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IN GOTTES NAMEN?

Wenn die eigene Kindheit zur Folter wird

AutorPamela Obermaier, Stephan F.
VerlagEgoth Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783903183650
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
In welche Familie ein Kind hineingeboren wird, ist purer Zufall - ein Zufall, der zu einem tragischen Schicksal werden kann. Wenn die betreffende Familie nämlich von einem Vater beherrscht wird, der sich seiner Frau und seinen 19 (!) Kindern gegenüber regelmäßig gewalttätig verhält, sadistische Neigungen auslebt und dies alles im Namen Gottes tut, während die Mutter zur Mittäterin wird, weil sie der eigenen Opferrolle nicht entkommen kann, wird es praktisch unmöglich, unbeschadet aufzuwachsen. Psychische Unterdrückung, verbale Erniedrigungen, physische Angriffe und Vernachlässigung in Bezug auf die Ernährung, die medizinische Versorgung und die Schulbildung standen an Stephan F.s Tagesordnung, als dieser ein kleiner Junge war. Seine Geschwister und er wohnten auf kleinstem Raum und unter untragbaren Bedingungen, was die sanitären Anlagen betrifft, durften keinen Kontakt zur Außenwelt haben, kannten Schule weitgehend nur in der Form des Heimunterrichts, hatten stets zu wenig zu essen und fühlten sich in einem Wien und Niederösterreich der 70er- und 80er-Jahre mit alldem alleingelassen. Wie Stephan F. es schließlich als junger Mann geschafft hat, dieser Familienhölle zu entkommen, was ihm geholfen hat, trotz der dramatischen Erfahrungen, die seinen Alltag ausgemacht haben, niemals aufzugeben und um ein lebenswertes Dasein zu kämpfen, erzählt er 'In Gottes Namen'. In seiner Biografie beleuchtet er auf äußerst intime Weise den Tatbestand 'Autoritätsmissbrauch', berichtet von einer schiefen Optik seines Familienlebens nach außen und der scheinbaren Legitimität, mit der es seinem tyrannischen Vater möglich war, jahrelang dafür zu sorgen, dass seine Nachkommen von der Welt abgeschnitten in schier unvorstellbaren Verhältnissen aufwachsen mussten. Er hinterfragt ferner, ob die Wertigkeit von Kindern aus der Sicht verschiedener Institutionen bestimmt werden sollte und sieht sich als Eisbrecher für ein nach wie vor weitgehend tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft, das uns letztlich alle angeht.

Stephan F., Jahrgang 1969, erlernte den Beruf des Tischlers, den er bereits in unterschiedlichsten Bereichen - so auch in der Kulturszene, genauer im Bereich des Theaters wie etwa bei den Salzburger Festspielen - ausüben konnte. Seine tragische Kindheit hat ihn bis heute nicht losgelassen. In Kombination mit seinem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit trieb ihn das zur Veröffentlichung seiner Erinnerungen in Form dieses Buches. Die mehrfache Bestsellerautorin Pamela Obermaier stand ihm bei der Entstehung von 'In Gottes Namen' zur Seite. Stephan F. versteht seine Biografie als präventiven Aufklärungsbeitrag und möchte damit Menschen mit einem ähnlichen Schicksal unterstützen, die wie er wissen, was es heißt, sich in einer Abwärtsspirale aus Hoffnungs- und Perspektivenlosigkeit gefangen zu fühlen.

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Leseprobe

Die Geschichte einer geraubten Kindheit beginnt


Es fällt mir nicht leicht, von mir und meiner Kindheit zu erzählen, denn ich erkenne mich in dem kleinen Buben von damals nicht wieder, weil ich mich zum Glück zu einem halbwegs gesunden Menschen entwickelt habe. Ich wundere mich auch immer noch darüber, wie ich das überhaupt alles überleben konnte … Das einzig Schöne aus der Vergangenheit, das mich bis heute begleitet, ist mein Name: Ich wurde Stephan Clemens getauft und damit kann ich mich gut identifizieren. Offensichtlich war ich kein Wunschkind, sondern ein Zufallsprodukt, das aus religiösen Gründen entstehen musste. Meine Erinnerung an meine Kindheitsjahre ist mit dem Betreten eines vernebelten Raumes vergleichbar, in dem viel Leid und Schmerz verursacht wurde – und all das überschattet von ständiger Angst. Ja, die Angst ist mir ein wahrlich treuer Begleiter, der durch die Kälte einiger Menschen teilweise bis heute an meiner Seite verweilt.

