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E-Book

Heinrich VIII.

Der König und sein Gewissen

AutorSabine Appel
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl319 Seiten
ISBN9783406638572
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Heinrich VIII. mit seinen sechs Frauen, von denen er zwei aufs Schafott brachte, wird gern als Wüstling und blutrünstiger Gewaltherrscher porträtiert. Sabine Appel betrachtet ihn in ihrer Biographie in ungewohnterem Licht: als humanistisch gebildeten, vielfach talentierten, theologisch versierten und religiösen Mann, dessen Gewissensnöte, oftmals Zeichen eines erstaunlichen Selbstbetrugs, indessen zu weitreichenden Umstürzen mit beträchtlichen Kollateralschäden führten. Die charismatische, aber auch verhängnisvolle Figur dieses Monarchen wird vor dem Hintergrund seiner Zeit und der speziellen Geschichte der Tudor-Dynastie gezeichnet, deren größtes Problem der Selbsterhalt und die Nachfolge war. Die Lebenserzählung ist intensiv mit der Geistesgeschichte verwoben. Werk und Entwicklung von Thomas More, Erasmus oder dem frühen Luther kommen ebenso zur Sprache wie Heinrichs eigene theologische Ambitionen und Beiträge.

Sabine Appel ist promovierte Germanistin und freie Autorin. Von ihr erschienen unter anderem Biographien Goethes und Schopenhauers.

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KLEINE VORGESCHICHTE


Die Tudors


In der Tudor-Geschichtsschreibung, die gewissermaßen mit Shakespeares Historiendramen ihren Höhepunkt feiert, begann alles mit einer eigentlich sträflichen Unterbrechung der gottgewollten dynastischen Serie englischer Könige, als Richard II., der letzte Monarch aus dem Hause Plantagenet, 1399 von Adelsrebellen abgesetzt wurde. Der König war friedliebend und kultiviert, benutzte beim Essen Messer und Gabel, besaß Badezimmer mit fließend warmem und kaltem Wasser, förderte die Kunst und die Literatur und führte in England das Taschentuch ein. In krisenhaften Zeiten erwies er sich aber als handlungsunfähig, jedenfalls als nicht stark genug, um die divergierenden Kräfte des Landes zu bündeln, sein Königtum zwischen den erstarkenden Magnaten, der Gentry, der Kirche und der religiösen Erneuerungsbewegung der Lollarden durchzulavieren. Er arrangierte sich nicht mit dem Adel, trieb eine Günstlingswirtschaft, erlitt militärische Niederlagen und schloss einen dazumal unpopulären Frieden mit Frankreich. Nach einem ersten Absetzungsverfahren durchs Parlament gab sich Richard, wieder zur Macht gelangt und autokratisch bei aller Führungsschwäche, zuletzt noch den Nimbus eines römischen Imperators – mit großen imperatorischen Gesten und einer besonderen Vorliebe für splendide Begräbnisse. Sein von ihm verbannter Cousin Henry Bolingbroke, Sohn des Herzogs von Lancaster, ließ ihn stürzen und bestieg als Henry IV. aus dem Haus Lancaster den englischen Thron. Richard II. starb im Jahr darauf unter ungeklärten Umständen; der neue Herrscher ließ ihn aller Wahrscheinlichkeit nach, um keine Spuren zu hinterlassen, verhungern.

