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Goethes Enkel

Walther, Wolfgang und Alma

AutorDagmar von Gersdorff
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl285 Seiten
ISBN9783458732549
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Erwartungen bei ihrer Geburt waren hoch. Doch ihre illustre Herkunft und der große Name brachten Goethes Enkeln Walther, Wolfgang und Alma nicht nur Glück. Dagmar von Gersdorff erzählt spannend von den wechselvollen und tragischen Lebenswegen der Enkel.

<p>Dagmar von Gersdorff, geb. von Forell, stammt aus Trier/Mosel. Sie lebt heute als Literaturwissenschaftlerin und Biographin in Berlin. Verheiratet, drei Kinder. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte an der Freien Universit&auml;t Berlin. Ihre Promotion schrieb sie &uuml;ber den Einfluss der deutschen Romantik auf Thomas Mann. F&uuml;r die Staatlichen Museen Preu&szlig;ischer Kulturbesitz verfa&szlig;te sie drei Text-Bild-B&auml;nde.<br /> Bekannt wurde sie durch ihre Biographien &uuml;ber bedeutende literarische und historische Pers&ouml;nlichkeiten: Marie Luise Kaschnitz, Bettina und Achim von Arnim, Goethes Mutter, Caroline von G&uuml;nderrode, Goethes Enkel, Prinz Wilhelm von Preu&szlig;en und Elisa Radziwill, Caroline von Humboldt. Ihr Werk wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Sie ist Mitglied des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Mitglied des internationalen PEN.</p>

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Leseprobe

ZWEITER TEIL
Nach Goethes Tod


 

Stiefschwester Anna Sibylle


Bei Goethes Beerdigung war die Menschenmenge so zahlreich, daß Soldaten dem Leichenzug Bahn schaffen mußten. Der Sarg wurde mitten in der Kapelle auf einen Teppich, rot mit goldnen Sternen durchwirkt, gestellt, auf welchem Goethes Eltern getraut, er getauft und getraut und sein Sohn und seine Enkel ebenfalls getauft worden sind und auf welchem er auch hat ruhen wollen …62

 

Goethes Testament, mit Kanzler von Müller vorher intensiv erörtert und juristisch beglaubigt, war bereits am 8. Januar 1831 bei der Landesregierung hinterlegt worden. Es würde der Grundstein sein für das künftige Wohl und Wehe von Ottilie und ihren Kindern.

Die Testamentseröffnung ergab, daß Goethe seine Enkel zu Universalerben eingesetzt hatte. Sie würden seinen gesamten Besitz an mobilem und immobilem Eigentum erhalten. Bis zu ihrer Volljährigkeit sollten die Vormünder ihre Rechte wahrnehmen; danach würden sein Wohnhaus, das Gartenhaus an der Ilm, Immobilien und Gärten an die Enkel fallen. Auch das vorhandene Kapital von 58000 Reichstalern sollte den drei Enkeln erst nach ihrer Volljährigkeit übergeben werden und bis dahin unangetastet bleiben.

Zum Unterhalt hatte Goethe für Ottilie 500 Taler jährlich festgesetzt, im Grunde eine wohlbemessene Summe, mit der sie aber nie auskam. Der Paragraph lautete: Meine geliebte Schwiegertochter Ottilie, geborene von Pogwisch, soll außer freier Wohnung und Gartengenuß jährlich 500 Taler sächsisch an Wittum aus meinem Nachlaß erhalten. Dazu wurden kostenloses Wohnen, die Benutzung von Mobiliar und Silber, Tisch- und Bettzeug und die freie Benutzung der Gärten zugesichert.

Für die Erziehung und Ausbildung der Enkel waren ebenfalls 500 Reichstaler bestimmt, auszuzahlen in vierteljährlichen Raten. Es lag im Ermessen der Vormünder und des Kanzlers von Müller, ob dieser Betrag je nach Bedarf und Studienkosten erhöht werden müsse. Mit erreichter Volljährigkeit der Kinder sollten auch diese 500 Taler der Mutter zufallen – vorausgesetzt, daß sie nicht wieder heiratete. Diesen Passus nahm der Dichter ausdrücklich auf. Wenn Ottilie eine zweite Ehe einginge – was er nicht hoffe –, erhielte sie nichts.