Meine ersten Erinnerungen beginnen etwa bei meinem fünften Lebensjahr und jeder Rückblick offenbart mir die Gedankenwelt eines Traumatisierten. Die Persönlichkeitsabspaltungen, die meine Seele während meiner Kindheit vollzogen hat, um mich selbst zu schützen, machen es mir schwer, alles klar und chronologisch wiederzugeben. Aber jede Form von Abspaltung war damals notwendig, um zu überleben. Ich befand mich als Kind in einer Art durchgehender Trance, in der nicht sterben wollenden Hoffnung, gerettet zu werden. Leider musste ich so lange durchhalten, bis ich mein eigener Rettungsanker werden konnte. Hunger, Kälte und Tyrannei standen genauso an der Tagesordnung wie das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein – zuerst meinen Eltern und später dem Schulsystem. Nur ein Teil meiner Gedanken und Gefühle war wirklich mein eigener, der Rest war im Würgegriff meines Vaters, der seine Paranoia an uns Kindern auslebte. Kontakt zu den Verwandten war so gut wie untersagt, und der zu Fremden sowieso. Selbst Menschen, die uns vom Sehen oder Grüßen kannten, schenkten uns Kindern kaum Beachtung – sie lächelten höchstens verlegen.

Mein einziges kleines Geheimnis, das nur mir gehörte und das ich all die Jahre für mich behielt, war meine Hoffnung, es werde sich eines Tages alles zum Guten wenden – und die ließ ich mir nicht nehmen. Sie war es schließlich, die mir durch diese dunkle Zeit half …

Ich wurde als sechstes von insgesamt neunzehn lebenden Kindern geboren. Lebend deshalb, weil es mindestens drei weitere Geschwister gegeben hat, die ich gar nicht kennenlernen konnte, weil sie vor oder gleich nach ihrer Geburt gestorben sind. Insgesamt wären wir vermutlich vierundzwanzig gewesen, aber überlebt haben eben nur neunzehn, und von diesen neunzehn Kindern bin ich als sechstes zur Welt gekommen. Ich durfte mich nicht entwickeln und entfalten, wie es die Natur für mich vorgesehen hatte. Körperliche und psychische Gewalt, eine unablässige Unterdrückung durch meinen Vater, hinterließen in mir Spuren, unter deren Folgen ich auch jetzt noch leide.

Nachdem ich geboren worden war, lebten wir lange Zeit isoliert, weltfremd und wie Vieh im Stall auf vierzig Quadratmetern zusammengepfercht von Ersparnissen (der Mitgift meiner Mutter) und der Kinderbeihilfe. Die Verhältnisse, in denen wir gewohnt haben, waren – das war mir damals freilich nicht bewusst – schauderhaft: Wir schliefen alle auf Decken auf dem Boden. Tagsüber mussten wir unser Schlaflager wegräumen. Wir hatten kein Badezimmer, wurden lediglich in einer Plastikwanne gewaschen – und das nicht regelmäßig. Eine Zahnbürste lernte ich erst im Alter von zehn Jahren kennen, als mir schon die ersten Zähne gezogen werden mussten, weil mein ganzes Gebiss schwarz und kaputt war.

Am Morgen, zu Mittag und am Abend mussten wir beten. Und gegessen haben wir im Stehen – weil es nicht genug Platz für alle zum Sitzen gab. Für uns Kinder, die wir mit den Jahren ja immer mehr wurden, bis wir irgendwann neunzehn waren, gab es jahraus jahrein insgesamt sieben Teller, und die, die noch nicht gegessen hatten, mussten auf den nächsten freien Teller warten. Messer und Gabel gab es nicht, wir hatten lediglich Löffel, um uns die Nahrung zuzuführen. Das waren die alltäglichen Rahmenbedingungen für unser Leben.

Meine erste Erinnerung bezieht sich erst auf unsere Wohnung in St. Pölten, die meine Eltern von meiner Großmutter bekommen hatten – eine Eigentumswohnung, für die nur mehr ein geringer Betrag abzuzahlen war, die wir letzten Endes aber nicht lange hatten, da wie üblich alles flöten gegangen ist, weil weder mein Vater noch meine Mutter über längere Phasen Geld verdient haben. Das einzige, was mein Vater jemals in Sachen „Arbeit“ getan hat, war innerhalb von drei Jahren seinen Ingenieur zu machen, doch damit war es dann auch erledigt. Angeblich hat sein Wahn schon damals begonnen, da ich gehört habe, dass er sich bereits in diesen Jahren immer verfolgt und beobachtet gefühlt hatte. Sein paranoider Zustand dürfte mit dafür verantwortlich gewesen sein, dass er keiner Arbeit nachgehen wollte oder konnte. Ich habe nur Bilder zu dieser Wohnung und das Gefühl, dass ich mich an ein Jahr dort erinnern kann. Von einer meiner Schwestern weiß ich allerdings, dass wir ungefähr drei Jahre dort gewohnt haben müssen.

