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Helma Steinbach 1847 - 1918

Eine Vorkämpferin für Gewerkschaft, Genossenschaft und Partei

AutorKirsten Haake
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783752826555
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
"Frau Helma Steinbach geht voran, sie hat die größten Stiebeln an ..." stand 1901 in einem Spottgedicht auf Steinbach im Hamburger Fremdenblatt. Es ging um den SPD-internen Konflikt um den Parteiausschluss von Maurern, denen Streikbruch vorgeworfen wurde. Steinbach ging voran, als es 1892 um den Beschluss des ersten Gewerkschaftskongresses nach dem Sozialistengesetz ging, dass die Gewerkschaften auch die in ihren Branchen beschäftigten Frauen als Mitglieder aufnehmen sollten. Der einstimmig gefasste Beschluss ist als "Resolution Steinbach" in die Gewerkschaftsgeschichte eingegangen. Sie hat eine Gewerkschaft der Plätterinnen gegründet und Streiks organisiert. Sie ging voran, als es um die Gründung der dann sehr erfolgreichen Konsumgenossenschaft "Produktion" ging, dessen Aufsichtsrat sie lange Zeit als einzige Frau angehört hat, wie auch in der Agitation für die Sozialdemokratie auf dem flachen Land in Schleswig-Holstein. Vorne dabei war sie bei der Gründung der Hamburger Freien Volksbühne, um den Arbeitern die fortschrittliche Theaterliteratur nahe zu bringen. Sie hat vielfach selbst Texte rezitiert, manchmal ganze Theaterstücke, wobei sie bis zu tausend Zuhörer hatte.

Kerstin Haake hat an der Hamburger Universität Geschichte studiert und wechselte danach in den Journalismus. Auch hier spielen Personen und Persönlichkeiten häufig eine wichtige Rolle, ob in Lokalnachrichten, Wirtschaftsjournalismus und im Nachrichtengeschäft. Helma Steinbach hat den Blick dafür geschärft, dass Frauen oft eine wichtige Rolle spielten und spielen, aber bis heute zu selten dafür gewürdigt werden. Nach dem Studium hat die Autorin bei verschiedenen Medien gearbeitet, u.a. beim NDR, bei der Financial Times Deutschland und bei Zeit Online. Inzwischen ist sie tätig bei der Deutschen Presse-Agentur, zunächst als Nachrichtenchefin, jetzt als Redakteurin bei den Kindernachrichten.

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Leseprobe

2. Lebenslauf


2.1. Elternhaus und Ausbildung


Franziska Wilhelmine Steinbach, geb. Steiner, genannt Helma, stammte nicht aus einer proletarischen Familie, sondern aus kleinbürgerlichem Milieu. Sie wurde am 1. Dezember 1847 in Hamburg als zweites Kind von Betty und Georg Steiner geboren. Ihr wohl einziger Bruder kam auf See um. Die Eltern wohnten in der Marktstraße im Stadtteil St. Pauli. Durch das berufliche Scheitern des Vaters, eines Maklers, verarmte die Familie. Nur mit äußerster Mühe konnte der bürgerliche Schein aufrechterhalten werden.2

Darüber hinaus ist über ihre Kindheit, Jugend und Schulbildung nichts bekannt.3 Helma Steinbach war gezwungen, einen Beruf zu erlernen. Sie wurde Plätterin.4 Ungeachtet ihrer bürgerlichen Herkunft, schloss sie sich in den achtziger Jahren ohne Vorbehalt der Arbeiterbewegung an. Nie ließ sie bei ihrer Agitation durchklingen, dass sie eigentlich aus dem Bürgertum kam oder dass sie ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse als einen Abstieg empfand. Sie war offensichtlich stolz darauf, der modernen Arbeiterbewegung anzugehören. Auf Versuche bürgerlicher Einflussnahme reagierte sie sensibel und selbstbewusst.5

