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Heiliger Zorn

Wie die frühen Christen die Antike zerstörten - Mit zahlreichen farbigen Abbildungen

AutorCatherine Nixey
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783641210854
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Packend erzählt von der preisgekrönten jungen Historikerin Catherine Nixey
Im Römischen Reich war das religiöse Leben vielfältig - bis unter den ersten christlichen Kaisern alles anders wurde: Mit aller Macht versuchten die frühen Christen, Andersgläubige zu bekehren, und erwiesen sich dabei nicht nur als extrem intolerant, sondern auch als äußerst gewalttätig. Im ganzen Imperium zertrümmerten sie Tempel und Kultgegenstände, verbrannten Bücher, jagten Philosophen aus den Städten und verfolgten diejenigen, die weiter den alten Göttern opferten.

In »Heiliger Zorn« zeichnet die britische Altphilologin und Journalistin Catherine Nixey ein gänzlich neues und zutiefst erschütterndes Bild der frühen Christen als die wahren Barbaren. Packend enthüllt sie die Gräueltaten, die hinter dem Triumph des Christentums stecken und mit zum Untergang der Antike führten.

Catherine Nixey hat an der Cambridge University Altphilologie studiert und mehrere Jahre lang unterrichtet, bevor sie in London Journalistin für The Times wurde. »Heiliger Zorn« ist ihr erstes Buch und wurde bei seinem Erscheinen in England mehrfach zum »Book of the Year« gewählt sowie mit dem Royal Society of Literature Jerwood Award ausgezeichnet. Die New York Times zählt »Heiliger Zorn« zu den bemerkenswertesten Büchern des Jahres 2018.

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Leseprobe

1   
Die unsichtbare Armee

»Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können.«

LUKAS 10:19

Satan wusste, wie er den heiligen Antonius in Versuchung führen konnte. Er war ihm eines Tages in einem der hintersten Winkel des Römischen Reichs aufgefallen, in Ägypten, wo der junge Mann etwas tat, das für damalige Verhältnisse extrem ungewöhnlich war: Als er um die zwanzig war, verließ Antonius nämlich sein Haus, verkaufte das Grundstück und all sein Hab und Gut und lebte ab sofort in einem Schweinestall.1

In der römischen Welt des Jahres 270 n. Chr. galt das »einfache Leben« nicht gerade als erstrebenswert. Wenn Satan sich die Mühe gemacht hätte, sich das römische Imperium näher anzusehen, so hätte er wohl zufrieden festgestellt, dass sein Werk vollendet war. Allerorten gaben sich die Leute den Todsünden Wollust, Völlerei und Habgier hin. Hatten die Aristokraten von Rom einst voller Stolz eine schlichte, im eigenen Haus gewebte Tunika getragen, so schwitzten die reichen Leute nun unter scharlachroten, mit Gold bestickten Stoffen. Noch schlimmer waren die Frauen: Sie trugen juwelenbesetzte Sandalen und teure Seidenkleider aus derart dünnem Stoff, dass man jede Rundung ihres Körpers sah. Hatten sich die römischen Adligen früher damit gebrüstet, sich durch Bäder im eiskalten Strom des Tibers abzuhärten, zog diese verweichlichte Generation barock dekorierte Badehäuser vor, in die sie zahllose silberne Fläschchen mit Öl und Salben mitschleppten.

Es hieß, dass sich die Besucher jener Räumlichkeiten geradezu schamlos verhielten. Frauen entkleideten sich komplett und ließen sich von Sklaven jeden Zentimeter ihres Körpers mit Öl einreiben. Männer und Frauen badeten gemeinsam, wobei sie, wie ein Beobachter es ausdrückte, »zugleich mit dem Gewand auch das Schamgefühl« ablegten.2 In seiner offensichtlichen Verlegenheit konnte der Verfasser jener Zeilen die »Lust« und die »Hemmungslosigkeit«, die in den feucht-warmen Räumen florierten, nur mit abstrakten Substantiven benennen. Die Fresken in den Thermen von Pompeji waren da schon deutlicher: In einem Umkleideraum befand sich über einer Ablage, auf der Badegäste ihre Kleider lassen konnten, ein kleines Gemälde, auf dem ein Mann eine Frau oral befriedigt. Es gab mehrere solcher Ablageflächen in dem Raum, und über jeder befand sich ein anderes Bild: Auf einem Gemälde war ein »flotter Dreier« zu sehen, auf einem anderen eine lesbische Sexszene und so weiter. Möglicherweise konnten sich die Leute auf diese Weise besser merken, wo sie ihre Kleidung gelassen hatten, als wenn dort nur eine Zahl gestanden hätte.

