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Grenzen und Möglichkeiten von Wahrheitskommissionen - Der Fall Argentinien

Der Fall Argentinien

AutorAnna Hörlein
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl125 Seiten
ISBN9783638349642
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Region: Mittel- und Südamerika, Note: 1,3, Ludwig-Maximilians-Universität München (Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaften), 94 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Im Fall Argentiniens scheiden sich die Geister bis heute über die Frage, wie stark die neue Regierung des ersten Präsidenten tatsächlich unter dem Druck der Militärs stand. Der langwierige Machtverlust der Militärs, der 1982 im Desaster des Falklandkrieges kulminierte, soll deshalb genau untersucht werden. Nach dieser Klärung der Vorbedingungen der argentinischen Wahrheitskommission, wird diese in Kapitel drei untersucht. Dazu muss in erster Linie das Design und die Arbeitsweise der Kommission betrachtet und diskutiert werden. In Hinblick auf die ideale Wahrheitskommission ist an dieser Stelle zu klären, auf welche Weise sie eingesetzt wurde, welche Zielvorgaben der Kommission mit auf den Weg gegeben wurden, wie sie konkret konzipiert wurde, wie sie praktisch arbeitete und welche Ergebnisse sie schlussendlich hervorbrachte. Abschließend wird die wichtige Frage nach den Motiven und den politischen Umstände für die Schaffung der CONADEP gestellt. Wie schon angedeutet, kann eine Wahrheitskommission immer nur der Anfang einer Vergangenheitsaufarbeitung sein. Die Arbeit der CONADEP war nach einigen Monaten 1984 beendet und verstärkte mit ihren Ergebnissen die Frage nach den nächsten Schritten, d.h. welche Maßnahmen zur Bestrafung der Täter und zur Wiedergutmachung der Opfer sollen ergriffen werden? Was soll mit dem Militärapparat passieren, inwiefern muss er reformiert werden usw.? In der nachbetrachtenden Analyse, die Inhalt des Kapitel vier sein wird, kann von einem progressiven zu einem regressiven Verlauf gesprochen werden. Was überaus hoffnungsvoll mit der CONADEP begann, wurde zunehmend durch Rückschläge getrübt. Zwar kam es in der Folge zu ernstgemeinten Bestrebungen einer wirklichen Strafverfolgung, zu einem Reparationsprogramm und zu Reformen im Militärsektor. Doch ersteres und letzteres wurden nur halbherzig durchgeführt, was wichtige Rückschlüsse für den Stand der Demokratisierung gibt. Die generelle Amnestie 1989/90 von Präsident Menem, als 'Zeichen der Versöhnung' wirft die Frage auf, ob hier nicht einfach Versöhnung von oben verordnet wurde. Ein zunächst verheißungsvoller Versuch einer konsequenten Vergangenheitsbewältigung, eingeleitet durch die CONADEP, wurde damit entgültig beerdigt. Die Implikationen, die diese Entwicklung der für die generelle Demokratisierung Argentiniens mit sich bringt, wird den Abschluss dieser Arbeit bilden.

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Leseprobe

2.1.4. Struktur und Dimension der Repression


Nachdem im Vorangegangenen schon einige Andeutungen zur Art der Repression gemacht wurden, sollen die Struktur und Dimension der staatlichen Verfolgung nun genauer betrachtet werden. Schließlich wurde die Frage einer institutionalisierten Vergangenheitsbewältigung, in Form einer Wahrheitskommission ausgelöst, weil bekannt war, dass die Juntas nicht nur einige missliebige politische Gegner verfolgt hatte, sondern systematisch über Jahre massenhaft

Menschen verschleppt, gefoltert und getötet hatten. Jedem war klar, dass diese Diktatur das bei weitem blutigste Regime in der Geschichte Argentiniens war. 40 Allgemein gehen fast alle seriösen Publikationen zu der Diktatur (1976-1983) von offiziell 9000 und inoffiziell von 30.000 Verschwundenen und Toten aus. Die Zahl 9000 leitet sich von den Ergebnissen der CONADEP ab, die im Jahre 1984 insgesamt 8.960 Personen als verschwunden registrierte. 41 Die 30.000 gehen auf Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zurück. Ein Anhaltpunkt ist beispielsweise die Zahl der Feuerbestattungen in Buenos Aires: „(...) the number of cremations rose from 13.120 in 1974 to 15.405 in 1975, then jumped abruptly to 20.500 in 1976 and to over 30.000 per year in 1977, 1978 and 1979 and back to 21.381 in 1980.” Diese Steigerung kann nach Hodges Einschätzung niemals durch die natürlichen Todesfälle in jenem Zeitraum gedeckt werden. 42 Zwischen 1976-79, d.h. während der Videla-Junta, war die Repression eindeutig am stärksten wie die Zahlen der bekannten Fälle von Verschwundenen, Getöteten und politischen Gefangenen zeigen (Abb.1).


