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Hitlers Englandbild und seine strategischen Entscheidungen im Zweiten Weltkrieg

AutorUdo Schmidt
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl178 Seiten
ISBN9783638028417
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: sehr gut, Technische Universität Darmstadt, 72 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Aufgrund seiner vor 1933 gemachten programmatischen Aussagen und deren Umsetzung in die Praxis bis 1939 orientiere ich mich an der These, dass Hitler von einem 'Programm' mit zwei dogmatisch fixierten 'Endzielen', 'Rassenherrschaft' und 'Lebensraum im Osten', geleitet wurde. Als Folge des konkreten Ablaufs außenpolitischen Agierens und Reagierens war er allerdings gezwungen, mit temporären Kompromissen zu leben und Variationen zu akzeptieren. In seinem 'Programm', das der Realisierung dieser Ziele galt, waren rassenideologische und machtpolitische Denkstrukturen ineinander verwoben. Auch im Falle Großbritanniens, das als 'Idealpartner' eine festumrissene, wenngleich untergeordnete Funktion in Hitlers 'Programm' hatte, gingen diese Komponenten eine charakteristische Synthese ein. Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 ohne Kriegserklärung 'entfesselte' Hitler den europäischen Krieg. Als Folge sah er sich einer Machtkonstellation gegenüber, die seinen 'programmatischen' Freund-Feind-Vorstellungen widersprach. Großbritannien, das er als 'idealen' Bündnispartner zur Absicherung der Ostexpansion betrachtete, hatte dem Reich den Krieg erklärt. Zugleich befand er sich in Abhängigkeit von der Sowjetunion, deren Vernichtung das Hauptziel seines 'Programms' war. Was also blieb nach dem 3. September 1939 noch übrig von der Idee Hitlers einer Partnerschaft mit England auf der Grundlage einer Interessenabgrenzung und der unterstellten gemeinsamen Abwehrhaltung gegen den 'jüdisch-bolschewistischen Weltfeind'? Wie verhielt es sich mit den 'rassisch wertvollen Elementen' in England, die Hitler als substantielle Basis gegen den 'jüdischen Einfluß' glaubte in Rechnung stellen zu können? Vor allem aber: Welche Auswirkungen hatte das Englandbild Hitlers auf seine Strategie und Bündnispolitik bis 1945? Diese Frage soll denn auch im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Hier wird das Feld der Perzeptionsproblematik betreten. Denn Kräfteverhältnisse, Aktionen und Reaktionen, die der Historiker im Nachhinein rekonstruieren kann sind eine Sache; ihre oft verzerrte Wahrnehmung ist etwas anderes, das aber für das Denken und Agieren der Akteure ausschlaggebend ist. In diesem Rahmen sollen nicht die militärischen und diplomatischen Aktionen in den Kriegsjahren 1939-1945 als solche aufgezählt und im Einzelnen geschildert werden. Sie sind nur unter der speziellen Perspektive interessant, wie sie Hitlers Haltung zu England widerspiegeln oder Aussagen über diese ermöglichen.

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Leseprobe

I. Hitlers deutsch-englische Allianzkonzeption der zwanziger Jahre und erste vergebliche Realisierungsversuche (1933 bis 1937)


 

Am Nachmittag des 5. November 1937 versammelte Hitler die politischen und militärischen Spitzen des Regimes zu einer Geheimkonferenz, deren Verlauf durch die Niederschrift eines der Teilnehmer, des Wehrmachtadjutanten Oberst Hoßbach, überliefert ist.[1] Im engsten Kreis sollten Engpässe der Aufrüstung und Ressortkonflikte innerhalb der Wehrmacht zur Diskussion stehen. Ohne jedoch auf diese Punkte näher einzugehen, überraschte der „Führer“ seine Besucher mit einem Monolog über das Wesen und die Ziele nationalsozialistischer Außenpolitik, die kritische deutsche Wirtschaftslage und seine eigene Einschätzung der Chancen einer künftigen aggressiven Expansion.

