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E-Book

Grundkurs Pflegeethik

AutorUlrich Körtner
VerlagFacultas / Maudrich
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783990306932
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Dieses Studienbuch befasst sich mit den theoretischen Grundlagen sowie Grundfragen der Pflegeethik und den Methoden der ethischen Urteilsbildung. Thematisiert werden ethische Probleme in der Pflegeforschung, in der Transplantations- und Intensivmedizin sowie am Lebensende. Der Band informiert über die Arbeitsweise klinischer Ethikkomitees und stellt einschlägige Ethikdokumente und Gesetzestexte vor. Eine Reihe von Fallbeispielen gibt dem Leser weiters die Möglichkeit, die Prinzipien und Regeln der Pflegeethik selbst zu erproben. Das Buch ist durchgehend mit Merksätzen, Zusammenfassungen, Reflexionsfragen und Hinweisen auf vertiefende Literatur versehen und wurde für die 3. Auflage durchgehend aktualisiert und erweitert. NEU: Mit Lern-App

Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Universität Wien; Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

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Leseprobe

1 ETHIK, ETHOS UND MORAL


Moral und Ethik haben es mit der Grundorientierung menschlichen Handelns und menschlicher Lebensführung zu tun. Wir fragen nicht nur, wie wir leben wollen, sondern auch, wie wir leben können und sollen. Ethik und Moral sind zu unterscheiden. In der Alltagssprache werden beide Begriffe allerdings häufig synonym verwendet. Dieses Kapitel informiert über die wissenschaftliche Disziplin und die Haupttypen der Ethik sowie über ethische Grundbegriffe.

1.1 Ethik und Moral im Alltag


„Kann mir jemand sagen, wo ich hin will?” Diese paradox anmutende Frage stellt Karl Valentin (1882–1948), der berühmte Münchener Kabarettist, in einem seiner Sketche. Genau mit dieser Frage hat es die Ethik zu tun. Nicht nur über die Ziele unseres konkreten Handelns und Verhaltens im Einzelfall, sondern auch über die langfristigen Ziele unserer Lebensführung müssen wir beständig nachdenken. Wie will ich leben, wie wollen wir gemeinsam leben? Wir fragen aber nicht nur, wie wir leben und handeln wollen, sondern auch, wie wir es sollen. Denn von klein auf sehen wir uns mit einer Fülle von Forderungen, Erwartungen und Anforderungen konfrontiert. In der Pflege ist das nicht anders. Es sind nicht nur Bitten und Ratschläge, sondern manchmal auch strikte Anordnungen, die uns erteilt werden. Nicht nur in konkreten Fragen der zu erledigenden Arbeit, sondern auch in Fragen der persönlichen Lebensführung versucht man uns immer wieder vorzuschreiben, was wir angeblich zu tun und zu lassen haben. „Man tut das” bzw. „Man tut das nicht”, wird schon Kindern vorgehalten.

Karl Valentins paradoxe Frage bringt es auf den Punkt: Einerseits müssen wir uns fragen, was wir tun und wie wir leben wollen, andererseits suchen wir nach Orientierung, d. h. aber nach Rat, wie wir handeln und leben sollen. Wir wollen uns unser Handeln und Leben zwar nicht vorschreiben lassen und wehren uns gegen autoritäre Strukturen. Aber Entlastung vom ständigen Entscheidungsdruck eines selbstverantwortlichen Lebens suchen wir sehr wohl.

Einen Orientierungsrahmen bilden grundlegende Normen und Werte, die zum Traditionsbestand einer Gesellschaft gehören. Dazu gehören auch die Normen und Gebote der religiösen Tradition, z. B. die Zehn Gebote (Dekalog) als grundlegende Richtschnur des Handelns und Lebens für das Judentum und das Christentum. Befragungen zeigen, dass viele Menschen nach wie vor in den Zehn Geboten eine Orientierungshilfe sehen, auch wenn sie sich nicht für besonders gläubig halten. Vor allem das Tötungsverbot (5. Gebot) wird allgemein für das wichtigste unter den biblischen Geboten gehalten. Ebenso wichtig ist in der biblischen Tradition das Gebot der Nächstenliebe: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.” Die meisten Kulturen kennen auch die Goldene Regel: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu.”

Nur weil andere mir sagen, was ich tun oder lassen soll, heißt dies freilich noch lange nicht, dass es richtig wäre, ihren Ratschlägen oder Vorschriften zu folgen. Wenn mir jemand sagt, ich solle in den Brunnen springen, muss ich es doch nicht tun. Und die Behauptung, dass ein moralisches Gebot oder Verbot auf eine göttliche Offenbarung zurückzuführen sei, ist für uns zunächst eine bloße Behauptung von Menschen, selbst wenn sie in der Bibel oder im Koran steht. Ob ich ihnen Glauben schenke oder nicht, ist meine ureigenste Entscheidung bzw. eine Frage des Glaubens.

Gegenüber Moral bestehen in der modernen und pluralistischen Gesellschaft einige Vorbehalte. Wir kennen die Moralapostel, die alles und jeden kritisieren, die Wasser predigen und selbst Wein trinken. Moralpredigten und moralingesäuertes Gutmenschentum lösen verständliche Aversionen aus. Bei Moral denken manche vielleicht auch einseitig an kirchliche oder sonstige religiöse Moral, sodass der Irrtum entstehen kann, Religion und Moral seien identisch, Moral also nur eine Angelegenheit religiös veranlagter Menschen. Doch die Grundfrage, wie ich leben will und soll, besteht auch dann fort, wenn ich mich nicht als religiösen Menschen verstehe.

