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Glücksgefühle

Wie Glück im Gehirn entsteht und andere erstaunliche Erkenntnisse der Hirnforschung

AutorChristof Kessler
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783641195199
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Glück ist das große Thema von Werbung, Literatur und Filmen. Jeder Mensch will glücklich sein, und viele versuchen sich mit immer stärkeren Reizen oder Drogen kurze Momente des Glücks zu verschaffen. Aber was spielt sich im Gehirn ab, wenn wir glücklich sind? Welches Zusammenspiel der Neurone und Hormone bewirkt, dass ein Glücksgefühl erlebt wird, und welche Zusammenhänge bestehen zwischen Glück und Zufriedenheit und den Abgründen von Melancholie und Depression? Christof Kessler nimmt seine Leser mit in die Welt der 80 Milliarden Nervenzellen im Kopf. Die moderne Hirnforschung schlüsselt auf, wie unser Gehirn es bewerkstelligt, dass wir Gefühle erleben, und wie Motivation und Frustration entstehen. Kessler schildert die faszinierenden neuen Forschungsergebnisse zu den Themen Glück, Motivation, Liebe, Depression und Sucht und schöpft dabei aus reicher Erfahrung bei der Behandlung von Hirnerkrankungen.

Christof Kessler, geboren 1950, ist als Neurologe in eigener Praxis tätig. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Neurologie und Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Greifswald. Er forschte u. a. zu Hirnplastizität. Er ist Autor von 'Wahn' und 'Männer, die in Schränken sitzen'.

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Leseprobe

Katharina war einsam. Ihr Mann war Alkoholiker und vor einem halben Jahr an Leberkrebs gestorben. Das Leben mit ihm war nicht einfach, im wahrsten Sinne des Wortes hatte sie in ihrer Ehe nichts zu lachen gehabt. Doch trotz der Trunksucht und seiner cholerischen Ausbrüche vermisste sie ihren Mann, mit der Einsamkeit kam sie nicht zurecht – weder emotional noch finanziell. Um über die Runden zu kommen, putzte sie in mehreren Rechtsanwaltskanzleien frühmorgens die Büroräume.

Eines Morgens stand sie mit ihrem Fahrrad vor einer Ampel. Sie war auf dem Weg zur Kanzlei und wartete auf Grün. Sie hätte auch einfach losfahren können, denn die Straßen und Radwege waren noch nicht bevölkert. Nur ein großer gelber Wagen der Straßenreinigung überquerte die Kreuzung. Während sie müde an ihr Fahrrad gelehnt stand und wartete und der Wagen an ihr vorbeizog, stieg urplötzlich ein unerklärlich helles Gefühl in ihr auf. Es nahm seinen Ursprung in den tiefsten Regionen des Bauches, dort, wo die Eingeweide sitzen, breitete sich kopfwärts über die Brust aus und war schließlich bis in die Fingerspitzen zu spüren. Katharina fühlte sich mit einem Mal von einem unbeschreiblichen Glücksgefühl durchströmt. Später in der Klinik rang sie mit den Worten, um dieses Gefühl beschreiben zu können. »Es war ein Glückssturm! Wie wenn alles schön wäre und von innen leuchten würde.« Kurz darauf verlor sie an der Ampel schlagartig das Bewusstsein. Ihr gesamter Körper verkrampfte sich, sie nahm ihre Umgebung nicht mehr wahr; unfähig zu atmen, verfärbte sich ihr Gesicht und nahm einen tiefblauen Farbton an. Schließlich biss sie sich in die Zunge und fiel steif und lang hin wie ein umgeholzter Baum. Kurz darauf war sie in einem Krankenwagen auf dem Weg in die Notaufnahme – der Fahrer des gelben Straßenreinigungswagens hatte Katharinas Krampfanfall bemerkt und war ihr zu Hilfe gekommen.

