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Hirnforschung für Neu(ro)gierige (Wissen & Leben)

Braintertainment 2.0 - Mit einem Epilog von Eckart von Hirschhausen

VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl578 Seiten
ISBN9783608168419
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ein Buch aus der Reihe 'Wissen & Leben', Hrsg. Wulf Bertram Manfred Spitzer, Psychiater und Bestsellerautor, und Wulf Bertram, Verleger und Psychotherapeut, machen nicht nur zusammen Musik in ihrem Jazz-Trio 'Braintertainers'. Gemeinsam haben sie auch ein Buch herausgegeben, aus dem eine Fülle literarisch-wissenschaftlicher Akkorde anklingt: 'Hirnforschung für Neu(ro)gierige' ist ein Konzert aktueller, unterhaltsamer und anregender Beiträge aus dem Spektrum der modernen Neurowissenschaften. Alles dreht sich um unser Gehirn als 'Dirigent' unseres Selbst: Ob es um Liebe und Sex, Bindung und Nähe, Schlaf und Traum, Ekel und Genuss, Spiegelneuronen und Gedankenlesen, männliche und weibliche Hirnkapazität geht - zahlreiche ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler präsentieren auf gut verständliche, oft amüsante Art und Weise die Highlights ihrer jeweiligen Forschungsschwerpunkte. Eine geistvolle Fundgrube für alle Gehirne, die mehr über sich selbst erfahren wollen - jetzt in der ambitionierten Taschenbuchreihe 'Wissen & Leben'!

Manfred Spitzer Prof. Dr. Dr., studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg, war Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg, Gastprofessor an der Harvard-Universität und am Institute for Cognitive and Decision Sciences in Oregon. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft, der Lernforschung und Psychiatrie. Seit 1997 ist er Ordinarius für Psychiatrie in Ulm. Spitzer ist Herausgeber des psychiatrischen Anteils der Zeitschrift 'Nervenheilkunde' und leitet das von ihm gegründete 'Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen' in Ulm. Er hat mehrere neurowissenschaftliche Bestseller verfasst und moderiert eine wöchentliche Fernsehserie zum Thema Geist und Gehirn. Wulf Bertram Dipl.-Psych. Dr. med. Wulf Bertram, geboren 1948 in Soest/Westfalen und aufgewachsen in Mailand, ist Arzt, Autor, Verleger und Psychotherapeut in Stuttgart. Er studierte Medizin und Psychologie in Hamburg. Nach Stationen in Arezzo/Italien, Kaufbeuren im Allgäu und München ist er seit 1988 beim Stuttgarter Schattauer-Verlag, zunächst als Wissenschaftlicher Leiter und später als verlegerischer Geschäftsführer. Mit der Übernahme des Verlagsprogramms durch den Verlag Klett-Cotta 2018 wurde Wulf Bertram Verlagsleiter des Imprints Schattauer. Für seine 'wissenschaftlich fundierte Verlagstätigkeit im Sinne des Stiftungsgedankens' wurde Bertram 2018 der renommierte Egnér-Preis für sein Lebenswerk verliehen.

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Leseprobe

1    Hirnlandschaften


Eine funktionell-neuroanatomische Tour d'Horizon


Johann Caspar Rüegg und Wulf Bertram


„Wenn das menschliche Gehirn so einfach wäre, dass wir es verstehen könnten, wären wir zu simpel, um es zu verstehen“, erklärte der amerikanische Physik-Professor Emerson M. Pugh (1896–1981) in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Sollte man es also vielleicht lieber gar nicht erst versuchen?

    Mehr als 30 Jahre später sieht es nicht so aus, als hätte sich die Scientific Community von diesem Verdikt entmutigen lassen. Und eine ständig wachsende „neurogierige“ Öffentlichkeit schon gar nicht: Hirnforschung hat Hochkonjunktur. Am 17. Juli 1990 hatte der damalige US-Präsident George Bush (der Vater!) das gerade angebrochene Jahrzehnt zur „Decade of the brain“ ausgerufen. Mit der üblichen zehnjährigen Verspätung wurde dann auch im April 2000 im Rahmen eines „Wissenschaftsfestivals“ auf dem Petersberg bei Bonn das „Jahrzehnt des Gehirns“ in Deutschland proklamiert. Die Anzahl der Publikationen über unser komplexestes, knapp drei Pfund schweres Organ ist exponentiell angewachsen, und Sie beschäftigen sich gerade mit einer derselben aus einem Meer von Tausenden. Seien Sie also erst einmal herzlich willkommen!

