Wie bereits eingangs erwähnt, soll dieses Buch den Leser – vom Arzt über den Physiotherapeuten und Fitnesstrainer bis hin zum Anwender – objektiv über das Vibrationstraining informieren. Es gibt bereits eine Reihe von Studien, die sich mit den Wirkungsweisen der Vibrationen beschäftigt haben und die in einem solchen Buch nicht fehlen dürfen. Da diese Studien immer einen wissenschaftlichen Hintergrund aufweisen, kommt man an mancher Stelle nicht umhin, Fachbegriffe aus der Sportwissenschaft in den Text einzubauen. Viele dieser Begriffe können Sie zum besseren Verstehen im Begriffslexikon nachlesen. Und auch ohne das komplette Verständnis aller Fachausdrücke werden Sie die Ergebnisse mancher Untersuchungen interessieren und zum Teil überraschen.
Wer gar nicht mit der wissenschaftlichen Ausdrucksweise klarkommt, kann dieses Kapitel überspringen und gleich mit der praktischen Anwendung fortfahren.
Sobald der menschliche Körper mechanischen Schwingungen ausgesetzt ist, laufen komplexe Mechanismen in seinem Inneren ab. Neben dem Haupteffekt der muskulären Innervation mittels Spindelreflex werden auch auf anderen Ebenen Reaktionen ausgelöst. Sie werden in diesem Kapitel in folgende Rubriken unterteilt und besprochen: Maximalkraftsteigerung, Erhöhung der Beweglichkeit, Verbesserung der Gelenkstabilität, vermehrte Hormonausschüttung, Steigerung der Knochenmasse und Schmerzlinderung.
Zu den genannten Bereichen existieren zahlreiche wissenschaftliche Studien, die jedoch teilweise zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen – von leistungsmindernd über wirkungslos bis höchst effektiv – gelangen.
Der Vergleich einzelner Studien mit gleichem oder ähnlichem Ansatz fällt allerdings schwer, da das Untersuchungsdesign (Übungsgerät, Messmethode, Trainingsart, -dauer, -intensität usw.) oft stark variiert.
Ein weiteres Problem stellt die Gruppenstärke der verschiedenen Studien dar. Meist wird aus Kostengründen nur mit einer kleinen Probandenzahl (n < 20) gearbeitet. Teilweise setzt sich eine Messgruppe sogar aus weniger als 10 (!) Personen zusammen.
Obgleich mittels statistischer Varianzanalyse noch signifikante Ergebnisse und Zusammenhänge herausgerechnet werden können, sind größere Gruppenstärken hinsichtlich einer Generalisierbarkeit der erforschten Erkenntnisse wünschenswert. Darüber hinaus werden die dem Vibrationstraining zugeschriebenen Effekte wie Maximalkraftsteigerung und Beweglichkeitsverbesserung häufig nur mit untrainierten Personen getestet. Bei diesen ist es im Vergleich zu bereits trainierten Personen oder gar Spitzensportlern einfacher, dramatische Zuwächse von 40% und mehr in einzelnen Messbereichen zu erzielen. Deswegen muss klar unterschieden werden, mit welcher Art von Sportlern die beschriebenen Wirkungen und Ergebnisse erzielt wurden. Hinzu kommt, dass die beschriebenen Zeitintervalle häufig recht kurz sind und über einige Wochen nicht hinausgehen, so dass weder Langzeiteffekte noch dauerhafte Wirkungsweisen hinreichend erfasst werden können.
2.1 Steigerung der Maximalkraft und Schnellkraft
Besonders im Bereich der Kraftsportarten (z. B. Kugelstoßen, Skispringen, Gewichtheben usw.) stellt die Maximalkraft eine der wichtigsten Komponenten dar. Ihre Erhöhung korreliert direkt mit der Leistungsfähigkeit des Athleten. Ein häufiges Problem im Spitzensport ist jedoch der hohe Trainingsumfang.
Die Athleten erreichen bei Technik- oder Ausdauersportarten nicht selten ein Pensum von 30 Stunden pro Woche. Eine weitere Steigerung der Trainingseinheiten ist wenig effizient, da die nicht weniger wichtige Regenerationszeit durch Steigerungen des Umfangs weiter verkürzt wird. Entsprechend gewinnt die Suche nach alternativen Trainingsmethoden, die sowohl durch zeitliche Effizienz als auch durch vergleichbare bzw. überlegene Effekte überzeugen sollen, immer mehr an Bedeutung. Laut einiger Vibrationsstudien konnten bei geringem Zeitaufwand deutliche Maximalkraftsteigerungen im unteren zweistelligen Prozentbereich erzielt werden. Angebliche Zuwächse von 80% bei Leistungssportlern hielten einer Überprüfung durch deutsche Sportinstitute jedoch nicht stand.
Carmelo Bosco, ein weltweit anerkannter Wissenschaftler aus Italien, veröffentlichte bis zu seinem Tod im November 2003 über 150 Studien, darunter auch zahlreiche aus dem Bereich des Vibrationstrainings.
