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E-Book

Hans Pfitzner

Komponist zwischen Vision und Abgrund

AutorMichael Schwalb
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2016
Reihekleine bayerische biografien 
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783791760735
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Sowohl das Bild Hans Pfitzners (1869-1949) als auch die Rezeption seiner Werke leiden in der deutschen Musiklandschaft noch weitgehend unter einem Stigma durch seine Anbiederung an den Nationalsozialismus. Dabei ist schon eine ausgewogene Beurteilung seiner vielgestaltigen Musik (im Gegensatz zu der seines Zeitgenossen Richard Strauss) äußerst schwierig: Werke tiefster Herzensinnigkeit oder höchst komplexe Schöpfungen - wie sein 'Palestrina' - stehen neben Kompositionen erschütternder Simplizität. Pfitzners OEuvre zeigt zudem kaum lineare Entwicklung, und manche Bastion hart erarbeiteter Modernität wird zugunsten einer Selbststilisierung als 'letzter Romantiker' aufgegeben. In konzentrierter Darstellung fasst Schwalb Pfitzners Persönlichkeit und Werk aktualisierend zusammen und kommt dabei zu überraschenden neuen Erkenntnissen.

Michael Schwalb, geb. 1956, ist nach einer Karriere als Orchestermusiker und Solocellist Abteilungsleiter in der Kulturwelle bei WDR 3; zahlreiche Radiofeatures, Vorträge und Publikationen.

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Leseprobe

1   Kindheit, Jugend und frühe Erfolge (1869–1897)


Es hatte musikalische Gründe, dass Hans Erich Pfitzner am 5. Mai 1869 ausgerechnet in Moskau zur Welt kam: Sein Vater Robert, einst einer der ersten Violinstudenten am von Felix Mendelssohn gegründeten Leipziger Konservatorium, war in Moskau als Orchestermusiker angestellt. Dort vermählte er sich 1866 mit der in Moskau geborenen, aber aus deutscher Familie stammenden Wilhelmine Reimer, die eine vierjährige Tochter mit in die Ehe brachte. 1866 wurde der Bruder Carl Robert geboren, drei Jahre darauf Hans Pfitzner.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde 1871 Elsass-Lothringen mit der Hauptstadt Straßburg, Pfitzners späterer langjähriger Wirkungsstätte, als »Reichsland« dem neuen Deutschen Kaiserreich angegliedert. Im Jahr darauf kehrte die Familie – sicherlich auch aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs infolge der Reichsgründung (sprichwörtlich geworden als »Gründerjahre«) – nach Deutschland zurück, wo der Vater nun eine Stelle als Konzertmeister am Stadttheater in Frankfurt am Main bekleidete.

Brückenschlag zur Kindheit


Hier lokalisierte Hans Pfitzner die frühesten Eindrücke und Bilder meines Lebens, die er ab 1940, also als Rückblick im achten Lebensjahrzehnt, verfasste und die seine starke Verbindung zur Bilder- und Gefühlswelt seiner Kindheit dokumentieren. Pfitzner, der sich im Verlauf seiner »Selberlebensbeschreibung« durchaus als Träger einer genialen Begabung darstellt, sinniert darüber, wie sehr ein Erwachsener (Pfitzner spricht vom »Vollmenschen«) immer noch in der eigenen Kindheit verhaftet ist: »Sind die Leidenschaften des Vollmenschen – sei er bedeutend oder unbedeutend – etwas wesentlich anderes als die des Kindes? … Ist nicht alles bloß graduell verschiedene Ziellosigkeit? Das gewonnene Klickerspiel, der geschossene Hirsch, das eroberte Königreich …«

 

 

Abb. 1: Hans Pfitzner im Alter von vier Jahren

 

Unabhängig von Pfitzners später zutage tretendem pathologischem Pessimismus, seiner permanenten Unzufriedenheit mit gesellschaftlicher Stellung und professioneller Anerkennung, sind diese Einsichten Ausdruck von Pfitzners eigenem Kinderglauben, seiner oftmals geradezu infantilen Sichtweise auf die Welt und deren Interpretation. Und ganz bewusst baute er nostalgische Kindheitsblicke in seine Kompositionen ein, wenn er etwa zu seinem 1904 entstandenen Lied Sonst (op. 15,4 – eigentlich eine Opernszene en miniature) mit einem kleinen Spieluhren-Menuett anmerkt: »Diese Melodie ist nicht von mir, sondern nach dem Gedächtnis an ein Spielzeug meiner Kinderjahre aufgeschrieben; dieses ›Spielrad‹ ließ, wenn man es in Bewegung setzte, ein Stückchen hören, von welchem obige 8 Takte der Schluß sind.«

