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Heidegger

Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie

AutorEmmanuel Faye
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783957570390
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Martin Heideggers Verstrickung in den Nationalsozialismus oder Das Elend der Intellektuellen im 20. Jahrhundert Emmanuel Faye versucht so polemisch wie quellennah die Nähe der deutschen Philosophie der 30er Jahre zum Nationalsozialismus nachzuweisen. Er beeindruckt durch die Materialfülle, mit der er belegt, dass die Grundlagen Martin Heideggers Denken in rassischem, völkischem und antisemitischem Gedankengut zu finden sind. 'Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie' gehört zu den meist umstrittenen Büchern der letzten Jahre. Die deutsche Ausgabe hat Emmanuel Faye durchgesehen und mit einem neuen Nachwort versehen. Darin geht er auf die seit Erscheinen des Buchs in Frankreich nicht endenden Vorwürfe ein. Der deutsche Leser hat nun die Möglichkeit, eine Debatte kritisch zu beurteilen, deren Ende nicht absehbar ist, 'denn zwei Tatsachen über Martin Heidegger sind so unleugbar, wie sie den Umgang mit seinem Werk kompliziert machen: Er ist einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, und er war ein Nazi. An dieser Spannung entzünden sich bis heute immer neue Diskussionen um das Werk des deutschen Denkers.' (DIE ZEIT)

Emmanuel Faye ist Philosoph und Philologe und lehrt derzeit Philosophie an der Universität Paris X Nanterre. Neben seiner Kritik an Martin Heidegger, die neben der von Victor Farias zur kompromisslosesten aber auch umstrittensten zählt, wurde er bekannt durch seine Studien zur Philosophie der Renaissance, insbesondere zu Descartes.

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Leseprobe

Einleitung


Wir sind an einem entscheidenden Augenblick für das vertiefte Verständnis und die Beurteilung des heideggerschen Werks angelangt. Seit der versierten Kritik Karl Löwiths und Eric Weils, die nach Ende des Krieges 1945 in Frankreich veröffentlicht wurde, seit Guido Schneebergers Neuausgabe mehrerer politischer Reden zu Beginn der sechziger Jahre haben die Forschungen von Hugo Ott und Victor Farias zu wichtigen Enthüllungen und Richtigstellungen geführt. Sie erlaubten, den radikalen Charakter des nationalsozialistischen Engagements des Freiburger Universitätsrektors zu ermessen. Insofern diese Arbeiten sich jedoch fast ausschließlich auf Tatsachen und Reden stützten und kaum auf die Lehrtätigkeit selbst, konnte es noch als möglich erscheinen – zumindest mit einer gehörigen Portion Blindheit – zwischen Mensch und Werk zu trennen oder das »Politische« und das »Philosophische« zu unterscheiden. Heute hingegen verfügen wir fast über die Gesamtheit der von Heidegger gehaltenen Vorlesungen.2 Außerdem ist es möglich geworden, sich dank der in mehreren Studien erschienenen Zusammenfassungen und Zitate ein Bild von bestimmten unveröffentlichten Seminaren zu machen, von denen Mitschriften und Aufzeichnungen der Studenten im Heidegger-Nachlass in Marbach aufbewahrt sind. Für ein ausgewähltes Publikum bestimmt erstrahlen sie in einem anderen Licht als die Vorlesungen. Trotzdem kommt der berechtigte Anspruch des Lesers auf die historische Wahrheit zu kurz: Tatsächlich kann die sogenannte »Gesamtausgabe«, die keine kritische Edition ist, keinerlei philologische Genauigkeit gewährleisten, wie mehrere kundige Kritiker bereits nachgewiesen haben. Zudem gestattet Hermann, der Sohn von Martin Heidegger, nur auf äußerst spärliche Weise Einsicht in die unveröffentlichten Seminare, von der Korrespondenz ganz zu schweigen – und ohnehin nur universitären Forschern mit weißer Weste. So bleibt drei Jahrzehnte nach Heideggers Tod ein Großteil seiner Schriften nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die Forschung unzugänglich, zumindest wenn sie einen vorurteilslosen Blick auf Heideggers Laufbahn werfen will.

