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E-Book

Herzenssache und Gottesmut

Martin Luther und das Lebensgefühl des Glaubens

AutorMichael Kuch
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641192112
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
»Luthers Frage, was es mit dem Menschsein auf sich hat, ist auch unsere.« (Michael Kuch)
Ich muss nichts tun - Gott ist immer schon an meiner Seite. Wie fand Luther in dieses Grundvertrauen und was bedeutete es? Michael Kuch erschließt auf unnachahmliche Weise, was eigentlich das Besondere am Glauben des Reformators ist. Und diese Erfahrung ist nicht von Gestern. Luther erlebte eine Befreiung, wie sie Menschen immer schon ersehnt haben und heute noch ersehnen. Er ist ein Zeitgenosse der spirituell Suchenden!
  • Luther als Zeitgenossen entdecken
  • Den Kern evangelischer Frömmigkeit wiederfinden
  • Mit Luther Lust und Liebe zum Leben entdecken
  • Antworten auf die existenzielle Grundangst der Gegenwart


Michael Kuch, Dr. theol., geboren 1958, studierte Evangelische Theologie und war Gemeindepfarrer in Goldbach (Bayern) sowie Leiter des Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrums Alexandersbad. Derzeit ist Kuch Professor i.K. für Systematische und Praktische Theologie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg; er ist außerdem langjähriges Mitglied der Katechismuskommission der VELKD.

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Leseprobe

1. THEOLOGIE ALS HERZENSSACHE – EINE ANNÄHERUNG

Es gibt Menschen, an die möchte man sich unwillkürlich anlehnen. Sie stehen wie ein Baum: fest, entschlossen, unbeugsam. Solche Menschen lassen im Grunde nur zwei Alternativen zu: Entweder man orientiert oder man reibt sich an ihnen. Kalt lassen sie einen auf jeden Fall nicht.

Auf Martin Luther – am 10. November 1483 in Eisleben geboren, dort auch am 18. Februar 1546 gestorben – traf das zu. Er war gewiss ein historischer Ausnahmefall, wie er nur selten und in bestimmten weltgeschichtlichen Konstellationen auftritt. An ihm schieden sich die Geister. Er brachte Kaiser und Papst – und das hieß für seine Zeit: eine ganze Welt – gegen sich auf und eröffnete zugleich vielen eine neue Lebensperspektive. Seine Wirkung war gewaltig. Ihm selbst war »göttliche Brutalität« zu eigen, wie es Heinrich Heine in seiner »Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« durchaus bewundernd ausdrückt. Diese habe der Emanzipation des Individuums mehr gedient als »die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon«. Ein Mensch also, an den man sich anlehnen möchte, müsste man nicht zugleich fürchten, an ein Feuer zu geraten. Sein Auftreten wurde zum Ereignis, das nicht nur die Kirche, sondern das Lebensgefühl in der heraufziehenden europäischen Gesellschaft insgesamt veränderte und hinter das auch heute niemand zurückkann.

Was Luther heute bedeutet – ist die Frage also mit dem Hinweis auf seine unbestreitbare historische Größe schon beantwortet? Sicher nicht. Indem ich einige Gründe anführe, nähere ich mich zugleich den Aspekten, die in diesem Buch aufgegriffen, vertieft und entfaltet werden.

Zunächst: Das Bild des immer feststehenden, stets unbeugsamen Luther trifft, wenn überhaupt, nur die halbe Person. Es ist eine nachträgliche Projektion, die sich vor allem aus seinen geschichtlichen Wirkungen speist. Deutlich wird das zum Beispiel an dem Ausruf, der bis heute sein Bild prägt und geradezu sprichwörtlich geworden ist: »Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.« Wahrscheinlich hat Luther diese Worte auf dem Reichstag zu Worms 1521 gar nicht gesagt; sie tauchen erst Jahrzehnte nach seinem Tod in stilisierten Darstellungen der Szene auf. Zuverlässig überliefert vom Abschluss seiner Verteidigungsrede vor Kaiser Karl V. sind hingegen die schlichten Sätze: »Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.«1 Persönlich authentisch, auch mutig, sich der eigenen Gefährdung bewusst, in allem auf Gottes Hilfe angewiesen – so erscheint hier der Reformator.

