Sie sind hier
E-Book

Haltung

Flagge zeigen in Leben und Politik

AutorReinhold Mitterlehner
VerlagecoWing
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783711052636
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Die Politik ist Reinhold Mitterlehner in die Wiege gelegt worden. Aber wohl nicht in dieser Dimension. Der Weg führte von der Gemeindeebene über den Nationalrat bis an die Spitze seiner Partei. Er war Minister von Schlüsselressorts und schließlich Vizekanzler der Republik. Wie er diesen Weg ging, sachorientiert, gerade und ohne machtpolitische Verbiegungen - kurz, wie man eine Haltung kultiviert und lebt - erzählt er in diesem Buch.

Reinhold Mitterlehner, geboren 1955 in Helfenberg, ist Unternehmens-, Strategie- und Internationalisierungsberater. Seine politische Laufbahn führte den Juristen vom Gemeinderat in den Nationalrat, weiters an die Spitze der ÖVP, in Ministerämter (Wirtschaft, Familie, Jugend, Wissenschaft und Forschung) bis in die Funktion des Vizekanzlers der Bundesregierung. Er hatte als Wirtschaftsminister die größte Krise der letzten Jahre zu bekämpfen, war der letzte Vizekanzler einer gewollten Koalition von ÖVP und SPÖ und ist 2017 nach internen Auseinandersetzungen zurückgetreten. Mitterlehner ist gelernter Sozialpartner, daher konsensorientiert, ohne seine Haltung und seine Werte aufzugeben.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

WURZELN


Meine Vorfahren – meine Heimat Helfenberg – vom Aufwachsen in einer Großfamilie


Nicht da ist man daheim, wo man seinen
Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.

CHRISTIAN MORGENSTERN

Ich wurde am 10. Dezember 1955 in Helfenberg 47 im Mühlviertel in Oberösterreich geboren, und zwar zu Hause und nicht in der Entbindungsstation eines Krankenhauses. Schlicht deshalb, weil es damals nur in Linz ein Krankenhaus gab. Ich stamme aus einer einfachen, aber strebsamen Familie und habe fünf Geschwister, die alle ihren Weg gegangen sind. In Zeitungsberichten über mich und meine Familie ist deswegen auch oft vom »Mitterlehner-Klan« die Rede, fast so, als wären wir etwas Besonderes. Aber das sind wir nicht. Mein Leben ist ziemlich typisch für die Zeit, in die ich hineingeboren worden bin, und für die Region, die ich meine Heimat nenne. Es ist die Zeit der ersten Nachkriegsjahrzehnte, in der sich vieles bewegt und neu geordnet hat und in der der gesellschaftliche Aufstieg durch Leistung, Fleiß und Bildung noch möglich war. Ich bin gewissermaßen in eine Aufstiegsgesellschaft hineingeboren worden. Wir hatten materiell nicht viel, aber es herrschte so etwas wie Optimismus. Die Zeit war geprägt durch die Aufbruchsstimmung. All das war in der Region, die durch die tote Grenze nach Norden hin benachteiligt war, vielleicht noch stärker spürbar als im sonstigen Oberösterreich. Heute sind wir unter den reichsten Ländern der Welt, viele haben jedoch das Gefühl, in einer Abstiegsgesellschaft zu leben.

Einige Menschen, die ihre Karriere an die Spitze eines Unternehmens oder in die hohe Politik geführt hat, stellen ihren Weg gerne als Erfolgsgeschichte dar. Es ist im Nachhinein immer einfacher, einen roten Faden durch die eigene Lebensgeschichte zu finden und ihn so zu legen, dass diese dann schlüssig und spannend klingt. Wer sich jedoch eingehend mit sich und seinem Leben auseinandersetzt, merkt bald, dass Wege auch von vielen Zufällen geprägt sind, von Glück und Unglück und von dem, was einem in die Wiege gelegt worden ist oder sich auf dem Weg ergeben hat. Und natürlich vom Elternhaus. Von der Familie. Von dem Ort, an dem man aufwächst, der Natur, die einen umgibt, der Landschaft, die einen prägt und den Lehrern, die man hat und die einen fördern – oder nicht. Sie alle formen einen von Anfang an mit, und zwar bis zu diesem einen Moment, in dem man das Gefühl hat, nicht mehr Kind, sondern Jugendlicher zu sein, eine Person mit einem eigenen Radius, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann.

