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Herrschaft, Gesetz und Gerechtigkeit - Eine Betrachtung der staatsphilosophischen Werke Platons

Eine Betrachtung der staatsphilosophischen Werke Platons

AutorKarsten Rohr
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl70 Seiten
ISBN9783638634564
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Politische Theorie und Ideengeschichte, Note: 1,0, Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg, 54 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Werden die Werke 'Staat' (Politeia), 'Staatsmann' (Politikos) und 'Gesetze' (Nomoi) als die politischen Hauptwerke Platons betrachtet, erscheint neben der Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten ein weiteres Faszinosum in der Behandlung jener Schriften: deren unausgewogene Popularität. Häufig konzentrieren sich die Blicke der Interpreten - aus welchem Lager sie auch stammen mögen - nur auf die Politeia und verleihen ihr somit den Status der wirkmächtigsten Schrift Platons; als (so Dirk Otto) 'einen der am heftigsten diskutierten Staatsentwürfe der politischen Philosophie.' Obschon die von Platon nach dem übermächtigen 'Staat' erstellten Dialoge einen Großteil seiner Schriften ausmachen, stehen seine (politischen) Spätwerke weit weniger im Interesse der historischen und polit-philosophischen Betrachtung als jenes Werk der Reifezeit, in dem er radikal mit allem Dagewesenen bricht und gegen bestehende Gesellschaftsordnungen stürmend und drängend zu Felde zieht. Nicht wenige Autoren betrachten die Nomoi und den Politikos deshalb als Werk des in seinen sozial-politischen Ansichten geläuterten, altersmilden Platons. So stellt sich die Frage, worin sich diese Differenz zwischen den angesprochenen Werken inhaltlich manifestiert, die für eine solche ungleiche Betrachtung der staatsphilosophischen Schriften verantwortlich ist. Dazu werden die Staatsentwürfe der Politeia und Nomoi und deren inhaltliches Bindeglied - der Politikos - betrachtet, wobei die umfangreichen staatsphilosophischen Werke in gleicher Weise als Teilelemente eines politischen Gesamtwerks Platons Eingang finden wie der in Umfang und 'Popularität' begrenztere Zwischendialog Politikos.

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Leseprobe

3 Politeia – Aufstieg und Fall eines Ideals


 

Schon der Untertitel des Werkes – ‚Über das Gerechte’ (peri tou dikaiou) – deutet auf die grundlegende Problemstellung hin: die Suche nach der Gerechtigkeit. So beginnt der Dialog mit einer Unterredung zwischen Sokrates und dem Sophisten Thrasymachos über das Wesen der Gerechtigkeit.[29] Hierbei ergibt sich das Problem, dass die Gerechtigkeit eine persönliche Tugend ist; nicht Merkmal sozialer Organisationen, sondern Grundhaltung und -richtung eines individuellen Menschenlebens.[30] Nur dies ist nach gerecht oder ungerecht zu beurteilen. Um die Gerechtigkeit des Menschenlebens zu betrachten, erscheint es Sokrates – bzw. Platon, der durch ihn spricht – notwendig, die mikroskopische Perspektive der Individuenbetrachtung zu verlassen, um einen makroskopischen Blick auf die dem Menschen innewohnenden Kräfte und Strömungen zu werfen (Rep. 368e-369a).[31] In diesem Zusammenhang erläutert er, dass der Staat im Grunde nur Mensch im Großen sei, in ihm wirke ein ähnliches Zusammenspiel der Kräfte, Tugenden und Neigungen: was im Mensch die seelischen Kräfte, das sind im Staat die politischen; kurz: Platon bietet eine Analogie von Mensch und Polis[32] und sucht das gerechte Leben in der gerechten Gesellschaft. Erst nachdem Platon die umfangreichen Erörterungen über den gerechten Staat abgeschlossen hat, greift er zum Abschluss der Politeia wieder auf die eingangs gestellte Frage zurück; die Suche nach der Gerechtigkeit dient – so zumindest die ‚politische Deutung’ der Politeia – als Rahmen der Ideen einer idealen Gesellschaft.[33]

 

Der Aufstieg zur idealen Gemeinschaft.


