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E-Book

Halt mich fest, dann werd ich stark

Wie Kinder fühlen und lernen

AutorWolfgang Bergmann
VerlagPattloch Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783629320056
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Wolfgang Bergmann weiß um die Zerbrechlichkeit der kindlichen Seele. Er macht sich zum Anwalt der Kinder und betrachtet die Welt aus ihrem Blickwinkel: Er stellt ihre Fragen an die so unverständliche Welt der Erwachsenen. 'Halt mich fest, dann werde ich stark' nimmt uns mit auf eine spannende Entdeckungsreise in die Welt der modernen Eltern-Kind-Beziehungsforschung. Deren faszinierende Ergebnisse werden wie spannende Liebesgeschichten erzählt. Bergmann zeigt, worauf es ankommt, damit Kinder und Eltern glücklich sind. Der renommierte Psychotherapeut und Familienvater weiß, wovon er spricht. Er macht uns deutlich: Das Glück der Kinder ist abhängig von einer intakten Eltern-Kind-Beziehung. Daraus ergeben sich klare politische Forderungen für familien- und kinderfreundliche Lebensbedingungen, die Bergmann mit Verve vorträgt. Denn eines ist klar: Wir brauchen Kinder, und Kinder brauchen Nestwärme. Halt mich fest, dann werd ich stark von Wolfgang Bergmann als eBook!

Der Erziehungswissenschaftler und Familientherapeut Wolfgang Bergmann (* 1948) leitet das Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Der frühere Chefredakteur der Deutschen Lehrer Zeitung hat viele erfolgreiche Bücher veröffentlicht und ist regelmäßig im Fernsehen und in der Presse präsent. Seine bekanntesten Bücher sind: Gute Autorität, Das Drama des modernen Kindes, Die Kunst der Elternliebe und Disziplin ohne Angst. Bei Pattloch erschien zuletzt: 'Halt mich fest, dann werde ich stark'(2008).

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Leseprobe

Vom Stillen zur Sprache, ein Überblick


Alle Jahre wieder die Debatte um Gehorsam und Disziplin, dass moderne Kinder schwierig seien, dass sie auch einem geduldigen Erwachsenen den allerletzten Geduldsfaden zerreißen können – das alles ist richtig. Es verweist auf ein tiefer greifendes Problem, das sich in so erschütternder Häufigkeit kindlicher Seelennöte äußert wie die ständig anwachsende Hyperaktivität – ein Medikament gegen Aufmerksamkeitsdefizite gehörte 2007 bei uns zur meist verschriebenen Medizin im Kindes- und Jugendalter – oder die rasant angewachsene Zahl von Essstörungen, von denen nach neueren Studien jedes vierte Mädchen im Teenageralter betroffen ist. Der Ärger über die modernen Kinder, die laut, vertrotzt und rotzfrech durch die Gegend rennen: Wäre all das nicht Anlass genug, darüber nachzudenken, ob sich hinter solchem Verhalten nicht Nöte verbergen, wie sie von Pädagogen und Therapeuten bestätigt werden? Aber solche Debatten finden nicht statt. Ein Grund kann sein, dass es den Autoren der derzeit hoch im Kurs stehenden Ratgeberbücher zur Disziplinpädagogik an Wissen um die Entwicklung fehlt. Es fehlt das Wissen über die früheste Entwicklung der Kinder, über die Phase, in denen die Bindung zwischen Eltern und Kind, deren Liebe und Halt die Fundamente des kindlichen Selbst legen sollen – und es offenbar oft genug nicht tun.

Davon handelt dieses Buch. Weil Disziplin gerade Konjunktur hat, beginnen wir mit einem kleinen Streifzug durch die frühen Entwicklungsphasen, jede einzelne werde ich in späteren Kapiteln vertiefen und detailliert nacherzählen.

Wenn wir von Gehorsam und Disziplin reden wollen, müssen wir uns die frühe Kindheit anschauen, möglichst genau. Das ist gegenüber Erziehungsparolen ein wenig umständlich, vielleicht sogar mühsam, ist aber die einzige Möglichkeit, in einer blassen und teilweise blamablen pädagogisch-psychologischen Debatte wieder Boden unter die Füße zu bekommen.