Jede Zeit hatte und hat ihr eigenes Lutherbild, wobei dieses in der Regel mehr über die jeweilige Zeit aussagt als über die Person selbst. Zum Glaubens- und Nationalhelden, den etwa die Standbilder des 19. Jahrhunderts auf den Sockel heben, eignet sich Luther freilich denkbar schlecht. Will man von seiner Person reden, dann gehören zu ihr jedenfalls auch ganz andere Züge: Der Mensch, der Zweifel und Verzweiflung zeitlebens nie ganz loswurde; dem grobe und verhängnisvolle Fehleinschätzungen unterliefen; der zu schriller und verletzender Polemik fähig war. Selbst wenn diese um der Sache willen geführt wurde, kam sie ihr doch nur begrenzt zugute. Die geistvolle, auf Vermittlung bedachte »Milde des Melanchthon« jedenfalls stellte für den Verlauf der Reformation ein notwendiges Korrektiv dar, ohne das sie nicht zu ihrer durchdringenden Wirkung gelangt wäre. All das sind Schattenseiten einer Person, deren Widersprüchlichkeit, ja Zerrissenheit im Rückblick nur zu leicht übersehen wird. Luther war nicht nur groß und stark. Diejenigen, die sich an den Baum lehnten, dürften gespürt haben, wie der Stamm zuweilen zitterte. Zur Luther-Verklärung besteht kein Anlass.

Das führt zur nächsten Einschränkung. Sie stammt von Luther selbst, und man kann sie durchaus als kritische Anmerkung zu der Kirche verstehen, die sich nach seinem Namen »lutherisch« nennt. Der Einfluss, der damit von seiner Person ausgeht, ergab sich aus den Umständen seines Auftretens und seiner Wirkung. Doch die Betonung des Menschen ist, mit einer Bezeichnung Gerhard Ebelings, letztlich »programmwidrig«. Luther distanziert sich ausdrücklich von der eigenen Person, wenn es um die Sache des Glaubens geht. Auf dieser Linie liegt seine bekannte Ermahnung, »man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen heißen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! Ebenso bin ich auch für niemanden gekreuzigt ... Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi dürfte nach meinem nichtswürdigen Namen nennen? Nicht so, liebe Freunde, lass uns tilgen die parteiischen Namen und Christen heißen, nach Christus, dessen Lehre wir haben.«2

Diese Unterscheidung der eigenen Person von der Überzeugung, die sie gewonnen hat und vertritt, ist für Luther grundlegend. Wobei Unterscheidung nicht dasselbe meint wie Trennung. Das ist ganz grundsätzlich und hier besonders zu beachten. Sind Dinge oder Aspekte getrennt, dann besteht zwischen ihnen keine Verbindung. Unterscheidung hingegen ist die Bedingung dafür, dass sich Menschen oder Sachverhalte in ihrer eigenen Bedeutung konstruktiv und befruchtend aufeinander beziehen können. In diesem Sinne werden Überzeugungen oder Gewissheiten zu wesentlichen Voraussetzungen für eine eigenständige Lebensführung; in ihnen drückt sich die Individualität einer Person aus, sie sind eng mit ihr verbunden. Zugleich sind Überzeugungen nicht identisch mit der eigenen begrenzten Persönlichkeit. Sie greifen vielmehr über diese hinaus, stellen das eigene Dasein in einen größeren Kontext, der es umgibt, trägt und motiviert. Jeder, der von einer Idee ergriffen wird, macht diese Erfahrung; sie führt die Person über sich hinaus, eröffnet ihr neue Horizonte.

