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Gründungsförderung für Migrantinnen und Migranten

Determinanten einer zielgruppenadäquaten, kompetenzorientierten Gründungsberatung und -weiterbildung

AutorChristian Vogel
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl408 Seiten
ISBN9783741206863
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Im Gegensatz zum insgesamt eher stagnierenden Gründungsgeschehen in Deutschland hat sich die Zahl der Selbstständigen mit Migrationshintergrund innerhalb der letzten 25 Jahre nahezu verdreifacht. Dabei haben sich Gründende mit Migrationshintergrund längst von dem Klischee emanzipiert, sich ausschließlich in den Bereichen Gastronomie und Handel selbstständig zu machen. Vielmehr gründen Migrantinnen und Migranten in allen Wirtschaftsbranchen, schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze und tragen zur Diversifizierung der Wirtschaft bei. Der Erfolg von Unternehmensgründungen hängt in hohem Maße von einer intensiven Vorbereitung ab. Gründungswilligen in Deutschland steht dafür grundsätzlich eine Vielzahl von Angeboten der individuellen Gründungsförderung zur Verfügung. Diese sind allerdings - so die These - im Wesentlichen auf 'klassische' Gründer ausgerichtet. Da sich heute aber ein deutlich differenzierteres Bild hinsichtlich der vorzufindenden Gründer(innen)gruppen, Gründungsformen oder -anlässe abzeichnet, stellt sich die Frage, inwiefern dieser Heterogenität im System der Gründungsförderung bereits Beachtung geschenkt wird. Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen der deutschlandweiten Untersuchung bestehende Maßnahmen und Strukturen der Gründungsberatung und -weiterbildung aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet. Zentral wird dabei in den Blick genommen, inwieweit Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund tatsächlich spezifische Beratungs- und Weiterbildungsbedarfe im Zuge des Gründungsprozesses aufweisen und welche zielgruppenspezifischen Herausforderungen daraus für die Gestaltung von Angeboten der Gründungsförderung abgeleitet werden können.

Christian Vogel studierte Erwachsenenbildung und Politikwissenschaft an der TU Chemnitz sowie Bildungsmanagement an der Universität Hildesheim. Im Zuge seiner beruflichen Stationen beschäftige er sich mit unterschiedlichen Themen, wobei die Themen Bildung und Migration stets zentrale Bezugspunkte seiner Forschungs- und Entwicklungsprojekte waren. Seine Forschungsinteressen liegen daher insbesondere in den Bereichen Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung, Bildungsgerechtigkeit und -strukturen, Weiterbildung und nachhaltiges Lernen, sowie Migrations- und Integrationsforschung.

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Leseprobe

Teil II: Forschungsstand und theoretische Grundlagen


2 Begriffliche Fundierung


2.1 Migranten, Ausländer, Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund

Unter Migrantinnen und Migranten werden allgemein Personen zusammengefasst, die ihren Wohnsitz für eine bestimmte bzw. unbestimmte Zeit – eventuell für immer – in eine andere Region des eigenen Landes oder ins Ausland verlegen (vgl. Münz 2007, S. 1). Dabei lässt sich zunächst prinzipiell nicht unterscheiden, ob dafür eigene Motivationslagen (z.B. Studium im Ausland) oder existenzielle Zwänge (z.B. Verfolgung) ausschlaggebend sind. Dementsprechend kommt dem Begriff grundsätzlich eine wertneutrale Bedeutung zu, die erst durch gesellschaftliche Zuschreibungen, bspw. das Herausstellen milieuspezifisch begründeter Defizite von Migrantinnen und Migranten, eine negative Konnotation erfährt. Im Gegensatz dazu wird weder der Auszubildende aus Sachsen, der aufgrund subjektiv besser empfundener Arbeits- und Lebensbedingungen nach Baden-Württemberg zieht, noch die amerikanische Gastprofessorin in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als Migrant bzw. Migrantin bezeichnet, wenngleich die oben angeführte Definition in gleicher Form zutreffen würde.