Ab unserem Umzug in die Nebenräume eines Geschäftes in Neulengbach, die davor als Lagerraum gedient hatten, habe ich bessere und klarere Erinnerungen, denn da war ich dann schon fünf Jahre alt. Alles vorher ist irgendwie leicht verschwommen und diffus. Es dürfte sich dort um einen Raum in der Größe von dreißig, vierzig Quadratmetern gehandelt haben, und wir waren immerhin vierzehn Personen, die sich dieses Quartier teilen mussten: zwei Erwachsene und zwölf Kinder.

Ich sehe diese Behausung noch recht deutlich vor meinem inneren Auge: Aus dem größeren Lagerraum wurde eine Schlafstätte für uns Kinder, und aus dem Rest Aufenthaltsraum, Küche und Schlafraum für meine Eltern. Es gab ein Fenster zur Hofseite, man musste durch einen Gang zu einer Art „Küche“ gehen, was gleichzeitig das Elternschlafzimmer war. Von dort ging es zur Toilette hinunter und weiter in ein kleines Geschäftslokal. Auf der anderen Seite gab es einige Stockbetten und links ein paar alte Regale. Ansonsten hatten wir keinerlei Möbelstücke. Was auch nicht vorhanden war: ein Badezimmer oder eine Heizung. Ich glaube, es gab nicht einmal ein Kasterl, sondern nur eine Abwaschgelegenheit in der Küche. Gas hatten wir auch nicht, und über längere Phasen hatten wir auch keinen Strom und damit kein Licht. Wir kannten deshalb nur Kerzenschein als Lichtquelle. Das wenige Essen, das wir hatten, konnten wir im ansässigen Geschäft „leihen“, also anschreiben lassen. Wenn uns die Großmutter mit Geld unterstützt hat oder wir einen Gegenstand wie etwa eine Nähmaschine versetzen konnten, wurden dann die Schulden meiner Eltern beglichen. Dass das alles nicht richtig und auch nicht der Norm entsprechend sein konnte, wusste ich schon damals, als kleines Kind, tief in meinem Inneren. Auf dem Ölofen wurde gekocht – meist mussten wir das selbst machen und es hat ewig gedauert. Wir aßen hauptsächlich Suppen, genauer gesagt Wasser-Mehl-Breie, und Kartoffeln. Es gab kein Frühstück, es gab kein Mittag- oder Abendessen, nur ab und zu Haferschleim, was noch am besten geschmeckt hat.

Der Ort Neulengbach umfasste damals ungefähr fünftausend Einwohner. Jeder kannte jeden, und auch wir waren nicht unbekannt, denn sowohl meine Großmutter als auch viele unserer Verwandten mütterlicherseits stammen aus dieser Gegend. Das kleine Geschäft, das meine Großeltern an meine Mutter überschrieben haben, befand sich direkt im Zentrum des Ortes. Es führte Waren aller Art, war ursprünglich auf Elektro- und Spielwaren ausgerichtet gewesen. Da mein Vater keine Ahnung von Geschäftsdingen hatte, war diesem Projekt das Scheitern vorbestimmt.

Die damalige Lebenssituation war für mich so prägend, weil ich mir immer vorkam wie ein Mensch, dem Gefühle und Gedanken gestohlen wurden. Durch die ständige Beobachtung und Kontrolle fiel es mir überaus schwer, eigene Gedanken zu entwickeln oder mich auf eine Sache zu konzentrieren. Verstärkt wurde das durch den ständigen Hunger, Durst und die Kälte im Winter. Nur wenn mein Vater nicht anwesend war, konnte meine Seele kurz aufatmen, was es mir ermöglichte, mich ein wenig zu sammeln und selbst kennenzulernen. Mit der Zeit entwickelte ich eine gestörte Selbst- und Fremdwahrnehmung, die nur vom Überlebenstrieb abgeblockt werden konnte. Heute bin ich mir dessen bewusst, dass mich mein Selbstschutz in Form der Abspaltung meiner Persönlichkeit von meinem Körper vor größerem Unheil bewahrt hat. Nur dadurch konnte ich die Tyrannei unseres Vaters irgendwie aushalten – denn die stand an der Tagesordnung: Wenn ihm irgendetwas nicht passte oder er seine kranken Phantasien ausleben wollte, kam mindestens eines von uns Kindern dran. Oder auch meiner Mutter, die sich niemals schützend vor uns gestellt hat und sich selbst auch nicht schützen konnte. Erholen konnten...

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