Hätte Satan einen Blick auf die Esstische im Römischen Reich geworfen, so hätte er mit Genugtuung festgestellt, dass sich die Menschen in diesem Bereich kaum weniger ausschweifend verhielten. Einige Jahrhunderte zuvor hatte Kaiser Augustus noch einfache Speisen wie grobkörniges Brot und handgemachten Käse bevorzugt. Doch diese (von Augustus damals bewusst zur Schau gestellte) Bescheidenheit war nicht von Dauer gewesen: Schon bald tranken die reichen Gourmands aus aufwendig dekorierten Kelchen hundert Jahre alten Wein, der mit Schmelzwasser gekühlt war, und ließen Austern aus Abydos importieren, während andernorts die Menschen verhungerten. Dabei konnten sich die Gäste selbst an den am üppigsten gedeckten Tischen nicht sicher sein, dass sie auch die besten Speisen und Getränke kosten durften: In dieser auffällig hierarchisch strukturierten Welt ließen die Gastgeber den schlechtesten Wein an die unbedeutendsten Besucher ausschenken, den mittelguten an die halbwegs bedeutsamen, und nur erlesene Gäste bekamen die besten Jahrgänge vorgesetzt.

Bevor der junge Antonius in seinen Schweinestall zog, gehörte auch er zu jenen Leuten, die bei einer Einladung zum Abendessen die feineren Weine serviert bekamen. Zwar war er ein Provinzbewohner, das schon, aber er war jung, gut aussehend, fit und gesund; er hatte eine gute Ausbildung genossen (auch wenn er, wie es für privilegierte junge Männer von alters her Tradition war, im Grunde nichts damit anfing), und er war wohlhabend: Erst kürzlich hatte er an die hundert Hektar beneidenswert fruchtbares Ackerland geerbt. Antonius war genau in jenem Alter, in dem ein Mann damit beginnen sollte, sich in der Welt einen Namen zu machen.

Stattdessen gab Antonius alles auf. Kurz nach dem Tod seiner Eltern besuchte er die Kirche, wo ein Kapitel aus dem Matthäusevangelium vorgelesen wurde: »Wenn du vollkommen sein willst«, hieß es dort, »geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben.«3 Und genau das tat er. Doch Antonius (der später so berühmt wurde, dass man ihn heute noch »Antonius den Großen« nennt) reichte das noch nicht: 15 Jahre später siedelte er in ein verlassenes römisches Kastell am Rande der ägyptischen Wüste um, wo er weitere zwanzig Jahre lebte, danach zog er auf einen Berg am Roten Meer, wo er bis zu seinem Lebensende im Jahr 356 blieb.

Antonius war keiner dieser Gourmands aus dem Römischen Imperium. Statt sizilianischer Neunaugen nahm er nur einmal am Tag, nach Sonnenuntergang, ein wenig Brot, Salz und Wasser zu sich. Und selbst das kann keine Mahlzeit gewesen sein, auf die er sich besonders gefreut hat: Während er in der Festung wohnte, wurde ihm nur zweimal im Jahr Brot gebracht. Ein Ästhet hätte mit seiner Art zu leben wenig anfangen können. Antonius schlief auf einer einfachen, aus Binsen geflochtenen Matte und wärmte sich mit einer Decke aus Ziegenhaar. Oft schlief er aber überhaupt nicht und betete stattdessen die ganze Nacht. Andere junge Männer geizten nicht mit teuren Parfüms und Salben und zupften sich so gewissenhaft die Haare aus, dass man (wie die Moralisten murrten) die Kinnpartie manches Mannes nicht von der einer Frau unterscheiden konnte. Nicht so Antonius: Er verachtete seinen Körper. Er geißelte sich jeden Tag und dachte nicht daran, sich mit Öl zu salben; stattdessen trug er ein Cilicium (ein grobes Hemd aus Tierhaaren) und wusch sich überhaupt nicht. Lediglich wenn er einen Fluss durchquerte, lösten sich die Dreckkrusten von seinen Füßen. Es hieß, dass bis zu seinem Tod niemand je seinen nackten Körper gesehen hatte.