Was Katharina passiert war, ist weniger außergewöhnlich, als man denken würde. Eine alte Bezeichnung dieses Phänomens ist »Fallsucht«, heute reden wir von Epilepsie. Mithilfe einer Messung ihrer Hirnströme, auch EEG (Elektroenzephalographie) genannt, konnte nachgewiesen werden, dass Katharinas Gehirn nicht mehr in geordneten Bahnen funktionierte, sondern Gewitterstürme elektrischer Entladungen über ihre Gehirnoberfläche hinwegtosten. Bei der Messung wurden Elektroden auf ihrer Kopfhaut platziert, ähnlich den auf die Brustwand aufgeklebten Elektroden beim EKG (Elektrokardiogramm), das für Herzuntersuchungen verwendet wird. Das bei der Patientin Katharina abgeleitete EEG belegte, dass ihre linke Hirnhälfte überschießend reagierte und eine hohe »Anfallsbereitschaft« zeigte.

Doch was hatte es mit den intensiven Glücksmomenten vor dem Anfall auf sich? Ganz offensichtlich waren sie nicht durch äußere Begebenheiten hervorgerufen worden. Eine rote Ampel und die Wagen der Straßenreinigung sind nicht gerade dazu angetan, Glücksgefühle zu erzeugen. Dieses intensive Glücksempfinden war das Symptom einer Epilepsie.

Katharina ist kein Einzelfall. Schon der russische Dichter Fjodor Dostojewski beschrieb in seinem Roman Der Idiot1 detailliert die Symptome und Gefühle einer seltsamen Krankheit, die seinen Protagonisten Fürst Myschkin wiederholt heimsucht: »Er dachte daran, dass es kurz vor dem epileptischen Zustand eine Pause gab, wo plötzlich mitten in all seinem Kummer, aller seelischen Finsternis und Niedergeschlagenheit sein Gehirn plötzlich aufloderte und Geist und Herz von einem ungewöhnlichen Licht erhellt wurden, und alle seine Erregungen, alle Zweifel, alle Unruhe wurden mit einem Mal besänftigt, lösten sich in eine heitere, von klarer harmonischer Freude erfüllte Ruhe aus.«

Ist das nicht seltsam? Glück als Fehlfunktion des Gehirns und Symptom eines Krampfleidens?

1.DIE AURA: EIN LUFTHAUCH WEHT DURCHS GEHIRN

Der plötzliche, den Patienten übermannende Affekt, wird als »Aura« bezeichnet. Galenos von Pergamon2, der berühmte Arzt des antiken Griechenlands, war der Erste, der diese Bezeichnung im Zusammenhang mit der Epilepsie verwendet hat. »Aura« bedeutet Lufthauch und beschreibt das eigentümliche Gefühl, welches sich seiner Patienten bemächtigte, bevor ein epileptischer Anfall kam. Bei dem Glücksgefühl von Katharina handelt es sich um eine Glücksaura, dem Vorboten eines epileptischen Anfalls. Wenn die epileptische Erregung von einem umschriebenen Bereich des Gehirns ausgeht, spricht man von einem fokalen Anfall. Je nachdem, welches Areal des Gehirns betroffen ist und welche Funktionen dort angesiedelt sind, werden ganz unterschiedliche Empfindungen erlebt. Manche Patienten spüren vor dem Anfall ein Entfremdungsgefühl, die ansonsten vertraute Umgebung, zum Beispiel die eigene Wohnung, erscheint fremd, als hätten sie diese noch nie gesehen. Umgekehrt können Déjà-vu-Erlebnisse aufkommen: Zum Beispiel steigt während der Unterhaltung in einem Café das sichere Gefühl auf, dass es sich bei dieser Situation um eine Wiederholung handelt; man ist sich sicher, dieses Gespräch früher schon einmal geführt zu haben.

Das Auftreten von Glücksauren ist ein Beweis dafür, dass das Gehirn ein spezielles Glückszentrum ausgebildet hat, das beim epileptischen Anfall gereizt wird und Glücksgefühle erzeugt.

Der Erlanger Epilepsieforscher Hermann Stefan3 hat herausgefunden, dass Auren mit Glücksgefühlen von einem kleinen Bereich des Schläfenlappens ausgehen. In diesem Areal befindet sich der Hippocampus, ein Hirnteil, welcher beim Kurzzeitgedächtnis und der Einstellung der Gemütslage eine Rolle spielt. Wenn von hier aus das Gewitter eines epileptischen Anfalls losbricht, kommt es zu einem Glücksgefühl.