Trotz dieser Hindernisse entdecken wir heute, was Heidegger während der Jahre 1933 bis 1935 Woche für Woche gelehrt hat. Denn was wir jetzt in der sogenannten Gesamtausgabe anhand der Vorlesungen zur Kenntnis nehmen können und was wir in gewissen Mitschriften aus den unveröffentlichten Seminaren erfahren, die unter den Spezialisten von Hand zu Hand weiter gereicht werden, zerstört das Bild, das wir lange Zeit von Heidegger gehabt haben. Die Vorlesungen und Seminare bestätigen nicht nur die Radikalität seiner Parteinahme für Adolf Hitler, sondern sie offenbaren uns auch, dass »Philosophisches« und »Politisches« für ihn zusammenfallen, dass er das im radikalsten nationalsozialistischen Sinne aufgefasste Politische im Herzen der Philosophie verortet. In seinem unveröffentlichten Seminar zur politischen Erziehung aus dem Winter 1933/34 lässt er ohne Vorbehalt die Beziehung zwischen dem Sein und dem Seienden in der Beziehung aufgehen, in welcher sich der Staat und die Volksgemeinschaft im »Geschlecht« zum hitlerschen Führerstaat vereinen. Außerdem nimmt er die von Kant gestellte Frage »Was ist der Mensch?« nur auf, um sie auf die Frage »Wer sind wir?« zu reduzieren; wobei dieses »wir« nichts anderes meint als das völkische Dasein des deutschen Volkes unter dem Joch Hitlers. So bekräftigt Heidegger denn auch jedes Mal dieselbe Antwort: »Wir sind das Volk«, das einzige, das seines Erachtens noch eine Geschichte und ein »Geschick« hat, das einzige »metaphysische« Volk …

In den Vorlesungen und in den sich »philosophisch« gebenden Seminaren wohnt man so der fortschreitenden Auflösung des Menschen bei, dessen individueller Wert in der Gemeinschaft eines im Boden verwurzelten und im Blut vereinten Volkes ausdrücklich verneint wird. Das unveröffentlichte Seminar von 1933/34 geht sogar soweit, das Volk über »Stammesgemeinschaft und Rasse« zu identifizieren. Mit Heideggers Lehre halten die »völkischen« Konzeptionen des Nationalsozialismus Einzug in die Philosophie.

Diese radikale Perversion der Philosophie ist nicht auf einige Gelegenheitsvorträge beschränkt, sondern bestätigt sich auf Tausenden von Seiten, ja sogar im gesamten Werk, wo sich die einzelnen Texte über Querverweise gegenseitig stützen, wie es zum Beispiel die Verweise auf die Rektoratsrede oder auf die den Titel Logik tragende rassistische Vorlesung von 1934 in den Beiträgen zur Philosophie aus den Jahren 1936-1938 belegen. Auch handelt es sich bei den offen nationalsozialistischen Schriften der Jahre 1933 bis 1935 keinesfalls um Ausnahmen, die durch nichts vorhersehbar gewesen und bald schon widerrufen worden wären. In Wirklichkeit können diese Schriften nicht losgelöst vom übrigen Werk betrachtet werden. Sie offenbaren das innerste und schwärzeste Fundament seiner »Lehre«, der Heidegger bis zum Schluss die Treue halten wird. Deren Deckungsgleichheit mit den wesentlichen Grundlagen des Nationalsozialismus offenbart sich im Studium der unveröffentlichten Texte.

