Sie sind hier
E-Book

Heut ist irgendwie ein komischer Tag

Meine Wanderungen durch die Mark Brandenburg

AutorCornelius Pollmer
VerlagPenguin Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641230050
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Fontane reloaded
Ein Abenteuer kann überall beginnen und sei es an einer Bushaltestelle in Brandenburg. Cornelius Pollmer ist für einen Sommer auf Weltreise im deutschen Osten. In Schlössern und Reihenhäusern, bei Truckern und Hackern, mit Busreiserentnern und der Spreewälder Dorfjugend. Im Sinne Fontanes zieht er los, mit »dem guten Willen, das Gute gut zu finden«. Dabei hat er einen Rucksack, etwas Bargeld und keinen Plan - außer dem, nicht schon am Abend wieder daheim zu sein.

Cornelius Pollmer, geboren 1984 in Dresden, studierte dort Volkswirtschaft. Er war Textchef der Jugendzeitschrift 'Spiesser' und freier Mitarbeiter bei der 'Sächsischen Zeitung'. Nach der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München wurde er Volontär der 'Süddeutschen Zeitung', von 2013 war er fünf Jahre lang Korrespondent der SZ in Ostdeutschland.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Abenteuer Heimat

Was ist Abenteuer und wo lässt es sich finden? Ich hatte als Kind ein Buch über Dinosaurier, es war das erste Buch, das ich wirklich geliebt habe. Ich verbrachte ganze Nachmittage damit und besonders lange blieb mein Blick immer auf der Doppelseite mit dem Brontosaurus kleben. Der Brontosaurus war viel größer als die anderen Saurier und zugleich schien er viel friedlicher zu sein. Er hatte ein liebes Gesicht und wirkte ein bisschen tollpatschig. Wie könnte jemand auch nicht tollpatschig wirken, der einen Wendekreis hat so groß wie das Saarland? Ich stellte mir vor, wie ich mich mit dem Brontosaurus anfreunden würde, in einem Land vor unserer Zeit, und wie ich mich dann auf seinen Kopf setzen würde, um auf ihm und mit ihm durch die Gegend zu spazieren. Ein größeres Abenteuer konnte ich mir nicht vorstellen. Und ich dachte, wenn mir nach drölf Milliarden Jahren auf dem Kopf des Brontosaurus irgendwann doch langweilig würde, würde ich ihn fragen, ob ich zur Abwechslung mal seinen Rücken runterrutschen dürfte. Später irgendwann sah ich den Film Jurassic World. Er spielt auf der fiktiven Insel Isla Nublar, in einem Vergnügungspark voller Dinosaurier. Die Leiterin der Jurassic World sagt im Film, sie müsse alle paar Jahre neue Attraktionen züchten und auffahren, um das Interesse der Öffentlichkeit nicht zu verlieren. Die immer gleichen Ansprüche an den Park und an seine neuen Mitbewohner lauteten: »Bigger, louder, more teeth«. Größer, lauter, mehr Zähne. Lässt sich Abenteuer wirklich auf Messwerte reduzieren?

Gäbe es die Isla Nublar, ich würde nicht hinfahren. Die Idee eines Saurierparks ist mir aus ähnlichen Gründen fremd, wie es das Konzept von sogenannten Sehenswürdigkeiten ist. Als ich das erste und einzige Mal in meinem Leben vor der Oper in Sydney stand, wurde ich schlagartig unfassbar müde. Die Golden Gate Bridge in San Francisco? Kein Interesse – es sei denn, es ist Nebel und man sieht die Brücke eben gerade nicht; eine nicht zu sehende Sehenswürdigkeit, die hat schon wieder ihren Reiz. Zum Glück ist in San Francisco häufig Nebel. Vom Eiffelturm erinnere ich vor allem, ewig lange angestanden zu haben, von der Sagrada Família, dass sie von außen viel spektakulärer anzuschauen ist als von innen, wo die Luft ja auch nicht besser wird. »Sehenswürdigkeiten« berühren mich selten, ich erzähle nicht von ihnen, wenn ich Postkarten schreibe oder daheim von meinem Urlaub berichte. Was hängen bleibt und was Reisen besonders macht, das ist für mich oft das Ungeplante, das Zufällige.

