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Heilkunst im 17. Jahrhundert

Wie Dr. Menni die Seligenstädter Mönche kurierte und dabei mit Abt Leonhard I. in Streit geriet

AutorManfred Schopp
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl66 Seiten
ISBN9783640978113
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Medizin - Geschichte, , Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Dieser umfangreiche, rund 140 Seiten füllende Schriftwechsel zwischen den Beteiligten in Seligenstadt, Aschaffenburg und Mainz aus der Schlussphase des Dreißigjährigen Krieges, einer Zeit also, in der Land und Leute bereits großenteils in den oft beschworenen 'Totalruin' getrieben und an den Bettelstab gebracht waren, vermittelt uns vorab eine fundamentale Erkenntnis: Dass es zu dem endgültigen moralischen Verfall, den viele Zeitgenossen als unausweichliches Erbe dieses Krieges erwarteten, nicht kam, ist das unschätzbare Verdienst jener Männer, die in diesen Jahren des Grauens den lokalen Verwaltungen vorstanden und mit ungebrochener Energie Gesetz und Ordnung auch in auswegloser Lage am Überleben hielten. Mehr als die Starrköpfigkeit zweier Dickschädel sollte man die Ernsthaftigkeit und Geduld, die Fürsorge und das rechtliche Denken der Beamten bewundern, die in all dem Elend mit diesem Fall betraut waren. So, als wäre tiefster Friede, als gingen die Dinge ihren gewohnt harmlosen Gang und gäbe es keine dringlicheren Aufgaben zu meistern, so nahmen sie sich der Klagen Mennis und der Einwendungen Colchons an. Diese nimmermüden und tüchtigen Beamten waren es, die mit ihrer Bürokratie den Absturz einer ganzen Generation in blanke Gewalt, Faustrecht und Ganoventum verhinderten, - eine Möglichkeit, die sich am Ende des Dreißigjährigen Kriegs als apokalyptische Vision drohend am Horizont abzeichnete. Überhaupt wirkte die deutsche Beamtenschaft niemals verantwortungsvoller und pflichtbewusster als nach großen Katastrophen, wo oft Übermenschliches zu leisten war. Das gilt für den Dreißigjährigen Krieg ebenso wie für die beiden verlorenen Weltkriege des letzten Jahrhunderts. Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Erwägungen unserem Streitfall zu. Dabei verfolgen wir eine doppelte Spur: Zu einem zeichnen wir anhand der 38 erhaltenen Dokumente den Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Colchon und Menni im Detail nach, zum anderen widmen wir uns anschließend dem medizinischen Aspekt der Sache, indem wir die vier 'Specificationes' Dr. Mennis auswerten. So ergibt sich eine klare Zweiteilung unseres Themas.

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Leseprobe

Erster Teil

 

Der Streitfall

 

Seine Vorgeschichte liegt im Dunkeln. Es muss ihm aber ein untergründiges Zerwürfnis zwischen Menni und Colchon vorausgegangen sein; hierin einem Gewitter ähnlich, das sich unmerklich aus atmosphärischen Störungen aufbaut, um dann die angestaute Spannung urplötzlich in Blitz und Donner krachend zu entladen. Nicht anders muss es auch dem überraschten Abt Colchon vorgekommen sein, als er erfuhr, Dr. Menni habe ihn in einem furiosen Schreiben an Erzbischof Anselm Casimir des schlimmsten Betruges bezichtigt. Menni, wahrlich kein Meister des Floretts, handhabte lieber den schweren Säbel. Ob seine Entrüstung wirklich echt oder nur gespielter Theaterdonner war, bleibe vorerst unentschieden, jedenfalls wurde der Ton alsbald immer rüder, die Ausfälle beiderseits heftiger, so dass an einen gütlichen Vergleich von Anfang an nicht zu denken war.

 

Alles begann am 28.8.1643 mit einem (nicht erhaltenen) Brief Dr. Mennis an Kurfürst Anselm Casimir. Darin beklagte er sich, Abt und Kloster Seligenstadt wollten ihn, ihren „wohlemeritierten bestellten medicum ordinarium“ (ordentlichen Arzt), um sein sauer verdientes Honorar prellen. Er bitte darum, der Erzbischof und Kurfürst möge ihm doch zu seinem Recht verhelfen. Dieses Schreiben führte dazu, dass am 24.9. aus Mainz ein Dekret mit beigelegter Klageschrift Mennis an Abt Colchon abging, demzufolge dieser aufgefordert wurde, den „Supplicanten (=Bittsteller) seiner vielfältigen gehabten Mühe halber“ klaglos zu stellen.