    Wir glauben, dass Sie von den nachfolgenden Beiträgen mehr profitieren und dass sie Ihnen mehr Freude machen werden, wenn wir Sie zunächst mitnehmen auf eine „Tour d'Horizon“ durch die Hirnlandschaft, die Ihnen einige Grundkenntnisse über Begriffe, Funktionen und den anatomischen Aufbau des Gehirns vermitteln soll. Wenn Sie damit schon weitgehend vertraut sind, werden Sie sich sicherlich zunächst einmal von uns verabschieden und direkt zu den nächsten Beiträgen springen, um vielleicht ja später hier und da mal etwas in unserem kurzen Überblick nachzulesen oder ein paar Details aufzufrischen.

    Begeben wir uns also auf die Tour.

Die Gliederung der Hirnhalbkugel

Das Gehirn gliedert sich in mehrere Hauptabschnitte (Abb. 1). Das Großhirn, auch Endhirn (Telencephalon) oder Cerebrum genannt, ist in seiner Komplexität die jüngste Errungenschaft der Evolution. Es besteht aus den beiden Hirnhälften (Hemisphären), die durch einen dichten Filz von Nervenfasern miteinander verbunden sind, den so genannten Balken (Corpus callosum). In ihrem Inneren enthalten die beiden Hirnhemisphären die mit einer klaren, farblosen Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) gefüllte linke und rechte Hirnkammer (Ventrikel). Der Balken legt sich über diese Ventrikel und das Stammhirn, also das Zwischenhirn (Diencephalon) mit dem darunter gelegenen Hirnstamm, der seinerseits durch „Stiele“ (Pedunculi) mit dem Groß- und Kleinhirn (Cerebellum) verbunden ist.

Der Hirnstamm (Truncus cerebri)

Der Hirnstamm umfasst das Mittelhirn (Mesencephalon), die Brücke (Pons; mit Verbindungen zum Groß- und Kleinhirn) sowie das verlängerte Rückenmark (Medulla oblongata), das viele unserer vegetativen Funktionen reguliert, etwa Atmung und Blutdruck. Es geht am hinteren (kaudalen) Ende in das – in der Wirbelsäule gelegene – Rückenmark (Medulla spinalis) über. Ist also, etwa infolge eines Schädeltraumas, die Medulla oblongata beschädigt, bedeutet das den sicheren Tod, da die Atmung versagt und der Blutdruck nicht mehr reguliert werden kann. Bei einer Verletzung des übrigen Hirnstamms fällt der Mensch in einen Zustand tiefster Bewusstlosigkeit, das Koma. Der Hirnstamm enthält nämlich eine netzartige Struktur, die Formatio reticularis, die von der Brücke bis zum Mittelhirn zieht und nicht nur an der Steuerung so wichtiger Körperfunktionen wie Schlafen und Wachen beteiligt ist, sondern auch an der Regulation von Aufmerksamkeit und Bewusstseinszuständen.

Abb. 1 Darstellung der Gehirnabschnitte und des anterioren Gyrus cinguli (ACC) in der Großhirnrinde (12, schraffiert). 1 = Verlängertes Röckenmark (Medulla oblongata); 2 = Brücke (Pons); 3 = Mittelhirn; 4 = Kleinhirn; 5 = Hippocampus; 6 = Mandelkern (Amygdala); 7 = Hypothalamus; 8 = Hypophyse; 9 = Thalamus (Teil des Zwischenhirns); 10 = Balken (Corpus callosum); 11 = Großhirnrinde mit ACC

    Im Hirnstamm entspringen zehn der zwölf Hirnnerven, z. B.

  der Nervus trigeminus, der u. a. für Wahrnehmungen der Hautsinne im Kopfbereich zuständig ist;

  der Nervus facialis, der die mimische Gesichtsmuskulatur innerviert;

  der Nervus vagus (der „Umherschweifende“), der die Herzschlagfrequenz kontrolliert, aber auch im Bauch „vagabundiert“, wo er fast alle Eingeweide mit Nervenfasern versorgt.