Kindlichkeit als Schutz


Diese Kindlichkeit ist vielleicht einer der Gründe für Pfitzners unzerstörbare Naivität, die sich sein ganzes Leben hindurch und sogar in den brisantesten Situationen beobachten lässt: Einerseits bewahrt eine unschuldige Innerlichkeit seine Seele und die in seiner Inspirationsästhetik wurzelnde Produktivität; andererseits ist diese durch Lebenserfahrung erstaunlicherweise unbeeindruckte Arglosigkeit sein Bollwerk gegen die Strömungen der Zeit, denen er sich, eingesponnen in ein Konstrukt aus Starrsinn und Unbelehrbarkeit, in der Manier eines Don Quichotte entgegenstellt. Wie der verwirrte spanische »Ritter von der traurigen Gestalt« erliegt Pfitzner oftmals einer realitätsfernen Sichtweise, von der er sich weder durch unabweisbare Tatsachen noch durch wohlmeinende Freunde abbringen lässt. Er klammert Fakten aus, die nicht in sein Weltbild passen; wo das nicht möglich ist, werden bereits geringfügige Abweichungen von der eigenen Vorstellung kompromisslos und strengstens sanktioniert – oftmals mittels seiner berüchtigten und weiträumig verteilten Denkschriften. In maßloser Selbstüberschätzung war sich Pfitzner gar nicht bewusst, dass ihn sein Narrenkostüm zwar oft behindert, ihn aber paradoxerweise manches Mal – etwa in der Auseinandersetzung mit Hermann Göring – auch geschützt hat.

Tatsächlich mag zum Dilemma von Pfitzners lebenslanger Kindlichkeit auch seine geringe Körpergröße von nur 1,64 m beigetragen haben. Überprüft man aber seine kindliche Naivität anhand seines Verhaltens gegenüber Kindern, eigenen wie fremden, bleibt da, wie so oft bei Pfitzner, der Eindruck wechselhaft und zwiespältig. So schreibt der verständnisvolle Freund Bruno Walter (1876–1962) rückblickend 1961 an Pfitzners zweite Frau Mali: »[I]ch habe eigentlich niemanden gekannt, der so mit Kindern zu spielen verstand wie er.« Dem widersprechen die Erinnerungen des damals elfjährigen Klaus Mann; der Sohn von Thomas Mann (1875–1955), der in der Nachbarschaft des Münchner Herzogparks zusammen mit Bruno Walters Töchtern aufwuchs: »Wir Kinder hatten nicht viel übrig für den nervösen und giftigen kleinen Herrn mit dem dünnen Ziegenbart.« Fatal ist das am Ende zerrüttete Verhältnis Pfitzners zu seinen eigenen drei Kindern, die alle eines frühen Todes sterben: durch Krankheit (1936 Sohn Paul, geboren 1903), Suizid (1939 Tochter Agnes, geboren 1908) oder als Soldat (1944 Sohn Peter, geboren 1906).

 

 

Abb. 2: Photo mit Widmung für Lotte Walter, die Tochter von Bruno Walter: »für Lottchen nach ihren Unterschondorfer Triumphen der greise Romantiker Onkel Hans Weihnachten 1921«

 

Musikalische Entwicklung


Bei der Schilderung seiner ersten musikalischen Erfahrungen bedauert Pfitzner, dass der Vater seine Musikalität nicht erkannt und früh unterstützt habe, sondern dass alle Förderung dem mäßig begabten und unwilligen älteren Bruder zuteilgeworden sei. Seine musikalische Theorieausbildung und erste pianistische Unterweisung habe er sich mühsam erarbeiten müssen, und geprägt habe ihn »das fortwährende Kämpfen darum, das Überwinden von Widerstand und Gleichgültigkeit, das ›Gegen-den-Strom-Schwimmen‹ –, ein Los, dem ich heute noch verfallen bin«. So schreibt, wohlgemerkt in seinem achten Lebensjahrzehnt, niemand, der mit sich selber im Reinen ist, der in Frieden mit der Welt und seiner Stellung in ihr lebt. Pfitzner bestätigte im Alter die Grundzüge seines Charakters, die er in seiner Kindheit angelegt sieht: beständiger Argwohn, nicht angemessen behandelt oder gar um berechtigte Meriten betrogen zu werden; permanent misstrauisches Lauern auf Zeichen von Opposition und Gegnerschaft.

