Die Bereitstellung und Verwaltung öffentlicher Güter durch staatliche Institutionen war eine Entscheidung der Regierung. Gleiches gilt für die Betreuung zivilgesellschaftlicher Organisationen mit staatlichen Aufgaben. Beides sind Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Im 16. Jahrhundert existierten keine öffentlichen Güter im heutigen Sinne.[134] Der Handel mit Gütern basierte damals auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit, Umverteilung und Haushaltung, sprich der „Produktion und Lagerung [von Gütern] zur Befriedigung der Bedürfnisse der Mitglieder der Gruppe.“[135] Die Philanthropie erlebte zu dieser Zeit ihre Hochkonjunktur, denn nicht etwa die Landesoberhäupter trugen dafür Sorge, dass auch die Alten und Schwachen versorgt waren, sondern die Kirche sowie wohlhabende Händler und Landbesitzer. Diese verstanden die Versorgung der Bedürftigen als Pflicht ihrer Stellung und Aufwertung ihrer Reputation.[136]
Das 19. Jahrhundert war für das gemeinnützige Organisationswesen in Deutschland besonders prägend. Mit einer Verdreifachung der europäischen Bevölkerung konnte die Bedürfnisbefriedigung aller nicht mehr länger allein von der Kirche, ihren karitativen Einrichtungen und wohlhabenden Bevölkerungsgruppen sichergestellt werden, wodurch sich die Regierung in der Handlungspflicht sah.[137] 1883 gingen mit der Sozialgesetzgebung Bismarcks soziale und kulturelle Einrichtungen in staatliche Hand über und mit der Systematisierung des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde die Genehmigungspflicht des Staates sowie die heute am häufigsten zu findenden Rechtsformen (der eingetragene Verein und die Stiftung) der zivilgesellschaftlichen Organisationen, festgelegt.[138]
Die Okkupation der sozialen Verantwortung durch den Staat, der Nationalsozialismus und auch die Unterordnung der Wirtschaft unter einen absolutistischen Staat beeinträchtigten gemeinnützige Aktivitäten und Organisationen, insbesondere die jüdischer Philanthropen. Mit „der Expansion des Sozialstaats der Bundesrepublik geriet unternehmerisches gesellschaftliches Engagement [gänzlich] aus dem öffentlichen Bewusstsein […].“[139] Ferner wird heute von staatlicher Seite mühselig versucht, die Unternehmer in eine soziale Verantwortung zu ziehen und somit die Philanthropie wiederzubeleben.
In den 1950er Jahren wurde der „Verbändepluralismus“, als „Theorie der Auflösung oder Widerlegung des Staates“, stark kritisiert.[140] Auch in den Medien wurde die Fülle, aber auch die Redundanz verhandelter Themen der vielen verschiedenen gemeinnützigen Organisationen kritisch beobachtet und die Effektivität resp. die Messbarkeit der Wirksamkeit hinterfragt. Beispiele, zu denen die 150 Zentren für Reittherapie in Deutschland gehören, erwecken den Anschein des Kontrollverlustes der Regierung.[141] Nichtsdestotrotz werden stets die speziellen Handlungslogiken der gemeinnützigen Organisationen Europas hervorgehoben: Solidarität, Gemeinwohlorientierung, gesellschaftliche Nützlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft – ganz im Gegensatz zur eher ökonomischen Orientierung in den USA.[142] Die Bundesregierung reagiert auf die Kritik (bei gleichzeitiger Würdigung der zivilgesellschaftlichen Aktivitäten) mit der Inkraftsetzung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) 1962 und dem damit verbundenen Subsidiaritätsprinzip.[143] Unter der Garantie ihrer Selbstverwaltung, erfolgte der funktionale Einbau von gemeinnützigen Organisationen in den staatlichen Verwaltungsvollzug, was die privilegierte Position der im sozialen Bereich tätigen Organisationen festschrieb und die Finanzierung verbandlicher Einrichtungen garantierte.[144] Diese Kooperation birgt neben der Förderung der zivilgesellschaftlichen Gestaltung durch viele verschiedene soziale Vereinigungen in der Bundesrepublik auch die Möglichkeit der Kontrolle und Einflussnahme durch den Staat.[145] Folglich wird in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zur Zivilgesellschaft und ihren Vereinigungen, so Rudolf Bauer, die Unabhängigkeit des Aktivismus der gemeinnützigen Organisationen angezweifelt.[146]
In Deutschland stellen Vereine die am weitesten verbreitete Organisationsform der gemeinnützigen Organisationen dar und Stiftungen die mit der reichsten Tradition. Des Weiteren finden sich unter den Rechtsformen gemeinnützige GmbH und Genossenschaften, welche sich erst durch eine steuerrechtliche Ausnahmeregelung als gemeinnützig qualifizieren.[147] Bemerkenswert hierbei ist, dass Genossenschaften, ursprünglich als gemeinnützig klassifiziert, nach und nach in die Marktwirtschaft abgewandert sind und sich als dynamische „Institution gesellschaftlicher Selbsthilfe und wirtschaftlicher Selbstorganisation jenseits vom klassischen Kapitalismus [verstanden]. Die Gründerfiguren der Genossenschaftsbewegung […] gingen davon aus, dass durch die Selbsthilfe eine Benachteiligung wirtschaftlich Schwacher und Gefährdeter abgewendet werden könne.“[148] Die GmbH, im Gegenzug, wurde primär als Organisation des Marktes konzipiert und wird heute jedoch, aufgrund ihrer schlanken Managementstrukturen, als die bestmögliche Organisationsform für die kostengünstige sowie effiziente Erledigung von öffentlichen resp. sozialpolitischen Aufgaben, angesehen.[149]
Nach der Wirtschaftszweigklassifikation 2003 seien Organisationen des Dritten Sektors insbesondere in folgenden Bereichen engagiert:[150]
* Interessenvertretungen sowie kirchliche und sonstige Vereinigungen,
* Gesundheits- und Sozialwesen,
* Erziehung und Unterricht,
* Kultur, Sport und Unterhaltung,
* Forschung und Entwicklung.
