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E-Book

Handbuch der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz

VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl920 Seiten
ISBN9783038239598
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis67,50 EUR
Die öffentliche Verwaltung in der Schweiz ist eine der effizientesten der Welt und geniesst einen hervorragenden Ruf. Rund 40 führende Wissenschaftler aus der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz geben Einblick in den neusten Wissensstand der modernen Verwaltung. In einem ersten Teil werden die Grundlagen und charakteristischen Eigenheiten von Staat und Verwaltung thematisiert und es wird auf die Managementaufgaben in der Verwaltung eingegangen. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Ressourcen der Verwaltung. Dazu gehören die Beschäftigten, das Recht und die Finanzen. Der dritte Teil befasst sich mit der Organisation der Verwaltung in ausgewählten Bereichen. Diese reichen von der Landwirtschaftspolitik über die Sozialpolitik bis zur Bildungspolitik. Das Handbuch richtet sich an interessierte Kreise aus Politik und Verwaltung und an die zunehmende Zahl von Studierenden im Bereich Public Management.

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Leseprobe

1   Der Schweizer Staat, politisches System und Aufgabenerbringung

Andreas Ladner

Einleitende Bemerkungen

Die Schweiz gilt als erfolgreiches Land mit einer gut ausgebauten Infrastruktur und hochstehenden staatlichen Leistungen. Zusammen mit den skandinavischen Staaten gehört sie bezüglich der Zufriedenheit der Einwohner mit dem Leben, mit der nationalen Regierung und mit dem Funktionieren der Demokratie zu den Spitzenreitern in Europa.[1] Verantwortlich dafür sind unter anderem auch die Politik und vor allem eine leistungsfähige Verwaltung. Dieses Kapitel widmet sich den Grundlagen des Staatswesens und der Organisation der öffentlichen Aufgabenerbringung in der Schweiz.

Was genau unter «Öffentlicher Verwaltung», dem Hauptträger staatlicher Aufgaben, verstanden wird, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Deshalb wird – in Analogie zu Germann (1998: 3ff.) – darauf verzichtet, eine allgemein und interdisziplinär verwendbare Definition vorzulegen. Einigkeit besteht darüber, dass es sich bei der Verwaltung vorwiegend um die vollziehende Gewalt des Staates handelt. Allerdings beschränkt sich ihre Tätigkeit nicht lediglich auf den Vollzug, sondern beinhaltet ebenso Gestaltungs- und Normierungsaufgaben, sodass auch die der Gewaltenteilungslehre Montesquieus folgenden Versuche, die Verwaltung als nicht politischen Teil der Exekutive zu bezeichnen, den Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Verwaltung nicht gerecht werden. Zudem wird es angesichts der zunehmenden Bedeutung von Agencies, Public Private Partnership und parastaatlichen Organisationen immer schwieriger, den Staat gegenüber dem privaten Bereich trennscharf abzugrenzen.

Sicher ist, dass die öffentliche Verwaltung eng mit staatlichem respektive staatlich veranlasstem Handeln verknüpft ist. Das Wissen über Organisation und Funktionieren des Staates wird somit zum Schlüssel für die Analyse und das bessere Verständnis der Verwaltungen eines Landes. Staat und Politik setzen die Rahmenbedingungen und definieren Umfang und Organisation der Verwaltung. Ihnen gilt es sich in einem ersten Schritt zuzuwenden.

Klärend ist dabei der Blick in die Vergangenheit. Ohne einem historischen Determinismus verfallen zu wollen, liefert die Entstehungsgeschichte eines Staates nicht nur Einsichten in Organisation und Aufbau, sondern zeigt auch auf, nach welchen Ideen und Prinzipien er organisiert ist. Daraus lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen von Anpassungsleistungen und Reformen erschliessen. Von Interesse ist dabei die Gestaltbarkeit staatlicher Institutionen. Wie weit ist die Organisation eines Staates bestimmt durch die Vergangenheit («path dependency»), wie weit sind es strukturelle und kulturelle Faktoren (Kleinheit, konfessionelle und sprachliche Unterschiede), die dafür verantwortlich zu machen sind, und wie weit ist sie das Produkt von bewussten (politischen) Weichenstellungen und Entscheidungen (vgl. dazu auch Ladner 2011a)?

