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E-Book

Grundwissen der Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl450 Seiten
ISBN9783170255005
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis43,99 EUR
Das Sprachheilwesen in Deutschland hat sich innerhalb eines Jahrzehnts völlig neu aufgestellt. Neben die Sprachheilpädagogik trat die Sprachtherapie als eigenständige Fachdisziplin. Gleichzeitig expandierte die Logopädie erheblich. Keine der beteiligten Fachdisziplinen kann das Aufgabengebiet allein abdecken, die Einengung nur auf den schulischen oder den klinischen Bereich genügt der Komplexität der Sichtweisen, der Handlungsfelder und der Vorgehensarten kaum mehr. Das Buch stellt das Grundwissen aller beteiligten Fachdisziplinen vor einem denkbar breiten Fragehorizont und vor dem Hintergrund notwendiger Kooperation zusammen. Der Themenbogen spannt sich dabei von den theoretischen Grundlagen, den wichtigsten Störungsbildern und Erscheinungsformen, den differenzierten Aufgabengebieten bis zu den Organisationsformen und Handlungsfeldern. Mehr als 50 hochrangige Vertreter der Sprachheilpädagogik, der Sprachtherapie, der Klinischen Linguistik, der Patholinguistik und Klinischen Sprechwissenschaft sowie der Logopädie bilden den Fachbeirat und Autorenkreis dieses Grundlagenwerks. Der Band ist unverzichtbar für alle, die sich heute auf eine Tätigkeit im Sprachheilwesen vorbereiten oder in der Praxis mit den Herausforderungen zunehmend kooperativer, interdisziplinärer Handlungsformen konfrontiert sind.

Professor Dr. Manfred Grohnfeldt ist Lehrstuhlinhaber für Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie sowie Leiter des Forschungsinstitutes für Sprachtherapie und Rehabilitation (FSR) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Leseprobe

Teil I:   Die Fachdisziplinen


Prolog


Das Wissen über Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich erweitert. Gleichzeitig ist es zu einer Neukonstellation des Sprachheilwesens in Deutschland mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Berufsgruppen gekommen, die jeweils unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in ihren Handlungsfeldern aufweisen. Während das vorliegende Lehrbuch sich auf die Aufgabenstellungen des Fachgebietes als Ganzes bezieht, soll im Folgenden zunächst auf die Sprachheilpädagogik und akademische Sprachtherapie im Kontext der Logopädie eingegangen werden. Dabei gilt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Fachdisziplinen herauszuarbeiten, die in den weiteren Kapiteln des Buches die Diskussion wie ein roter Faden durchziehen werden.

Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie: zusammen, getrennt oder komplementär?


Manfred Grohnfeldt


1     Einleitung


Innerhalb der verschiedenen Fachdisziplinen des Sprachheilwesens in Deutschland ist die Sprachheilpädagogik am ältesten. Ihre Wurzeln reichen bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Lange Zeit konzentrierte sie sich von ihrem Selbstverständnis und der Institutionalisierung auf den schulischen Bereich, wobei die Sprachtherapie als wesentliches Aufgabengebiet dazu kam und ein Merkmal des Faches war. Mit der Verbindung von Unterricht und Therapie beschäftigte sich die Sprachheilpädagogik seit ihren Anfängen (Hansen 1929). Im letzten Jahrzehnt entstand aus der Sprachheilpädagogik heraus in Verbindung mit der Klinischen Linguistik, Patholinguistik und Klinischen Sprechwissenschaft die akademische Sprachtherapie als jüngste Fachdisziplin im Kontext der sprachtherapeutischen Berufe in Deutschland. Von wesentlicher Bedeutung waren dabei die Initiativen des »Deutschen Bundesverbandes der akademischen Sprachtherapeuten e. V.« (dbs).

Beide Disziplinen können alleine derzeit das gesamte Fachgebiet nicht abdecken. Die Absolventinnen der Sprachheilpädagogik verfügen immer weniger über die notwendige therapeutische Qualifikation und müssen sich eher auf Aufgabengebiete in ganz unterschiedlichen Institutionen vorbereiten. Die akademischen Sprachtherapeutinnen haben hervorragende Kenntnisse im Bereich der Therapie von Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen in allen Altersstufen, sind aber auf den im Zeitalter der Inklusion an Bedeutung zunehmenden Bereich der Arbeit in pädagogischen Institutionen derzeit nur wenig vorbereitet. Im Folgenden wird

•  zunächst die phasenspezifische Entstehung einer neuen Konstellation der sprachtherapeutischen Berufe in Deutschland aufgezeigt,

•  dann das Fach der akademischen Sprachtherapie in seinem Selbstverständnis dargestellt und

•  schließlich auf mögliche Varianten im Verhältnis von Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie eingegangen.

Dies alles vollzieht sich vor dem Hintergrund einer quantitativ stark anwachsenden Logopädie als Fachschulberuf. Weitere Details zu dieser sehr komplexen Thematik finden sich im Kapitel »Weichenstellungen und Perspektiven der neueren Geschichte« in diesem Buch.