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann fällt mir als Erstes ein Moment ein, der im Eigentlichen das Ende derselben bestimmte, der mich vom Kind zum Jugendlichen gemacht hat: Als ich dreizehn Jahre alt war, konnte es sich meine Familie endlich leisten, ein eigenes Haus in Helfenberg zu bauen. Zum ersten Mal würde ich ein eigenes Zimmer haben. Leisten klingt, ganz nebenbei gesagt, gut und irgendwie selbstverständlich. Tatsächlich war der Entschluss zum eigenen Haus so etwas wie eine Lebensentscheidung. Man baute damals auf Kredit und brauchte den Rest des Lebens zur restlosen Ausfinanzierung. Uns ging es in dem Punkt ein wenig besser. Meine Mutter hatte das Grundstück für das Haus von ihrer Familie geschenkt bekommen. Es lag unweit ihres Elternhauses, nur ein paar Schritte davon entfernt.

Wie das in den 1970er-Jahren so üblich war, wurde viel selber geplant und gebaut. Als ältester Sohn war ich in die Vorbereitungen inklusive einfacher Zuarbeiten mit eingebunden. Als das Haus schließlich eingerüstet und verputzt vor uns stand und nur noch die Farbe aufgetragen werden musste, sagte mein Vater zu mir: »Probiere einmal, ob du das kannst.« Ein Nachbar von uns war Maler und hatte uns eine Tonne mit Farbe angerührt. Ich strich dann eigenhändig das ganze Haus weiß an. Heute bewohnt es einer meiner Brüder, und bis heute gibt es Teile jener Fassade, die ich damals gemacht habe. Ich war dann auch der Erste, der im neuen Haus übernachten durfte. Erst eine Woche später zog die Familie ein. Das war für mich ein ganz besonderes Erlebnis. Ich durfte das Haus vor allen anderen in Besitz nehmen.

Für mich bedeutete der Umzug nicht nur das Ende der Kindheit und den Beginn des Erwachsenwerdens, sondern auch die Entdeckung meiner Person. Mein eigenes Zimmer mit meinen eigenen Sachen gab mir so etwas wie Individualität, mehr Unabhängigkeit und ein wachsendes Selbstbewusstsein. Ich konnte mich zurückziehen, nachdenken, alleine sein und mich auf mich selber konzentrieren. Ich bekam einen eigenen Bücherkasten mit einer Glastür, in den ich meine Bücher stellte. Ich entwickelte damals intellektuelle Interessen, Haltungen und Meinungen – natürlich oft in Opposition zu meinen Eltern. Das war beinahe normal, musste ich mir doch als Ältestes der Kinder einige Errungenschaften wie längeres Ausgehen erst erkämpfen.

Die Liebe zu meinem Ursprung ist mir ein Leben lang geblieben. Wer nach seinen Wurzeln sucht, kehrt an den Ort zurück, an dem er seine Kindheit verbracht hat. Für manche Menschen gibt es viele Orte, an denen sie Wurzeln geschlagen haben, etwa weil sie umziehen mussten oder weil sie Eltern haben, die aus verschiedenen Ländern oder Regionen kommen. Sie entwickeln sogenannte »Bindestrich-Identitäten«. Sie sind Österreicher und Türke, oder Wienerin und Steirerin. In meinem Fall fallen Familie, Heimatort, Aufwachsen und Kindheit zusammen, und ich kann sie ganz klar verorten – in Helfenberg.

Helfenberg in Oberösterreich ist kein besonders berühmter Ort, aber er ist für mich das, was man Heimat nennt. Der Name lässt vermuten, dass es sich dabei um einen Berg handelt oder die Ortschaft zumindest auf einem Berg gelegen ist. In Wahrheit liegt der Ort jedoch im Flusstal der Steinernen Mühl und ist bei gutem Wetter durchaus einladend und schön, bei schlechtem Wetter, wenn die Sonne nicht scheint, wirkt er eher grau und beengend.

Ich bin im Laufe meines Lebens immer wieder nach Helfenberg zurückgekehrt, sooft ich konnte eigentlich, nachdem ich zum Studieren und später zum Arbeiten zuerst nach Linz und dann nach Wien gezogen war. Auch meine eigene Familie habe ich in Helfenberg gegründet. Bei aller Liebe zu dem Ort begriff ich jedoch schon während meiner Jugendzeit, dass meine unmittelbare berufliche Zukunft woanders liegen würde. Schon Linz bot mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Viele meiner Klassenkameraden aus der Volksschule begannen etwa als Lehrlinge oder Schichtarbeiter bei der Voestalpine.

