Der Schuhhändler um die Ecke, der kleine Elektronikfachmarkt im Ort, das Einmann-Haushaltswarengeschäft, das von seinen Stammkunden lebt, Einzelhändler wie diese könnten in naher Zukunft nicht mehr auffindbar sein. Allerdings sind nicht nur die kleinen stationären Händler gefährdet, auch größere Betriebe könnten vor dem Aus stehen. Die internationale Vernetzung und Digitalisierung durch das World Wide Web sowie die zunehmende Nutzung des Internets durch die Konsumenten führen zu einer bedeutenden Änderung des Einkaufverhaltens, was besondere Auswirkungen auf den Einzelhandel hat.[1] Die Entwicklungen in den letzten Jahren zeigen unverkennbar einen steigenden Marktanteil des Online-Handels. Traditionelle Einzelhandelskonzepte können sich nicht mehr behaupten und verschwinden langsam vom Markt. Etablierte Traditionsbetriebe verlieren ihre Kunden an die wachsenden Online-Händler und müssen um ihre Existenz kämpfen.[2]
Noch trifft es nicht jeden Einzelhändler. Im Food-Bereich ist nach wie vor der stationäre Handel gefragter, doch auch diese Branche wird Umsätze an die Online-Konkurrenten verlieren.[3] Big Player wie Amazon und Tesco sind dabei, mit innovativen Online- und Lieferangeboten den Lebensmitteleinzelhandel zu revolutionieren.[4] Aktuell spüren die Händler der Unterhaltungselektronik-, Musik- und Videobranche den Wettbewerbsdruck am stärksten. Prognosen sagen dem Non-Food Bereich in Deutschland bis zum Jahr 2022 einen Online-Marktanteil von 25-30% zu.[5] Diese Zahlen deuten auf einen fundamentalen Umbruch im Einzelhandel hin.
Die sich verändernden Marktgegebenheiten und das wandelnde Einkaufsverhalten der Kunden hin zum Online-Einkauf erfordern neue Konzepte in den Kernbereichen des stationären Handels, um bestehende Kunden zu binden und Neukunden zu gewinnen.[6] Diese betreffen das Point of Sale Management, die Sortimentspolitik, den Aufbau und die Integration der Vertriebswege[7], die Preisgestaltung[8] sowie die Gestaltung eines erlebnisorientierten Einkaufs.[9]
Studien über die Zukunft des Einzelhandels zeigen, dass bedeutende Veränderungen in der Distribution der Produkte bevorstehen. Viele Hersteller haben diese Chance bereits genutzt und eigene Online-Shops implementiert. Vielfach findet sich diese Entwicklung in der Modebranche. Neben dem Absatz der Produkte durch einen Händler werden diese auch direkt über einen Online-Kanal an den Kunden verkauft, hierbei wird auch von einer Vertikalisierung gesprochen. Neun von zehn der wichtigsten Modeproduzenten Europas verlassen sich bereits auf diese Distributionsstrategie.[10]
Händler, die ihre Produkte nur stationär verkaufen, werden es schwer haben. Es erfordert neue Vertriebsstrategien, wie die zusätzliche Einführung eines Online-Shops, also einen Mutli-Channel-Vertrieb.[11] Eine Umfrage des Instituts für Handelsforschung Köln zeigt, dass diese Entwicklung des Einzelhandels bereits im Gange ist. Im Jahr 2013 hatten rund 30 Prozent der deutschen Einzelhändler einen Online-Shop in Betrieb.[12] Eine niedrigere Quote trifft für Österreich zu. Nach einer Studie der KMU Forschung Austria haben 19 Prozent der österreichischen Einzelhändler im Jahr 2013 ihre Produkte online verkauft.[13]
Umgekehrt wird sich ebenso für den Online-Handel die Frage stellen, ob nicht auch traditionelle Konzepte, wie der Verkauf im physischen Geschäft, als Zusatz zum Online-Verkauf gewinnbringend sind. Die Entwicklung von traditionellen Händlern zu Multi-Channel-Anbietern übt zusätzlichen Druck auf den Online-Sektor aus, da die meisten Kunden nach wie vor dem stationären Handel angehören.[14] Sowohl traditionelle Ansätze als auch der Online-Handel haben Vor- und Nachteile, die sich sehr gut ergänzen. Der Schlüssel zum Erfolg könnte in der Kombination von beidem liegen.[15]
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Ansätzen und Interaktionsbeziehungen zwischen traditionellem und Online-Einzelhandel. Ziel der Arbeit ist es, die Handlungsfelder der zuvor genannten Ansätze strukturiert darzustellen und zu vergleichen. In diesem Zusammenhang wird auch auf die zerfließenden Grenzen von Online- und Offline-Handel und dem damit einhergehenden „Wandel im Handel“ eingegangen. In weiterer Folge werden aus den Analyseergebnissen Handlungsempfehlungen abgeleitet. Der Nutzen dieser Arbeit liegt darin, die in der Literatur oftmals isoliert betrachteten Kernbereiche des Einzelhandels, das Point of Sale Management, die Sortimentsgestaltung, die Art und Intensität der Kundenbeziehungen und die Gestaltung der Vertriebskanäle in Relation zu setzen. Diese ganzheitliche Betrachtung des Einzelhandels ermöglicht es, neue Implikationen durch die Kombination der verschiedenen Ansätze zu gewinnen.
