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Heini Holzer. Meine Spur, mein Leben

Grenzgänge eines Extrembergsteigers

AutorHeini Holzer, Markus Larcher
VerlagEdition Raetia
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl178 Seiten
ISBN9788872835456
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Heini Holzer war der Steilwandfahrer der Siebzigerjahre. Als Gratwanderer zwischen Erfolgszwang und Todessehnsucht war er einer der ersten und besten seiner Zunft. Am 4. Juli 1977 starb er im Alter von 32 Jahren beim Versuch, die Nordostwand des Piz Roseg in der Berninagruppe zu befahren. Es war seine 104. Steilwandfahrt. Holzer war ein außergewöhnlicher Mensch: Aus einfachsten Verhältnissen stammend, klein von Statur, aber zäh und willensstark, bewältigte er höchste Schwierigkeitsgrade in Eis und Fels. Als Hirte und Kaminkehrer blieb er aus Überzeugung Amateur, spielte aber in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Wettbewerb um Erstbesteigungen und -befahrungen der verbliebenen weißen Flecken der Alpen ganz vorne mit. Sein Können als Kletterer stellte er unter anderem als Seilgefährte von Sepp Mayerl, Peter Habeler oder Günther und Reinhold Messner unter Beweis. Seine Welt war jene des VI. Schwierigkeitsgrades (damals der höchste) und der 55°-Wände. Im Steilwandfahren entwickelte er seinen eigenen Stil und befuhr die Wände nur, nachdem er sie im Aufstieg bezwungen hatte. Niemals bediente er sich eines Helikopters.

Heini Holzer: Geboren 1945 in Taufers im Münstertal in ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater: seit einem halben Jahr vermisst; seine Mutter, eine Magd, muss das Neugeborene in Pflege geben. 1946 heiratet seine Mutter ein zweites Mal. Heini Holzers Kindheit ist geprägt von häufigen Umzügen, der Trennung von der Mutter, dem Fehlen eines Bezugs zu seinem Stiefvater, der Einsamkeit als Hüterjunge, der Liebe zur Natur und zu den Bergen. Erste Klettertouren im Alter von 15 Jahren. Eintritt in den Bergrettungsdienst und den AVS, Alpenverein Südtirols. 1963 Wende hin zur Extremkletterei. Im Winter 1964 ein einschneidendes Erlebnis: Beim Abstieg durch die Stückrinne der Ortler-Nordwand reißt ein Schneebrett Heini Holzer und seine Seilschaft in die Tiefe. Holzer wird nicht verschüttet und kann die anderen befreien. Dieser Todeserfahrung zum Trotz steckt sich Holzer ein hohes Ziel: bester Extrembergsteiger, später bester Steilwandabfahrer seiner Zeit zu werden. Und führt Buch über seine Touren, die er unter anderem zusammen mit Leo Breitenberger, Helmut Larcher, Dieter Drescher, Roberto Reali, Walter Bonatti, Sepp Mayerl, Reinhold Messner macht. An einem Tag im Juli 1977 ereilt ihn der Tod: unterhalb des Gipfels des Piz Roseg stürzt er in die Tiefe. Markus Larcher: Geboren 1962 in Meran, Studium der Theaterwissenschaften und Publizistik in Wien, Diplomarbeit über den Spanischen Autorenfilm. Theaterpädagogische Arbeiten, Autor verschiedener Sachbücher und Gestaltung zahlreicher Filmdokumentationen für den RAI-Sender Bozen. Seit 1993 publizistisch tätig, zunächst für 'südtirol Profil' ab 2003 als Journalist beim Südtiroler Wochenmagazin 'ff'.

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Leseprobe

Zu Hause in Extremen


Der Spinner

Was denkt der, der da vorbei ging, an der Hütte, wo alle einkehren? Er war in Gedanken verloren, sah niemanden, er läuft, als würde er verfolgt, seine Augen sehen immer wieder nach oben, als würden sie suchen, was er vergessen, verloren. Immer schneller geht er, überwindet die Matten, das Kar, erreicht den Wandfuß.

Der Eigenwillige


Zu Hause in den Bergen, zu Hause in der Natur. In der Wüstenlandschaft Hochgebirge beheimatet zu sein, heißt sich Extremen stellen, in Extremen zu leben. Hier, abseits der unnatürlichen Alltagsgesetze der Menschen, findet Heini Holzer sein wahres, einfaches Glück. Die Berge lehren ihn das Wichtigste: wie man überlebt.

