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Gruppen im Elementarbereich

AutorRainer Dollase
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl197 Seiten
ISBN9783170294233
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Upbringing, education and supervision in groups are one of the most important ways of early childhood socialisation. The work combines central aspects of group psychology with such of developmental psychology, so that these can be used in early childhood education. An excurse into history demonstrates that supervision in groups doesn?t follow evolutionary principles, but originated in economic and fiscal needs and has always been disputed. Questions on advantages and disadvantages of learning in groups, on group structures and leading of groups in the field of early education as well as risks of groups lie at the centre of the work. The areas heterogeneity and multiculturalism, which are of increasing importance, are analysed in depth.

Prof. Dollase teaches psychology at the university of Bielefeld.

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Leseprobe

2         Gruppen im Elementarbereich – Geschichte und Effekte der Gruppe


 

Warum es Gruppen im Elementarbereich gibt, erschließt sich aus der Geschichte der Vorschulerziehung. Daher werden in diesem Kapitel die gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Gründe, die zur Entstehung und Etablierung der Vorschulerziehung beigetragen haben, skizziert und der Zusammenhang verdeutlicht, warum kleine Kinder in relativ großen Gruppen zusammengefasst worden sind und noch werden.

2.1        Geschichte des Elementarbereichs – Warum gibt es eine institutionelle Kleinkinderziehung?


Warum gibt es Kindertageseinrichtungen, also Krippen und Kindergärten? Wenn man diese Frage historisch beantworten will, dann kann man zwei Betrachtungsweisen wählen: eine eher ideengeschichtliche und eine sozialgeschichtliche. In der ideengeschichtlichen Betrachtungsweise geht es darum, wer zuerst die Idee hatte und evtl. ausprobierte bzw. welche Ideen überhaupt dazu führten, kleine Kinder in Einrichtungen, also auch Gruppen, zusammenzufassen und sie zu betreuen, zu erziehen und zu bilden. Aus einer sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise sucht man geschichtliche, wirtschaftliche und andere Anlässe und Prozesse, die dazu geführt haben, dass Kindertageseinrichtungen (im Folgenden KiTas) ein gesellschaftliches Problem lösten und deshalb immer mehr Verbreitung fanden (Erning, 1987; Erning, Neumann & Reyer, 1987).

2.1.1      Ideengeschichte


Eine ideengeschichtliche Analyse zeigt, dass bereits in der Antike Menschen auf die Idee gekommen sind, kleine Kinder gemeinschaftlich zu erziehen. Über Sparta heißt es in einem Artikel von Helmut König (1974):

„Sobald ein Knabe laufen konnte, nahm ihn der Vater zum gemeinsamen Essen in die Zeltgemeinschaft der Männer mit. Hier wurde er zeitig an das Leben in der Männergemeinschaft gewöhnt, das in der Beschäftigung mit dem Krieg, in der Jagd und in der Beratung öffentlicher Angelegenheiten bestand. Darüber hinaus lernten sich die Knaben hier schon untereinander kennen und in die Gemeinschaft einordnen, da vom siebten Lebensjahr an alle Knaben in staatlichen Erziehungsanstalten zusammengefasst wurden.“ (König, 1974, S. 26)

Wenn man so will: eine frühe Idee, gelegentlich, aber nicht überall, ausprobiert, wie man kleinen Kindern gemeinschaftlich etwas Lebenswichtiges für die damalige Sklavengesellschaft beibringt.

Außer in Sparta wurde die Fähigkeit der kleinen Kinder, sich in Gruppen einzufügen, aus unterschiedlichen pädagogischen und ideologischen Positionen begründet. Zuletzt konnte man im Bildungsplan der DDR für die Kindergärten lesen:

„Durch die Gestaltung des Lebens ist die Herausbildung kollektiver Beziehungen der Kinder, ihre Gewöhnung an das Leben in der Kindergemeinschaft zu sichern. Jedes Kind soll lernen, für das Kollektiv tätig zu sein, soll sich in der Gruppe wohl und geborgen fühlen, Zuneigung und Anerkennung erfahren.“ (DDR Ministerrat, 1986, S. 17)

2.1.2      Sozialgeschichte


Interessanter ist die sozialgeschichtliche Perspektive (Barow-Bernstorff et al., 1974). Sie zeigt nach Auffassung fast aller Autoren deutlich, dass KiTas mit der zunehmenden außerhäuslichen Arbeit der Elternteile, wie in der Zeit der Industrialisierung, häufiger eingerichtet wurden. KiTas sind also ein Reflex auf eine gesellschaftliche Notsituation, die Betreuung der kleinen Kinder, die durch den Wandel der Produktion entstanden waren.

Der Name „Kindergarten“ (seine erste Einrichtung hieß „Pflege-, Spiel- und Beschäftigungsanstalt“) geht auf Friedrich Fröbel (1782–1852) zurück. Fröbel war allerdings nicht der erste, der öffentliche Einrichtungen für kleine Kinder gefordert und gegründet hatte, sondern hier gab es Vorläufer in anderen Ländern, wie in Großbritannien (z. B. Wilderspin), in Bayern (Teresa Gräfin von Brunsvik) oder im Elsass (Friedrich Oberlin).

