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E-Book

Hauptsache weg

Flüchtlinge erzählen

AutorTobias Kley
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783775173209
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Aktuell strömen Millionen von Menschen nach Europa. Auf der Flucht vor Armut, Terror und Gewalt werden sie angetrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Viele Deutsche stehen dem hilflos gegenüber. Überforderung, Angst und Fassungslosigkeit über die Zustände in den Herkunftsländern lähmen uns. Doch wie fühlen sich Menschen, die ihre Familien und ihre Heimat zurück lassen? Die alles aufgeben mussten, weil ihre Häuser zerstört sind? Weil ihre Familien niedergeschossen, vergewaltigt und ermordet wurden? Denen alles genommen wurde, was sie besitzen? Und die in ein fremdes Land ziehen müssen - nur mit der Kleidung, die sie am Leib tragen? Tobias Kley, Initiator von getaway days, hat ihre Geschichten gesammelt. Geschichten von Männern und Frauen aus unterschiedlichsten Ländern, die ihre Flucht schildern. Sie erzählen von ihren Ängsten, grausamer Zerstörung, von Schlepperbanden, zerrissenen Familien. Tief bewegend und dennoch voller Hoffnung.

Tobias Kley wurde 1979 in Süddeutschland geboren. Zunächst war Sport der Hauptinhalt seines Lebens. Durch Zehnkampf und Boxen versuchte er seinem Leben Sinn zu geben, bis er Jesus kennen lernt. Heute ist er Evangelist bei der Kontaktmission und Initiator der GetAwayDays. Kley ist verheiratet und hat fünf Kinder.

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Leseprobe

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

GOTT HAT MIR EINE NEUE FAMILIE GESCHENKT

Wie so viele Menschen auf der Erde werde auch ich zur falschen Zeit am falschen Ort geboren. Meine Eltern gehören der Volksgruppe der Hazara an, die mongolischer Abstammung ist. So sieht man auch mir sofort meinen schiitischen Ursprung an. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn wir nicht ausgerechnet in Afghanistan leben würden, wo Schiiten von den sunnitischen Paschtunen verfolgt werden. Auch die Taliban-Kämpfer sind Sunniten. Sie halten uns für Ungläubige, also Kafir, und stellen sogar die Behauptung auf, dass man in den Himmel kommt, wenn man sieben Schiiten getötet hat. So leben wir in ständiger Angst vor Tod und Verfolgung. Ich bin die einzige Tochter der Familie und wachse mit meinen zwei älteren Brüdern in einem kleinen Dorf auf. Meine Mutter ist noch sehr jung. Sie und mein Vater sind praktizierende Muslime, doch ich kann zu dieser Zeit wenig mit Religion anfangen.

Als ich sechs Jahre alt bin, verschwinden meine beiden Brüder auf einmal. Es heißt, sie seien verschleppt und sehr wahrscheinlich getötet worden. Meine Mutter ist voller Kummer, dass sie noch nicht einmal die Möglichkeit hat, richtig um sie zu trauern. Oft sagt sie: »Wenn ich doch wenigstens ihre Leichen gesehen hätte oder ihre Gräber besuchen könnte!« Doch wir sehen meine Brüder niemals wieder und weil es auch für uns immer gefährlicher wird, fliehen wir in den Iran. Dort müssen wir als illegale Flüchtlinge leben, weil es uns nicht ermöglicht wird, die notwendigen Papiere für einen legalen Aufenthalt zu bekommen. Wir werden wie Untermenschen behandelt und müssen niedere Arbeiten verrichten. Mein Vater arbeitet als Steinmetz und Koch. Manchmal kocht er auch noch zusätzlich für Familienfeiern, damit wir ein wenig Geld zurücklegen können. Wir brauchen hier zwar nicht mehr um unser Leben zu fürchten, doch so richtig leben können wir auch nicht. Wegen der fehlenden Papiere kann ich keine Schule besuchen. Ich lerne ein paar Mädchen aus der Nachbarschaft kennen, mit denen ich mich anfreunde. Einige Afghanen, denen es ähnlich geht wie uns, schließen sich zusammen und gründen eine Initiative, um uns Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen. Zum Glück haben wir einen Computer, mit dem ich üben und auch ein wenig Englisch lernen kann. Außerdem lerne ich Nähen. Meine Mutter kommt einfach nicht über den Tod meiner Brüder hinweg. Meist ist sie in der Moschee, um zu beten, und zu Hause ist sie kaum ansprechbar. Sie schaut nur lethargisch vor sich hin und beachtet mich überhaupt nicht. Das ist sehr schmerzhaft und macht mich richtig zornig. Immer wieder flehe ich sie an, mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich bin ich doch auch ihr Kind. Im Gegensatz zu meinen Brüdern bin ich am Leben und brauche sie. Die islamischen Gebete scheinen ihr nicht besonders viel Trost zu spenden, weil sie meist trauriger von der Moschee zurückkommt, als sie hingegangen ist.