Allerdings: Wir verstehen uns als freie Wesen. Wer sich in seinem Tun und Lassen nicht einseitig vom Willen anderer abhängig machen will, kann deshalb sehr wohl um Rat fragen und nach Orientierung suchen, aber er will zumindest einsehen können, warum er etwas besser tun oder lassen sollte. Unsere Freiheit verlangt, dass das Wollen und das Sollen unseres Handelns zur Übereinstimmung gebracht werden bzw. dass unsere Moral nicht fremdbestimmt (heteronom), sondern selbstbestimmt (autonom) ist. Zwischen Selbstbestimmung und religiöser Bindung muss allerdings kein Gegensatz bestehen. In diesem Fall spricht man von theonomer Moral.

Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Sittliche Autonomie unterscheidet sich daher von der Willkür. In meinem Tun und Lassen habe ich stets den Mitmenschen und sein Wohlergehen mitzubedenken.

Die ethische Grundfrage lautet nach dem Philosophen Immanuel Kant: „Was soll ich tun?” Genauer müsste man frei nach Karl Valentin sagen, sie laute: „Was soll ich wollen?” Wie im Leben überhaupt stellt sich diese Frage auch im Pflegealltag ständig. Um sie kreist das vorliegende Buch. Es möchte die Grundlagen von Moral und Ethik in der Pflege klären und Wege aufzeigen, wie man moralische Probleme im Berufsalltag lösen kann. Das gelingt in vielen Fällen nicht allein, sondern bestenfalls nur gemeinsam mit anderen. Eben darum ist die Verständigung über unsere Moralvorstellungen und unsere Normen und Werte für den Berufsalltag so wichtig.

Fragen Sie sich selbst und diskutieren Sie gemeinsam:
Was ist mein Verständnis von Moral? Welche Normen und Werte halte ich für besonders wichtig?

1.2 Begriffsbestimmungen


In unserer Alltagssprache werden die Begriffe „Ethik” und „Moral” häufig synonym verwendet. Firmen und Banken beklagen die schlechte „Zahlungsmoral” ihrer Kunden. Militärische Vorgesetzte kritisieren die „schlechte Moral” ihrer Truppe. Trainer und Fans sind von der „Spielermoral” ihres Vereins enttäuscht. Ein „unmoralisches Angebot” kann aber ebenso gut als „unethisch” zurückgewiesen werden. Gesundheits- und umweltbewusste Kunden oder auch Menschen mit einer Sensibilität für die Probleme der Dritten Welt verlangen nach „ethischen Produkten”.

Die Wörter „Moral” und „Ethik” stehen in den genannten Beispielen für Einsatzbereitschaft, Ehrlichkeit und Fairness, für Umweltbewusstsein und Gerechtigkeitssinn. Mit alldem haben es Moral und Ethik auch tatsächlich zu tun. Wir müssen aber begrifflich zwischen Moral und Ethik unterscheiden.

Ethik ist die selbstreflexive Theorie der Moral, d. h. die Reflexion, welche das menschliche Handeln und Verhalten sowie die beidem zugrundeliegenden Einstellungen und Haltungen anhand der Beurteilungsalternativen von Gut und Böse bzw. Gut und Schlecht auf seine Sittlichkeit hin überprüft.

Was jeweils unter dem moralisch Guten oder Schlechten zu verstehen ist, lässt sich nicht allgemein gültig sagen. Man kann aber eine formale Antwort geben, wonach unter dem moralisch Guten das nicht nur in einer bestimmten (z. B. technischen) Hinsicht oder in mehrfacher Hinsicht (z. B. technisch optimal und ökonomisch effizient), sondern das in jeder Hinsicht Gute zu verstehen ist. Umstritten ist allerdings, ob es an sich, d. h. situationsunabhängig, gute oder schlechte Handlungen gibt.

Im Unterschied zur Ethik (der Begriff stammt von Aristoteles [384–322 v.Chr.]) bezeichnet der Begriff des Ethos (griechisch) bzw. der Moral (lateinisch) die Verhaltensnormen der gesamten Gesellschaft oder einer Gruppe, die aufgrund von Tradition akzeptiert und stabilisiert werden. Manchmal wird zwischen Ethos und Moral unterschieden. Während der Begriff der Moral vor allem auf sittliche Regeln für menschliches Handeln und Verhalten zielt, hat der Begriff des Ethos stärker die Person des Handelnden, seine grundlegenden Einstellungen und Haltungen im Blick.

Beispiele
Jede Berufsgruppe hat ihr Ethos, im medizinischen Bereich gibt es etwa das ärztliche Standesethos, das Berufsethos der Pflegeberufe und der sonstigen heilenden und helfenden Berufe. Das Ethos erstreckt sich nicht nur auf Regeln für das Handeln, sondern auch auf Haltungen.

Als selbstreflexive Theorie der Moral ist auch die Ethik moralhaltig, d. h. auch sie operiert normativ mit der Unterscheidung „gut/böse” bzw. „gut/schlecht”.

Ethik ist eine wissenschaftliche Disziplin der Philosophie, aber auch der Theologie. Während die Philosophie keinem religiösen oder weltanschaulichen Standpunkt verpflichtet ist, bezieht sich theologische Ethik (in der katholischen Theorie auch Moraltheologie genannt) ausdrücklich auf das gelebte Ethos einer konkreten Religion, z. B. des Christentums.

Theologische Ethik macht also die religiöse Dimension von Moral und Ethik zum wissenschaftlichen Thema. Daraus wird bisweilen gefolgert, dass theologische Ethik in moralischen Fragen lediglich einen partikularen Standpunkt vertrete, während die Ethik in der säkularen und pluralistischen Gesellschaft von allen religiösen und weltanschaulichen Prämissen freizuhalten sei. Diese Position vertreten z....

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