1. Wichtige Voraussetzungen
(Foto: Leonie Bühlmann)
Nicht ohne Konzept
Egal wie das Ziel Ihrer Pferdeausbildung aussieht, ob verlässliches Freizeitpferd, Fahr-, Dressur-, Spring- oder Westernpferd – Sie brauchen ein Konzept, um dabei Erfolg zu haben. Der korrekte Aufbau der Arbeit ist genauso wichtig wie eine korrekte Hilfengebung. Grundkenntnisse der Verhaltenslehre, Psychologie und der Bewegungslehre sind ebenso notwendig wie Ausdauer, Geduld und Einfühlungsvermögen. Ganz wichtig: Das Lern- und Arbeitstempo muss stets auf das jeweilige Pferd zugeschnitten sein, wobei Sie auch sein Alter und seine körperliche und geistige Entwicklung berücksichtigen sollten. Beherzigen Sie den Grundsatz „Das Pferd bestimmt die Dauer der Ausbildung“ und versuchen Sie nichts vorschnell zu erzwingen. Denn auch wenn Sie jeden Tag nur wenige Millimeter vorankommen, erreichen Sie damit auf Dauer eine größere Strecke, als wenn Sie mal einen großen Schritt vor, aber oft auch mehrere zurück machen.
Oder, wie Fredy Knie zu sagen pflegte: „Jeden Tag einen Millimeter gibt in einer Woche einen Meter“.
Auch bei Gangpferden kann die Doppellonge eine sinnvolle Ergänzung der Ausbildung sein. (Foto: Jürgen Stroscher)
Sinnvoller Arbeitsaufbau
Der korrekte Aufbau der Arbeit mit dem Pferd ist entscheidend für den Erfolg der Ausbildung. Das gilt im Großen, also in Bezug auf das Gesamtkonzept, ebenso wie im Kleinen, beim Aufbau jeder einzelnen Arbeitseinheit. Stets wird zuerst das Einfache erarbeitet, dann erst kommt das Schwere. Beispiel: Nur Lektionen, die im Schritt hundertprozentig sitzen, können im Trab und schließlich im Galopp verlangt werden. Oder: Ein Pferd, mit dem man an der Doppellonge beginnen will, sollte an der einfachen Longe sicher in allen Gangarten gehen und den Hilfengebungen des Longenführers willig und vertrauensvoll folgen. Generell gilt: Zuerst lösen, dann – wenn das Pferd gelöst, aber noch frisch ist – Neues erarbeiten. Zum Ende einer Einheit wird der Bestand gefestigt; der Abschluss ist immer entspanntes Schrittgehen.
Die Arbeit abwechslungsreich gestalten
Damit das Pferd die Freude an der Mitarbeit und die Motivation, sich mit neuen Aufgaben zu beschäftigen, behält, müssen wir Abwechslung in den Arbeitsalltag bringen. Hier kann die Arbeit mit der einfachen und der Doppellonge das Repertoire erweitern – ganz gleich, in welcher Disziplin das Pferd ansonsten gearbeitet wird. Behalten Sie jedoch stets Ihr Ziel im Auge und vermeiden Sie es, das Pferd mit mehreren verschiedenen Reitstilen oder unterschiedlichen Aufgabenstellungen auf einmal zu überfallen. Das hat dann nichts mit Abwechslung zu tun, sondern endet in schlichter Überforderung.
Merksatz: Die Kunst des Ausbildens liegt darin, niemals das Ausbildungsziel aus den Augen zu verlieren, die Verpackung der Arbeit aber abwechslungsreich zu gestalten.
Auch Konzentration und Motivation müssen trainiert werden
Als Fluchttier ist das Pferd von Natur aus auf schnelle, kurze und hoch konzentrierte Reaktionen ausgerichtet. Längere Zeit aufmerksam bei der Sache zu sein und sich auf Dauer zu konzentrieren müssen Pferde erst lernen. Und auch nach ausführlichem Training bleibt diese Fähigkeit begrenzt: So ist selbst ein erfahrenes Dressurpferd kaum länger als eine halbe Stunde zu höchster Konzentration fähig. Beim jungen Pferd kann man kaum mehr als 15 Minuten erwarten, am Anfang eher noch weniger. Jeder kennt das von sich selbst: Wenn man sich nicht mehr konzentrieren kann, wird das Ergebnis einer Arbeit schlechter, und man sollte eine Pause einlegen. Nicht anders ist es beim Pferd. So sind zwei kürzere Arbeitssequenzen pro Tag immer effektiver als eine lange. Beobachten Sie Ihr Pferd genau und stimmen Sie das tägliche Pensum auf seine individuelle Konzentrationsfähigkeit ab. Die Fähigkeit zur Konzentration kann bei gleichaltrigen Pferden durchaus zwischen zehn und 30 Minuten schwanken.
Gemeinsame gleichmäßige Bewegung gut verteilt im Raum fördert die Konzentration und entspannt. (Foto: Leonie Bühlmann)
Dieses erst dreijährige Pferd muss vor dem Anreiten eine längere Muskelaufbauarbeit an der Longe erfahren. (Foto: Leonie Bühlmann)
Vom richtigen Zeitpunkt
Wann Sie mit der Ausbildung eines Pferdes beginnen, ist abhängig von seiner körperlichen und geistigen Entwicklung. Dabei spielt die Rasse eine Rolle (so sind viele Ponyrassen und Isländer eher spätreif, Pferde mit viel Vollblutanteil eher frühreif), aber auch die Frage, ob Sie der Bodenarbeit viel Zeit widmen oder das Pferd relativ bald unter den Sattel nehmen wollen. Im Allgemeinen wird etwa im Alter von drei Jahren mit der regelmäßigen Arbeit an der Longe – und später an der Doppellonge – begonnen. Das Pferd sollte dabei so gearbeitet werden, dass es seinen Halsansatz nach vorne und nach unten dehnt. So kann man es optimal auf das Reitergewicht vorbereiten, um es langfristig zu einem guten Reitpferd ausbilden zu können, das Spaß an der Arbeit hat und viele Jahre lang fit bleiben soll.