Kasten 1: Arbeitssituation von Eltern und Kinderbetreuung

Wie eng die Notwendigkeit der Kinderbetreuung mit der Arbeitssituation der Eltern zusammenhängt, zeigt eine Passage in einem Kinderbuch von Löhr (1805), in dem Bilder des Alltags (z. B. Metzgerei, Arbeitsplätze, Tiere und Pflanzen) Kleinkindern durch Vorlesen und Fragen erklärt werden. In diesem Buch findet sich das Bild eines kleinen Kindes, das man in ein Fass gesteckt hat. An das Fass ist ein Schemel gestellt, mit einem Suppenteller und einem Löffel darin. Das Bild wird wie folgt kommentiert:

„Aber da unten ist ein Fass – was steckt denn in dem Fass? Auch ein Kind? – Aber wie ist es denn in das Fass hineingekommen? Es hat doch nicht können hinein steigen, es ist noch nicht groß genug dazu – es guckt ja nur soeben mit dem Köpfchen aus dem Fasse heraus. Sieh, die Eltern haben es in das Fass gesteckt. Die Eltern sind aufs Feld gegangen, da müssen sie arbeiten; für die Arbeit bekommen sie Geld, und für das Geld kaufen sie Brot und andere Esswaren. Die Eltern konnten das Kind nicht mit aufs Feld nehmen; es würde gefroren haben, oder es wäre nass geworden, oder es hätte die Eltern am Arbeiten gehindert. Eine Wärterin oder eine Magd konnten sie auch nicht bei dem Kinde lassen, sie haben nicht so viel Geld, eine Magd oder Wärterin zu mieten und zu bezahlen. Aber warum lassen sie das Kind nicht lieber herum laufen? – Es kann wohl noch nicht recht laufen? – Es kriecht mehr, als es läuft. Da hätte es nun können leicht Schaden nehmen, wenn es allein überall herumgekrochen wäre – sie haben es darum lieber ins Fass gesteckt. Das arme Kind! Die Zeit wird ihm recht lang werden! – Wie wird es sich freuen, wenn die Eltern wieder nachhause kommen!“

Abb. 4: Illustration zu Formen der Kinderbetreuung zu Beginn der Industrialisierung um 1800 aus einem Kinderbuch von Löhr (1805)

Mit dem Entstehen der öffentlichen Kleinkinderziehung im 19. Jahrhundert war zumeist die Minderung der blanken Not verbunden. Kinder und Jugendliche trieben sich in Dörfern und Städten herum, vandalierten, brandschatzten und litten. Bei Regenwetter wateten sie in knietief aufgeweichten Straßen, die damals noch nicht asphaltiert oder gepflastert waren. Kein Wunder, dass in solchen Situationen – die Eltern arbeiteten in Fabriken oder im Bergbau – verständige Männer und Frauen überlegten, wie man die Not dieser Kinder lindern könne. Eine dieser Ideen war die öffentliche Kleinkinderziehung. Ein besonders populärer Vertreter war Samuel Wilderspin aus Nordengland, der 200 bis 300 Kleinkinder in großen Scheunen versammelte und ihnen in der Zeit der Abwesenheit ihrer Eltern allerlei Sinnvolles beibrachte. In den Pausen gab es auch die Möglichkeit zu Spiel und körperlicher Ertüchtigung. Der Titel eines seiner Bücher lautete: „Über die frühzeitige Erziehung der Kinder und die englischen Klein-Kinder-Schulen oder Bemerkungen über die Wichtigkeit die kleinen Kinder der Armen im Alter von anderthalb bis sieben Jahren zu erziehen (…)“ (Wien, 1820).

Abb. 5: Samuel Wilderspin beim Unterricht mit Kleinkindern (um ca. 1820; aus Krecker, 1974, S. 108)

Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die die Älteren der heute lebenden Menschen noch als Kleinkinder erlebt hatten, stellte sich die Frage nach der Größe der Gruppe nicht, Hauptsache das Kind war in einem Kindergarten untergebracht. Die Väter im Krieg oder in der Gefangenschaft, die Mütter auf Arbeit angewiesen – in einer solchen Situation hat die Betreuung der Kinder absolute Priorität.

2.1.3      Der Zusammenhang von Betreuung, Bildung und Erziehung


Es ist ziemlich offensichtlich, dass die große Verbreitung von Gruppen im Elementarbereich wirtschaftliche Ursachen hat, und daher die Betreuungsnotwendigkeit wegen der zunehmend außerhäuslichen Lohnarbeit der Eltern im Vordergrund stand. Dennoch darf man nicht übersehen, dass auch vor und während der Industrialisierung viele Menschen über die richtige Erziehung und Bildung der Kleinkinder nachgedacht haben. Betreuung (Bewahrung), Erziehung und Bildung waren stets ein zusammenhängender Dreiklang. Wer mit Kindern zusammen ist, kann kaum auf eines der Elemente verzichten. Alle Urväter und Urmütter der Kindergartenerziehung haben immer auch die Bildung der Kinder – und nicht nur die Betreuung betont.

So hatte etwa Wolke im Jahr 1805 ein „Denklehrzimmer“ für Kleinkinder empfohlen, vollgepackt mit...

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