In diesem Sinn wenden wir uns zuerst der Herausbildung des Schweizer Staatsgefüges und seinen wichtigsten politischen Institutionen zu. Danach wird der Staat in seinem Umfang und seiner politisch-administrativen Ausgestaltung beschrieben. Ein weiterer Abschnitt ist der Entwicklung der staatlichen Aufgaben und Tätigkeiten gewidmet. Abgeschlossen wird dieser Beitrag mit einer zusammenfassenden Würdigung des Schweizer Staatswesens und seiner Aufgabenerbringung.

Staat und politisches System

Die Ausgestaltung und das Funktionieren der Verwaltung eines Landes werden bestimmt durch den Aufbau und die Organisation des Staates und seiner politischen Institutionen. Von zentraler Bedeutung für das Schweizer Staatswesen ist die Bottom-up-Entstehung. Anders als in Ländern mit einer monarchischen Vergangenheit gab es in der Schweiz nie eine zentrale Staatsgewalt, sondern es galt aus mehr oder weniger gleichberechtigten Bündnispartnern einen Nationalstaat zu bilden. Nachdem die Zentralisierungsversuche in der Helvetischen Republik (1798  1802) gescheitert waren, entstand mit der Annahme der Bundesverfassung 1848 der Nationalstaat. Aus dem Staatenbund wurde ein Bundesstaat. An diesen hatten die einzelnen Kantone einen Teil ihrer Kompetenzen abzutreten.

Verfolgte Ziele bei der Schaffung des Bundesstaates waren, gegenüber den anderen Staaten auf Dauer einheitlich und handlungsfähig aufzutreten und die Interessen der Schweiz gegen aussen zu wahren und für die äussere Sicherheit und die Behauptung von Unabhängigkeit und Neutralität einzustehen. Dazu gesellen sich die innere Sicherheit mit der Gewährleistung von Ruhe und Ordnung sowie die offen abgefasste «Beförderung gemeinsamer Wohlfahrt» und die allgemeine Kompetenz des Bundes, «öffentliche Werke» zu errichten (vgl. Maissen 2009: 202). Zuerst wurden – hier sind Parallelen zur Entwicklung der Europäischen Union nicht zu übersehen – die Voraussetzungen für einen einheitlichen Wirtschaftsraum Schweiz geschaffen: Zölle zwischen den Kantonen wurden aufgehoben[2] und eine nationale Einheitswährung wurde eingeführt. Zum Aufbau eines nationalen Leistungs- und Fürsorgestaates wie auch zur Schaffung eines Nationalbewusstseins kam es erst in der Folge.

Die Gründung des modernen Bundesstaates erfolgte mit der Verfassungsabstimmung kurz nach Ende des Sonderbundskrieges.[3] Die Zurückhaltung einzelner Kantone gegenüber einer Zentralisierung von Kompetenzen war gross und wichtige Aufgaben blieben nach wie vor den Kantonen vorbehalten, so etwa der grösste Teil der Rechtsprechung und des Steuerrechts, das Polizeiwesen, Verkehr und die Schul- und Kirchenhoheit (Maissen 2009: 200ff.). Zudem galt es, den Kantonen auf nationaler Ebene politisch gebührenden Einfluss zu gewähren. Institutionell wurde dies über die dem Nationalrat gleichgestellte zweite Kammer, den Ständerat, gewährleistet, in die jeder Kanton zwei Vertreter entsenden konnte. Hier waren die Kantone mit kleinen Bevölkerungszahlen, zu denen die Verlierer des Sonderbundskrieges zählten, übervertreten.