Optimal ist es, wenn man dieser Grundausbildung ausreichend Zeit einräumt und das Pferd erst mit vier bis viereinhalb Jahren eingeritten wird. Bis dahin hat das junge Pferd eine stabile Bauch- und Rückenmuskulatur aufgebaut, Sehnen, Bänder und Knochen haben an Festigkeit gewonnen. Zwischen Pferd und Ausbilder ist durch die lange Zusammenarbeit ein stabiles Vertrauensverhältnis gewachsen, so dass das Anreiten meist völlig unproblematisch verläuft. Ich selbst reite ein junges Pferd erst an, wenn es an der Doppellonge bis zum Schulterherein im Trab gefördert ist. Dann ist es ausreichend gymnastiziert, hat eine genügend kräftige Rückenmuskulatur entwickelt, gelernt sich zu biegen und durch die Leinen an seinem Körper bereits ein Verständnis für Zügel- und Schenkelhilfen entwickelt.
Gymnastizierung oder Bodybuilding fürs Pferd
Ein Pferd ist von Natur aus nicht dazu geschaffen, zusätzlich zu seinem eigenen Gewicht auch noch das des Reiters zu tragen. Schließlich ist seine Wirbelsäule keine feste Stange, sondern besteht aus beweglichen Elementen, den Wirbeln, die auf die Stützwirkung der Muskulatur angewiesen sind, um auch größere Lasten auf Dauer ohne Schaden tragen zu können. Diese Muskulatur muss genügend trainiert sein, bevor wir den Pferderücken mit dem zusätzlichen Reitergewicht belasten.
Korrekter Muskelaufbau vor dem Anreiten
Verspannungen in der Muskulatur, fehlende Balance und auch Blockaden im Skelettbereich entstehen meist durch ungenügendes Krafttraining vor und während des Anreitens.
Dass immer mehr Pferde an Rückenproblemen leiden, ist sicher auch eine Folge davon, dass immer weniger Gewicht auf einen soliden Muskelaufbau durch ausreichend langes und vor allem korrektes Longieren vor dem Anreiten gelegt wird.
So wie Skigymnastik, die rechtzeitig vor dem Skiurlaub begonnen wird, uns davor bewahrt, Muskelkater zu bekommen und nur noch in Schonhaltung Treppen laufen zu können, so bewahrt korrektes und ausreichend langes Longieren das Pferd davor, die Rückenmuskulatur zu überfordern, sich infolgedessen gegen das Reiten zu wehren, weil es Schmerzen empfindet, zum Beispiel durch Buckeln, und später in Schonhaltung – also mit hochgenommenen Kopf, verspannter Rückenmuskulatur und Unterhals – zu arbeiten. Das oft beobachtete Weglaufen unter dem Sattel ist übrigens meist eine Folge dieser falschen Rückenbelastung.
Das Longieren ist die wohl effektivste Art, ein lösendes und kraftaufbauendes Trainingsprogramm mit dem Pferd zu erarbeiten. Um aber beurteilen zu können, wie diese Arbeit zu gestalten ist, welche Art von Longenarbeit also für welches Pferd und welches Ziel sinnvoll ist, muss man die biomechanischen Abläufe im Pferd genauer betrachten und auch verstehen. Ohne zu wissen, wie welche Muskeln zusammenarbeiten und welche Rolle dabei auch die Psyche des Pferdes spielt, ist keine sinnvolle Arbeit möglich.
Anatomie und Biomechanik
Die Wirbelsäule des Pferdes besteht aus sieben Hals-, 18 Brust-, sechs Lenden- und fünf miteinander verschmolzenen Kreuzbein- sowie 18 bis 20 Schweifwirbeln. Ihre Beweglichkeit ist am größten in der Lendengegend, im Brustbereich am geringsten. Auch die Halswirbelsäule ist sehr flexibel. Verantwortlich dafür ist das Nackenband, das sich vom Genick über den Hals zieht und ihn über die Dornfortsätze der Wirbel mit dem gesamten Rücken bis hin zu den Lenden verbindet. Es trägt einen großen Teil des Kopfgewichtes und unterstützt dadurch das Heben und Senken des Kopfes. Vom Nacken bis zum Widerrist ist dieses Band ein dicker Strang, der dann hinter dem Widerrist in das schmale Rückenband übergeht.
Dieses Rückenband ist in erster Linie für die Stärkung und Beweglichkeit der Lendenpartie verantwortlich. Nackenband und Rückenband sind mit den wichtigsten Hals- und Rückenmuskeln verbunden. Im Halsbereich spielt hier vor allem die Streckmuskulatur eine Rolle: Ein milzförmiger Muskel fungiert als Halsheber und Nackenstrecker. Im Rückenbereich hat der lange Rückenstrecker die wichtigsten Aufgaben. Er steht mit der Hals- und der Kruppenmuskulatur in...