Abb. 1: Darstellung der Verschwunden- und Verhaftendenzahlen im zeitlichen Kontext (1971-1983), Quelle: Brysk (1994), S. 37

Neben der Verschwundenenzahl zählte die CONADEP ferner 340 geheime Haftlager. Außer- verweist man auf nur 350 Personen, denen während der Diktatur der Prozess gemacht wurde, obwohl die Militärs immer behaupteten, dass die Subversion über ca. 15.000 bewaff-

nete Kämpfer verfügte. 43 Dies ist ein überaus wichtiges Indiz für die Methode des geheimen Massenmords. Das Regime begibt sich damit in einen schwerwiegenden Widerspruch, wenn es das systematische Morden leugnet, aber auf der anderen Seite den Sieg über die Subversion proklamiert. Schließlich bleibt die Frage offen, inwiefern die Terroristen geschlagen wurden, wenn scheinbar so wenige gefasst wurden. Für jeden, der seine Augen nicht bewusst verschließen wollte, war also schon während der Diktatur und spätestens nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der CONADEP klar erkennbar welche Dimensionen der Repressionsstaat hatte.

Besonders schockierend und alarmierend für die nationale und internationale Öffentlichkeit war die absolute Menschenverachtung, mit welcher die Repressoren vorgingen. Aufgrund der totalitären Sichtweise der Militärs wurde das Foltern und Töten des Feindes als eine Art heiliger Akt verbrämt und den ausführenden Soldaten suggeriert, sie erwiesen ihrer Nation damit einen großen Dienst: „One victim was told, for example, ,You are our best young people ... valuable people, but ... this is a holy war and you want to disrupt the natural order ... you are the Antichrist ... I’m not a torturer, I’m an inquisitor.’” 44 Dieses Selbstinterpretation der Militärs führte zu einer bestialischen Form der psychischen und physischen Folter. Fast jeder Inhaftierter in den 340 Konzentrationslagern wurde der Folter unterzogen, wobei besonders die Methode der Elektroschocks favorisiert wurde. Im Falle von weiblichen Gefangenen wurden meist sexuelle Gewalt praktiziert, was vielfach auf die verwurzelte Machismo-Kultur Argentiniens zurückgeführt wird.

Neben den konkreten körperlichen Verletzungen, versuchten die Folterer insbesondere durch perfide psychische Drangsalierung den Willen der Opfer brechen. Zunächst wurde den Opfern durch die Entführung und Verschleppung die Orientierung genommen. Im Gegensatz zu einer normalen Verhaftung wurden Personen einfach unter Androhung von Gewalt gezwungen mitzukommen, ohne dass sie die geringste Erklärung erhielten, mit wem sie es zu tun hatten, noch mit einem Vorwurf konfrontiert wurden, noch erfuhren wohin sie gebracht werden sollten. Den Entführten wurden meist die Augen verbunden, was ihnen jede Möglichkeit nahm die Situation einzuschätzen. Dieses plötzliche Gefühl des totalem Ausgeliefertsein, wurde von den meisten Opfern am traumatischsten wahrgenommen. 45 In den Gefangenenlager selbst

wurde dann versucht, die Opfer durch Isolation, andauerndes Tragen der Augenbinde, ständi- Androhen des Todes, verbale Diskriminierung, willkürliche Behandlung usw. soweit zu bringen, dass sie sich von sich selbst entfremdeten und ihren Widerstandswillen aufgaben. Auf diese Weise presste man Informationen über sogenannte subversive Organisationen und Elemente heraus.