Was ist also Abenteuer und wo kann ich es finden? Eine der schönsten und abenteuerlichsten Nächte meines Lebens habe ich in Mühlhausen verbracht, der Thomas-Müntzer-Stadt im Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen. Kein Dinosaurierfilm der Welt wird je dort spielen, kein Mühlosaurus Rex wie ein zu heiß gelaufener Häckslermotor in die Nacht brüllen. Das ist auch in Ordnung so, Mühlhausen steht nämlich in keiner Konkurrenz zur Isla Nublar und das wiederum habe ich bei Theodor Fontane begriffen, in dessen Wanderungen durch die Mark Brandenburg.

Diese Wanderungen würde es ohne die schottische Grafschaft Kinross womöglich nicht geben, ohne den Levensee und ohne eine Insel in seiner Mitte. Auf dieser Insel fand Fontane zwar keine Dinosaurier, nicht mal ein Seeungeheuer, aber er fand, immerhin, die Trümmer eines alten Douglas-Schlosses, Loch Leven Castle. Fontane streifte durch Eschen und Schwarztannen und hoch aufgeschossenes Gras und irgendwann ruderte er wieder davon: »… die Insel wurd ein Streifen, endlich schwand sie ganz«. Was aber nicht schwand, das war die Imaginationskraft des Autors im Ruderboot und so geschah es, dass »plötzlich unsre Phantasie weiter in ihre Erinnerungen zurückgriff und ältere Bilder vor die Bilder dieser Stunde schob. Es waren Erinnerungen aus der Heimat, ein unvergessener Tag.«

Konkret waren es Erinnerungen an das Rheinsberger Schloss, die bei Fontane »wie eine Fata Morgana« über dem Levensee ins Licht brachen.

Mir geht es auch so, dass ich unterwegs ständig Bilder und Trugbilder meiner Heimat sehe. Es sind wärmende Bilder, selbst wenn sie einen manchmal in Peinlichkeiten schubsen. Wie zu Beginn des vergangenen Sommers im Norden Australiens, als ich einem Aborigine erklärte, wie sehr mich die herrliche Landschaft an die Sächsische Schweiz erinnere. »Do you know Lilienstein?«

Man bekommt einen Menschen also aus seiner Heimat heraus, aber die Heimat selten ganz aus ihm. Als Theodor Fontane in Schottland von Brandenburg eingeholt wurde, als er vom Levensee zwar tief berührt sich wiederfand und trotzdem an die Heimat denken musste, da fragte er sich: »War jener Tag minder schön, als du im Flachboot über den Rheinsberger See fuhrst, die Schöpfungen und die Erinnerungen einer großen Zeit um dich her?« Und er beantwortete seine Frage mit: »Nein.«

In Momenten wie dem auf dem Levensee vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart und es kann, zweitens, eine neue Lust auf das Abenteuer Heimat daraus erwachsen.

Die jüngere Vergangenheit, das ist in der öffentlichen Erzählung oft die Zeit, in der noch alles gut war. Die Zeit, in der es eine Zukunft nicht nur gab, in der sich sogar alle darauf freuten. In der die Menschen Sozialsysteme ausbauten und Schutzimpfungen erfanden, in der Wandel nicht als Bedrohung galt, sondern Fortschritt bedeutete. Diese Vergangenheit, das ist die Zeit, in der ich nicht gelebt habe.

Die Gegenwart, das ist die Zeit der Widersprüche. Eine Zeit ohne Krieg in der Heimat, aber auch ohne gesellschaftlichen Frieden. Eine Zeit großen materiellen Wohlstands, aber auch großer Angst, diesen oder auch nur einen Teil davon zu verlieren. Eine Zeit großer individueller Freiheiten, aber auch eine, in der Gemeinschaft und Solidarität drohen, verloren zu gehen. Die Gegenwart, das ist die Zeit, in der ich lebe und in der gar nicht so vieles so schlecht sein kann, wie es manchmal gemacht wird.

Ich weiß nicht, wann genau das begonnen hat, dass ich mich wieder mehr für meine Heimat interessiere als für Fernreisen in kosmopolitische Pflichtbesuchsstädte wie New York oder zu instagramtauglichen Naturschönheiten. Ich weiß aber, warum es so ist. Es ist kein Distinktionsgehabe, so viel ist sicher. Wer auch nur ein einziges Mal an einem heißen Sommertag in der Burgenlandbahn saß und an wirklich jedem Bedarfshalt unterwegs die Türen aufgehen sah, der weiß: Um Distinktion kann es wirklich kaum gehen, wenn jemand sich dem Osten und sich im Osten verschreibt.