Die Rechtmäßigkeit der Königswürde schien damit zur Disposition gestellt – nicht zum ersten Mal, aber mit stärkerem Nachhall im Bewusstsein der kommenden Generationen. Es war ein Tabubruch, ein Präzedenzfall. Erstmals seit der Eroberung durch die normannischen Invasoren 1066 war die Kontinuität der Erbfolge unterbrochen, in einem usurpatorischen Seitwärtsakt außer Kraft gesetzt. Demzufolge blieben gewichtige offene Fragen: Was zeichnete einen gottbegnadeten König aus? War es rechtens, einen unfähigen Herrscher abzusetzen, ihn gar zu eliminieren? Wie entfaltete sich der göttliche Richtspruch für eine Herrscherwürde? Als Henry V., der Sohn des ersten Lancaster-Königs und Führers der Adelsrebellion gegen Richard II., in der glorreichen Schlacht von Azincourt 1415 die Franzosen besiegte, schien der Makel getilgt, die Zweifel an seiner Königswürde über die Tat seines Vaters zum Verstummen gebracht, denn Gott hatte sein Urteil gesprochen, indem er den begnadeten Herrscher in der Entscheidungsschlacht am Ende zum Sieg führte. Henry Tudor, der Gründer der gleichnamigen Dynastie, sollte das später genauso sehen, und er hatte eigentlich auch keine andere Wahl, um seine Herrschaft zu legitimieren.

Schwache Könige waren in der Tat gemeinhin der Auftakt zu Adelsquerelen mit allen fatalen Folgen für die Geschicke des Landes. Der Fall Edwards II., ein ebenfalls abgesetzter und ermordeter König hundert Jahre vor Richard Plantagenet, hatte das bereits hinreichend dokumentiert. Im Falle Richards II. waren die Folgen jedoch noch verheerender, denn à la longue führte die Absetzung Richards und der Aufstieg der ersten Nebenlinie des Hauses Plantagenet zu dem blutigen Bürgerkrieg zweier rivalisierender Adelsgeschlechter, der im Rückblick beschaulich die «Rosenkriege» genannt wurde, weil das Haus Lancaster eine rote Rose in seinem Wappen trug und das Haus York eine weiße. Dieser Bürgerkrieg sollte die Engländer noch mehrere Generationen lang daran erinnern, wie wichtig ein starkes und unangefochtenes Königtum war. Die Tudors jedenfalls würden ganz fest darauf bauen. Shakespeares Historiendramen spielen sich vor diesem Hintergrund ab. Unter Beibehaltung der Tudor-Ideologie, die die Rosenkriege als Gottesstrafe für die Ursünde der Absetzung und Ermordung des gesalbten Monarchen betrachtet, die erst mit den Tudors ihre providentielle Erlösung und Auflösung findet, werden die aufgeworfenen Fragen mit großer Vielschichtigkeit diskutiert: Tyrannenmord (ein altes antikes Thema), der Umgang mit unfähigen Herrschern, die Legitimität politischer Macht, der Primat des geordneten Staatswesens, den ein Usurpator gegebenenfalls zumindest vorübergehend wiederherstellen kann, Volksgemeinschaft und Staatsordnung, Anspruch und Wirklichkeit. In Anlehnung an eine ganze Reihe von Repräsentanten der Tudor-Geschichtsschreibung, die ihre Chroniken im Laufe der Zeit immer stärker moralisch und theologisch akzentuierten, bis hin zur Vorstellung einer heilsgeschichtlichen Sendung der Dynastie, werden die dreißig Jahre währenden blutigen Bürgerkriegswirren um die Lancasters und die Yorks, Nebenlinien des Hauses Plantagenet, als Folge der Initialschuld von Henry Bolingbroke interpretiert. Shakespeare, der Dichter, zog die wichtigsten späten Vertreter heran: Polydore Vergil, der unter Heinrich VIII. und Edward Hall, der unter Elizabeth schrieb. Bei beiden Autoren wird die Geschichte Englands von Richards Absetzung bis zur Thronbesteigung des ersten Tudor quasi als Parallele zur Christus-Legende gedeutet: Nach dem Sündenfall folgt die Vertreibung aus dem Paradies der harmonischen Volksgemeinschaft, und auf die Gottesstrafe in Form der Bürgerkriegswirren folgt die Erlöserfigur Henry Tudor, die auf dem Schlachtfeld von Bosworth Field für einen Neuanfang steht, für den Zielpunkt, wenn man so will, der Geschichte des Landes nach der unseligen Epoche Lancaster/York. Die König Artus-Legende mit ebenfalls großer Nähe zur Christus-Legende spielt in dieses Deutungsmuster natürlich gleichfalls hinein.