 

Der ungeduldige Dr. Menni hatte indessen am 23.9. aber bereits eine zweite Bittschrift eingereicht und darin geklagt, selbst die Heiden würden sich gegen ihre Wohltäter erkenntlicher erzeigen als jener betrügerische Abt, der ihm wohl mit ungebührlichen Aktionen ein Schnippchen schlagen wolle. Das Kloster habe mit ihm, als er 1636 zum Nachfolger Dr. Hornegks  als Arzt bestellt worden sei, vier Ohm Wein jährlich und eine „Spezialbelohnung“ ausgemacht. Er habe seit 1637 bis jetzt (1643) 220 Tage im Dienst des Klosters „mit hin und her raißen, zu wasser und landt, zu tag und nacht“ hingebracht, wovon allein 70 Tage auf die vertraglich vereinbarten vierteljährlichen Visitationen im Kloster entfielen. All diese Besuche hätten mit barem Geld bezahlt werden müssen, aber er habe in Seligenstadt bisher sein Talent, ohne einen einzigen Heller und Pfennig zu verdienen, verschwendet. Wem die nun von ihm geforderte Summe von 200 Reichstalern als zu hoch gegriffen erscheine, der solle bedenken, dass ihm eigentlich – in Übereinstimmung mit jeder medizinischen Fakultät – für jeden Tag zwei Reichstaler zuständen, also 440 Reichstaler.

 

Von dieser zweiten Beschwerde Mennis beim Kurfürsten und dem kurfürstlichen Dekret vom 24.9. kann  Colchon noch nichts gewusst haben, als er am 9. Oktober die ihm zugetragenen Anschuldigungen Mennis in einem stilistisch und formal glanzvollen Brief, der jeder kalligraphischen Sammlung oder Stilkunde zur Zierde gereichen würde, zurückwies. Geschickt begann Colchon mit dem Hinweis, kluge Untertanen wüssten, dass sie ihrem Landesvater, zumal in dieser Elendszeit (exulceratissimo tempore) nicht mit ausgemachten Bagatellen zur Last fallen sollten, vor allem dann nicht, wenn, wie in diesem Falle, der Landesvater und Kurfürst, gleichzeitig auch Reichserzkanzler für Deutschland, alle seine Kräfte zur Rettung des bedrohten Vaterlandes, ja des Heiligen Römischen Reiches, verschleiße. Das habe jener Dr. Menni, Physicus in der Residenzstadt Aschaffenburg, wohl nicht bedacht, und so müsse er, Colchon, - so sehr es ihm auch widerstrebe – zu seiner und des Klosters Ehrenrettung jenen verleumderischen und haltlosen Auslassungen dieses aufgeblasenen Wichtes entgegentreten. Er wundere sich, dass Dr. Menni, der bisher niemals, weder mündlich noch schriftlich, wegen vorenthaltenen Honorars bei ihm Klage geführt habe, plötzlich und noch dazu zur Unzeit an allerhöchster Stelle vorstellig werde, was weder mit der praktischen Vernunft noch mit einem ordentlichen Instanzenweg vereinbar sei. Für seine Dienste, die er übrigens nicht sieben, sondern allenfalls fünf Jahre geleistet habe, sei er zunächst von Fall zu Fall in Geld oder Früchten entlohnt worden. Dann aber habe das Kloster, um die Honorarfrage zu vereinfachen, am 19.12.1641 einen Vertrag mit Menni geschlossen, wie er bekanntermaßen auch mit Aschaffenburger Bürgern und Kanonikern bestehe (4). Darin sei ausbedungen, dass Menni viermal des Jahrs, also im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, ins Kloster komme, um den Gesundheitszustand der Konventualen zu überprüfen. Sofern Grund zu ärztlicher Versorgung gegeben sei, sollte das Kloster die nötigen Medikamente aus der Apotheke beziehen. In allen anderen dringenden Notfällen müsse der Arzt ebenfalls nach Seligenstadt eilen, das Kloster stelle ihm aber dann ein Pferd oder einen Kahn (scapha). Für seine Dienste seien jährlich vier Malter Getreide (Korn) und zwei Ohm Wein vereinbart. Für 1642 habe er ohne Widerspruch diese Lieferung erhalten; selbst für das laufende Jahr 1643 seien ihm auf sein Drängen, obwohl die Weinernte noch nicht abgeschlossen sei, drei Malter Korn und zwei Ohm Wein verabreicht worden. Es sei nicht ersichtlich, worauf jener „gute Doktor“ seine abwegigen und erlogenen Behauptungen gründen wolle, und daher bitte er, Colchon, der Kurfürst möge das arme Kloster Seligenstadt, das für sein Wohlergehen und seine Unversehrtheit beständig bete, vor allen Anfeindungen schützen.