In der hier beschriebenen Arbeit untersuchte seine Arbeitsgruppe 12 Leistungsboxer der italienischen Nationalmannschaft hinsichtlich ihrer Armbeugerkraft. Zuerst durchliefen die Probanden einen Eingangstest. Hier sollten sie abwechselnd mit einem der beiden Arme ein Gewicht von 5% des eigenen Körpergewichts maximal schnell heben. Die letzten beiden Ergebnisse aus 5 Versuchen wurden statistisch gemittelt. Die beiden Arme der Sportler wurden nun unterteilt in einen Experimental- und einen Kontrollarm. Die jeweilige Seite, also rechts oder links, wurde durch Zufall bestimmt. Danach folgte das Vibrationstraining. Der Experimentalarm wurde einer Vibration von 30 Hz über einen Zeitraum von 5 mal 60 Sekunden mit je einer Minute Pause ausgesetzt (Galileo 2000). Fünf Minuten nach Ende des letzten Durchgangs wurde wieder die durchschnittliche Leistung bei maximaler Bewegungsgeschwindigkeit bestimmt.
Bosco et al. konnten hier signifikante Zuwächse beim Experimentalarm (Vibrationstraining) nachweisen. Der Kontrollarm zeigte keine statistisch relevante Veränderung (vgl. Abb. 2.1).
Abb. 2.1
Durchschnittliche Arbeitsleistung bei Unterarmbeugung
Delecluse et al. testeten 67 weibliche, untrainierte Personen in einem Durchschnittsalter von 21,4 " 1,8 Jahren. Diese wurden in drei Testgruppen und eine Kontrollgruppe eingeteilt:
• Vibrationstraining (Power-Plate®)
• Krafttraining mit Geräten
• Placebo
• Kontrollgruppe (führt kein Training durch)
Diese Studie kann als aussagefähig eingestuft werden, da sie placebokontrolliert ist. Der Begriff Placebo [lat. placebo = ich werde gefallen] wird häufig im medizinischen Bereich verwendet. Er beschreibt ein Scheinmedikament, das in seinem äußeren Erscheinungsbild (Form, Farbe und Geschmack) dem des Originals zum Verwechseln ähnlich ist. Jedoch haben dessen Inhaltsstoffe keine therapeutische Wirkung. Erzielte Effekte können somit nur der psychologischen Ebene zugeordnet werden.
Bei der angeführten Studie konnte so differenziert werden, ob die aufgetretenen Zuwächse im Bereich der Testparameter auf die Vibration oder lediglich auf die Übungsbewegungen selbst (z. B. Kniebeuge) zurückzuführen sind, die von den Teilnehmern auf der Plattform ausgeführt wurden.
Folgende Übungen hat die Vibrationsgruppe durchgeführt:
• Kniebeuge
• Tiefkniebeuge
• weite Kniebeuge
• einbeinige Kniebeuge
Die Muskelaktivität wurde durch ein EMG (Elektromyogramm) gemessen. Bei dieser Methode werden Nadelelektroden auf den Muskel appliziert, welche die sogenannten Spannungspotenziale messen können. Hier wurden der Oberschenkelstrecker (M. rectus femoris) und der Wadenmuskel (M. gastrocnemius) untersucht.
Die Kraftgruppe trainierte nach einer Aufwärmeinheit von 20 Minuten an der Beinpresse und dem Beinstrecker. Es wurden zwei Sätze pro Gerät mit je einer Minute Pause durchgeführt.
Der Gesamttrainingsplan ist in Tabelle 2.2 dargestellt. RM steht in diesem Zusammenhang für die maximal mögliche Wiederholungszahl (repetition maximum) bis zum muskulären Versagen, was bedeutet, dass trotz größter Anstrengung das gewählte Gewicht nicht mehr vollständig bis in die Endposition der Bewegung angehoben werden kann.
Zeitraum | Wiederholungszahl |
Tab. 2.2
Trainingsplan Kraftgruppe
Das Übungsprogramm der Placebo-Gruppe war mit dem der Vibrationsgruppe identisch. Die eingeleiteten Schwingungen waren jedoch so gering gewählt (0,4g), dass von ihnen kein Effekt zu erwarten war. Zum Vergleich: Beim Hinuntergehen einer Treppe entsteht eine Belastung von ca. 1,5g.
Bei dieser Studie wurden je ein Eingangs- und ein Ausgangstest durchgeführt. Gemessen wurde zuerst der Beinstrecker: isometrisch (gegen einen unüberwindlichen Widerstand), dynamisch (mit Bewegung) und ballistisch (mit Schwung). Die letztgenannte Testvariante wurde mit jeweils 20, 40 und 60 Prozent der isometrischen Maximalkraft durchgeführt.
Danach folgte der counter-movement-jump (cmj). Der Proband steht dabei mit leicht gebeugten Knien auf einer Kontaktmessplatte. Die Hände umfassen die Hüfte, um ein Ausholen mit den Armen zu vermeiden. Das ist notwendig, da ansonsten die Messung verfälscht werden kann, weil die Sprunghöhe nicht mehr rein der Beinkraft zuzuordnen ist. Zu Beginn der Messung beugt...