Das gilt erst recht für solche Überzeugungen, die den Charakter von Lebensgewissheiten gewinnen. Diese beziehen sich nicht nur auf einzelne Vorhaben, Ideen oder Projekte, sondern auf das Leben im Ganzen. Mit ihnen stellen sich die Grundfragen menschlicher Existenz: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wie kann, will und soll ich leben? Von diesen Fragen war Luther umgetrieben. Das vor allem verleiht seinem Denken eine die Zeiten überdauernde, aktuelle Bedeutung. In der Perspektive des Glaubens reflektierte er das eigene Leben wie überhaupt die conditio humana, die Bedingung und Beschaffenheit menschlicher Existenz. Aus den Antworten auf diese und andere existenzielle Fragen erwächst das Reservoir an Lebensgewissheiten, die einem Menschen Grund und Orientierung geben. Sie bestimmen und motivieren sein Leben aus dem Zentrum seiner Existenz – seinem Herzen.

Das Herz ist für Luther der »Ort«, an dem sich die wesentlichen Auseinandersetzungen im menschlichen Leben abspielen und sich die entscheidenden Weichenstellungen vollziehen. Denn was das Herz bestimmt und prägt, wirkt sich nicht allein auf die jeweilige Gefühlslage aus, es motiviert auch zu einer Lebensgestaltung, die den eigenen, innewohnenden Impulsen folgt. Das Herz ist das Bild bzw. die Metapher für das Zentrum der Person. Es ist zugleich empfänglich und dynamisch, in ihm bilden sich die maßgeblichen Beweggründe für das eigene Leben und Handeln aus.

Luther gewinnt diese Sicht nicht aus naturphilosophischen Reflexionen. Wenn er vom menschlichen Herzen spricht, stellt er keine Vergleiche zum Körperorgan her. In gewisser Hinsicht wäre das ja durchaus naheliegend. Denn auch in seiner organischen Funktion bildet der Herzschlag, neben dem Atmen, den entscheidenden Impuls- und Taktgeber des Körpers. Jedoch vollziehen sich diese Vorgänge im Wesentlichen auf einer sich selbst steuernden Ebene, weshalb sie sich nur eingeschränkt als Analogie für eine bewusste Lebensgestaltung eignen. Luthers Verständnis des Herzens entwickelt sich an der biblischen Anthropologie, insbesondere an der Sprache der Psalmen. Das »Herz« ist bei ihm so etwas wie ein bildlicher Sammelbegriff für verschiedene Vorgänge und Vollzüge, die in ihrer Gesamtheit das Zentrum der Person ausmachen. Gefühle und Affekte – freudige wie erschreckende, bedrängende wie öffnende – spielen dabei eine Rolle, aber auch der Wille des Menschen, seine Suche nach Erfüllung und sein Streben nach Befriedigung. In seinem Herzen ist der Mensch auf etwas ausgerichtet, was ihn letztlich und zutiefst beglückt.

Aus diesem Grund ist auch und gerade der Glaube ein Akt des Herzens, er ist Herzenssache. Im Glauben geht es um die Gesamtausrichtung meines Lebens, und zwar aus der Mitte meiner Existenz heraus. »Der Glaube fordert das Herz, nicht den Verstand«3, notiert Luther bereits in einer frühen Vorlesung über die Psalmen. Diese pointierte Aussage wäre sicher missverstanden, würde man Glaube und Verstand gegeneinander ausspielen. Verstand und Vernunft gehören wie die Sprache für Luther zu den guten Gaben Gottes, die das menschliche Leben auszeichnen. Sie dienen dazu, dass der Mensch seine Welt bezeichnen, begreifen und aktiv gestalten kann. Insofern kann durch sie auch der Glaube gedeutet, in seinen Gründen verständlich und nachvollziehbar gemacht werden.

Doch die Vernunft bringt den Glauben nicht selber hervor. Und sie ist auch keine neutrale, objektiv urteilende Instanz, die über den Dingen steht. Was dem einen vernünftig erscheint, muss dem anderen noch lange nicht einleuchten. Nach Luthers...

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