Eine weitere extreme Dimension an Menschenverachtung wurde durch die Tötungspraxis des „El Vuelo“, der Flug, offenkundig. Im Kontext des Verschwindenlassen suchte man nach effektiven Tötungsmethoden, die gewährleisten, dass möglichst keine Leichen gefunden werden oder sie nicht in Verbindung mit dem Militär gebracht werden konnten. In seinem erschütternde Bekenntnis bestätigte der ehemalig Korvettenkapitäns Francisco Scilingo 1995 den furchtbaren Verdacht, dass viele der Verschwundenen ihr Ende im Rio de la Plata fanden. Detailliert beschrieb der Ex-Soldat die Praxis betäubte Menschen lebendig über dem Meer aus Flugzeugen zu werfen: „Man zog die Ohnmächtigen aus und, wenn der Kommandant der Maschine den Befehl gab, je nachdem, wo sich das Flugzeug befand, öffnete man die Luke und man warf sie nackt einen nach dem anderen hinaus.“ 46 Aufgrund der Aussage Scilingo kamen in etwa von 1500 bis 2000 Menschen auf diese bestialische Weise ums Leben. Diese Form des Tötens ist besonders entwürdigend und feige, weil die Täter nicht mal bereit sind sich ihren Opfern und deren Todesangst zu stellen.

Die Brutalität und vor allem die Systematik mit der die argentinischen Militärs ihren Feldzug gegen ihre eigenen Landsleute durchführte, schuf in Lateinamerika, zusammen mit Chile, ganz neue Dimensionen. Niemals zuvor hatte ein autoritäres Regime in Südamerika ein solch durchdachtes Konzept zur physischen Vernichtung der Opposition. Ambos spricht im Zusammenhang mit dem „Verschwindenlassen“ von der Erfindung eines neuen Verbrechens, „(...) das bis heute auf dem Kontinent und in anderen Ländern von ähnlichen Regimen dankbar nachgeahmt wird.“ 47 „Desaparecidos“, also Verschwundene, ist zudem in Argentinien seit der Militärdiktatur ein stehender Begriff, der zum Synonym für das Trauma eines ganzen Landes geworden ist.

Wie schon angedeutet wollten die Militärs nicht den Eindruck entstehen lassen, dass die Streitkräfte in einer konzentrierten und zentral gelenkten Aktion gegen die „Subversion“ vor-

gingen. Oberstes Gebot war die Geheimhaltung sowie die Verschlüsselung der Befehlskette. Auf diese Weise wollten die Junta-Chefs verhindern, dass die Aktivitäten international zuviel Aufsehen erregen und natürlich auch die eigene Bevölkerung ruhig halten. Aus diesem Grund entstand ein Netz lokaler Einheiten, die relativ autonom operierten. Die Militärführung teilte das Land in fünf Militärzonen, die wiederum in Brigaden und Bataillone untergliedert waren, die sich an den urbanen Zentren orientierten. 48 In Zusammenarbeit mit der Polizei und der Gendarmerie bildeten sich sogenannte „grupos de tareas“, d.h. Task Forces. Je nach Gebiet übernahmen diese Task Forces unterschiedliche Aufgaben. Im CONADEP - Bericht Nunca Más wird beispielsweise die Arbeitsgruppe der ESMA 49 beschrieben, die sich aus verschiedensten Offizieren der Marine und Mitgliedern der Bundespolizei zusammensetzte und in die drei Bereiche Geheimdienst, Operationen und Logistik untergliedert war. Der Geheimdienst verwaltete die unter Folter erpressten Geständnisse, wertete sie aus und machte Einsatzpläne, die dann von der Sektion Operation durchgeführt wurden. An dieser Stelle wird der illegale Charakter des Konzepts besonders deutlich: „Sie benutzten nicht als Armeefahrzeuge erkennbare Autos, einige davon so getarnt, dass sie den Eindruck erweckten, zu staatlichen oder privaten Institutionen zu gehören; all diese Fahrzeuge waren vorher gestohlen und mit anderen Nummernschildern versehen worden.“ 50 Die Abteilung Logistik war so etwas wie ein Umschlagplatz für die Waren und Gelder, die sich die Einheiten durch Raub und Plünderung bei den „Operationen“ aneigneten. Hier deutet sich schon ein Hauptschwachpunkt des Regimes an. Trotz der totalitären Züge war das Profitstreben innerhalb des Militärs ein wichtiger Motivationsfaktor, das unter anderem die Militärherrschaft kollabieren ließ. Das Rotationsprinzip, ein anderes wichtiges Strukturmerkmal der Repression, lässt vermuten, dass große Teile der Task Forces an den Folterungen teilnahmen. Um einen breiten Schweigepakt innerhalb des Militärs zu erzeugen und damit die...

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