Seine umfangreichen Kunst- und Naturaliensammlungen, die Briefe und Tagebücher, Kollektaneen aller Art sowie seine Privatbibliothek mit sechstausend Bänden stellte Goethe unter die besondere Aufsicht des Bibliothekssekretärs Kräuter. Testamentsvollstrecker war nach Paragraph 15 Friedrich von Müller. Diese Bestimmung würde sich als fatal erweisen. Der Kanzler nämlich nutzte das Amt über Gebühr aus und provozierte durch sein selbstherrliches Verhalten gegenüber den Enkeln einen lebenslangen Streit.

 

Für die Kinder trat mit Goethes Tod eine völlig neue Situation ein, ein schwerer Bruch, den sie kaum verkraften konnten. Bestürzt hatte Ottilie einmal, als sie nach einer Reise Goethe nicht vorfand, ausgerufen: Es ist mir eine unbeschreiblich traurige Empfindung, das Haus ohne den Vater zu finden … Jetzt war sie da, die gefürchtete große Leere. Nur Alma, ohnehin zu klein, um das Geschehene zu begreifen, war krank und von ihrer Patin Emma Froriep noch vor dem Begräbnis in ihr Haus geholt worden.

Den Enkelsöhnen fehlte der Großvater. Wer würde seinen Platz einnehmen? Ottilie war dazu nicht imstande, im Gegenteil, sie wirkte bestürzend orientierungslos und klammerte sich wie aus der Bahn geworfen an die eigene Mutter als an ihren einzigen Halt. Ohne Freund, ohne Ehemann, ohne Geliebten fühlte sie sich wahrhaft verlassen. Sie hatte August loswerden wollen – jedoch nur, um ihn durch einen anderen Mann zu ersetzen. Plötzlich frei, war sie in ihrer Bindungslosigkeit unglücklich. Nie hatte sie damit gerechnet, wichtige Entschlüsse alleine fassen zu müssen.

Ottilie war durch den Tod Goethes überfordert und außerstande, die Erziehung der Kinder selbständig in die Hand zu nehmen. Daraus resultierten bald auch ihre Differenzen mit den von Goethe eingesetzten Vormündern der Kinder. Kanzler von Müller hatte längst erkannt, daß Ottilie zwar in Gesellschaft charmant und gewinnend, im Ernstfall aber chaotisch und recht naiv sein konnte und meist mit den eigenen Angelegenheiten mehr beschäftigt war als mit denen ihrer heranwachsenden Söhne.

 

Von nun an waren für die drei Kinder nur noch Frauen zuständig: Ottilie, ihre Schwester Ulrike, Großmutter Henriette von Pogwisch und Urgroßmutter Eleonore Ottilie Gräfin Henckel von Donnersmarck, die dreiundneunzig Jahre alt wurde. Es war ein Vierfrauenhaushalt, dem der Mittelpunkt fehlte. Die Situation war so unbefriedigend, daß Ottilie auf Ferdinand Heinke verfiel, den sie vor zwanzig Jahren für die Dauer von drei Monaten geliebt hatte. Heinke nämlich hatte sich wieder gemeldet und in Ottilie die alten Gefühle wachgerufen. Selbst als ich wirklich den geliebten Namen unter dem Brief erblickte, wagte mein Herz noch nicht, sich zu freuen; es ist so verschieden, was eine Frau verlangt, (um) befriedigt zu sein, und was ein Mann in der Regel zu geben versteht! (26. November 1831) Gerne hätte Ottilie ihm ihren Sohn Walther zur Erziehung übergeben. Doch das lehnte Heinke ab. Er lebe in einem glücklichen Familienkreis mit Frau Charlotte und seinen sieben Kindern. Die alte Beziehung wurde trotzdem wieder aufgenommen, und einige Jahre später besuchte Walther den Jugendfreund der Mutter.

 

In ihrer Unschlüssigkeit machte Ottilie ziemlich verrückte Pläne. Es stellte sich jetzt als Defizit heraus, daß sie keine wirkliche Aufgabe besaß. Sie hatte als Dame des Hauses und repräsentative Gesellschafterin des großen Dichters eine Beschäftigung wahrgenommen, für die sie gelobt worden war und die ihr lag, sie durfte sich geliebt fühlen und war am Ziel ihrer Wünsche gewesen. Die ganze Welt hatte auf sie geblickt.