Antonius verbrachte sein Leben in Isolation, in Demut (oder, will man keinen christlichen Euphemismus benutzen, Erniedrigung) und Selbstverleugnung; dennoch war er wenige Jahrzehnte nach seinem Tod auf einmal berühmt. Seine Biografie aus der Feder eines Bischofs namens Athanasius war eine literarische Sensation. Die Leser verschlangen das Buch in Ägypten genauso wie in Italien, und es blieb über Jahrhunderte hinweg ein Bestseller. Vom Bericht inspiriert, zogen so viele junge Männer in die Wüste, um dem Asketen nachzueifern, dass es hieß, die Mönche machten aus der Wüste eine Stadt. Einige Jahrhunderte später verehrten die Menschen Antonius als Gründervater des Mönchstums und eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Christentums. Seine Bedeutung erkannte man bereits wenige Jahre nach seinem Tod: Als der heilige Augustinus von Antonius’ entsagungsreichem Leben hörte, war er von der Kraft dieser Erzählung offenbar so sehr bewegt, dass er aus seinem Haus in den Garten lief, sich die Haare raufte und mit den Händen auf seinen Kopf einschlug. Solche einfachen Männer, sagte er, »erheben sich und reißen das Himmelreich an sich«.4

Nicht jeder war von Antonius begeistert. Laut seinem Biografen Athanasius war Satan schockiert, als er den schlafgestörten Heiligen in seinem kratzenden Hemd erblickte. Dass ein so junger Mann bereits so tugendhaft daherkam, durfte einfach nicht sein – der Fürst der Finsternis musste handeln. Womit er ihn überlisten würde, wusste der Teufel sofort: Antonius verachtete die Freuden des Fleisches, daher würde er ihn mit den Freuden des Fleisches in Versuchung führen. Unreine Gedanken waren, wie Athanasius erklärt, Satans übliche Waffe, um junge Leute zu verderben, und so schickte er Antonius als Erstes schlüpfrige Träume, die den unschuldigen Knaben in der Nacht heimsuchen sollten. Doch das konnte den heiligen Antonius nicht beeindrucken: Mit der Kraft des fortwährenden Gebets schob er die Träume fort.

Satan sah sich gezwungen, deutlicher zu werden. Eines Nachts nahm er die Gestalt einer schönen jungen Frau an, die (wie Athanasius, der Meister der faszinierenden Nebenbemerkungen, anmerkte) »alles Mögliche nachzumachen« versuchte, »nur um den Antonius zu verführen«. Antonius kämpfte mit sich, doch er blieb standhaft, indem er sich »die Drohung des ewigen Feuers und die Plage des Wurmes«5 vor Augen führte. Der Teufel knirschte vor Wut mit den Zähnen. Doch er war noch nicht fertig: Einen Trumpf hatte er noch in petto. Und so erschien er Antonius noch einmal, diesmal als schwarzer Knabe, der sich dem Einsiedler zu Füßen warf. Als er dort lag, verkündete der Dämon, er sei der Freund der Unzucht, und prahlte: »Viele habe ich verführt und die meisten überwunden.« Da sang Antonius dem Teufel einen Psalm vor – was man schon damals als so abtörnend empfand, dass der Knabe sofort wieder verschwand.6

Antonius hatte die erste Schlacht gewonnen, aber sein Kampf gegen das Böse war noch lange nicht vorbei. Wenn er in den folgenden Jahrzehnten durch die Wüste wanderte, sah er sich immer wieder teuflischen Übergriffen ausgesetzt. Die Dämonen setzten ihm so sehr zu, dass er seine Stimme...

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