Der „Vagus“ enthält sowohl sensorische als auch motorische Fasern, die z. B. die Schlundmuskulatur innervieren, aber auch Fasern des autonomen (vegetativen) Nervensystems. Letztere gehören zum Parasympathikus, dessen Aktivität zu einer ruhigen Erholungslage im Organismus führt, indem sie die Leistung drosselt und Energieverbrauch, Blutdruck und Herzfrequenz senkt. Sein Gegenspieler ist der Sympathikus, dessen Ursprungsneurone im Brust- und Lendenbereich des Rückenmarks liegen und (wie der Parasympathikus) vom Hirnstamm kontrolliert werden.

Das Kleinhirn (Cerebellum)

Das Kleinhirn ist ein „Bewegungssupervisor“ (Bertram 2007). Es besteht zum einen aus einem phylogenetisch alten Teil, der hauptsächlich der Steuerung des Gleichgewichts und der Körperhaltung dient, und zum anderen aus einem jüngeren Teil, der über die Brücke (Pons) mit dem Großhirn verbunden ist. Das Großhirn ist über diese Verbindung an der Feinregulierung und Koordination der Muskelbewegungen beteiligt. Bei Erkrankungen des Kleinhirns können deshalb die Betroffenen unter Schwindel und Gangunsicherheit leiden, aber auch unter Störungen der Motorik. Sie können beispielsweise im Finger-Nase-Versuch nicht mehr bei geschlossenen Augen mit dem Zeigefinger die Nase treffen, und sie sprechen oftmals „verwaschen“.

Das Zwischenhirn (Diencephalon)

Das Zwischenhirn beherbergt den Thalamus, eine wichtige Umschaltstelle für Nachrichten von den Sinnesorganen, z. B. den Hautsinnen, die aus der Körperperipherie über das Rückenmark dem Großhirn zugeleitet werden. Dort erst können sie uns bewusst werden – wenn überhaupt: Denn von den unzähligen Eindrücken, denen wir in jedem Augenblick ausgesetzt sind, können wir nur einen ganz kleinen Teil bewusst verarbeiten. Am hinteren Ende des Thalamus liegt die Zirbeldrüse, die das „Schlafhormon“ Melatonin produziert. Unterhalb des Thalamus, in der untersten Etage des Zwischenhirns, befindet sich der Hypothalamus. Er kontrolliert automatisch eine Reihe von vegetativen Körperfunktionen, etwa die Körpertemperatur. Über den Hypophysenstiel ist er mit der Hirnanhangsdrüse, der Hypophyse, verbunden, die unter dem Hypothalamus in einer sattelförmigen Knochengrube („Türkensattel“) der Schädelbasis liegt und sich dem Boden des Zwischenhirns anschmiegt. Durch CRH (Corticotropin-releasing-Hormon oder Kortikoliberin), ein im Hypothalamus gebildetes Neurohormon, wird in der Hypophyse die Sekretion von ACTH (Adrenokortikotropes Hormon) angestoßen. Das schwer auszusprechende Wort „adrenokortikotrop“ bedeutet „auf die Nebennierenrinde einwirkend“, und tatsächlich geht es uns dann „an die Nieren“: In der Nebennierenrinde werden die Synthese und die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol angekurbelt, während die Sekretion des Stresshormons Adrenalin nach der Aktivierung des Sympathikus durch das Nebennierenmark erfolgt.

Das Großhirn (Cerebrum)

Das Großhirn lässt sich in vier Lappen (Lobi) unterteilen: Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptlappen (Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitallappen). Seine Oberfläche wird durch zahlreiche Furchen vergrößert (s. Abb. 2), welche die nur wenige millimeterdicke dicke Hirnrinde in Windungen (Gyri) unterteilen. Dazu zählen z. B. der vor der Zentralfurche im Frontallappen gelegene Gyrus praecentralis. In dieser Hirnwindung befindet sich der motorische Kortex, der unseren Bewegungsapparat beherrscht. Gegenüber, hinter der Zentralfurche im Parietallappen, liegt der Gyrus postcentralis, der eine Repräsentation – quasi eine (verzerrte) „Landkarte“ – unserer sensiblen Körperoberfläche enthält. Man spricht vom sensorischen „Homunculus“. Auf der Innenseite jeder Hemisphäre liegt, direkt über dem Balken, ein phylogenetisch alter Teil der Großhirnrinde, der Gyrus cinguli, den man zum „limbischen System“ zählt, über das in diesem Buch noch so manches Mal die Rede sein...

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