Es geht mir vielmehr darum, meine Position zu verstehen, es geht darum, ein System und darin Koordinaten und in diesem Koordinatensystem einen Punkt zu erkennen, von dem ich dann sagen kann: Da ungefähr, da bin ich. Und das ist es auch, was für mich den Begriff der Heimat von dem der Herkunft unterscheidet. Ich fand es immer verwunderlich, den ersten Begriff allein über den zweiten zu definieren. Herkunft ist vorbei. Für mich ist Heimat viel mehr eine Frage nach Zukunft. Heimat sehe ich in dem, was mir bleiben soll, hoffentlich: bleiben wird. So wie Menschen einander in diesem Sinne Heimat geben, so können auch Orte Heimat geben. Nur, welche?

Die Orte, die mir Heimat sind, werden nicht von EasyJet angeflogen. Heimat finde ich im Antizyklischen, im Randständigen, in der Abwesenheit von Mode und Zeitgeist, in der Abwesenheit von Mutmaßungen über Zugehörigkeit in Clubs, Restaurants, bei Premierenpartys. Heimat finde ich auch dort, wo gerade so noch ein Regionalexpress hält oder auch nur die Burgenlandbahn, wenn überhaupt.

Diese Heimat empfinde ich als bedroht. Weil sich ein giftiges Narrativ epidemisch ausgebreitet hat, demnach es gutes Leben nicht überall geben könne. Du kannst was, du willst was vom Leben? Dann bleibe bloß nicht in Mühlhausen, in Weißenfels, in Neuruppin. Wann hat das angefangen? Und stimmt es nur, weil so viele dieses Narrativ gebrauchen? Das wüsste ich gerne.

Denn wann immer ich in solchen Orten bin, durchdringt mich mit aller möglichen Gewalt eine Frage: Wo ist Leben, wo ist Zukunft? Selten sehe ich welches, selten sehe ich welche. Das macht mich traurig. Aber vielleicht gibt es sie ja, vielleicht begreife ich sie nur nicht?

Die Sorge um Zukunft findet sich allüberall belegt, da muss wirklich niemand lange suchen. Überall gibt es Orte wie Gentzrode, gelegen am nördlichen Rand Neuruppins. Als Fontane Gentzrode erwandert hatte, fand er das Gutshaus, ein Ensemble im neomaurischen Stil, und er befand fast utopistisch ungehalten, wirklich alles hier befinde sich »im Werden«. Heute gibt es in Gentzrode einen betrüblichen Wettlauf mit der Zeit. Vor vielen Jahren hat ein türkischer Investor das Gelände des Gutshauses übernommen, seitdem ist nicht viel passiert. Das Ensemble verfällt, vielleicht endgültig. Und wenn es nicht verfallen sollte, dann weil der Investor doch noch seinen angeblichen Plan umsetzt, über den die Märkische Oderzeitung berichtet hat. Der Geldgeber, heißt es, will »eines der größten Freizeitresorts in ganz Europa« in Gentzrode aufziehen. Bigger, louder, more teeth?

Es ist leicht, an Orten wie Gentzrode vorbeizufahren oder über sie hinwegzufliegen. Sich nach einem kurzen Blick recht zu geben: Ist öde dort, muss ich nicht hin. Es ist interessanter und aufrichtiger, sich diesen Orten in Ausführlichkeit zu widmen, um sie in Ruhe zu befragen.

Theodor Fontane nahm sich dafür 30 Jahre – die Antworten, die er in seinen Wanderungen fand, füllen fünf Bände. Sie sind von einer Romantik, wie wir sie uns heute zu selten erlauben, wie wir sie teilweise womöglich längst verlernt haben. Zu Fontane...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Augenblick mal

Augenblick mal

Die Zeitschrift mit den guten Nachrichten "Augenblick mal" ist eine Zeitschrift, die in aktuellen Berichten, Interviews und Reportagen die biblische Botschaft und den christlichen Glauben ...

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft. Für jeden, der sich gründlich und aktuell informieren will. Zu allen Fragen rund um die Immobilie. Mit ...

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS bringt alles über die DEL, die DEL2, die Oberliga sowie die Regionalligen und Informationen über die NHL. Dazu ausführliche Statistiken, Hintergrundberichte, Personalities ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...