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Griechenlands Exodus. Vom Beitritt zur Währungsunion, über Finanzcrash und Hilfspakete bis zum Grexit

Eine Chronologie der Schuldenkrise: Daten, Fakten, Analysen, historische Informationen und Szenarien

AutorFrank Wilkens
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl218 Seiten
ISBN9783956873102
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2015 im Fachbereich BWL - Wirtschaftspolitik, , Sprache: Deutsch, Abstract: Die mediale Berichterstattung über Griechenland war allgegenwärtig. Ständig konnte irgendwo gelesen werden, dass Verhandlungen über neue Kredite, Hilfspakete oder Reformvorhaben geführt wurden. Dasselbe galt für Refinanzierungen oder Kreditrückzahlungen in Milliardenhöhe und natürlich die fast schon wöchentlich angekündigte Staatspleite Griechenlands. Worüber aber wurde eigentlich en détail verhandelt, warum kam es zu keiner Einigung und wie konnte Griechenland überhaupt in eine so ausweglose Lage geraten? Zur Beantwortung dieser und vieler weiterer Fragen werden alle wichtigen Ereignisse, Entscheidungen und historischen Fakten, die zur Schuldenkrise Griechenlands führten, chronologisch aufgearbeitet und individuell erklärt. Beginnend mit den griechischen Beitrittsverhandlungen zum Euro-Währungsraum, über die Finanzkrise des Jahres 2008 bis hin zum unausweichlichen Grexit. Dabei werden sowohl wirtschaftliche Entwicklungen, soziale und politische Aspekte, als auch mögliche Lösungsszenarien aufgezeigt. Ebenso werden europäische Staatsanleihe- und Wertpapierverläufe sowie griechische Reformvorhaben, BIP-Werte, Maßnahmen, Quoten und steuerliche Neuregelungen der jeweils amtierenden Regierungen zeitlich aufeinanderfolgend eruiert und analysiert. Abgerundet wird diese Ausarbeitung mit einer detaillierten Skizzierung der Regierung Tsipras von Januar bis Mai 2015, ihren Reformvorschlägen und Kontroversen mit IWF, EZB, Eurogruppe, EU-Finanzministern, Institutionen und deutscher Bundesregierung.

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Leseprobe

2. Entstehung und Auswirkungen der mediterranen Schuldenkrise


 

2.1 2004 - Olympiade, Fußball-Europameisterschaft und Karamanlis


 

Als Griechenland 2004 Fußball-Europameister und in Athen die Olympischen Spiele ausgetragen wurden, schien die Welt endlich wieder in Ordnung zu sein. So meinten zumindest die Griechen, allen voran der damalige Regierungschef Simitis. Hatte er doch erst vor kurzem die Anstrengungen seines Landes gebührend zelebriert, welches mittlerweile viele Reformen umgesetzt sowie positive Akzente in Wirtschaft und Wachstum zu verzeichnen habe. Seit dem EWG-Beitritt der Griechen im Jahre 1981, bei dem viele Milliarden zum Aufbau des Landes flossen[49], hatte sich nach Aussage Simitis sehr viel getan. Die beinahe Staatspleite von 1985, bei der Brüssel Griechenland mit eins Komma sieben Milliarden ECU aus der Patsche half, war da natürlich lange schon Schnee von gestern[50]. Griechenland ging es sehr gut, wie Simitis gerne zu verstehen gab. Doch vergaß er da nicht etwas? War da nicht noch der enorme Schuldenstand der Griechen und die Tatsache, das seit den Achtzigern keineswegs an jeder Ecke gespart wurde, sondern vielmehr konsumiert und gelebt? Und das über alle Maßen? Das machte schon viele Brüsseler Kontrolleure in den Achtzigern nervös, als sie feststellten, dass deren Gelder keineswegs zweckgebunden verwendet, sondern fast ausschließlich für den Konsum ausgegeben wurden. Daher wuchs das Defizit des griechischen Staatshaushaltes bis Ende der neunziger Jahre auf sagenhafte dreizehn Prozent an. Bis zur Euroeinführung schmolz dieses jedoch auf unter zwei Prozent zusammen.