Mein Vater wird mehrfach von der iranischen Polizei aufgegriffen und in Abschiebehaft genommen. Dort wird er beschimpft und misshandelt. Wir müssen zum Gefängnis gehen und ihn freikaufen, was wegen unserer geringen finanziellen Mittel sehr schwerfällt. Dadurch sind wir in armen Lebensverhältnissen gefangen und von der Gunst korrupter Polizisten und Arbeitgeber abhängig.

Als ich 19 Jahre alt bin, beschließen wir, zurück nach Afghanistan zu gehen. Lieber wollen wir in Gefahr leben, als uns hier weiter unterdrücken und ausbeuten zu lassen.

Doch uns erwartet noch Schlimmeres. Als Kind wurde ich einem meiner Cousins versprochen, der mittlerweile gestorben ist. Meine Verwandtschaft beschließt deshalb, mich mit seinem älteren, verwitweten Bruder zu verheiraten. Ich soll mich um dessen Kinder kümmern.

Weil mein Vater damit nicht einverstanden ist, entführt die Familie meines Onkels mich mit Gewalt und hält mich bei sich gefangen. Es folgen furchtbare Tage voll Demütigungen. Ich lebe in der ständigen Angst vor Vergewaltigung. Besonders unter der Mutter des Hauses habe ich zu leiden. Sie verflucht mich, weil sie mir aus unverständlichen Gründen die Schuld dafür gibt, dass ihr Sohn von den Taliban getötet wurde.

Mein Vater versucht täglich, mich zu besuchen, wird aber nicht zu mir gelassen. Die Familie seines Bruders ist sehr mächtig. Er ist das Oberhaupt des Dorfes und hat fünf Söhne.

Als mir Gerüchte zugetragen werden, dass es meiner Mutter schlecht geht, will ich zu ihr, aber man lässt mich nicht. Ich bin so verzweifelt, dass ich mir mit einem Messer aus der Küche selbst das Leben nehmen will. Doch der ältere Sohn des Hauses, den ich heiraten soll, reißt mir das Messer aus der Hand. Noch heute habe ich durch dieses Handgemenge Narben an meinen Armen. Mein Vater, der vor dem Haus wartet, drängt wegen des Lärms hinein, um mir zu helfen. Als er das Blut sieht, rastet er aus und schlägt meinem Cousin mit einem Stück Holz auf den Kopf. Weil an diesem Tag viele zum Einkaufen unterwegs sind, gelingt es uns schließlich, verletzt zu fliehen.

Erst auf der Flucht erfahre ich, dass meine Mutter durch den Schock meiner Entführung einen Schlaganfall erlitten hat, an dessen Folgen sie schließlich gestorben ist. Ich kann nicht glauben, was ich da höre: Meine nur 39-jährige Mutter ist an ihrem Kummer und vor Schock gestorben.

Jetzt bin ich mit meinem Vater allein und wir machen uns trotzt unserer Verletzungen sofort wieder auf den Weg in den Iran. Weil wir auch dort vor der Verfolgung unserer Familie nicht sicher sind, holen wir nur unseren Familienschmuck und die Ersparnisse, die wir im Iran aufbewahrt haben. Dann reisen wir mithilfe von Schleppern, denen wir unsere Ersparnisse geben, weiter in die Türkei. Von da aus kommen wir nach Griechenland und schließlich erreichen wir 2010 mit dem Flugzeug unser Ziel Dänemark. Zu dieser Zeit werden in Dänemark jedoch kaum Flüchtlinge anerkannt, weshalb auch unser Asylantrag abgelehnt wird. Wir leben im Heim und dürfen nicht arbeiten. In dieser Zeit komme ich zum ersten Mal mit dem Christentum in Berührung. Eine ältere dänische Frau erzählt mir Geschichten. Erst später wird mir klar, dass diese Geschichten aus der Bibel stammen. Obwohl ich kaum etwas verstehe, erlebe ich ein angenehmes Gefühl von Ruhe und Frieden, wenn ich bei ihr bin.

