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E-Book

Health Literacy

Forschungsstand und Perspektiven

VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl338 Seiten
ISBN9783456756042
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Über welche Kompetenzen müssen Menschen heute verfügen, um Krankheiten erfolgreich zu bewältigen oder - besser noch - zu vermeiden und um ihre Gesundheit zu erhalten und zu fördern? Angesichts eines komplexer werdenden Gesundheitssystems wird diese Frage international und inzwischen auch im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff „Health Literacy" oder „Gesundheitskompetenz" diskutiert. In diesem programmatischen Buch wird der Stand der internationalen Diskussion dargestellt und aufgearbeitet. Erstmals werden auch Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte in Deutschland und Österreich gebündelt vorgestellt und daraus folgende Interventionserfordernisse und -ansätze zur Förderung von Health Literacy in den unterschiedlichsten Bereichen skizziert und diskutiert.

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Leseprobe

1. Health Literacy: Begriff, Konzept, Relevanz


Doris Schaeffer, Jürgen M. Pelikan

Was ist Health Literacy? Definition und Konzept

Health Literacy ist in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum zu einem bedeutsamen und vielbeachteten Thema geworden und hat eine rasante Themenkarriere durchlaufen. Auf vielen Tagungen ist Health Literacy präsent, es haben sich Kooperationen und Netzwerke gebildet und es sind erste Studien entstanden. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Übersetzt wird er hierzulande meist als Gesundheitskompetenz, meint aber wörtlich gesundheitliche Literalität, was im Deutschen nicht sehr gebräuchlich ist. Der Begriff entstammt der anglo-amerikanischen Alphabetisierungsdiskussion, in der Literalität als Schriftsprachkompetenz definiert und als Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe verstanden wird. Inzwischen wird Literacy in der anglo-amerikanischen Diskussion jedoch als Metapher für zahlreiche, ganz unterschiedlich gelagerte Kompetenzen verwendet, wie allein Begriffe wie „food literacy“, „physical literacy“, „financial literacy“, „computer literacy“ etc. zeigen – so u.a. auch für im Alltag benötigte Fähigkeiten für gesundheitsrelevante Entscheidungen und Handlungen.

Health Literacy ist jedoch mehr als eine Metapher, wie allein die lange, bis heute anhaltende definitorische Diskussion zeigt. Zu Beginn war das Konzept lange Zeit durch ein ausschließlich funktionales Verständnis geprägt. Danach wurden unter Health Literacy vornehmlich die erforderlichen Lese- und Schreibfähigkeiten verstanden, um die an die Patientenrolle gestellten Anforderungen bei der Behandlung und Therapie zu erfüllen und sich im Gesundheitswesen bewegen zu können (Parker, 2000). Viele der frühen Definitionen sind dabei eng an Krankheit bzw. Krankheitsbewältigung orientiert (Pelikan, 2015; Pelikan & Ganahl, in diesem Buch; Schaeffer, in diesem Buch). Durch die viel zitierte frühe Definition der World Health Organization (WHO, 1998) erfolgte eine Erweiterung. Sie definierte Health Literacy in ihrem „Health Promotion Glossary“ folgendermaßen:

Health Literacy represents the cognitive and social skills that determine the motivation and ability of individuals to gain access to, understand and use information in ways which promote and maintain good health. Health Literacy means more than being able to read pamphlets and successfully make appointment. By improving people’s access to health information, and their capacity to use it effectively, health literacy is critical to empowerment. (WHO, 1998, p. 357)

Nach dieser an Gesundheitsförderung und Public Health orientierten Definition ist Health Literacy ein Bestandteil von Empowerment und umfasst die kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die Individuen benötigen, um Informationen zu erschließen, zu verstehen und diese effektiv zur Gesundheitserhaltung zu nutzen. Health Literacy umfasst hier also weitaus mehr als funktionale Fähigkeiten und zielt generell auf den kompetenten Umgang mit gesundheitsrelevanter Information. Health Literacy wird hier zudem als Voraussetzung zur Gesundheitserhaltung bezeichnet und damit an die Diskussion über Gesundheit und Gesundheitsförderung1 angeschlossen. Diese Definition und auch die damit verbundene paradigmatische Wende von der Krankheits- zur Gesundheitsorientierung geht auf Don Nutbeam zurück, der drei Typen von Gesundheitskompetenz unterscheidet: funktionale, interaktive und kritische Gesundheitskompetenz (Nutbeam, 1998, 2000, 2008). Es gibt viele weitere Definitionen, denn besonders im anglo-amerikanischen Sprachraum wurde ein lebendiger Begriffs- und Konzeptdiskurs geführt (dazu ex. Berkman, Davis, & McCormack, 2010).

In Europa ist die aktuelle Debatte stark durch die noch weiter gefasste, im Rahmen des Europäischen Health Literacy Survey (HLS-EU) entwickelte umfassende Definition geprägt. Sie bestimmt auch die im deutsch-sprachigen Raum geführte Auseinandersetzung und ebenso die Forschung:

Health Literacy basiert auf allgemeiner Literacy und umfasst das Wissen, die Motivation und die Kompetenzen von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden um im Alltag in den Domänen der Krankheitsbewältigung, der Krankheitsprävention und der Gesundheitsförderung, Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern. (Sørensen et al., 2012, p. 3)2

Health Literacy wird hier als Voraussetzung und Grundlage für einen kompetenten Umgang mit Gesundheitsinformationen definiert, die ihrerseits erforderlich sind, um gesundheitliche Herausforderungen im Alltag bewältigen und die dazu nötigen Beurteilungen und Entscheidungen treffen zu können. Wie in der WHO-Definition wird auch hier der Umgang mit gesundheitsrelevanter Information in den Mittelpunkt gestellt und betont, dass Health Literacy nicht nur im Bereich der Krankheitsbewältigung eine wichtige Determinante darstellt, sondern in allen Lebensbereichen (so auch in der Prävention und Gesundheitsförderung), und Health Literacy überdies als essenzielle Voraussetzung informierter Entscheidungsfindung und Partizipation anzusehen ist und dem Erhalt der Lebensqualität dient.

