichheit auf unser aller Wohlbefinden auswirkt. Einst wurden wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, um zu belegen, dass liebevolle Zuwendung entscheidend für die frühkindliche Entwicklung ist, heute muss man Sterbeziffern und Einkommensverteilungen analysieren, um klarzumachen, dass auch Erwachsene soziale Bedürfnisse haben, und um zu zeigen, wie die Gesellschaft diese befriedigen kann.

Lange vor der internationalen Finanzkrise, die sich Ende 2008 abzeichnete, sprachen manche Politiker in Großbritannien vom »Zusammenbruch« unserer Gesellschaft, wenn sie auf den Mangel an Gemeinschaftsgefühl oder die Zunahme asozialen Verhaltens aufmerksam machen wollten. Inzwischen hat der Zusammenbruch des Finanzsystems die Aufmerksamkeit auf die Wirtschaft gelenkt. Die sozialen Defizite konnte man noch den ärmeren Schichten anlasten, für die wirtschaftliche Katastrophe musste man den Reichen die Schuld geben. Manager selbst »seriöser« Geldinstitute schlugen alle Warnungen in den Wind und halfen ein Kartenhaus zu errichten, das zusammenfallen musste, als die Spekulationsblase platzte; ihnen war es ausschließlich um noch höhere Einkommen und noch größere Bonuszahlungen gegangen. Aber sozialer wie wirtschaftlicher Kollaps haben eine gemeinsame Ursache: die zunehmende Ungleichheit.

Die Fakten

Zunächst werden in diesem Buch Belege dafür angeführt, dass uns wirtschaftliches Wachstum in naher Zukunft kaum noch Vorteile bringen wird. Seit Jahrtausenden ist die Verbesserung des materiellen Lebensstandards stets das probate Mittel zur Erhöhung der Lebensqualität gewesen. Als noch die Wölfe ums Haus strichen, konnte man von guten Zeiten sprechen, wenn es genug Nahrung und sauberes Wasser gab und wenn man sich irgendwo wärmen konnte. Aber heute haben die Menschen in den reichen Ländern ganz andere Alltagsprobleme als etwas in den Magen zu kriegen. Tatsächlich würden die meisten lieber weniger als mehr essen wollen. Erstmals in der Geschichte der Menschheit sind die Armen (im Durchschnitt der reichen Länder) fettleibiger als die Reichen. Wirtschaftswachstum war für lange Zeit der Motor des Fortschritts, doch in den reichen Ländern ist dieser Antrieb inzwischen weitgehend erschöpft. Das ökonomische Wachstum ist nicht mehr wie einst von Maßnahmen für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Bürger begleitet. Schlimmer noch: Langfristig haben Ängste, Depressionen und andere soziale Probleme mit wachsendem Wohlstand zugenommen. Die Bevölkerung der reichen Länder steht heute am Ende einer langen historischen Entwicklung – am Ende einer Ära.

Welchen Weg wir gegangen sind, zeigt Abbildung 1.1: Hier ist die Entwicklung der Lebenserwartung in den verschiedenen Stadien wirtschaftlichen Aufschwungs ins Verhältnis zum jeweiligen Pro-Kopf-Bruttoeinkommen eines Landes gesetzt. In den ärmeren Ländern steigt die Lebenserwartung zu Beginn der wirtschaftlichen Entwicklung deutlich an, aber sobald diese Länder den Bereich mittlerer Einkommen erreichen, flacht die Kurve ab und zeigt schließlich keinen Aufwärtstrend mehr. Reiche Länder werden zwar noch reicher, aber sie verzeichnen keine weitere Zunahme der Lebenserwartung ihrer Bevölkerung. Rechts oben in Abbildung 1.1 kann man erkennen, dass diese Situation in den 30 reichsten Ländern der Welt bereits eingetreten ist.

Das Abflachen der Kurve in Abbildung 1.1 ist nicht etwa so zu interpretieren, dass die Menschen die Obergrenze möglicher Lebenserwartung erreicht hätten; selbst in den reichsten Ländern erweist sich die Bevölkerung im Alter statistisch als robuster denn je zuvor. Die entscheidende Veränderung besteht darin, dass diese Entwicklung nichts mehr mit dem durchschnittlichen Lebensstandard zu tun hat. Im Zehnjahresrhythmus steigt die Lebenserwartung in den reichen Ländern um zwei bis drei Jahre – und zwar unabhängig vom Wirtschaftswachstum. Ein reiches Land wie die USA weist hier keine besseren Werte auf als etwa Griechenland oder Neuseeland – Länder, die halb so reich wie die USA sind. Die statistischen Befunde führen zu der Einsicht, dass die Erhöhung des durchschnittlichen Lebensstandards in den reichen Ländern immer weniger Einfluss auf die Gesundheit ihrer Bevölkerung hat.

Abb. 1.1 Wirtschaftlicher Aufschwung führt nur in der Anfangsphase zu erhöhter...

Blick ins Buch

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