2.2. Eine kurze Ehe und eine langwierige Scheidung


Mit 25 Jahren heiratete Helma Steiner am 23. November 1872 den Architekten6 Georg Wilhelm Gottlieb Robert Steinbach. Die Trauung wurde von Pastor Sonnekalb in St. Pauli vollzogen. Aber schon nach drei Monaten war die Ehe so gut wie beendet.7 Georg Steinbach hatte seiner Frau, wie er sogar schriftlich zugab, „genügend Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben“, so dass sie allen Grund hatte, „die gemeinsame Wohnung zu verlassen“. Diese erste Trennung war nur von kurzer Dauer. Helma Steinbach kehrte bald wieder zu ihrem Mann zurück. Der zweite Versuch, zusammenzuleben, endete im Juni 1873 mit der beiderseitigen Einsicht, dass ein Fortführen der Ehe ein „Unglück“ wäre. Georg Steinbach erklärte sich mit einer vorläufigen Trennung für fünf Jahre einverstanden und gestattete seiner Frau, „nach Ablauf von 8 Tagen die gemeinschaftliche Wohnung zu verlassen“. Gleichzeitig versprach er „zu ihrem Unterhalte die Zahlung von 14 M monatlicher Alimente“. Er selbst verlegte seinen Wohnsitz nach Berlin.

Als Helma Steinbach die ausbleibenden Unterhaltszahlungen anmahnte, zog ihr Mann seine Trennungserlaubnis zurück. Allerdings machte er weder Angaben über die Form des zukünftigen Zusammenlebens, noch schickte er Geld für die Reise nach Berlin. Dass seine Frau unter diesen Umständen nicht zu ihm kam, nahm er zum Vorwand, wegen „böslicher Verlassung“ die Scheidung einzureichen.8

Ein gerichtlich erzwungener „Sühneversuch“ durch einen Pastor am 15. Dezember 1874, brachte kein Ergebnis. Am 13. September 1875 wurde die Ehe geschieden. In dem Urteil wurde Helma Steinbach „für den allein schuldigen Theil“ erklärt, mit der Auflage, die Prozesskosten zu tragen. Begründet wurde das Urteil nicht. Das Gericht hatte scheinbar die Darstellung Georg Steinbachs ungeprüft übernommen.

Mit dieser Entscheidung wollte sich Helma Steinbach nicht abfinden. Als schuldig geschiedene Frau hatte sie keine Unterhaltsansprüche. Ihr musste es daher als besondere Ungerechtigkeit erscheinen, dass ihr auch noch die Prozesskosten aufgebürdet wurden. Mehr noch als die materielle Situation waren es wohl vor allem ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und der ihr eigene bisweilen in Rechthaberei ausufernde Kampfgeist, mit denen sie später ohne Rücksicht auf persönliche Nachteile für ihre sozialen und politischen Ideale eintrat, die sie zu einem für diese Zeit ungewöhnlichen Schritt veranlassten: Helma Steinbach focht das Urteil an.

Damit begann für sie ein zermürbender und lang andauernder Kampf um Gerechtigkeit. In der Revision konnte sie eine Teilung der Prozesskosten durchsetzen, weil das Gericht daran zweifelte, dass die Klägerin ihren Ehemann wirklich böswillig verlassen hatte. Das Gericht erkannte vielmehr, es läge „im Gegenteil der Verdacht vor, daß Kläger die bösliche Verlassung nur vorgiebt, um überhaupt eine Trennung der Ehe herbeizuführen“. Georg Steinbach hatte erst nach Beginn des Prozesses eine größere Wohnung gemietet und seiner Frau 20 Mark für die Reise geschickt. Das Gericht konstatierte daraufhin „keinen ernstlichen Willen“ zur Fortsetzung der Ehe, betonte aber gleichzeitig, dass Georg Steinbach durchaus das Recht gehabt habe, seine Erlaubnis zum Getrenntleben zurückzuziehen.

Im dritten und letzten Teil des Scheidungsprozesses wurde Georg Steinbach schließlich zur Übernahme aller Prozesskosten verurteilt. Doch eine entscheidende Genugtuung blieb Steinbach versagt; das Urteil über sie als der schuldige Teil blieb bestehen.

Die sich über fast vier Jahre hinziehende Scheidungsprozedur zeigt die damals typische Einstellung der Justiz zur Frau. Eine Frau konnte von der Justiz keine Gleichbehandlung erwarten, da durch das bürgerliche Recht die untergeordnete Stellung der Frau gegenüber ihrem Vater oder Ehemann festgeschrieben war.9 Ehescheidungen wurden mit der Begründung erschwert, „der fortschreitenden Auflösung der Familie entgegentreten und die Familie neu festigen“ zu wollen.10 Die Institution Ehe war und ist heute noch der Kern der bürgerlichen Gesellschaft und durfte daher nicht angetastet werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung Steinbachs, über mehrere Instanzen für ein gerechtes Urteil zu kämpfen, besonders mutig.

