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Heimathafen

Wie wir mit unserem Hausboot das Glück auf dem Wasser fanden

AutorJill Grigoleit, Ole Grigoleit
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783843720519
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Sanft in den Schlaf geschaukelt werden. Den morgendlichen Kaffee mit Blick aufs Wasser genießen. Und aus dem Wohnzimmer heraus das Abendessen angeln. Was für viele Menschen nach einem Traum klingt, ist das Leben von Ole, Jill, Line und Morlin. Seit fünf Jahren wohnt Familie Grigoleit auf einem Hausboot in ihrem eigenen kleinen Hafen, versteckt zwischen saftig grünen Deichen in einem Seitenarm der Elbe. Die Idee, ein Hausboot zu bauen und darauf zu leben, entstand eigentlich aus der Not heraus. Trotz vieler Herausforderungen wurde sie zur besten Entscheidung ihres Lebens. Eine faszinierende Lebensgeschichte einer mutigen Familie, die es gewagt hat, aus ihrem gewohnten Alltag auszubrechen und neu zu beginnen - im Einklang mit den Gezeiten und abseits der Großstadthektik.

Ole Grigoleit, geboren 1984 in Hamburg, ist gelernter Schiffsmechaniker und studierte Nautik in Bremen. Sein Vater arbeitete als Lotse auf dem Nord-Ostseekanal. Seit 2014 betreibt Ole südlich von Hamburg mit seiner Frau einen Hafen in einem Seitenarm der Elbe und arbeitet dort als Hafenmeister. 

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Leseprobe

»Weißt du was?
Ich bau uns was!«

Wie alles anfing


Sommer 2011

Ich traue mich kaum einen Schritt weiterzugehen in all dem Schutt, aus Angst, einzubrechen oder etwas noch Ekligeres als den Rattenkopf zu finden, den Ole eben unter einer Bohle hervorgeholt hat. Es stinkt, und es ist die reinste Bruchbude. Eigentlich kann man nicht mal von einer »Bude« sprechen. Die Wände bestehen nur aus ein paar Brettern, und es gibt keinen Fußboden. Man blickt auf die nackte Bilge, also den Stahlrumpf. Wobei man auch von diesem vor lauter abgeblätterter Farbe und Rost kaum mehr etwas erkennen kann. Fast habe ich ein bisschen Angst davor, zu Ole rüberzuschauen. So gut kenne ich ihn schon. Und als ich sein Lächeln, das Leuchten in seinen Augen sehe, weiß ich: Die Entscheidung ist eigentlich schon gefallen. Dieser alte Kahn, dieser schwimmende Trümmerhaufen ist das reinste Paradies für Ole – und es ist offenbar unser zukünftiges Zuhause.

Manche halten Ole für einen Spinner, ich nenne ihn mittlerweile einen »Visionär«. Aber es hat Jahre gedauert, bis ich den feinen Unterschied erkannt habe. Er fantasiert nichts herbei, was nicht da ist – doch er wittert es, wenn irgendwo ein Potenzial schlummert, und sei es auch noch so versteckt. Wo andere einen Haufen Schrott sehen, entdeckt er einen Schatz. »Das ist alles machbar! Hier ein bisschen Rost klopfen, da ein bisschen schweißen. Das Haus reißen wir ab, in ein paar Wochen bau ich dir da ein neues drauf. Du wirst sehen! Und wenn es nicht klappt, bekommen wir für den Rumpf immer noch den Stahlwert! Wir können gar nichts verlieren!« Er ist nicht so naiv, wie es hier klingen mag. Aber er weiß, dass es mir Angst machen würde, wenn er gleich alle Karten auf den Tisch legen würde, was Probleme und Hürden angeht. Also gibt er sich Mühe, die Sache herunterzuspielen.