Wir wussten also bei unserer Patientin Katharina, wo wir suchen mussten. Und siehe da: mit der Magnetresonanztomographie konnte im linken Schläfenlappen ein noch nicht einmal kirschgroßer Tumor nachgewiesen werden. Der Tumor wurde operativ entfernt, und die Untersuchung im Mikroskop ergab, dass es sich um eine gutartige Geschwulst handelte. Katharina hatte nach der Operation keine epileptischen Anfälle mehr – allerdings auch keine Glücksauren. Gefragt, ob sie die Glückszustände vermisse, sagte sie: »Ja, schon, es war stets ein ganz wunderbares Gefühl, aber es gab auch eine Schattenseite, die Angst vor den großen Anfällen, zu stürzen und sich zu verletzen. Angst, dass ich dem Geschehen hilflos ausgeliefert bin.«

2.DAS BELOHNUNGSSYSTEM IM GEHIRN: GLÜCK, LOB UND MOTIVATION

Jeden Tag erleben wir unzählige Situationen, die unser Gehirn filtert und nach Wichtigem und Unwichtigem sortiert: Welches Erlebnis ist bedeutend genug, um vom Kurzzeitgedächtnis in den Langzeitspeicher, die Festplatte unseres Gehirns, übernommen zu werden? Welche Eindrücke können gelöscht und vergessen werden? Ein Hauptkriterium für den Prozess des Lernens ist die Intensität der inneren Beteiligung – und ganz besonders: unser Glücksgefühl bei dem Erlebnis.

Es gibt im Gehirn ein spezielles Zentrum, das Belohnungs- und Motivationssystem, auch mesolimbisches System genannt4, welches dafür sorgt, dass wir in bestimmten Situationen Glück empfinden. Wenn wir etwas Schönes erleben oder eine Herausforderung bewältigt haben, signalisiert das mesolimbische System: »Gut gemacht!«, und es wird das Glückshormon Dopamin aktiviert. Im Ergebnis fühlen wir uns stolz und glücklich und, was besonders wichtig ist: Wir sind motiviert zu neuen Anstrengungen, um diesen Moment des Glücks wiederholen zu können und erneut zu erleben, wie das Gehirn mit den Botenstoffen des Glücks geflutet wird. Ganz wie ein Hund, der zum hundertsten Male das Stöckchen apportiert, um ein Leckerli als Belohnung zu bekommen, laufen wir den unterschiedlichsten »Stöckchen« nach, um immer wieder das »Gut gemacht«-Gefühl zu erleben, um Erfolgserlebnisse zu haben, Prestige zu erlangen und gelobt zu werden.

Einfachste Dinge vermögen das Glücks- und Belohnungssystem zu aktivieren: Im Supermarkt öffnet eine weitere Kasse, und Sie stellen als Erster Ihren Einkauf auf das Band – tolles Gefühl! Ein Stau, der sich plötzlich auflöst, und Sie drücken das Gaspedal durch bis zum Boden. Oder Ihre Lieblingsmannschaft gewinnt unerwartet haushoch, obwohl niemand damit gerechnet hat. Glücksgefühle können aber auch durch bedeutende Ereignisse ausgelöst werden, wenn elementare Dinge geschehen, die von uns als positiv angesehen werden: das Ja-Wort im Standesamt (nicht immer!), die Geburt eines Kindes oder ein erfolgreicher Schulabschluss.

Ein Glücksgefühl ist stets mit einem Motivationsschub verbunden. Die Erfahrung dieses Moments, in dem man glücklich und zufrieden mit sich war, spornt zu neuen Anstrengungen und Leistungen an. Man will diesen Glücksmoment wiederholen, ja vielleicht sogar noch steigern.

Dieses System der Koppelung von Glücksempfinden und Motivation war für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation von größter Bedeutung. Darin liegt der Ansporn zu geistigen und körperlichen Höchstleistungen und der Weiterentwicklung von Ideen. Es hat den Menschen weit über die Befriedigung seiner grundlegenden Bedürfnisse – Nahrungsaufnahme, Sicherheit, Fortpflanzung – hinaus immer kreativer werden lassen. Die Beherrschung des Feuers, die Entwicklung von Werkzeugen, die Ausbreitung über die Kontinente sind nur möglich gewesen, weil die Menschen sich davon etwas versprochen haben: das Erleben einer Belohnung, zum Beispiel in Form größerer Nahrungsressourcen oder besserer Lebensbedingungen.

Das Belohnungssystem...

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