Die Hemmschwelle für eine Frau, die Scheidung einzureichen, lag ungleich höher als für einen Mann. Dieses Problem wurde von Bebel in seinem, von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten viel gelesenen Buch „Die Frau und der Sozialismus“ beschrieben: „In der Regel wird die Frau nur in Fällen schwerster männlicher Untreue oder Misshandlung sich entschließen, die Scheidung zu beantragen, weil sie meist in einer materiell abhängigen Lebenslage sich befindet und gezwungen ist, die Ehe als Versorgungsanstalt anzusehen; dann weil sie sich als geschiedene Frau gesellschaftlich in keiner beneidenswerten Lage befindet.“ 11

Aber auch in einer Ehe befand sich eine Frau nicht unbedingt in einer beneidenswerten Lage. Ute Gerhard stellt fest: „... es gilt daher, dass die bürgerliche Eheform vorzüglich dazu geeignet war, die Frauen durch die Unterwerfung unter ein ‚privatrechtliches Gewaltverhältnis‘ von der allgemeinen Rechtsentwicklung auszuschließen. ... Seit Mitte des 19. Jahrhunderts diente die Entwicklung eines spezifisch bürgerlichen Familienrechts dazu, die Frauen auf allen Gebieten zu benachteiligen“.12 So durfte eine Frau beispielsweise nur mit Zustimmung ihres Mannes einer Erwerbstätigkeit nachgehen.13

Die Scheidung wurde aber nicht nur hinsichtlich der Erkenntnis über die rechtliche Diskriminierung der Frau zum Schlüsselerlebnis für Helma Steinbach. Der erzwungene „Sühneversuch“ durch die Kirche begründete Steinbachs ablehnende Haltung gegenüber Kirche und Religion. In einer öffentlichen Versammlung des Freidenker-Vereins gab sie Jahre später eine dramatische Schilderung des „Sühneversuchs“:14

„Es sei dann die Sühne durch die Kirche angeordnet und sie sei zu einem Pastor bestellt worden, wohin sie den Revers [in dem ihr Mann sein schlechtes Verhalten zugegeben hatte] mitgenommen und den Pastor gebeten, er möge Kenntniß davon nehmen, derselbe habe geantwortet: ‚Was soll ich daran sehen, ich kriege ja nichts dafür; ich habe nur zu fragen, ob sie zurückkehren wollen oder nicht, zu anderen Sachen habe ich keine Zeit.‘

Als sie nicht gleich geantwortet, sondern angegeben, sie wolle erst mit ihrem Advokaten sprechen, denn sie kenne das nicht, habe der Pastor ein wahres Wort ausgesprochen, indem er sagte: ‚Wenn sie zum Pastor gehen, müssen sie ihren Verstand zu Hause lassen und nur das Herz mitbringen,‘ dieses sei eventuell das einzige wahre Wort, was er je gesprochen.

Der Pastor, ein baumlanger Kerl, sei dann auf sie zugekommen und habe gesagt: ‚Scheren sie sich zum Teufel.‘ Wenn ihr dieses heute passiere, hätte der Mann Ohrfeigen bekommen. Es sei dann ein 2ter Sühneversuch der Kirche angeordnet, sie sei aber nicht selber hingegangen, sondern habe einen alten Lehrer hingeschickt, derselbe habe ihr den Bescheid gebracht, wenn sie nicht komme, werde sie durch die Polizei geholt. Letzteres sei dann durch einen Polizisten in Civil ausgeführt.

Sie habe den Mann gebeten, er möge vor der Thür warten, während sie beim Pastor drinnen sei, damit er ihr zu Hülfe kommen könne, wenn sie Mord schreien müsse. Dieses Mal sei der Pastor sehr liebenswürdig gewesen, aber sie habe sich auf nichts eingelassen.“

2.3. „Heiraten Sie alle nicht!“
Das soziale Stigma, eine geschiedene Frau zu sein


Helma...

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