RICHARD III.
Unbekannter Künstler, spätes 16./frühes 17. Jh.

Der Legende nach haben die Tudors die Rosenkriege beendet. Richtiger wäre, zu sagen: Henry Tudor, Graf Richmond, verdankte seine Chance, den englischen Thron zu besteigen, seinem berüchtigten Vorgänger Richard III., dessen vermeintliche und tatsächliche Untaten die politische Stabilität, die sein Bruder Edward IV. von York schließlich nach manchen Wirren, auch während der ersten Jahre seiner Regentschaft, in England erreicht hatte, im eigenen Hause zunichte machte, worauf der Konflikt neu entfacht wurde.

Juni 1483. König Edward ist überraschend gestorben und hinterlässt einen erst zwölfjährigen Nachfolger, vier Töchter sowie einen weiteren, zwei Jahre jüngeren Sohn. Seinen Bruder Richard, Herzog von Gloucester, hat er zum Protektor des Reiches und Vormund seines minderjährigen Erben bestimmt, doch gegen dieses Protektorat und den angeblichen letzten Willen des Königs (der nicht erhalten ist) gibt es im Adel eine starke Opposition, vor allem in Gestalt der Königswitwe Elizabeth Woodville und ihres Clans. Richard York, Herzog von Gloucester, hat nicht nur das Problem, seinen Einfluss unter den gegebenen Umständen möglicherweise nicht halten zu können. Sein Protektorat wird angefochten, die Woodville-Partei, die er ebenso hasst wie sie ihn, schiebt ihn beiseite, und im Augenblick der Krönung des jungen Königs, zu der die Woodvilles drängen, wäre sein Protektorat sowieso hinfällig. Die Situation einer Minderjährigkeitsregierung war zudem immer unbefriedigend und endete erfahrungsgemäß in den Zerreißproben ehrgeiziger Aristokraten. In all diesen Ungewissheiten und seiner eigenen angefochtenen Macht tut Richard eines: Er nimmt sich die Krone. Was auch immer er außerdem tat – und die Nachwelt, das heißt die Historienschreiber der Tudorzeit von John Rous über Bernard André, Philippe de Commynes, Thomas More, Polydore Vergil, Edward Hall, Richard Crafton und Raphael Holinshed bis hin zu Shakespeare im zeitlosen Dichtergewand, macht Richard III. zum Scheusal, zur Deformation alles Menschlichen, Sinnbild des Bösen schlechthin – sicher ist, dass er vor seiner Usurpation seinen verstorbenen Bruder, den König, und folglich auch dessen Kinder mit zweigleisigen Argumenten bastardisierte, wonach er ohnedies der einzige legitime Thronerbe wäre.

Der gängigen Lesart nach bestieg Richard den Thron, nachdem er sich vorher seiner sämtlichen thronberechtigten York-Verwandten entledigt hatte, unter anderem seiner beiden zehn- und zwölfjährigen Neffen, die unter seiner Obhut standen und auf sein Geheiß in den Tower gebracht wurden; damals aber unter anderem eine fürstliche Residenz und noch nicht das Symbol für Kerkerhaft und Hinrichtungen, das er dann wurde. Zweihundert Jahre später hat man zwei Kinderleichen auf dem Towergelände gefunden, die man für die verschwundenen Prinzen hielt, was aber auch nie endgültig geklärt werden konnte. Die Sache bleibt strittig und vieldiskutiert, aber einige angelsächsische Historiker unserer Tage[1] halten es nach wie vor für wahrscheinlich, dass Richard die Kinder, darunter den minderjährigen König, für den er die Vormundschaft hatte, aus dem Weg räumen ließ. Niemand außer ihm hätte einen so offenkundigen Vorteil davon gehabt, und bei anderen Tatverdächtigen passten auch zum Teil die Daten und...

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