Beide Definitionen zeigen eindrucksvoll, dass Health Literacy inzwischen breiter verstanden wird und lassen auch das Bemühen erkennen, das ursprünglich aus den Erziehungswissenschaften stammende Konzept an die gesundheits- und sozialwissenschaftliche Diskussion über die gesundheitlichen Herausforderungen in modernen Gesellschaften anzuschließen (etwa über Gesundheitsförderung, gesundheitliche und soziale Ungleichheit, soziale Determinanten der Gesundheit, Gesundheitsverhalten, Empowerment, Partizipation etc.).

In diese Richtung weist auch eine weitere Diskussion, in der unterstrichen wird, dass Health Literacy – mittlerweile im deutschsprachigen Raum fast überall als Gesundheitskompetenz bezeichnet – kein absolutes, sondern ein relationales Konzept ist (Pelikan, 2015; Pelikan & Ganahl, in diesem Buch). Damit wird darauf angespielt, dass Health Literacy/Gesundheitskompetenz nicht einzig von den individuellen Fähigkeiten und persönlichen Ressourcen abhängig ist, sondern auch von den umgebenden sozialen und strukturellen Kontextbedingungen – ein Aspekt, der sowohl unter Mess- wie Interventionsgesichtspunkten der besonderen Beachtung bedarf.

Exemplarisch zeigt dieser skizzenartige Abriss, dass die Debatte über die Definition und das Konzept keineswegs als beendet gelten kann, sondern sie – eher gegenteilig – weiter fortgesetzt werden muss. Das gilt umso mehr als aktuell auch beobachtbar ist, dass das Health-Literacy-Konzept immer häufiger genutzt wird, um älteren Gesundheitsdebatten neues Leben einzuhauchen (Tones, 2002). Diese Tendenz ist auch im deutschsprachigen Raum beobachtbar, wo die Diskussion über Health Literacy/Gesundheitskompetenz zeitlich verzögert und zuweilen auch pragmatisch verkürzt aufgegriffen wurde. Dabei wird die in der Alphabetisierungsdiskussion verhaftete Tradition des Konzepts vielfach übersehen. Zudem besteht die Gefahr, dass das Konzept überdehnt oder gar instrumentalisiert und dabei verwässert wird (Vogt, Messer, Quenzel, & Schaeffer, 2016). Gleichzeitig werden – so paradox dies klingen mag – die Relevanz und die Vieldimensionalität des Konzepts noch nicht in ihrer ganzen Tragweite erfasst (Kickbusch, 2009). Auch dies weist darauf hin, dass die Diskussion über die Definition und das Konzept einer Fortsetzung bedürfen. Zwar wird es immer je nach Fragestellung unterschiedliche definitorische und konzeptionelle Ansätze geben, ebenso wie auch immer entsprechend unterschiedliche Messinstrumente existieren werden. Dennoch ist wichtig, zu mehr (auch unterschiedlicher) definitorischer Klarheit zu gelangen und die Bezüge zu anderen Diskussionen genauer herauszuarbeiten, wozu das vorliegende Buch Impulse geben will.

Health Literacy − Relevanz aus gesellschaftlicher Sicht

Gesellschaftlich schließt die Diskussion über Health Literacy/Gesundheitskompetenz daran an, dass der Umgang mit gesundheitlichen Herausforderungen – egal, ob bei der Bewältigung von Gesundheitsstörungen und Krankheit oder im Bereich der Prävention und Gesundheitserhaltung/-förderung – ein gesättigtes Maß an gesundheitlicher Grundbildung und Gesundheitskompetenz voraussetzt. Wie sonst sollen Nutzer Gesundheitsinformation verstehen, sich durch das komplexe und unübersichtliche Gesundheitswesen navigieren, mit den Gesundheitsprofessionen – etwa den Ärzten – verhandeln oder sich auf dem Gesundheitsmarkt und in der Welt der Konsumgüter bewegen können.

Merke

Für spätmoderne Gesellschaften mit ihrem enormen Zuwachs an Entscheidungsoptionen auf individueller Ebene gilt dies umso mehr. Auch im Gesundheitswesen sind dem Individuum in der Vergangenheit immer mehr Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt worden – dies bis in die letzte Phase im Lebenslauf hinein. Eine Voraussetzung dafür, diese auch ausschöpfen zu können, ist das Vorhandensein von relevanter Information, denn diese ist Grundlage für adäquate Entscheidungen.

Ähnlich ist es mit dem sukzessiv voranschreitenden Wandel der Patientenrolle. Er führt zur Demokratisierung des traditionell paternalistischen Verhältnisses zwischen Health Professionals und Patienten, stärkt die Position der Patienten und räumt ihnen bis dato nicht gekannte Mitbestimmungsmöglichkeiten, Entscheidungsoptionen und Rechte ein (ex. Schaeffer & Schmidt-Kaehler,...

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