2     Phasenspezifische Veränderungen des Sprachheilwesens in Deutschland


Vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz vom 6. Mai 1994 erfolgte in den letzten beiden Jahrzehnten ein nachhaltiger Strukturwandel des Sprachheilwesens in Deutschland. Eingebettet war dieser Vorgang in eine zunehmende Dynamisierung und Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels im Sinne eines »Akzelerationszirkels« (Rosa 2005). Als Ausdruck dieses Phänomens unseres modernen Lebens kam es in der Sprachheilpädagogik innerhalb von kurzer Zeit zu

•  Auflösungserscheinungen (z. B. von Sprachheilschulen)

•  Erneuerungsphasen (z. B. die Wiederentdeckung des »sprachheilpädagogischen Unterrichts« (Reber & Schönauer-Schneider 2009) und

•  Ablösungserscheinungen (z. B. der Sprachtherapie von der Sprachheilpädagogik).

Innerhalb dieses Prozesses der Veränderung waren die Initiativen des »Deutschen Bundesverbandes der akademischen Sprachtherapie« (dbs) im Jahr 2004 durch Zusammenführung des außerschulischen Zweiges der Sprachheilpädagogik, der Klinischen Linguisten, Patholinguisten und Klinischen Sprechwissenschaftler von entscheidender Bedeutung. Letztlich ist dies die Geburtsstunde der akademischen Sprachtherapie als klinische Disziplin ( Abb. 1).

Abb. 1: Entstehungsphasen der Sprachtherapie aus der Sprachheilpädagogik im Kontext der sprachtherapeutischen Berufe (Grohnfeldt 2010a, 160)

Gleichzeitig expandierte die Logopädie und wurde zur zahlenmäßig größten Berufsgruppe des Sprachheilwesens in Deutschland. Die Konstellationen hatten sich total verschoben.

3     Merkmale der Sprachheilpädagogik und akademischen Sprachtherapie


Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie gründen auf unterschiedlichen Menschenbildern (s. den Beitrag »Zur Bedeutung von Menschenbildern – Unterschiede in der Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie?« in diesem Buch) und haben ein teilweise überschneidendes, letztlich aber doch unterschiedliches Selbstverständnis. Die Sprachheilpädagogik versteht sich als interdisziplinäre Wissenschaft im Verbund mit der Medizin, Psychologie, Linguistik und Soziologie. Ihre Aufgaben umfassen die Bereiche Diagnostik, Prävention, Evaluation, weiterhin Unterricht und Erziehung sowie Förderung, Beratung und Kooperation ( Abb. 2),

Abb. 2: Gegenstand und interdisziplinärer Verbund der Sprachheilpädagogik (Weiterentwicklung: Grohnfeldt & Ritterfeld 2005, 25)

wobei in Weiterentwicklung des Selbstverständnisses vor einem Jahrzehnt die Bereiche der Therapie und Rehabilitation nahezu vollständig aufgegeben wurden, die Beratung dagegen an Stellungwert zunahm und im Zusammenhang mit der Kooperation vor allem im inklusiven Kontext zu sehen ist.

Die Sprachtherapie versteht sich ebenfalls als interdisziplinär mit den Bezugswissenschaften der Medizin, Linguistik, Sprachheilpädagogik und Psychologie, deren Anteile jedoch je nach Studienstätte und Ausbildungssituation differieren. Vom Aufgabengebiet her geht sie auf die Gesamtheit der Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen in allen Altersstufen ein ( Abb. 3):

Die Handlungsfelder beziehen sich auf die Prävention und Diagnose, weiterhin die

Abb. 3: Aufgabenbereiche und Standort der Sprachtherapie (s. Grohnfeldt 2010a, 163; 2012, 41)

Therapie, Beratung und Rehabilitation sowie in zunehmendem Maße auf Aufgabenbereiche im inklusiven Kontext (s. die Beiträge von Grohnfeldt & Lüdtke und Mußmann in diesem Buch).

4     Zum Verhältnis von Sprachheilpädagogik und akademischer Sprachtherapie


Die gegenseitige Bezugnahme der beiden akademischen Fachdisziplinen Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie wird für die weitere Entwicklung des Sprachheilwesens in Deutschland eine wesentliche Rolle spielen. Für die dabei ablaufenden Verlaufsprozesse, die auf das Gesamtsystem einen Einfluss ausüben, sollen dabei folgende drei Möglichkeiten idealtypisch genannt werden (ebenso: Grohnfeldt 2010b).

Einheit


Eine komplexe Einheit von Sprachheilpädagogik und akademischer Sprachtherapie wurde in den Anfängen der Auseinanderentwicklung der beiden Fächer in Sonntagsreden geradezu beschworen. Sie erscheint jedoch auf Grund der unterschiedlichen Finanzierung und Trägerschaft (Kultusbürokratie versus Krankenkassen), Institutionalisierung (Schulen versus Praxen und Kliniken) und der zugrundeliegenden Menschenbilder eher irreal. Schon bald zeigte sich, dass die akademische Sprachtherapie mehr Berührungspunkte zur Logopädie als zur Sprachheilpädagogik hat (Grohnfeldt 2004).

Die Verbindungslinien der Sprachheilpädagogik zur Lernbehinderten- und Ver-haltensgestörtenpädagogik sind dagegen seit der Einrichtung behinderungsübergreifender Förderzentren durch fachrichtungsübergreifende Curricula gestärkt worden. Sie werden vor dem Hintergrund des Beschlusses der KMK-Richtlinien vom 20.10.2011 weiter vertieft, auch im Hinblick auf eine Kooperation mit der Regelschulpädagogik.

Trennung


»Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie gehen offensichtlich getrennte Wege« (Huber 2013, 31). Diese Einschätzung eines langjährigen Beobachters der Szene sollte ernst genommen werden. Ebenso ist die formale Trennung von dgs und dbs bei einer unterschiedlichen Herausgabe von...

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