 

Hitlers Ausführungen enthielten zunächst nichts, was nicht schon durch seine ‘Programmschrift’ „Mein Kampf“ (1924) sowie durch zahllose spätere Äußerungen geläufig war. In der typischen Verbindung von sozialdarwinistischem Denken und Geopolitik erhob er seine expansive Raumpolitik in den Rang eines gleichsam ewigen und unaufhebbaren historischen und biologischen Lebensgesetzes von Volk und Rasse. Das Ziel „der deutschen Politik“, führte Hitler aus, „sei die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung. Somit handele es sich um das Problem des Raumes.“ Er begründete den Anspruch auf Lebensraum in Europa für einen in sich „fest geschlossenen Rassekern“ damit, daß nur auf diesem Wege „die Erhaltung des deutschen Volkstums auf seiner jetzigen Höhe“ und darüber hinaus sein ewiges Wachstum gesichert sei. Die einzige Alternative zur aktiven Raumpolitik sei „Sterilisation“, also Stillstand, Unfruchtbarkeit und dann Rückgang. Vor diesem Hintergrund diskutierte er zwar nationale Autarkie auf der einen, „Beteiligung an der Weltwirtschaft“ und „koloniale Ausbeutung“ auf der anderen Seite, jedoch nur, um sie als möglichen Ausweg entschieden zu verwerfen. Die Lösung der deutschen Frage mußte letztlich durch Gewalt geschehen. Denn, so Hitler, daß „jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten - Römisches Weltreich, Englisches Empire - bewiesen“.

 

Zur Abwägung der Erfolgschancen einer gewaltsamen Expansion beschäftigte sich Hitler anschließend mit der internationalen Mächtekonstellation. Dabei sprach er mit einer bisher unbekannten Eindeutigkeit und Schroffheit zum ersten Mal von „den beiden Haßgegnern England und Frankreich, ... denen ein starker deutscher Koloß inmitten Europa ein Dorn im Auge sei...“. Seinen Zuhörern kündigte er damit eine neue Frontstellung an, die im krassen Widerspruch zu einer Grundkonstante seines außenpolitischen Denkens stand. Er hatte sie seinem Volk und seinen Militärs seit dem Erscheinen von „Mein Kampf“ immer wieder eingehämmert: Die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ und die Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ könne nur im Bündnis mit dem „arischen Brudervolk“ der Briten geführt werden, wolle man sich nicht dem Risiko eines Zweifrontenkrieges aussetzen. In unserem Zusammenhang stellt sich hier, neben einer näheren Erläuterung der ursprünglichen Konzeption Hitlers, die Frage nach den Ursachen seiner Meinungsänderung, der Bedeutung der Formulierung „Haßgegner“ und den daraus resultierenden Folgen für die Außenpolitik Deutschlands.

 

Hitlers Vorstellungen einer künftigen deutschen Außenpolitik haben sich in mehreren Etappen in den Jahren zwischen 1919 und 1923 entwickelt, um schließlich bis 1928 zu einem in seinem Kern festen „Programm“ verdichtet zu werden.[2] In seinen ‘Programmschriften’ machte Hitler dem kaiserlichen Deutschland (vor 1914) den Vorwurf, in der außenpolitischen Alternative zwischen England und Rußland nicht klar Position zugunsten der Allianz mit einer der Flügelmächte bezogen zu haben. Deutschland sei daher in einen Zweifrontenkrieg verwickelt worden, den es nicht bestehen konnte.[3] Daraus zog er für sein „Programm“, das - nach der Ausschaltung der Militärmacht Frankreich - auf die Eroberung des europäischen Rußland abzielte[4], die Konsequenz, ein Bündnis mit Großbritannien anzustreben.

 

Er ging dabei aus von der inneren Logik einer Interessenabgrenzung zwischen der See- und Weltmacht England und einer nach Osten antretenden kontinentalen Militärmacht Deutschland.[5] England, argumentierte er, habe sich nie gegen Militärmächte gewandt, solange ihre Ziele kontinentaler Art gewesen seien; allein eine Gefährdung seiner See- und Handelsinteressen habe England zum Kampf herausgefordert. Die Konzentration aller deutschen Kräfte auf die Eroberung eines genügenden Lebensraumes im Osten für die nächsten hundert Jahre bot, nach Ansicht Hitlers, England keinen Grund mehr „zur Aufrechterhaltung der Feindschaft des Weltkrieges.“[6]

 

Als Beweis für diese These führte er Spanien, Holland und das wilhelminische Deutschland an. Als Gegenbeispiel diente ihm die kontinentale Militärmacht Preußen unter Friedrich dem Großen, die England nicht im Geringsten beunruhigt habe.[7] Wenn „Deutschland“, so lautete seine Doktrin, „zu einer grundsätzlichen politischen Neuorientierung kommt, die den See- und Handelsinteressen Englands nicht mehr widerspricht, sondern sich in kontinentalen Zielen erschöpft, dann ist ein logischer Grund für eine englische Feindschaft ... nicht mehr vorhanden.“[8] Vielmehr sei England, dessen war Hitler sich nahezu sicher, zum natürlichen Bündnispartner Deutschlands prädestiniert.