Diese Zeit war mit einem Schlage vorbei. Vorbei der Glanz, der Ruhm, das Glück. Weimar erschien ihr wie ein großes Totenhaus. Ottilie wußte nur eines: Sie wollte die Stadt verlassen, wollte reisen, sich womöglich an einem anderen Ort niederlassen. Sie dachte an Dresden oder Wien, zwei kultivierte Städte, in denen man ein neues Leben beginnen konnte. Daß sie, die Sechsunddreißigjährige, nicht wieder heiraten würde, erschien ausgeschlossen. Sie hatte die feste Absicht, einen Mann zu finden und glücklich zu werden. Sie sehnte sich nach Liebe, brauchte sie wie die Luft zum Atmen.

 

In dieser Situation traf ein Kondolenzschreiben von Charles Sterling ein. Nach acht Jahren war dies sein erstes Lebenszeichen. Ein Brief von dem Mann, auf den sie jahrelang gewartet hatte, den sie trotz gelegentlicher Affären immer noch liebte und der ihr von einer bevorstehenden Reise an den Rhein schrieb – keine Nachricht konnte erfreulicher sein.

Nichts konnte Ottilie von Goethe nun mehr in Weimar halten. Zwei Monate nach Goethes Tod, im Mai 1832, reiste sie an den Rhein. Ihr Vorwand lautete: Sie wolle Adele Schopenhauer wiedersehen, die mit ihrer Mutter nach Unkel bei Bonn gezogen war, in die unmittelbare Nähe der wohlhabenden Sibylle Mertens-Schaaffhausen, mit der Adele in mehr als nur freundschaftlicher Hinsicht eng verbunden war. Allerdings verheimlichte Ottilie weder ihrer Mutter noch ihren Söhnen, daß es sie magisch zu dem dämonischen Jüngling hinzog, der ihr mitteilte, auf dem Weg nach London in Mainz Station machen zu wollen.

Das Rendezvous gelang. Ottilie war selig. Das gelungene Liebesabenteuer mit dem Mann ihrer Träume machte sie geradezu tollkühn. Liebe Mutter, Sterling kam gestern abend an, jubelte sie. Frau von Pogwisch solle mit Walther und Wolf sofort nachkommen. Du wirst uns also in corpore finden. Weit davon entfernt zu wünschen, daß die Kinder Sterling nicht sehen sollen, ist es mir vielmehr sehr lieb. Komme, beste Mutter, und genieße mein frohes Gesicht. Deine Ottilie.63

 

Vier Wochen blieb Ottilie am Rhein. Während sie auf der Insel Nonnenwerth ihr Liebesglück mit dem achtundzwanzigjährigen Charles Sterling genoß, wohnten Walther und Wolf bei ihrer Freundin Adele. Nach Aussage von Johanna Schopenhauer war Ottilie wieder so liebenswürdig, unerträglich, verrückt, geistreich wie immer. Ottilies Verliebtheit ging so weit, daß sie nach der Absage von Heinke nun hoffte, Sterling nähme Walther in seine Obhut. Sie habe ihn gebeten, den Sohn zu sich zu nehmen, meldete sie der entgeisterten Adele. Nicht etwa Leidenschaft habe sie auf diesen Gedanken gebracht, sondern die Überzeugung, daß Walther einen männlichen Führer brauche. Vermutlich wollte sie dadurch das Band zu ihrem Geliebten fester knüpfen. Hatte nicht Goethe einst Fritz von Stein wie einen Sohn zu sich genommen, weil er die Mutter liebte? Aber Sterling hielt Ottilie mit vagen Versprechungen hin und reiste nach London weiter.

 

Ottilie kehrte mit den Söhnen nach Weimar zurück. Doch als sie ins Haus am Frauenplan traten, erstarrten sie vor Schreck. Goethes Zimmer waren versperrt worden. Sie erblickten ein Vorhängeschloß, das die geheiligten Räume vor ihnen, den Verwandten, sichern sollte.

So hatte man sich die Heimkehr nicht vorgestellt! Das Ausgeschlossensein aus der gewohnten und geliebten Welt war für Walther und Wolf ein unvorstellbarer Schock. Sie kamen in das Haus, in dem sie geboren worden waren, das ihre Heimat war, und man verwehrte ihnen den...

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