„Klein ist das Alpenglöcklein, aber es hält alle Härte der Natur aus. Man sieht: Um zu widerstehen, braucht man nicht groß zu sein, wie der Mensch es oft glaubt.“

Bereits als Bub hatte Heini gelernt zu widerstehen: den widrigen Verhältnissen beim Hüten, den Verspottungen der Gleichaltrigen, dem ungeliebten Stiefvater, dem Schmerz im Allein-gelassen-Sein. Von Kindestagen an hatte er seine eigenen Wege zu gehen. Die Eigenwilligkeit ist ihm Überlebensstrategie. Die Anpassung an eine Gesellschaft, die man nur von ihrer ausgrenzenden Seite kennengelernt hat, fällt schwer. Immer schwerer. Dabei würde sich Heini nichts mehr wünschen, als in ebendieser Gemeinschaft zu Hause zu sein, geliebt und anerkannt. Eigenwillige aber gelten als Eigenbrötler, Sonderlinge, Spinner.

Im Alltag lächle ich nur äußerlich, am Berg aus dem Herzen. Warum soll ich nicht in die Berge gehen? Wenn ich mich dort finde, wie ich bin: glücklich, zufrieden, daheim und stark.

„Schon als Kind ging ich auf die Suche nach Wahrheit, nach Wirklichkeit. Ich suchte all das bei Menschen in der Gemeinschaft. Ich sah lachende Gesichter, schöne Kleider und Häuser, hörte schöne Worte, schöne Lieder. Als ich überall daran genippt hatte, sollte ich dahinterkommen. Ich sah mich um in meiner verzweifelten Lage, in der ich steckte: die Wirklichkeit und die Wahrheit war grausig. (…) Die schönen Worte und Lieder überschatten nur die Lüge bzw. Ungewißheit und Trauer. Unermüdlich suchte ich weiter nach Wahrheit, nach Wirklichkeit. Ich fand sie nur bei ganz, ganz wenigen Menschen. (…) Darum suche ich in der Einsamkeit mein Glück, wo ich frei bin, wo der Schnee im Frühling alles frei gibt, das ,Echte‘.“

In seiner Suche nach dem „Echten“ bleibt Heini Holzer ein Einzelgänger bis an sein Lebensende. Mit der Gesellschaft hat er sich arrangiert. Und er macht das Beste daraus: Heini ist eine Stimmungskanone und unterhält auf der Gitarre, mit der Mundharmonika oder mit Witzen ganze Runden. Zum Tanzen sucht sich der Kleinwüchsige auf Bällen grundsätzlich die größten Frauen aus. Amüsement pur. Aber die Heiterkeit hat für Heini ihre Grenzen. Für sich stellt er klar: „Im Alltag lache ich nur äußerlich, am Berg aus dem Herzen.“

Der Alltag ist oft unerträglich, nicht wegen der Arbeitshärte, nein wegen der Menschen. Man fühlt sich immer einsamer und sucht dort, wo die Stärke vieler Menschen scheitert, nach dem Licht, nach sich selbst.

Der Berg erscheint Heini Holzer auch der ideale Ort zu sein, um Herzensangelegenheiten zu verhandeln. So stehen Frauen, die ihm etwas bedeuten, in der Namengebung neueröffneter Führen Pate. Die Direttissima der SO-Wand am Piccolo Daino di Pietramurata tauft er auf „Via Traudy“, den Südostriß am Spaloti di Fai auf „Via Ilse“, den SW-Pfeiler der Scheibenspitze auf „Erika-Pfeiler“ oder die Kante am Meisules dla Biesces (Sella) auf „Sieglinde-Kante“. Dem Berg kann er sich ungeniert anvertrauen.

Wann immer es geht, eilt er ins Gebirge. In jungen Jahren zu Fuß, dann mit dem Fahrrad oder per Anhalter, mal mit seinem „Fiffi“, wie er sein Leichtmotorrad nennt, oder später mit dem „Gamsl“, dem Fiat 500. Seine benamten Fortbewegungsmittel haben so etwas wie Persönlichkeit, schließlich bringen sie ihn in sein Traumland. Bereits die Anfahrt erlebt er oft genug als Abenteuer. In improvisierten Nächtigungen in Heustadeln, hinter Sträuchern und im Auto, lebt er einen schon vergessenen Bergvagabundismus: die Vorstellung vom ungezwungenen, freien Leben. Es ist ein Bergvagabundismus auf den Spuren der Großen: Wo haben sich ein Buhl und Rainer auf ihren Berganfahrten nicht schon überall hingeworfen? Geldmangel ist für Heini nicht wirklich ein Problem, solange er ans Bergziel kommt. Spartanisch zu leben, das ist dem Jugendlichen wie später dem 30jährigen Programm.

Es gibt wenig Menschen, die sich des Lebens so oft erfreuen. Wie oft haben wir Freudensmomente, die um viel Geld nicht zu bekommen sind. Welche Menschen haben größeres Glück? Doch welche Menschen sind empfindlicher als wir?

