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E-Book

Von Helden und Opfern

Eine Geschichte des Volkstrauertags

AutorAlexandra Kaiser
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl462 Seiten
ISBN9783593410067
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist der Soldatentod wieder in der Diskussion. Erstmals stellt Alexandra Kaiser hier die Geschichte des Volkstrauertages dar, der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1922 als Gedenktag für die im Ersten Weltkrieg gestorbenen Soldaten eingeführt wurde. Im Nationalsozialismus wurde er zum 'Heldengedenktag ', in der Bundesrepublik zum 'Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt'. Der Volkstrauertag mit seinen sich wandelnden Inszenierungen und Bedeutungen erweist sich als Brennspiegel der deutschen Erinnerungskultur im 20. und 21. Jahrhundert.

Alexandra Kaiser, Dr. rer. soc., ist wissenschaftliche Volontärin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

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Leseprobe
X. Vom Heldengedenktag zum »Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt«? (S. 268-269)

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte der Volksbund sein ursprüngliches Konzept des Volkstrauertags insofern, als dass er neben den gefallenen Soldaten nun auch die zivilen deutschen Kriegstoten in das Gedenken mit einschloss. Ab den 1960er und vor allem in den 1970er Jahren begann sich die Darstellung des Gedenktags in der Öffentlichkeit dann noch einmal deutlich zu wandeln. Aleida Assmann hat im Blick auf die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 die Unterscheidung gemacht zwischen einem »Leidgedächtnis« der Familien und einem normativ konditionierten »Schuldgedächtnis« des Staates1 – im Volkstrauertag mussten beide Ebenen zusammenkommen.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dessen Mitglieder sich zum Großteil aus ehemaligen Soldaten und Hinterbliebenen der deutschen Kriegstoten rekrutierten, agierte im Namen des deutschen »Leidgedächtnisses « – das Gedenken an die Opfer der Volksgemeinschaft standen aus dieser Perspektive eindeutig im Zentrum. Die Regierung als Exponentin des nationalen »Schuldgedächtnisses« hingegen sah es als ihre Aufgabe an, auch der ehemaligen NS-Verfolgten und derjenigen, die man im Dritten Reich als »Gemeinschaftsfremde« (Detlev Peukert) ausgegrenzt hatte, öffentlich zu gedenken.

Um dieser ihrer Aufgabe gegenüber den NS-Verfolgten nachzukommen, wollte die Regierung allerdings keinen besonderen Gedenktag einführen,3 sondern bevorzugte stattdessen, aller gewaltsam Getöteten der Jahre 1933 bis 1945 in einem gemeinsamen Ritual zu gedenken.Ein solcher konzeptioneller Ansatz war 1950 schon im Nationalen Gedenktag versucht worden und sollte nach dem Willen der Regierung auch auf den Volkstrauertag übertragen werden. Die Aufnahme der Toten der NS-Herrschaft in den offiziellen »Opferkanon« im Volkstrauertag geht also ursprünglich nicht auf den Volksbund, sondern auf die Vertreter von Staat und Regierung zurück.

Es war die zentrale Feierstunde des Volksbundes im Bonner Bundeshaus, die schon Anfang der 1950er Jahre in diesem Sinne von den Politikern als »Bühne« genutzt wurde, um einem veränderten Verständnis des Gedenktags Ausdruck zu verleihen; einen ersten Anstoß gaben die Gedenkreden von Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) und von Bundespräsident Theodor Heuss. Nachdem sich VDK-Ehrenpräsident, Wilhelm Ahlhorn, bei seiner Ansprache im Bundeshaus 1950 noch ganz auf die deutschen Kriegsverluste konzentriert hatte, erinnerte Ehlers im folgenden Jahr auch an diejenigen, die gegen das NS-System »Widerstand leisteten und dafür in Konzentrationslagern und am Galgen endeten«.