 

 

Abbildung 4: Griechisches Haushaltsdefizit gegenüber Staatsverschuldung 2000 – 2010

 

Ebenfalls sagenhaft, allerdings galt dieser Wert bekanntlich auch nur auf dem Papier. Die 2004 gewählte Regierung[51] ließ dieses Wunder jedoch alsbald wie eine Seifenblase zerplatzen. Der neue Premier Karamanlis stellte klar, dass sein Vorgänger Simitis leider Anhänger einer überaus kreativen Buchhaltung gewesen sei. Die Zahlen wären schlicht Fiktion gewesen und würden nun berichtigt. Ein geschickter Zug, denn in diesem Jahr wusste neben Griechenland ebenso Deutschland, Frankreich und andere Eurostaaten ihren Staatshaushalt vorteilhaft zu kaschieren[52]. Dadurch fiel kein allzu schlechtes Licht auf Griechenland, welches lediglich eine sanfte Verwarnung seitens EU-Minister und Regierungsoberhäupter über sich ergehen lassen musste. Selbstredend wurde diese Ehrlichkeit gelobt, welche von nun an gelten sollte, vor allem für die Transparenz der griechischen Finanzen. Da Griechenland seinerseits weitere Fördergelder aus den EU-Strukturtöpfen erhalten wollte, wurde der griechische BIP natürlich mit einem Wert unterhalb der magischen fünfundsiebzig Prozent Marke angegeben. Das war europäischer Durchschnitt, wodurch synchron die Zuteilung gesichert war. Der Wert musste allerdings später nach Oben korrigiert werden, da der EU-Kommission auffiel, dass bei der Kalkulation der Dienstleistungssektor fehlte. Nach der Korrektur behielten die Griechen die bereits erhaltenen zwanzig Milliarden Euro aus den EU-Strukturtöpfen, zugestanden hätte Griechenland nun jedoch lediglich ein Drittel der Milliarden. Kein EU-Parlamentarier machte dies allerdings jemals publik, hatten doch alle in jenen Tagen schwer an ihrem eigenen Scherflein zu tragen. Nicht aber die Kontrolleure von Eurostat und EU-Kommission, die jene Zahlentricks detailliert in einem internen Memo an die EU-Parlamentarier bekannt machten. Darin zweifelten die Kontrolleure demzufolge ebenso den Wahrheitsgehalt zukünftiger griechischer Statistiken an[53]. Politisch hatte das aber keine Konsequenzen, da das EU-Parlament lieber so tat, als sei nichts geschehen. Augenscheinlich wurde die Praxis der Griechen toleriert bzw. es war politisch gewollt, das alles so blieb, wie gehabt. In dieser Haltung wollten sich die Parlamentarier offenbar auch nicht durch die besserwisserischen Fakten der Beamten verwirren lassen. Als dann 2009 wieder eine andere Partei die vorgezogene Griechenland-Wahl für sich entschied[54], wurden die Daten der Regierung Karamanlis ebenfalls neu berechnet und siehe da – sie stimmten wieder nicht[55]. Im Jahr nach dem großen Finanzcrash musste der BIP-Wert Griechenlands deshalb von gerade einmal vier auf fast dreizehn Prozent nach oben korrigiert werden.

 

Brüssel war not amused, da die Zahlen, wie bereits von Eurostat und EU-Kommission angezweifelt, nicht stimmten und – wie sich bald herausstellte - das schon seit 2004 nicht mehr. Der neue griechische Finanzminister Papaconstantinou versprach daher, dass von nun an nur noch reale Zahlen und Informationen über die Finanzgeschäfte Griechenlands an Brüssel weitergeleitet würden. In etwa also das gleiche, was auch seine Vorgänger stets beteuert hatten. Wie alle bereits vor Papaconstantinou tätigen Finanzminister vergaß er allerdings ebenfalls zu erwähnen, das Griechenland unlängst in weitreichende Finanztransaktionen mit Derivaten bzw. Swap-Geschäften[56] verwickelt war[57]. Wie 2010 bekannt wurde, sogar bereits seit dem Millennium[58]. Für diese Geschäfte erhielten die Griechen von der US-Bank Goldmann Sachs[59] einen Milliardenschweren Kredit [60] [61]. Die Bank bekam dafür griechische Flughäfen- oder Containerterminalgebühren sowie Einnahmen aus dem staatlichen Glücksspielsektor[62]. Zu jener Zeit arbeitete auch der heutige EZB-Chef Draghi bei Goldmann Sachs[63]. Ja, die Welt ist wahrlich ein Dorf.