 

Wie sich nun die politische Gerechtigkeit im Staate ausbreitet, zeigt er in einem Exkurs über die Genese der Polis,[34] die er als einen Entwicklungsgang in verschiedenen Stadien[35] darstellt: So beginnt Platon mit einer Elementarstufe des menschlichen Zusammenlebens, der Ur- oder – so Glaukon[36] – ‚Schweinepolis’ (Rep. 372d f.), die sich aus der mangelnden Autarkie des Menschen findet (Rep. 369b)[37] und zu einer funktional differenzierten (vgl. Rep. 370b-c)[38], dennoch friedfertig einfachen Gemeinschaft entwickelt, in der alle Bürger ohne politische Organisation nur nach der Befriedigung ihrer geringsten Bedürfnisse streben (Rep. 369b-372d).[39] Diese elementare, von Platon aber als wahre (alêthinê) und gesunde Polis (hôsper hygiês) bezeichnete Stadt (Rep. 372e) entwickelt sich zu einer ‚üppigen’ (tryphôsa) und ‚aufgeschwemmten’ (phlegmainousa) weiter (Rep. 372e), in welcher die Annehmlichkeiten der Zivilisation – Luxus, Muße und Krieg (Rep. 372c-373e) – Einzug halten, die durch innere und äußere Pleonexie gekennzeichnet ist (Rep. 372d-376d)[40] und in der die erste Differenzierung der Einwohner in Nähr- und Kriegerstand erfolgt. Diese kranke und geschwollene Stadt wird anschließend in einer Katharsis von allen Verfallsformen gereinigt (Rep. 376d-471c), worauf der ideale, schöne Staat (Rep. 527c) entsteht, der die harmonische Einheit aller Elemente in sich birgt und so die Gerechtigkeit verwirklicht.[41] Wie ist nun der Staat aufgebaut, der das gerechte Leben bringt?

 

 Platon schwebt für seinen Staat – begründet in der Dreiteilung der Seele – eine ebengleiche Klassenstruktur vor: drei Stände dienen als institutionelle Repräsentanten der Seelenkräfte und Tugenden im Staat.[42] Der Nährstand, die niedrigste Kaste und ‚Übertrag’ der Urpolis, schafft die wirtschaftliche Grundlage des Staates,[43] hat jedoch keinerlei politische Mitspracherechte. Die ihm zugeordneten Menschen unterliegen jedoch auch weit weniger restriktiven Vorschriften als die Mitglieder der höheren Kasten und in relativer Freiheit des eigenen Besitzes und der eigenen Lebensgestaltung. Platon sieht in ihnen die Repräsentanten des begierlichen Seelenteils (epithymêtikon; Begierde), dessen Einflüsse jedoch mittels der ihnen zukommenden Erziehung durch die Tugend der Selbstmäßigung bzw. Besonnenheit (sôphrosynê) vermindert werden (Rep. 389d-e). Bis auf die Förderung des handwerklichen Geschickes, der Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit – d. h. einer Elementarerziehung zur Ausprägung der sôphrôsyne – wird dem Nährstand keine weitere Zuwendung des Staates zuerkannt.

 

 Die Wächter (phylakes) stellen das neue Element der ‚üppigen’ Polis und gleichzeitig den zentralen Stand im Idealstaat dar. Ihnen obliegt der Schutz der Gemeinschaft vor äußeren und inneren Gefahren – sie sind (so Helmut Jenkins) das „Machtmittel nach innen und außen“[44] –; gleichzeitig bilden sie die Grundgesamtheit an Befähigten, aus denen sich die Regenten der Polis, die Philosophen, rekrutieren. Aus diesen Anforderungen heraus müssen sie befähigt sein, zu erkennen, was dem Staat nützt und was ihm schadet, d. h. im Gegensatz zum Nährstand sollen die Wächter bereits über ein gewisses Maß an Einsicht – der Unterscheidung zwischen Ideal und Verfallsform – verfügen. Diese Fähigkeit zur Differenzierung  wird ihnen durch ihre Erziehung in einer von Platon abgewandelten Form der archeia paideia vermittelt,[45] die auf Musik (Rep. 376e-403c) und Gymnastik (Rep. 403c-412b) beruht. Durch diese einheitliche Bildung der Wächter soll sichergestellt werden, dass von ihnen keine Gefahr – z. B. durch die Errichtung einer Militärdiktatur – ausgeht (Rep. 416a). Platon sieht in den Wächtern die Seelenkraft des muthaft Aggressiven, der Tatkraft (thymoeidés), vertreten, die durch eine umfassende Erziehung zur Tugend der Tapferkeit (andreia) (Rep. 429b-c) ‚raffiniert’ wird.