Das war schon immer seine Stärke: Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er alle Register. Er lullt mich so lange mit Argumenten ein und rechnet mir alles so lange vor, bis selbst mir – dem Angsthasen in unserer Beziehung – das Risiko minimal erscheint. Im Grunde hatte ich schon keine Chance mehr, als er die alte Schute bei eBay entdeckt hatte. Ole ist kein weltfremder Träumer, sondern ein fantasiebegabter Anpacker. Wenn er von etwas träumt, setzt er es konsequent und in rasantem Tempo in die Tat um. Seit ich ihn kenne, ist kein Jahr vergangen, in dem er nicht mindestens fünf Projekte angegangen hat, die meisten gleichzeitig. Am liebsten hätte er sechs Hände und 48-Stunden-Tage. Manchmal behauptet er, er wünsche sich einen einfachen Angestelltenjob und eine Mietwohnung mit »Handwerkerservice«. Aber ich bin mir sicher, er würde sich zu Tode langweilen – und wenn mal ein Handwerker käme, würde er im Nachhinein alles noch mal, nämlich »richtig« machen. Seit ich mit Ole zusammen bin, habe ich keinen Handwerker mehr zu Gesicht bekommen, weil er alles selbst macht.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass wir jetzt hier in dieser Bruchbude stehen und im Begriff sind, uns einen rostigen Kahn als Grundlage für unser erstes gemeinsames Zuhause zu kaufen, muss man noch ein paar Wochen zurückspulen.

Alles begann an einem verregneten Juninachmittag. Zusammen mit etwa fünfzig anderen, genauso frustriert dreinblickenden Gestalten standen wir im Regen in einer Schlange vor einem mehrstöckigen Gebäude in Hamburg- Eimsbüttel. Und warteten. Wir warteten darauf, uns binnen maximal fünf Minuten als die besten Mieter für eine überteuerte, heruntergekommene Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung zu präsentieren, die wir eigentlich gar nicht haben wollten. Und wir warteten, obwohl wir schon wussten, was uns da im zweiten Stock des Klinkerbaus erwarten würde: ein genervter und überheblicher Makler, der mit einem Stapel Bewerbungsbögen im Arm an der Eingangstür stehen und die Leute in kleinen Grüppchen an sich vorbei in die Wohnung winken würde. Er würde nicht mal so tun, als müsste er die Wohnung anpreisen oder den Leuten irgendetwas dazu erzählen. Wozu auch? Jeder hier wäre glücklich, wenn er sie bekäme, egal in welchem Zustand und egal zu welchem Preis. Und wir warteten, obwohl wir wussten, dass wir keine Chance hatten mit unseren mickrig ausgefüllten Bewerbungsbögen. Denn die erste Frage des Maklers würde unweigerlich wieder die nach einem Arbeitsvertrag sein. Und den hatten wir nicht, keiner von uns.

Nach Hamburg sind wir gekommen, um beide einen Job zu finden. Und wir wollen jetzt zusammenwohnen. Bisher war unser Lebensmodell: zusammen sein, aber in verschiedenen WGs wohnen. Eine Wohnung bekommt jedoch nur, wer einen festen Arbeitsvertrag vorweisen kann. Oles Selbstständigkeit und mein Studentenstatus genügten Vermietern nicht.

Als der Regen schlimmer wurde, löste sich die Schlange der Hoffnungslosen auf. Auch wir gaben auf und steuerten frustriert ein nahe gelegenes Café an. Und da, in diesem Moment, nassgeregnet, genervt und voller Zweifel, begann die Geschichte unseres Lebens. Denn irgendwo in den ideenreichen Windungen und Wirrungen von Oles Gehirn hatte vor einiger Zeit eine Art Plan begonnen, sich zu entwickeln. Nein, Plan ist das falsche Wort. Ole ist niemand, der ausgereifte Pläne schmiedet. Ole ist jemand, der viele verrückte Ideen hat. Und ab und zu kann er nicht anders, als eine davon umzusetzen – und zwar sofort. Während ich also weiter tapfer nach Wohnungsangeboten suchte, zückte Ole sein Handy und ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Er stöberte bei eBay herum. Und zwar so, wie er es gerne tut: ziellos. Dachte ich jedenfalls.