In aller Kürze: Säuglinge sind kompetenter, als man lange Zeit glaubte. Sie wenden sich schon wenige Tage nach der Geburt mit weit offenen Sinnen ihrer Umwelt zu. »Umwelt« ist natürlich zuerst und vor allem »Mama«, aber neben ihr erregen auch die Klänge, die Farben und die Bewegungen ringsum das höchste Interesse der Kleinsten. Je ungestörter ihr Vertrauen zum Mütterlichen ist, desto vorbehaltloser spannt sich ihr Geist, wird mit jeder kleinsten Wahrnehmung wacher und aufmerksamer. Damit haben wir das Grundmodell guter Erziehung und behutsamer Autorität bereits formuliert: Die innige seelisch-körperliche Bindung an das Mütterliche – etwas später kommt das Väterliche hinzu – ist die Grundlage dafür, dass Kleinkinder die Welt um sich herum angstfrei und intelligent, verlässlich und aufmerksam aufnehmen und mit ihr vertraut werden.

Auf dieser Basis greift ein Kind begierig nach den Dingen der Welt, erwirbt in immer komplexeren, manchmal wunderbar zu beobachtenden Schritten gleichzeitig ein Gefühl für seinen Körper, seine Geschicklichkeit, seine Intelligenz und lernt die Dinge verstehen – ein unerhört komplexer Vorgang, in dem die elementaren emotionalen und kognitiven Entwicklungen weiter und weiter getrieben und zu immer neuen Einheiten gefügt werden. So reift das kindliche »Selbst«. Diese Reihenfolge ist unumkehrbar: erst die Liebe, dann die Ordnung, schließlich die geistig-sinnliche Erfahrung der »Welt«.

Schauen wir noch etwas genauer hin: Neugierig und mutig oder erschrocken reagiert das Kleinkind auf die vielen Signale der Umwelt. Manchmal vorwitzig und vergnügt, oft aber verängstigt sucht es danach sofort den Kontakt mit Mamas Körper und vor allem ihren Augen. Der mütterliche Blick prägt unser »Ansehen« und »Angesehenwerden« ein Leben lang (das Väterliche knüpft unmittelbar daran an). Sie beschwichtigt die Angst. Woher rührt ihre »Kompetenz«? Die Antwort ist einfach: Bei Mama als Erste hat das Kind gelernt, seine Gefühle festzuhalten, sie zu »er-innern«, damit wurden die Grundlagen eines einheitlichen Selbst gelegt. Konkret sieht das beispielsweise so aus: Mama schaut ihr Kind an, ihr Lächeln macht es froh, es strampelt vergnügt, die Mutter reagiert auf dieses putzige Strampeln mit vermehrter Freude. Sie lernt, die Zeichen und Laute und Bewegungen des Kleinen immer genauer zu entziffern, und das Kind lernt dabei, »seine eigenen Gefühlszustände wiederzuerkennen und auf diese Weise in sich zu verankern«, gleichsam zu lernen. Die Gefühle werden bei der Mutter rückversichert, werden an sie gebunden und wieder holt. Ein seltsamer Lernprozess ist das, den jedes Kind durchläuft: Es lernt sich selber kennen. Sein Selbsterkennen ereignet sich im »Spiegel« der feinfühligen Reaktionen der Mutter, des Vaters und später weiterer vertrauter Personen.

Noch einmal etwas anschaulicher: Mama lernt ja auch, sie reagiert immer feinfühliger, sie weiß jetzt, mal ist das Strampeln ihres Kindes nur Zeichen von Müdigkeit, mal pure Lebensfreude. Darauf reagiert sie mal beschwichtigend, mal selber ganz froh, mal auch ein ganz klein wenig ärgerlich. Aus diesen »Antworten« der Mutter – ihrem Blick, dem Tonfall ihrer Stimme, ihren Handlungen – wird das Kleine mit sich selber vertraut. Im Kern dieses Selbst-Vertrauens befindet sich nun Mama, später andere vertraute Menschen. Jetzt weiß es schon, dass Freude und diese ganz besondere Art zu strampeln zusammengehören, jetzt verstärkt es seine Freude ganz selbsttätig, indem es sie mit vermehrtem Strampeln, mit mehr Bewegungen und Lauten zum Ausdruck bringt. Das seelische Selbst reift, die kommunikativen Fähigkeiten auch.

Danach greift seine Aufmerksamkeit immer gezielter über Mama hinaus, fremde Gesichter zeigen sich an ihrer Seite, manche machen Angst. Andere, wie das väterliche, wirken irgendwie vertraut. Diese brummende Stimme, diese tapsigen Schritte von »Papa« hat das Kleine gespeichert. Es hat Papa zugleich mit Mamas Worten, ihrer Nährung und Fürsorge auch schon »aufgesogen«. Auch der Vater ist in die Gefühlsgewissheiten der ersten Lebenswochen einbezogen.