Obwohl man mit dem Verfassungsentwurf den Verlierern des Sonderbundes, die für mehr kantonale Unabhängigkeit eintraten, entgegengekommen war, vermochte man diese nicht zu überzeugen. Die Verfassung wurde von den katholischen Kantonen (Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Zug, Wallis, Tessin und Appenzell Innerrhoden) ganz klar abgelehnt. Um die im Vorfeld ins Auge gefasste klare Mehrheit zustimmender Kantone zu erreichen, stützte man sich im katholischen Kanton Freiburg auf den Entschluss der damals liberalen Regierung ab und im ebenfalls katholischen Kanton Luzern wurden die Nichtstimmenden als Befürworter gewertet. So konnte die Tagsatzung am 12. 9. 1848 die Verfassung für gültig erklären.

Verhältnismässig früh wurde die Schweiz damit zu einem demokratisch organisierten Nationalstaat. Der Preis für die Einigung war jedoch ein ausgeprägter Föderalismus und eine schwache Zentrale. Die Residualkompetenz lag und liegt auch heute noch in den Händen der Kantone. Dies bedeutet, dass jede Kompetenzerweiterung des Bundes und die Übernahme neuer Aufgaben der Zustimmung der Stimmbürger und der Kantone bedürfen. Die katholisch-konservativen Gegner des Bundesstaates genossen so einen gewissen Schutz, und es galt, auch bei der zukünftigen Entwicklung des Staates auf sie Rücksicht zu nehmen.

Neben dem Föderalismus bildet die direkte Demokratie einen zweiten wichtigen Pfeiler des politischen Systems. Diese geht zurück auf die 1830er-Jahre, als in St.Gallen und Basel-Landschaft mit dem Vetorecht der Stimmbürger erste direktdemokratische Elemente eingeführt wurden (Kriesi und Trechsel 2008: 4). Auf Bundesebene enthielt schon die Verfassung von 1848 ein obligatorisches Referendum bei Verfassungsänderungen, das die Zustimmung von Volk und Ständen voraussetzte, und eine beschränkte und relativ komplizierte Version der Initiative, mit der eine Totalrevision der Verfassung gefordert werden konnte. Mit der revidierten Bundesverfassung von 1874 wurden das fakultative Gesetzesreferendum und 1891 die Initiative für eine Teilrevision der Verfassung eingeführt. Wichtige Änderungen in jüngerer Zeit sind die Ausdehnung der direkten Demokratie in aussenpolitischen Belangen, was angesichts der zunehmenden Bedeutung supranationaler Zusammenschlüsse und internationaler Abmachungen auch nicht weiter erstaunt.

Das Referendum hatte ohne Zweifel eine bremsende Wirkung auf das Anwachsen staatlicher Aufgaben. Insbesondere zu Beginn des Bundesstaates scheiterte eine Reihe von Modernisierungs- und Zentralisierungsvorlagen am Widerstand der katholisch-konservativen Kantone (Kölz 2004: 633). Aber auch sonst verlief der Ausbau des Staates – nicht zuletzt auch des Sozialstaates – relativ langsam und auf bescheidenem Niveau (Linder 2005: 263f.).

Dazu kommt, dass das Referendum auch die Integration der wichtigsten politischen Kräfte in die Regierungsverantwortung fördert und somit einen wichtigen Beitrag zum dritten Grundpfeiler des politischen Systems, der Konkordanz, liefert. Das Referendum gibt Interessenverbänden, Parteien und anderen organisierten Gruppierungen die Möglichkeit, unerwünschte Verfassungs- und Gesetzesänderungen zum Scheitern zu bringen. Um dies zu verhindern, werden starke politische Parteien über ihren Einsitz in die Regierung an der Ausarbeitung einer Vorlage beteiligt und zumindest moralisch zur Unterstützung verpflichtet. Generell wird auch versucht, berechtigte Argumente der Gegner einer Vorlage aufzunehmen und sie so «referendumssicher» zu machen (Neidhart 1970). Zeugen davon sind die...

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