Deshalb können wir heute ermessen, was es mit der Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie durch Martin Heidegger auf sich hat. Der Nationalsozialismus hat sich in der Tat nicht nur des politischen und militärischen Lebens in Deutschland bemächtigt, sondern sich methodisch in allen Bereichen des gesellschaftlichen, intellektuellen und kulturellen Lebens in Stellung gebracht. Er hat das Recht, die Geschichte, die Biologie unterwandert, aber auch die Architektur, die Musik und die Dichtung – ganz zu schweigen von der Religion. Selbst die Philosophie wurde nicht ausgespart. Und gerade hier hat sich die Gefahr am größten erwiesen. Denn indem der Nationalsozialismus die Philosophie attackierte, wollte er die Grundlagen des Denkens und des Geistes ruinieren. Wenn wir uns dieser Gefahr nicht bewusst werden und ihr nicht entgegentreten, dann können die auf die Zerstörung des Menschen abzielenden Prinzipien des Nationalsozialismus weiter Unheil stiften und die ihm verpflichteten Werke ihre Wirkung ausüben.

Der Fall Heidegger ist zudem nicht einfach ein Beispiel unter anderen. Wenn auch das Dritte Reich die enthusiastische Anhängerschaft vieler Philosophen erleben durfte – oder solcher, die vorgaben, Philosophen zu sein, wie Alfred Baeumler, Ernst Krieck, Hans Heyse oder Oskar Becker (die beiden zuletzt genannten waren Schüler Heideggers) – ist es doch allein Heidegger gelungen, dafür Sorge zu tragen, dass sein Werk, welches an allen Phasen des Dritten Reichs von 1933 bis 1945 teilhatte und mit der Niederlage des Nationalsozialismus seinen Abschluss fand, dennoch nach dem Krieg gelesen wurde und eine weltweite Verbreitung erfuhr.

Besonders schwerwiegend ist, dass die Texte, die am deutlichsten Heideggers Treue zu Hitler hervorkehren, heute Bestandteil der Gesamtausgabe sind, wobei Martin Heidegger sie ohne einen auch noch so zaghaften Vorbehalt oder das geringste Anzeichen von Reue zur Veröffentlichung freigab: die Reden, Vorträge und Vorlesungen der Jahre 1933 bis 1935 oder jene den mörderischen Rassismus legitimierenden Schriften wie die Koinon betitelten Ausführungen von 1939/40, die Vorlesung über Nietzsche von 1941/42 oder die Ausführungen zu Ernst Jünger.3 Gerade aber diese Schriften stellen, insofern in ihnen die Apologie einer mörderischen Diskriminierung betrieben wird, die radikalste Negation der menschlichen Wahrheiten dar, denen die Philosophie verpflichtet ist.

Die Situation erfordert also ein der Tragweite des Problems angemessenes Bewusstsein. In dieser Absicht wurde das vorliegende Buch geschrieben. Es steht am Ende von drei Jahrzehnten der Reflexion und von vielen Jahren der Recherche, geprägt nicht nur von Heideggers Schriften, sondern auch von Aufenthalten in mehreren deutschen und französischen Archiven, in denen unveröffentlichte Manuskripte Heideggers aufbewahrt werden.

In der Sorge, nichts zu behaupten, was nicht durch Texte oder Zeugnisse zu belegen ist, haben wir eine größtmögliche Zahl von Texten zitiert, im Namen dessen, was das Recht auf die historische Wahrheit genannt werden kann, zumal diese Texte oft kaum zugänglich oder sogar unveröffentlicht sind.

Unsere Analysen beziehen sich nicht nur auf Heideggers Schriften, sondern auch auf die Schriften einiger anderer im Nationalsozialismus höchst engagierter intellektueller Persönlichkeiten, mit denen Heidegger im Briefverkehr stand oder denen er besonders nah war. So sind wir zu einer ganz neuen Einschätzung der intellektuellen Beziehungen zwischen Martin Heidegger und Carl Schmitt und ihres wechselseitigen Einflusses aufeinander gelangt, und zwar auf der Grundlage expliziter Verweise auf Schmitt, die wir in den unveröffentlichten Seminaren Heideggers gefunden haben. Wir haben uns dabei auch auf ihre jeweiligen Konzeptionen des polemos und des Kampfes gestützt, denen man diejenige Alfred Baeumlers zur Seite stellen...

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