Wenn Papa beispielsweise sein Kind wickelt, dann erweitert sich dessen Vertrauensraum: »Schau an, dieser halbfremde Mensch mit der seltsamen Bass-Stimme wickelt mich genauso vorsichtig wie Mama!«

Oft macht ein Papa das viel vorsichtiger. Mütter haben zu ihrem körperlichen Umgang mit Kleinkindern eine Art intuitives Vertrauen, das auf Außenstehende oft ziemlich grob wirkt. Männer sind vorsichtiger, gehemmter, jedenfalls umständlicher. Das sind dann schon feine Unterschiede in der kindlichen Wahrnehmung, die die spätere Differenzierung der Geschlechter vorbereiten. Wer meint, dass das geistige Leben von Kleinkindern simpel ist, hat keine Ahnung.

Papa lacht anders, singt oder brummt anders, grummelt auch schon mal vor lauter Anstrengung und Unsicherheit angesichts dieses winzigen Wesens, später kann man mit Papa anders Türme bauen oder den Ball anders und kräftiger gegen die Wand schleudern – anders eben. Mit der Vielfalt der gespeicherten Eindrücke greift das kindliche Verstehen über das Mütterliche hinaus. Jetzt will es die Welt erobern, benötigt aber die »gespeicherte« innige Bindung immer als Basis. Behutsam, aber entschlossen wendet sich das Kleine der Welt der Menschen und Dinge zu. Ein unvergleichliches Abenteuer beginnt.

Inzwischen ist das Kind ein oder anderthalb Jahre alt geworden. Mit den Fingerspitzen berührt es ein Bauklötzchen, schiebt es dann heftig weg von sich, betrachtet gespannt die eigenartige Bewegung des Gegenstandes, während der von ihm wegkullert, und schließlich brüllt es los, weil es ihn »aber sofort!« zurückhaben will und weil das eigensinnige Ding sich dem kindlichen Wunsch nicht fügt. Es hat seinen »eigenen Sinn«, folgt einer eigenen Ordnung. Wie mühsam das alles zu lernen ist! Das Kleinkind muss nun, vielleicht auf Knien, zu ihm hinkrabbeln und -rutschen, es nimmt dabei die Besonderheiten des Räumlichen und des eigenen Körpers in diesem Raum ganz nebenbei auf, um jenes begehrte »Objekt« Bauklötzchen wieder in Besitz zu nehmen.

Mit staunenden Augen und behutsam tastenden Bewegungen versucht es herauszufinden, wo in dieser glatten Fläche und der harten Kante der denkwürdige Eigencharakter des Dings, sein Kullern und sein Liegenbleiben, verborgen sind. Aber das Klötzchen gibt sein Geheimnis nicht preis, seine Funktionen sind ihm nicht anzusehen. Nun muss das Kind über das rein Sinnliche hinausgreifen, hin zu ersten Schritten der Abstraktion, um solche Befremdlichkeiten zu erfassen.

Sein wacher unermüdlicher Verstand empfängt eine erste Information darüber, dass die Dinge zwar einerseits so sind, wie sie sich anfühlen, aber andererseits zusätzliche Besonderheiten haben, eigenartige Bewegungen, unkalkulierbare Abläufe – ein Bauklötzchen hat andere als ein Ball. Und als sei das nicht alles schon kompliziert genug, treten diese Objekte obendrein auch noch untereinander in Kontakt. Ein Ball kann beispielsweise einen Turm aus Bauklötzen glatt umschmeißen, und die Klötzchen kullern dann in alle Richtungen wild drauflos. Materie, Funktion und Kausalität – was für eine verrückte spannende Welt das ist. Das Kind lernt und lernt.

Papa ist jetzt immer wichtiger geworden, er scheint ja alle diese Zusammenhänge zu verstehen und »im Griff« zu haben. Papa sichert mehr als alle anderen Menschen diese symbolische und sinnliche Welt, während Mama durch ihre pure Präsenz die Gewissheit der Bindungen stiftet, die allem Verstehen vorausgehen. Bindung und das Lernen der eigenen Gefühle vermengen sich, so erwacht der kindliche Verstand bei gleichzeitiger Vertiefung seiner...

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