Diesem analytischen Begriffsverständnis stehen auf der Ebene nationalstaatlicher Verfasstheit juristische Konstrukte gegenüber, die den rechtlichen Status von Migrantinnen und Migranten im Sinne staatsbürgerlicher Zuordnung definieren. Dabei lässt sich grundsätzlich zwischen Ausländern, also Personen die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, und Migrantinnen bzw. Migranten mit deutscher Staatsbürgerschaft differenzieren. Im Detail unterscheidet sich die Gruppe der Ausländer hinsichtlich des Aufenthaltsstatus. Das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) legt dabei vier unterschiedliche Aufenthaltstitel fest, angefangen vom Visum als kurzfristig geltende (max. 3 Monate) befristete Aufenthaltserlaubnis (z.B. zur Durchreise oder für Urlaubsreisen) bis zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (z.B. EU-Bürger). Besonders für diese Arbeit ist in dem Zusammenhang relevant, dass die gesetzliche Definition des Aufenthaltsstatus auch dafür bestimmend ist, ob Ausländer in Deutschland einer beruflichen Beschäftigung nachgehen können. Demgemäß hängt auch die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit von einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis ab. Im Detail regelt der § 21 des AufenthG alle damit einhergehenden Voraussetzungen und Bestimmungen.

Für Flüchtlinge gelten wiederum weiterführende Regularien gemäß Abschnitt 6 des AufenthG und der Genfer Flüchtlingskonvention. Demnach werden als Flüchtlinge nach Deutschland eingewanderte Personen bezeichnet, die aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Gründen verfolgt werden und einen effektiven Schutz in ihrem eigenen Heimatstaat nicht beanspruchen können oder in ihrem Heimatland potenziell von Verfolgung bedroht sind. Danach gilt als Flüchtling laut dem hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), wer

„ […] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder der sich als staatenlos infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“ (Der hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen 1951, S. 2).

Als besonders interessant mit Blick auf die vorliegende Arbeit ist hervorzuheben, dass sich die vertragsschließenden Staaten mit dem Artikel 18 des 1951 ratifizierten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge dazu verpflichten, den

„… Flüchtlingen, […], hinsichtlich der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit […] eine möglichst günstige und jedenfalls nicht weniger günstige Behandlung [zu] gewähren, als sie Ausländern im Allgemeinen unter den gleichen Umständen gewährt wird“ (Der hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen 1951, S. 9).

In der Realität wird dieser Forderung allerdings häufig nur ungenügend nachgekommen, was vor allem auf die zum Teil langwierigen Feststellungsverfahren zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus und damit des Aufenthaltstitels zurückzuführen ist. Insbesondere für die Betroffenen (Asylbewerberinnen und -bewerber) ist dieser Umstand mitunter problematisch. Ohne die Klärung des Aufenthaltsstatus ist es ihnen nicht gestattet, an Integrationskursen bzw. anderen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen bzw. einer beruflichen oder einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen. Ferner wird langfristig gesehen sowohl ihre berufliche als auch gesamtgesellschaftliche Integration erschwert, wenn sie über Jahre hinweg abgeschottet und ohne Entwicklungsperspektive „verwaltet“ werden. Gleichzeitig entsteht auch für Deutschland als Aufnahmestaat dadurch nicht selten eine paradoxe Situation. Während einerseits gut ausgebildete Fachkräfte dringend gebraucht werden, bleiben die Potenziale innerhalb der Gruppe der Flüchtlinge ungenutzt. Wenngleich in den letzten Jahren versucht wurde, durch gesetzliche Novellierungen schnellere Bearbeitungsmechanismen durchzusetzen, gilt es in dem Zusammenhang stärkere Anstrengungen seitens der beteiligten politischen Akteure zu unternehmen, um keine Potenziale zu vergeuden und Integrationsprozesse nicht zu konterkarieren.