Diese Hybridisierung[151] der Organisationen, von Karl Polanyi schon nach der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konstatiert, bedeutet, dass ökonomische Strukturen stets in Wechselwirkung – untrennbar – zu anderen sozialen Bereichen stehen.[152]
Talcott Parsons und Neil Smelser (1956) haben diese Verbindungen in dem Begriff der Interpenetration zum Ausdruck gebracht, mit dem sie hervorheben, dass die Erfüllung adaptiver Funktionen immer mit dem politischen Gemeinwesen, den Institutionen sozialer Integration und mit kulturellen Werten verbunden bleibt. [153]
Bezüglich der strukturellen Ausrichtung, besteht bereits seit dem 19. Jahrhundert eine allgemeine Zweiteilung gemeinnütziger Organisationen. Zum einen existiert das eher „lebensweltliche Vereinswesen“, welches als stark mitgliedsorientiert eingestuft werden kann und sich hauptsächlich auf Ehrenamtlichkeit und die Erfüllung des Organisationszwecks stützt.[154] Diesen Organisationen wird ein direkter „demokratietheoretischer Wert“ beigemessen.[155] Zum anderen agieren sogenannte professionelle soziale Nonprofit-Organisationen, welche primär soziale Dienstleistungen im staatlich-öffentlichen Auftrag erfüllen und überwiegend Hauptamtliche beschäftigen.[156]
Die europäischen Gesellschaften sind mit demografischen Veränderungen konfrontiert, die lange vorhergesehen, deren potenzielle wirtschaftliche, soziale und politische Konsequenzen aber mehr als zwei Jahrzehnte ignoriert wurden.[157]
Entstehungsvoraussetzungen und Entwicklungstendenzen gemeinnütziger Organisationen können historisch betrachtet mit politischen und ökonomischen Krisen in Verbindung gebracht werden. Rudolf Bauer bezeichnet gemeinnützige Organisationen als „eine Antwort auf den gesellschaftlichen Wandel“[158], als institutionelle Reaktionsformen auf soziale und kulturelle Heterogenität[159]. Bauer betrachtet Organisationsgründungen zum einen als Reaktion „auf das Versagen der traditionellen Vergesellschaftungsmodi“ und zum anderen als „Bedingung und Ausdruck für die Entstehung neuer, zeitgemäßerer Formen der Vergesellschaftung.“[160] Somit zielen sie vornehmlich darauf, „die sich anbahnende Krise allen deutlich zu machen und […] diese Krise mit allen ihren Symptomen durch geeignete Gegenmaßnahmen erfolgreich zu bewältigen oder sie wenigstens so weit zu entschärfen, dass größere Katastrophen verhindert werden.“[161] Der Soziologe und Verfechter des Kommunitarismus, Amitai Etzioni, lobte zu Beginn der 1970er Jahre die Non-Profit-Organisationen als organizations for the future, welche in der Lage seien, bei der Dienstleistungserstellung die positiven Seiten des Marktes und des Staates miteinander zu verbinden.[162] Die Geschichte zeigte aber auch, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eher Erste-Hilfe-Maßnahmen darstellen (anstatt der Krisenursache entgegenzuwirken), indem sie erneut „Prozesse der Homogenisierung und Stabilisierung“ unterstützen.[163] „Es wäre deshalb verfehlt, das Assoziationswesen in der Bundesrepublik mit zivilgesellschaftlichen Erwartungen zu...