 

Kaum war dieser Brief geschrieben, so erhielt Colchon einen Tag später, am 10. Oktober 1643, mit der Post aus Mainz das bereits erwähnte Dekret vom 24.9., das ihn zur Begleichung der Honorarforderungen Mennis aufforderte. Colchon muss aus allen Wolken gefallen sein, hoffte er doch, mit seiner glasklaren Argumentation vom 9. Oktober allen weiteren Machenschaften des umtriebigen Arztes den Boden entzogen zu haben. Er ließ also am 12. Oktober schleunigst einen zweiten Brief  an den Kurfürsten folgen, worin er nun – seine ausgefeilte lateinische Kunstprosa beiseite lassend – auf Deutsch Klartext redet. Teils wiederholt er seine Argumente vom 9.10., teils finden sich auch neue Töne. Dr. Menni habe ihn, Colchon, nicht nur beim kurfürstlichen Vogt in Seligenstadt angeschwärzt, sondern auch in Frankfurt und Mainz grobe, unverschämte, ja freventliche Verleumdungen über ihn verbreitet. Die Ärzte, die das Kloster vor Dr. Menni konsultiert habe, nämlich Dr. Horneck und Dr. Bayer, seien ohne jeden Verdruss mit dem Kloster ausgekommen; dass dies bei Dr. Menni anders sei, könne er sich nur so erklären, dass man ihn, Dr. Menni, und seine Gemahlin nicht mit der Kutsche zur Seligenstädter Kirchweihe habe abholen lassen. Das habe der reizbare Medicus wohl dem Kloster übelgenommen. Dennoch wundere er sich über Mennis „böse, lästerliche Zunge“, der sich die gottlosen Juden mit ihrem lügnerischen Geschwätz zum Vorbild nehme und sich dazu versteige, sich mit Jesus Christus zu vergleichen, der dem Kaiser widerspreche. Er, Colchon, erhoffe sich zuversichtlich allerhöchsten Schutz vor solchen Schmähreden und Geschmacklosigkeiten.

 

Diese zweite Eingabe des Abts von Seligenstadt konnte in Mainz noch nicht ihre beabsichtigte Wirkung tun; denn bereits am 15. Oktober war an Menni die Mitteilung ergangen, die kurfürstliche Regierung habe seine Klageschrift abschriftlich nach Seligenstadt weitergeleitet mit der Aufforderung, das ausstehende Honorar umgehend zu begleichen. Dr. Menni hatte also, wider Erwarten Colchons, zunächst auf der ganzen Linie gesiegt.

 

Colchon ließ sich aber von dem kf. Dekret nicht beeindrucken und spielte auf Zeit. Am 19. Oktober erneuerte Menni daher seine bekannten Klagen, indem er hinzufügte, er sei den Mönchen „in vergangenen schwären contagiosischen morbis (="ansteckenden" Krankheiten) und Erbseuchten getreulich beigesprungen“. Trotz eines kf. Dekrets weigere sich der Abt dreisterweise immer noch, die geforderten 200 Reichstaler zu zahlen...

 

Um auch – unabhängig von seinen Eingaben an den Erzbischof – die kf. Justizverwaltung unter dem „Großhofmeister“, kf. Geheimen Rat und Vicedom zu Aschaffenburg, Gerhard von Waldenburg (5) für seinen Standpunkt zu gewinnen, schilderte er am 22. Oktober 1643 in einem weiteren Schreiben seine Sicht der Dinge. Danach sei er überhaupt erst „zu des Closters leibmedicum“ bestellt worden, als sein glückloser Vorgänger Dr. Horneck wegen des hartnäckigen Quartanfiebers, das „nach Ablauff des Aequinoctii verni“ (= Frühlings-Tagundnachtgleiche) immer noch nicht habe weichen wollen, am Ende seiner Kunst angelangt sei. Er, Menni, sei es dann gewesen, der dem todkranken Abt das Leben gerettet und nun zum Dank für zwei Jahre aufopfernden Dienstes an den Kranken nur vier Ohm Wein und sieben Malter Korn erhalten habe, „welches in so langer Zeit keines Jungen trinkhgelt, wie geschweige eines ehrlichen Mannes belohnung“ sei. Der Kurfürst selbst habe sub dato des 26. September dem Abt befohlen, den rückständigen Lohn zu zahlen, aber dieser „obstinatische (= sture) Apt, der sonsten in allem der kleine pabst sein wil“, trotze kühn dem klaren Befehl des Kurfürsten.

 

Kaum war dieses Schreiben abgeschickt, erhielt Menni am 28. Oktober zum zweiten Male Post aus Mainz, nämlich in Abschrift die Antwort Colchons auf das Dekret vom 24.9. (also den Brief vom 12. Oktober) und ein...

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