Im Gegensatz zur „Staatsangehörigkeit“ und zum „Aufenthaltsstatus“ stellt der Begriff „Migrationshintergrund“ ein Konstrukt dar, welches weder eindeutig definiert noch einheitlich operationalisiert und erfasst wird. Die vorliegende Arbeit orientiert sich daher an der Definition des Statistischen Bundesamtes, um zumindest einer amtlichen Grundlage folgen zu können. Demgemäß wird zunächst zwischen Personen mit eigener Migrationserfahrung, also selbst Zugewanderten, und Personen ohne eigene Migrationserfahrung, also nicht selbst Zugewanderten, unterschieden. Als Personen mit eigener Migrationserfahrung werden sowohl Ausländer als Deutsche, die nach Deutschland immigriert sind und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, bezeichnet. Letzteres betrifft beispielsweise die sog. russlanddeutschen Kontingentflüchtlinge, die vor allem nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion aus deren Nachfolgestaaten nach Deutschland eingewandert sind.

Als Personen mit Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung gelten wiederum diejenigen, die nicht selbst nach Deutschland eingewandert sind. Auch hier wird zwischen Ausländern und Deutschen differenziert. Ausländer ohne eigene Migrationserfahrung können beispielsweise Nachkommen von Eingewanderten sein, die aufgrund der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern keine deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Ferner wird nicht selbst Zugewanderten mit deutscher Staatsbürgerschaft ein Migrationshintergrund zugeschrieben, die mindestens einen zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil haben. Das trifft vor allem auf die Kinder und Enkel von sog. Gastarbeitern zu, die seit ihrer Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Die folgende Darstellung (vgl. Abbildung 2) strukturiert den Begriff Migrationshintergrund überblicksartig:

Abbildung 2: Strukturierung des Konzeptes „Personen mit Migrationshintergrund“ (eigene Darstellung)

Im Detail differenziert das Statistische Bundesamt die Bevölkerung mit Migrationshintergrund folgendermaßen aus: (vgl. Statistisches Bundesamt 2013, S. 7)

  • 1 Deutsche ohne Migrationshintergrund
  • 2 Personen mit Migrationshintergrund im weiteren Sinn
  • 2.1 Migrationshintergrund nicht durchgehend bestimmbar
  • 2.2 Personen mit Migrationshintergrund im engeren Sinn
  • 2.2.1 Personen mit eigener Migrationserfahrung (Zugewanderte)
  • 2.2.1.1 Ausländer
  • 2.2.1.2 Deutsche
  • 2.2.1.2.1 (Spät-)Aussiedler
  • 2.2.1.2.2 Eingebürgerte
  • 2.2.2 Personen ohne eigene Migrationserfahrung (nicht Zugewanderte)
  • 2.2.2.1 Ausländer (2. und 3. Generation)
  • 2.2.2.2 Deutsche
  • 2.2.2.2.1 Eingebürgerte
  • 2.2.2.2.2 Deutsche mit mindestens einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil
  • 2.2.2.2.2.1 mit beidseitigem Migrationshintergrund
  • 2.2.2.2.2.2 mit einseitigem Migrationshintergrund

Abseits der beschriebenen eher technokratischen Definition von „Personen mit Migrationshintergrund“ stellt sich die Lebenswirklichkeit von Migrantinnen und Migranten in der deutschen Einwanderungsgesellschaft heute differenzierter dar. Diesbezüglich wird in der aktuellen Debatte einerseits die begriffliche Definition und die damit assoziierte gesellschaftliche Zuschreibung bestimmter Wesensmerkmale diskutiert. Andererseits ignoriert die begriffliche Fassung nicht selten Selbstwahrnehmung von Migrantinnen und Migranten. Als zentraler Kritikpunkt kristallisiert sich in dem Zusammenhang heraus, dass bei der Verwendung der Begriffe „Migranten“ bzw. „Menschen mit Migrationshintergrund“ häufig eine einheitliche, zumeist negativ konnotierte soziale Gruppe kolportiert wird (vgl. Beck/Perry 2007, S. 192). Dies entlarvt die empirische...

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