 

Derweil fragten sich Anno 2009 EU-Statistiker, Kommission und Bürokraten, inwieweit sich aufgrund der neuen Erkenntnisse die Höhe der realen griechischen Verbindlichkeiten eventuell noch ändern könnte. Nach und nach kamen nun jedoch immer neue Details zur finanziellen Lage Griechenlands auf den Tisch. So viele, das der Überblick binnen weniger Wochen verloren ging und jene bereits in der Vergangenheit getätigten Swap-Geschäfte sukzessiv an Bedeutung verloren[64]. Die Hiobsbotschaften hinsichtlich Griechenlands finanzieller Lage rissen einfach nicht ab. Fast wöchentlich wurden neue Finanzlöcher entdeckt, immer schneller erklommen neue Verbindlichkeiten das Tageslicht und schürten somit die Angst vor weitaus mehr, als lediglich den Vertrauensverlust gegenüber Griechenlands Statistiken oder Zahlen. EU-Parlamentariern, Politikern und Ökonomen wurde indes schmerzhaft bewusst, das es um sehr viel mehr ging, als die Wertbeständigkeit des Euro oder den Fortbestand der Euro-Währungsunion. Es ging vor allem um die sich mehr und mehr ankündigende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands!

 

2.2 Unternehmenskonkurse und Finanzprobleme nehmen zu


 

Acht Jahre nachdem Olympioniken aus aller Welt wieder entschwunden waren, befand sich Griechenland erneut im Blickfeld der Welt. Allerdings nicht wegen den mehr oder minder baufälligen Gebäuden und dahinsiechenden Pflanzen des Olympia-Geländes, sondern weil Griechenland am Rande des finanziellen Abgrunds stand[65]. Das Land war 2012 faktisch pleite. Für die Spiele wurden damals fast fünf Milliarden Euro eingeplant[66]. Allerdings hatten sich die damaligen Beamten der griechischen Regierung auch hier verrechnet. Letztlich wurden es sogar etwas mehr als elf Milliarden Euro[67]. Die EU-Kommission geht mittlerweile eher schon von zwanzig Milliarden aus[68]. Die staatlichen Verbindlichkeiten zogen innerhalb 2004 immens an. Von etwa hundertachtzig auf annähernd zweihundert Milliarden Euro[69]. Der Weg des Absturzes war daher bereits mit Beginn der Sommerspiele vorbestimmt. Da Griechenland sich in der Rezession befand, die EU rigoroses Sparen forderte und griechische Banken kaum mehr Kredite ausgaben, stiegen die Unternehmenskonkurse in dem Mittelmeerland sukzessiv an. Vor allem KMU waren davon betroffen, die gleichzeitig einen ungleich höheren Posten in der staatlichen Wertschöpfungskette ausmachten, als irgendwo sonst in Europa. Groß- oder Hightech-Industrie gab es zudem kaum in Griechenland. Deshalb waren gerade KMU die Dreh- und Angelpunkte der griechischen Wirtschaft. Gab es 2012 noch rund siebenhundertfünfzigtausend KMU, waren es Anfang 2013 jedoch nur noch knapp fünfhundertachtzigtausend. Die Einzelhandelsbranche traf dies besonders hart. Nach ESEE-Daten hatte die Branche 2009 einen jährlichen Umsatz von durchschnittlich vierhundertzwanzigtausend Euro, zwei Jahre später waren es nur noch dreihunderttausend. Daraus resultierte ein rigider Personalabbau, der fast jeden zweiten Arbeitnehmer in Griechenland betraf. Die verbliebenen Arbeitnehmer mussten oft lange auf ihren Lohn warten, da mittlerweile fast jedes dritte KMU kaum mehr Mieten oder Unterhaltungskosten zahlen konnte. Viele Unternehmer zahlten Gehälter bereits mit eigenen Ersparnissen, andere leisteten indes einfach keine Beiträge mehr zur Sozialversicherung. Lediglich die Hälfte aller Griechen setzte noch Vertrauen in die Politik von Premier Samaras, die Mehrzahl ging gar nicht erst zur Wahl. Der seit 2012 amtierende Finanzminister Stournaras bat daher die EIB um einen Kredit in Höhe von eins Komma vier Milliarden Euro.

 

Stournaras wollte...

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