Darüber hinaus wies der Bundestagspräsident ausdrücklich darauf hin, »dass es keinen vertretbaren Grund mehr gibt, der uns das Recht geben könnte, nur an die Toten unseres Volkes zu denken«.6 Heuss erwähnte die KZ-Toten 1952 in seiner Ansprache ebenfalls; die Kriegsgräberfürsorge zitierte den Bundespräsidenten folgendermaßen: »Mit Absicht wolle er [Heuss, A. K.] die Gefallenen auf den Schlachtfeldern, die Toten der Bombenangriff, die Opfer in den Konzentrationslagern und die Toten auf den jüdischen Friedhöfen auf eine Stufe stellen. Hier endet jede Heroisierung, und es bleibt nur ein grenzenloses Leid.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
I. Einleitung10
II. Kriegstotengedenken in der Weimarer Republik25
1. Gefallenengedenken nach Plänen von Reichskunstwart Edwin Redslob28
2. Die Gedenkfeier der Regierung am 3. August 192432
III. Die Einführung des Volkstrauertags44
1. Die Gründung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge46
2. Der gescheiterte Reichstrauertag am 6. März 192150
3. Die Aktivitäten der Münchner Ortsgruppe des Volksbundes53
4. Grundlinien des zukünftigen Trauertages55
5. Die revanchistische Sinngebung des Volkstrauertags59
6. Die Symbolik des Termins64
7. Heldenehrungen im Reichstag: Die zentralen Feierstunden des Volksbundes75
8. Das Lied vom guten Kameraden – Metapher der Volksbundideologie83
IV. Konkurrierende Konzepte des Kriegstotengedenkens91
1. Stuttgart93
2. München112
3. Hannover137
V. Die »Einwurzelung« des Rituals: Der Volkstrauertag ab 1925147
1. Gedenkfeiern der VDK-Ortsgruppen149
2. Feierstunden und Kranzniederlegungen153
3. Exkurs: Der Kranz als Symbol der Totenehrung155
4. Die Formung des Volkstrauertagsrituals durch den Volksbund160
5. Der Volkstrauertag im Radio167
6. Der Gedenktag am Ende der Weimarer Republik172
VI. Der Heldengedenktag in der NS-Zeit177
1. Vom Volkstrauertag zum Heldengedenktag179
2. Der Staatsakt in Berlin187
3. Der Staatsakt als Medienereignis194
4. Die »stille Kranzniederlegung« des Führers: Zur Genese einer symbolischen Geste199
VII. Öffentliches Totengedenken in Deutschland nach 1945211
1. Der Gedenktag für die Opfer des Faschismus (OdF-Tag)214
2. Die Nationalen Gedenktage des Deutschen Volkes (1950–1952)220
VIII. Die Wiedereinführung des Volkstrauertags227
1. »Zurück zum alten Volkstrauertag« – Die Agitation des Volksbundes229
2. Die Einigung auf einen bundesweiten Termin234
IX. Versuche zur Neugestaltung der zentralen Feierstunde247
1. Die Tagungen in Arnoldshain und Stromberg (1955–1957)248
2. Die Aufführung »Der Andere« (1959)254
3. »Fast [ein] Staatsakt« – Versuche der Einflussnahme seitens der Bundesregierung259
4. Verhärtungen des Rituals265
X. Vom Heldengedenktag zum »Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt«?269
1. Die Einführung der gesprochenen »Totenehrung«271
2. Den »Opfern von Krieg und Gewalt(herrschaft)« – Das bundesrepublikanische Modell des Gedenkens281
3. Die Sinngebung des Sinnlosen: Gefallenengedenken im Volkstrauertag292
XI. Soldaten und andere Opfer298
1. Feierstunde und Kranzniederlegung (nach 1945)299
2. Die »stille Kranzniederlegung« – Formkonstanz und Bedeutungswandel311
3. Der Volkstrauertag im Fernsehen314
4. Der Volkstrauertag auf der lokalen Ebene nach 1945323
XII. Der Volkstrauertag nach de rWiedervereinigung355
1. Neue Horizonte der Volksbundarbeit356
2. Volkstrauertag und Neue Wache359
3. Der Volkstrauertag und der »Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus« am 27. Januar369
4. Erinnerungsumbrüche im Spiegel einer Geste: Die Kranzniederlegung in der Neuen Wache376
5. Exkurs: Rückkehr der »Helden«? – Das Gedenken an die getöteten Bundeswehrsoldaten387
6. Die Re-Heroisierung des Volkstrauertags395
XIII. Resümee: Die Macht des Rituals405
Quellen und Literatur411
Personen- und Sachregister454
Dank463

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