Als Jugendlicher fährt er nächtens mit dem Fahrrad ins verschneite Martelltal. Beinahe entschuldigend schreibt Holzer in sein Tourenbuch: „Das Rad teilweise geschoben, wegen des Gewichtes des Rucksacks und der Skier“. Daß die Fahrbahn verschneit ist und die Straße bis zu 18 Prozent Steigung aufweist, wäre als Grund fürs Absteigen beinahe noch zu wenig. In der Nähe der Zufallhütte gönnt er sich in den frühen Morgenstunden eine Stunde Schlaf – ohne Biwaksack bei 0° Celsius. Dann geht er die Skitour auf den Cevedale und die Zufallspitzen an. Daß Holzer fast gar nicht Ski fahren kann, tut nichts zur Sache …

Selbst als er später seine erste Steilwandfahrt in der Marmolata-Nordwand unternimmt, hat er es noch nicht richtig erlernt. Hermi Lottersberger, die mit ihm in die Wand einfährt, traut ihren Augen nicht – und ist entsetzt.

Der Wille schafft Welten – und Heini will. Hatte er nicht schon als Pubertierender Tannenzweige und Gurte unter die Skier gebunden, um mangels Aufstiegsfellen auch im Winter höher zu kommen?

Daß er, wenn er in Begleitung ist, stets der Vorausspurende und Führende sein will, versteht sich beinahe von selbst.

Ich studiere nun das Buch „Nie mehr krank sein“ von Dr. med. Robert G. Jackson. Ein Superbuch und billig (Ernährungskunde, Training und sonst wichtige Sachen). Werde bis aufs Letzte trainieren und mich abhärten.

Schon am ersten Tag der Civetta-Kletterwochen mit Reinhold Messner hatte Holzer darauf bestanden, die ganze Aste-Susatti-Route (VI+) zu führen. Auch für den Abend hat Holzer seine eigenen Vorstellungen: Als der Rastlose nach langwierigen Vorbereitungen zum Wandbiwak endlich zur Ruhe zu kommen scheint, muß ein neues Nachtlager her.

„Wenn Heini wollte, daß etwas anders würde, mußte es anders werden. Und wenn es nur in seiner Einbildung so wurde, wie er es wollte“, beschreibt Reinhold Messner den gemeinsamen Klettertag. Eine Hängematte aus 80 Meter Seil entsteht. Für Heini hat sich die Mühe gelohnt, denn „wir schliefen wie Ratten“.

Lammer, der große Alleingänger, war hier (Texelgruppe, Anm. d. Hrsg.) unterwegs. Vielleicht ist das hier das schönste Plätzchen in den Alpen, auch Lammer schrieb es in einem Brief.

Holzer weiß für seine unkonventionellen Ideen durchaus zu begeistern. Drei Tage lang führt er Hermi Lottersberger über sämtliche Gipfel der Texelgruppe. 6.000 Höhenmeter sind zu bewältigen, 27 km Gratlänge; 37 1/4 Stunden Gesamtgehzeit, wie Holzer buchhalterisch festhält. Extrembergsteiger seines Schlages finden sich im Hochsommer an anderer Stelle, doch für Holzer ist die leichte Wanderung inmitten des Hochgebirges ein Erlebnis.

Überschreitungen fernab alpiner Trampelpfade wird er mit Freunden auch später im Hinterpasseier unternehmen. Seine Begeisterung ist ansteckend.

Schon als 17jähriger Jugendlicher hatte er den um sechs Jahre jüngeren Algunder Siegfried Stocker mit seiner Bergsucht infiziert und in die Kletterkunst eingeführt. Die Begeisterungsfähigkeit zeitigte unerwartete Wirkung: Schon nach wenigen Eistouren wollte der Junge die Ortler-Nordwand hinauf. Holzer, um Schadensbegrenzung bemüht, hatte das Unternehmen zu verhindern gewußt – und war deshalb schnell eine Freundschaft los.

Im Winter 1966 übt sich Holzer (Bild) gemeinsam mit Hans Authier in den Sarntaler Alpen in einer mehrtägigen Gipfelüberschreitung.

Unkonventionell ist Holzer auch bei der Arbeit als Kaminkehrer, wenn er sich zuweilen um 4 Uhr morgens in den Heizräumen der Hotels zu schaffen macht. Es gilt Zeit zu gewinnen für die geplanten Bergtouren. Für viele ist der Mann ein Sonderling. Vor allem in seinem Heimatdorf Schenna, dem Fremdenverkehrsort. In den blühenden 70er Jahren wird in der Hotellerie Arbeit direkt in Besitzvermehrung umgerechnet. Für den Naturburschen ist dies seinerseits ein Rätsel; er hat seine eigene Vision:

„Wie schön wär’ die Welt, wenn wir nicht so reich wären, wenn wir das Essen uns selber suchen müßten, wenn nicht die Mode die Kleidung bestimmte, wenn wir uns selbst unterhalten müßten, wenn wir könnten über Schlechtes schweigen.“

Frischverheiratet würde Holzer deshalb am liebsten seine eigene Welt bauen – ohne gesellschaftliche Kontakte zur Außenwelt. Mit seinen Standpunkten steht der Naturmensch allein auf weiter Flur. Und bleibt in seinen Extremen...

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