Ich hatte mich gerade selbstständig gemacht, mit einem Entrümpelungsservice und als Messebauer. Gar nicht mit der Absicht, wirklich eine Firma mit allem Drum und Dran zu gründen. Ich wollte nur keine Probleme wegen Schwarzarbeit bekommen. Als wir uns auf Wohnungssuche in Hamburg machen, bin ich gerade in einem kleinen Sportboothafen in Hamburg-Harburg damit beschäftigt, in einer Hafenbarkasse den neuen Fußboden zu verlegen. Meine Auftraggeber sind der Hafenmeister und seine Frau; sie haben den Hafen vor Kurzem übernommen. Zu der Anlage gehört eine gut ausgestattete Werkstatt, in der sowohl Holzarbeiten als auch Metallbearbeitung möglich sind. Ich verstehe mich sofort mit den beiden und finde es spannend, wie vielfältig ihre Aufträge sind und wie zielstrebig und furchtlos sie die anfallenden Aufgaben angehen. Mein Tätigkeitsfeld dort kennt eigentlich keine Grenzen – von Bootsservice bis Messebau und von Tischler- bis zu Schlosserarbeiten. Und ich lerne sogar, über einer Schmiedeesse Opferanoden aus Zink zu gießen, für ein Kraftwerk. (Als ich Jill davon erzähle, guckt sie mich allerdings an wie ein Auto. »Opferanoden?!?« Ich scheine wirklich ein Freak zu sein.)

Jill hat ein WG-Zimmer in der Hamburger Innenstadt gefunden, allerdings nur zur Zwischenmiete. Weil wir glauben, dass es nur übergangsweise sein wird (weil wir ja bald in unsere eigene Wohnung ziehen werden), klappt es einigermaßen, dass wir uns das Zimmer mehr oder weniger teilen. In dieser WG habe ich im Laufe meiner Sturm- und Drangzeit bereits mehrere Male gewohnt, die Mitbewohner kennen mich daher alle sehr gut. Oft schlafe ich aber zusammen mit unserer Hündin Yola in unserem VW-Bus im Hafen, weil es bequemer ist, am Morgen direkt am Arbeitsplatz zu sein. Und es ist einfach etwas Wunderschönes, den ersten Kaffee direkt am Wasser zu genießen.

Wir haben uns damals echt viele Wohnungen angeschaut. An eine erinnere ich mich noch gut. Wir hätten sie tatsächlich bekommen können, über Vitamin B. Allerdings hatte sie bei der Besichtigung keinen Fußboden und sah sehr heruntergekommen aus. Man hatte freie Sicht auf Balken und Isolierung, und die Wände sahen einsturzgefährdet aus. Ich für meinen Teil konnte mir die Wohnung schon fertig renoviert vorstellen und hätte dafür plädiert. Aber Jill war direkt abgeschreckt. Meine Sorgen galten eher der zwielichtigen Gegend, in der meine Freundin nachts ohne Begleitung hätte herumlaufen müssen.

Allmählich müssen wir uns eingestehen, dass es weitaus schwieriger ist, eine Mietwohnung zu finden, als wir gedacht haben. Und über die Alternative »Eigentum« nachzudenken verbietet sich von selbst, wenn man keinerlei finanzielle Rücklagen hat. Allerdings würden meine Eltern für ihre drei Kinder, also für mich und meine beiden Schwestern, ihr letztes Hemd geben. Und so kommt angesichts unserer immer verzweifelteren Suche nach einer Mietwohnung irgendwann doch die Idee auf, vielleicht eine Eigentumswohnung in Hamburg zu kaufen. Der Gedanke ist verlockend. Keine Miete, sondern einen Privatkredit bei meinen Eltern, die wiederum einen Kredit bei der Bank aufgenommen hätten, und eine monatliche Miete, die der Ratenzahlung an die Bank entspricht. Also beginnen wir mit der Suche nach einem passenden Objekt.

Ein paar Wochen später wird uns die erste halbwegs erschwingliche Wohnung im Stadtteil Hamburg-Eppendorf angeboten. Eppendorf kam für mich als Hamburger Partyszenerumtreiber bis dahin eigentlich weniger infrage – das Viertel ist im Vergleich mit meinem St. Pauli doch eher spießig. Eigentlich halte ich mich auch nur selten in anderen Stadtteilen auf, wenn es nicht wegen der Arbeit nötig ist. St. Pauli ist für mich der Mittelpunkt Hamburgs. Es gibt alles direkt vor der Tür: kleine Cafés, wo man am Nachmittag einfach nur über das Leben reden und nachdenken kann. Alle Läden, die man braucht. Und abends kann man sich vor der Haustür entscheiden, ob man nach rechts in Richtung Schanze geht oder nach links in Richtung Hafen oder Hamburger Berg. Und man kennt seine Nachbarn, wie in einem kleinen Dorf. Verlässt man...

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