Als ich bei Freunden zu Besuch bin, höre ich, dass mein Vater unangekündigt von der Polizei zur Abschiebung nach Afghanistan abgeholt worden ist. Ich will zu ihm, aber meine Freunde halten mich zurück. Ich solle froh sein, dass ich nicht zu Hause gewesen sei, sonst hätten sie mich wahrscheinlich auch mitgenommen. Nachdem mein Vater zurück nach Afghanistan fliegen musste, bleibe ich völlig allein mit der ständigen Angst vor der Polizei zurück.

Ich bin verzweifelt, denn jetzt habe ich gar keine Familie mehr.

Afghanische Freunde aus Schweden, die ich durch das Internet kenne, holen mich zu sich, als sie von meiner Verzweiflung erfahren. Mit dem Bus und der Bahn fahren wir ohne Kontrollen zu ihnen nach Schweden. Die Familie nimmt mich bei sich auf und ihr Sohn möchte mich sogar heiraten.

Durch meine Illegalität lebe ich in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Außerdem zerfrisst mich innerlich die Sorge um meinen Vater. Eine Bekannte lädt mich immer wieder in eine iranische christliche Gemeinde ein. Irgendwann lasse ich mich überreden und gehe skeptisch mit. Ich bin überrascht, dass am Eingang der Gemeinde kein Koran auf dem Fußboden liegt. Man hat mir immer erzählt, dass Christen beim Eintritt in die Kirche den Koran mit Füßen treten. Es gibt noch viele andere Geschichten, die mir über Christen erzählt wurden, z. B. dass Väter mit ihren Töchtern schlafen oder Brüder mit ihren Schwestern. All das habe ich früher wirklich geglaubt.

Der Gottesdienst berührt mich sehr. Gern nehme ich eine Bibel in meiner Sprache mit nach Hause. Die Familie, bei der ich lebe, ist streng muslimisch, und so lese ich nur heimlich in meiner Bibel. Eines Tages werde ich dabei entdeckt, woraufhin die Mutter der Fasie sich durch mein Bibellesen gekränkt. Ihr Sohn hätte das sicher nicht zugelassen, doch er ist nicht da, um mir helfen zu können.

Nun bin ich vollkommen allein und weiß nicht wohin. Zwei Nächte verbringe ich im Freien, dann nehmen mich Bekannte auf und bezahlen mir ein Ticket zurück nach Dänemark. Freunde in Dänemark, die ich noch aus meiner Zeit im Asylbewerberheim kenne, meinen wiederum, dass es in Dänemark viel zu unsicher für mich ist, und raten mir, nach Deutschland zu fliehen. Zuerst will ich nicht, doch dann setze ich mich doch vollkommen lethargisch in einen Bus.

Als wir die deutsche Grenze erreichen, kommt eine Polizeikontrolle in den Bus. Schnell wird mir klar, dass sie gezielt die Ausländer aus dem Bus holen. Ich werde immer unruhiger und verzweifelter. Um mich zu beruhigen, hole ich meine Bibel aus der Tasche und versuche zu lesen und beten. Eigentlich habe ich den Eindruck, dass dieses Buch mir bisher nur Pech gebracht hat, doch in meiner Not bete ich, dass Jesus mir helfen soll. Den Koran habe ich nie gelesen, da ich kein Arabisch verstehe. Ich nehme die Bibel auch mit einer gewissen Herausforderungshaltung zur Hand – wird dieser Gott mir wirklich helfen? Und das Wunder geschieht tatsächlich!

Zwei Araber sitzen direkt vor mir und werden von der Polizei nach draußen geholt. Mich scheinen sie überhaupt nicht zu beachten, obwohl mein Gesicht nun wirklich total asiatisch aussieht. Ich kann kaum fassen, dass wir schließlich ohne weitere Kontrollen unsere Fahrt fortsetzen.

Als wir Hamburg erreichen, erlebte ich von hier an, wie Jesus mir Schritt für Schritt weiterhilft. Ich stehe allein am Hamburger Busbahnhof und weiß...

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