Wenn man es ganz genau nimmt, bin ich zwar direkt im Ort Helfenberg geboren, mein Elternhaus liegt fünfzig Meter neben dem Gemeindeamt, jedoch die Wohngemeinde war wegen des Grenzverlaufes damals ganz korrekt die Gemeinde Ahorn. Das hat mich immer irgendwie gestört. Ich war in der Schule in Helfenberg, im Sportverein in Helfenberg, war Ministrant in Helfenberg, hatte meine Freunde in Helfenberg, die Gemeinde hieß jedoch Ahorn. »Wo wohnst du nun wirklich?«, wurde ich oft gefragt. Wenn ich der Einfachheit halber Helfenberg sagte, oder es so in Zeitungen stand, wurde ich vom lokalen Bürgermeister Josef Hintenberger immer gerügt. Umso schöner ist für mich, dass die beiden Gemeinden zu Beginn des Jahres 2019 zusammengelegt worden sind. Somit bin ich auch amtlich ein Helfenberger.

»Helfenberg, das ist nun mit Ahorn eine 1600-Einwohner-Gemeinde im oberösterreichischen Mühlviertel, hart an der Grenze zu Tschechien. Es gibt zwei Lokale, drei Bäckereien, einen Spar-Markt, ein paar kleinere Unternehmen und eine aufgelassene Textilfabrik als monumentale Zeugin einer reichen Vergangenheit mitten im Ort. Wer hier lebt, betreibt entweder eine Landwirtschaft oder pendelt nach Linz aus oder kombiniert eines mit dem anderen. Sonntags ist die Kirche mit rund 300 Stammgästen noch gut gefüllt – Tendenz sinkend –, der ÖVP-Bürgermeister stützt sich auf eine klare Mehrheit im Gemeinderat, Pfarrer und Ortschef rücken zur Ehrung verdienter Mitbürger noch Seite an Seite aus. Kurzum, Helfenberg ist christdemokratisches Kernland, verschlafen, aber alles andere als gottverlassen«, so hat das Nachrichtenmagazin News einmal meinen Heimatort beschrieben.

Das Mühlviertel ist aus Wiener Sicht tatsächlich eine entlegene Region, vom Klima her rau und ursprünglich wie die karge Landschaft, die von Granit und Gneis geprägt ist und zur Böhmischen Masse gehört. Bis 1989 lag es am Rande des sogenannten Eisernen Vorhanges, der das damals kommunistische Europa vom »Westen« trennte. Bis ins frühe 20. Jahrhundert waren Webereien der einzige Industriezweig, ansonsten gab es Land- und Forstwirtschaft. Dabei hatte das Mühlviertel durch Textilwirtschaft und den Handel, insbesondere mit dem Salztransport nach Böhmen, eine blühende Entwicklung im Mittelalter erlebt. Wunderschöne mittelalterliche Plätze sowie Markt- und Stadtgebäude in Freistadt, Rohrbach, Neufelden oder Lembach sind Zeugen einer prosperierenden, aber vergangenen Entwicklung. In Helfenberg selbst stand einst eine der größten Textilfabriken...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung

Zielgruppe:  Niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten. Charakteristik:  Die Ärzte Zeitung liefert 3 x pro Woche bundesweit an niedergelassene Mediziner ...

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

cards Karten cartes

cards Karten cartes

Die führende Zeitschrift für Zahlungsverkehr und Payments – international und branchenübergreifend, erscheint seit 1990 monatlich (viermal als Fachmagazin, achtmal als ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

die horen

die horen

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik."...weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste ...

DSD Der Sicherheitsdienst

DSD Der Sicherheitsdienst

Der "DSD – Der Sicherheitsdienst" ist das Magazin der Sicherheitswirtschaft. Es erscheint viermal jährlich und mit einer Auflage von 11.000 Exemplaren. Der DSD informiert über aktuelle Themen ...

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler ist die Fachzeitschrift für die CE- und Hausgeräte-Branche. Wichtige Themen sind: Aktuelle Entwicklungen in beiden Branchen, Waren- und Verkaufskunde, Reportagen über ...