 

Seine These gründete sich vor allem auf die Gegensätze, die zwischen England und anderen Staaten bestanden.[9] Da waren imperiale Konfliktfelder mit Frankreich, dem er „sehr weit gesteckte allgemeine weltpolitische Absichten“[10] unterstellte, und der Sowjetunion, dem „bedrohlichste(n) Feind der britischen Position in Indien.“[11] Vor allem aber das sich entfaltende Potential der USA gab nach Hitler Anlaß, daß „England heute in sorgenvoller Unruhe seine alten Bündnisse überprüft und ... mit Bangen einem Zeitpunkt entgegenstarrt, an dem es nicht mehr heißen wird: ‘England über den Meeren!’, sondern ‘die Meere der Union!’“.[12]

 

Allerdings sah Hitler trotz solcher Interessendivergenzen von seiner Weltanschauung her die an sich natürliche Kooperation Deutschland und England aus einer bestimmten Richtung gefährdet. In England finde, so Hitler, „ein ununterbrochenes Ringen statt zwischen den Vertretern britischer Staatsinteressen und den Verfechtern einer jüdischen Weltdiktatur.“[13] Zur Zeit sei dieser Kampf mit dem Judentum noch „unentschieden“. Doch verfüge England, ebenso wie Deutschland, noch über rassisch wertvolle Elemente genug, so daß die „Kräfte ... der traditionellen britischen Staatskunst“ alle Chancen hätten, „den verheerenden jüdischen Einfluß“ zu brechen.[14]

 

Eine Niederlage der völkischen Gruppierungen Englands sei aber nicht vollkommen auszuschließen, denn „in diesem Lande der freiesten Demokratie diktiert der Jude auf dem Umwege der öffentlichen Meinung heute noch fast unbeschränkt.“[15] Im Rahmen dieser ‘Zensur’ aber werde das Judentum alles versuchen, die britisch-deutsche Feindschaft zu erhalten, mit der Absicht, auf diese Weise „eine Befriedung Europas nicht eintreten zu lassen, um im Durcheinander einer allgemeinen Unruhe seine bolschewistischen Zersetzungstendenzen zum Zuge kommen lassen zu können.“[16] Die entscheidende Frage für Hitler lautete daher: „Können die Kräfte ... der traditionellen britischen Staatskunst den verheerenden jüdischen Einfluß noch brechen oder nicht?“.[17]

 

Nach seinem Machtantritt im Januar 1933 versuchte Hitler, im Rahmen einer verharmlosenden „Gleichberechtigungsstrategie“[18], „traditioneller Revisionsforderungen“[19], pausenloser „Friedensbeteuerungen“[20], anti-sowjetischer Agitation[21] und einem System bilateraler Abkommen[22] in die Ausgangsposition für den Krieg um „Lebensraum“ im Osten zu gelangen. Mit den außenpolitischen Erfolgen konnte er zunächst zufrieden sein. Die terroristischen und antisemitischen Methoden bei der Formierung des „Führerstaates“ hielten die anderen Großmächte - einschließlich die Sowjetunion[23] und den Vatikan[24] - nicht ab, die neue Regierung anzuerkennen. Frankreich intervenierte nicht und Polen schloß sogar einen bilateralen Nichtangriffspakt (26. Januar 1934) mit dem Reich.[25] Selbst der riskante Austritt aus dem Völkerbund kurz zuvor hatte das Reich nicht isoliert.

 

Erst der Dilettantismus in der Österreich-Frage[26] - der mit der Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß am 25. Juli 1934 seinen Höhepunkt erreichten sollte - führte schließlich zur diplomatischen Isolierung des Reiches; doch stand dem der Prestigeerfolg der Saarabstimmung vom 13. Januar 1935 gegenüber. Im Windschatten dieses nationalen Bekenntnisses wurden mit der ‘Enttarnung’ der deutschen Luftrüstung und der...

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