Im Anschluss an die konzeptionelle Abhandlung wird die Praxisrelevanz der Ergebnisse anhand einer Case Study verdeutlicht. Die Zielsetzung lautet hier, einen Teil der Ergebnisse mit den Gegebenheiten in einem bestehenden Einzelhandelsunternehmen zu vergleichen.
Aufbauend auf der vorliegenden Problemstellung und Zielsetzung wurden die folgenden konkreten Forschungsfragen formuliert:
Welche Spannungsfelder ergeben sich für den traditionellen Handel und den Online-Handel? (Analyse der Ausgangssituation)
Wie sieht die Interaktion zwischen traditionellem und Online-Handel aus und ist eine Abgrenzung zwischen den beiden überhaupt möglich?
Welche Handlungsempfehlungen können für den traditionellen und den Online-Handel abgeleitet werden, um nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg zu sichern?
Der Prozess zur Ergebnisfindung im Sinne der Forschungsfragen gliedert sich in mehrere Einzelschritte, welche im Folgenden chronologisch dargestellt werden.
Die Arbeit baut auf einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit bereits bestehender Fachliteratur auf. Diese wurde im Rahmen einer breit gefächerten Literaturrecherche mithilfe der Datenbanken und Suchwerkzeuge DBIS, EBSCO, WISO, EZB und Google Scholar ermittelt. Als Suchbegriffe dienten jene im Folgenden angeführten Punkte:
Suchbegriffe
Brick and Mortar and Retail
Retail
Traditional retail
Stationary retail
E-commerce
Stationärer Handel
Einzelhandel
Traditioneller Handel
Online-Handel
Probleme Einzelhandel
Multi-Channel
Cross Channel
Omni-Channel
B2C-Online-Handel
No-Line AND Retail OR Handel
Retail 4.0
Das Hauptaugenmerk der Literaturrecherche lag auf der Auswahl wissenschaftlicher Papers angesehener Journals in englischer Sprache. Für die konzeptionelle Aufarbeitung wurden primär aktuelle Artikel herangezogen, deren Veröffentlichung nicht weiter zurückliegt als 2010. Die gefundene Literatur wurde schließlich für die weitere Bearbeitung gesichert und nach relevanten Themengebieten, wie traditioneller Handel, Online-Handel und Multi-Channel-Handel, kategorisiert.
Im ersten Kapitel der Arbeit werden die generelle Problemstellung, die Zielsetzung und die Vorgehensweise erläutert. Nach Definition und Abgrenzung im Kapitel 2 wird die aktuelle Situation von traditionellem sowie Online-Handel im Kapitel 3 analysiert. Das Kapitel 4 – „Der neue transformierte Handel“ stellt den Kern der Arbeit dar. Hierbei wird überprüft, ob eine Abgrenzung von traditionellem und Online-Handel überhaupt noch möglich ist. Ebenso werden Veränderungen im Kaufverhalten von Konsumenten und die Entwicklung von Multi- zu Omni-Channel-Systemen beleuchtet.
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