Wir werden dieser problematisch-zerrissenen Grundhaltung in Pfitzners Charakter immer wieder begegnen, sei es im Zusammenhang mit Freunden (von denen er sich nicht angemessen behandelt fühlte), Partnern im Beruf (Pfitzner wähnte sich ständig hintergangen, Aufführungen seiner Werke durch Intrigen behindert), gar seiner eigenen Familie (was im Alter zu gravierenden Streitigkeiten mit den Kindern und zum Hausverbot für seinen jüngsten Sohn führte).

Begegnung mit dem »Urfreund«


Hans Pfitzner hat nie eine Volksschule besucht; ihm und seinen Geschwistern wurde grundlegendes Wissen durch elterlichen Unterricht vermittelt. Erst 1878 wurde der Neunjährige in die Sexta der Frankfurter Max-Klinger-Schule eingeschult, wobei gleich am ersten Tag der Grundstein zu einer Lebensfreundschaft mit dem Klassenkameraden Paul Nikolaus Cossmann gelegt wurde. Dessen Vater Bernhard Cossmann war ein berühmter Cellist, der als Professor am kaiserlichen Konservatorium in Moskau Pfitzners Vater kennengelernt hatte. Nun hatte Cossmann gerade eine Professur am renommierten »Hoch’schen Konservatorium« in Frankfurt angetreten, und die bei der Einschulung der gleichaltrigen Söhne erneuerte Bekanntschaft bildete die Grundlage für die enge, jedoch sehr wechselhafte Beziehung Hans Pfitzners zu Paul Cossmann. Der wissbegierige und bildungshungrige Pfitzner betrachtete Cossmann, dessen offenes Vaterhaus neue geistig-künstlerische Anregung bereithielt, später immer als Ratgeber in literarischen und philosophischen Fragen.

 

Paul Nikolaus Cossmann

Pfitzners »Urfreund« Cossmann (1869–1942) studierte Philosophie in Berlin, lebte als Privatgelehrter in München und war als angehender Journalist vielseitig literarisch tätig; Pfitzner vertonte auch Gedichte des Freundes. Immer wieder unterstützte Cossmann ihn mit teils diskret übermittelten Geldzuwendungen. Die 1904 in München von Cossmann federführend begründeten Süddeutschen Monatshefte boten Pfitzner die Möglichkeit zur Mitarbeit. Dass er 1906 vom Judentum zum Katholizismus übertrat, war für Pfitzner Anlass einer demonstrativen Entfremdung.

In ihrer politischen Überzeugung verfochten die beiden übereinstimmend einen nationalkonservativen Standpunkt, der sich nach dem Ersten Weltkrieg zu chauvinistischem Revanchismus steigerte. Gegen die »Novemberverbrecher«, die »Kriegsschuldlüge« und das »Diktat von Versailles« führte Cossmann einen erbitterten publizistischen Feldzug und nahm diverse gegen ihn angestrengte Prozesse als Möglichkeit wahr, seinen Ansichten eine große Plattform zu verschaffen. Ab 1920 war er auch Verlagsleiter der Münchner Neuesten Nachrichten, der größten süddeutschen Tageszeitung, was ihm zusätzlich immensen publizistischen Einfluss verschaffte. Unbeabsichtigt wurde er damit zum Wegbereiter des Nationalsozialismus und von Adolf Hitler, der in den 1920er-Jahren von München aus seine gesellschaftliche und politische Position ausbaute. Cossmann, eigentlich ein Gegner Hitlers, unterschätzte diese Gefahr; noch im Januar 1933 plädierte er für eine Wiederherstellung des Königreichs Bayern, um Hitler zu verhindern.

Im April 1933 wurde Cossmann erstmals...

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