 

 Wie bereits angedeutet, werden aus der Gesamtheit des so erzogenen Wächterstandes jene zur Herrschaft über die Idealpolis Befähigten auserkoren; d. h. mittels drei verschiedener und zusätzlich zeitlich gestaffelter Auswahlverfahren werden die Aristokraten des Idealstaates – die philosophisch gebildeten regierenden Wächter (archontes)[46] – nach Veranlagung für die Einsicht in das Gute bzw. der Widerstandskraft gegen Illusionen und Scheinwahrheiten selegiert (Rep. 413c-e).[47] Jenen kommt im Folgenden die besondere Fürsorge des staatlichen Erziehungssystem zu: sie werden von ihren Mitwächtern getrennt, welche über keine ausgeprägte Veranlagung zur Weisheitssuche verfügen[48], und durchlaufen eine philosophische Schulung, dessen Höhepunkt die Dialektik darstellt. In der Gestellung von derart gebildeten und über Vernunft (logistikon) verfügenden Hütern, denen die Tugenden der Mäßigung, Tapferkeit und Weisheit (sophia) (Rep. 428e-429a) innewohnen, zeichnet Platon den Übergang von der ‚üppigen’ zur gerechten, von der aggressiv mehrhabenwollenden zur friedfertig saturierten Stadt, über die eine elitäre Kaste von Philosophenkönigen[49] im Sinne der Gerechtigkeit herrschen. Denn ist (so Platon) „die politische Ordnung erst einmal gut eingerichtet …, geht sie voran, wachsend wie ein Kreis.“ (Rep. 424a).

 

Die Prinzipien der gerechten Gesellschaft


 


An der Entstehung und Entwicklung der Gesellschaft lassen sich die zwei wesentlichen Elemente erkennen, die die gerade erläuterte Staatsform – als streng hierarchisch gegliederte Klassengesellschaft[50] – begründen und somit gleichsam die Legitimation der aristokratisch herrschenden Philosophenkaste im Staat darstellen: Einerseits ist es (i) die Ungleichheit der Veranlagung und die daraus folgende berufliche Spezialisierung nach derselben; andererseits (ii) die Annahme, dass Kriegsführung und Herrschaft im Staate techné[51] sind, die nach erstgenanntem Prinzip nur von einzelnen Spezialisten ausgeführt werden können.[52]

 

 Ad i) Ungleichheit der Veranlagung. Nach Platon sind die Begabungen der Menschen nicht gleich verteilt, sondern durch seine Natur vorgegeben.[53] Zur Erklärung dieser veranlagten Ungleichheit bezüglich der Menschen innewohnenden Seelenkräfte verwendet Platon in der Politeia einen alten Mythos: der Beimischung verschiedener Metalle zum Blute der Menschen (Rep. 414b-415c).[54] Mit der Wertigkeit des dem Blute beigemischten Metalls (Bronze, Silber, Gold) steigen auch die Ausprägungen der dem Menschen innewohnenden Tugenden im Sinne eines additiven Tugendkatalogs; während die Silberblütigen die Tugenden Selbstbeherrschung und Tapferkeit in sich tragen, werden jene bei den Goldblütigen durch die Vernunft ergänzt und kontrolliert. Jedoch ist diese  physische Veranlagung nichts ohne die Entfaltung der Anlagen in der Gesellschaft. So entwickele sich das gerechte Leben des Einzelnen erst dann, wenn eine natur- bzw. anlagengemäße Tätigkeit erlernt oder verfeinert wird, kurz: jeder nur das tut, was ihm von der Natur am besten zukommt...

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