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Hitlers Inselwahn. Die britischen Kanalinseln unter deutscher Besetzung 1940-1945

AutorJohn Nettles
VerlagOsburg Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783955100995
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Die verlorene Luftschlacht gegen England bedeutete das Ende von Hitlers Wahn, englischen Boden zu erobern. Nicht ganz! Es gab ja bereits ein britisches Territorium, das von der Wehrmacht okkupiert wurde. Am 28. Juni 1940 griffen die Deutschen von Frankreich aus die Kanalinseln an. Bomben trafen die Häfen von St. Helier auf Jersey und St. Peter Port auf Guernsey. Damit fiel britischer Boden den Deutschen in die Hände und verblieb dort bis zu seiner Befreiung im Mai 1945. John Nettles legt in seinem Buch eine detaillierte Schilderung der deutschen Besatzungszeit vor. Er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und von ihren Erfahrungen berichten. Der Autor spart dabei auch die heiklen Aspekte der Okkupation nicht aus, etwa die angespannte Beziehung zwischen den Kanalinseln und der englischen Regierung. Denn auf den Inseln verlief die Linie zwischen Kooperation und Kollaboration, zwischen Widerstand und Kriegsverbrechen viel dramatischer als bisher angenommen. Der komplexe Fall der Kollaboration wird ebenso beleuchtet wie das Schicksal der Juden und Zwangsarbeiter auf den Inseln. Nettles lebte während der Dreharbeiten für die Serie Bergerac auf Jersey, seither verbindet ihn eine enge Beziehung zu den Kanalinseln. 2011 unterbrach er seine Karriere als Schauspieler, um sich seiner Arbeit als Dokumentarfilmer und Sachbuchautor zu widmen. Ein Jahr später erschien sein aufsehenerregendes Buch. 'Nelles hat all die kleinen Geschichten gesammelt, aus denen sich Historie sich zusammensetzt. Viele sind voller Absurdität.' FAZ

John Nettles, geboren 1943 in Manchester, aufgewachsen in St. Austell (Cornwall), studierte in den 60ern Geschichte und Philosophie. 1976-1980 und 1992-1996 war Nettles Ensemblemitglied der Royal Shakespeare Company. Große Bekanntheit erlangte er in den 1980er Jahren mit der Rolle des Jim Bergerac in der TV-Serie Jim Bergerac ermittelt, die von 1981-1991 auf den Kanalinseln gedreht wurde. Dem deutschen Publikum ist er insbesondere durch seine Rolle als Inspector Barnaby bekannt, die er von 1997-2011 spielte.

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Leseprobe

Prolog

Das zwanzigste Jahrhundert war eines der blutigsten in der Geschichte der Neuzeit: Zwei Weltkriege und eine Unzahl an kleineren Konflikten, in deren Verlauf Millionen von Menschen gefangen genommen, versklavt, gefoltert und getötet wurden. Kein Ort auf Erden blieb von diesen Kämpfen verschont, niemand auf der Welt blieb unberührt von diesem mörderischen Wahnsinn. Es bestand die Hoffnung, dass der Erste Weltkrieg von 1914–1918 der letzte aller Kriege sein würde. Dem war aber nicht so. Die siegreichen Alliierten erlegten Deutschland einen Frieden auf, der eigentlich kein Frieden, sondern vielmehr ein Racheakt war, wie Hitler selbst es verbittert hervorhob. Dieser Frieden war eine Bürde und führte das Land in eine zermalmende Armut, es folgten ökonomischer Ruin, Hungersnöte und großes Leid. Es ging das Gerücht um, dass Mütter in Hamburg ihre Neugeborenen töten würden, weil sie keine Möglichkeit hatten, sie zu ernähren. Das waren die Jahre der Weimarer Republik – Jahre, die geprägt waren von wirtschaftlichem Niedergang, massiver Inflation und all den damit einhergehenden Übeln.

Natürlich gediehen unter diesen Umständen Unzufriedenheit und revolutionäres Denken; und in der Tat fand jede Form radikalen Denkens einen – oft auch gewaltsamen – Ausdruck, besonders sichtbar in den Straßen der großen Städte wie München und Berlin. Kurz gesagt: Zwei politische Gruppen dominierten den Machtkampf, rechts die Nazis, links die Kommunisten. Am Ende war es Adolf Hitlers Nationalsozialistische Partei, die 1933 an die Macht kam. Der neue »Führer« trat freudig dem erlesenen Club der Diktatoren bei – dem bereits Stalin, Mussolini und Franco angehörten, die während dieser turbulenten Zeit die Welt in Schrecken versetzten. Hitlers Ambitionen waren expansionistisch und offen rassistisch. Deutschland sollte wieder in der Größe der Vorkriegszeit erstrahlen und seine Führungsrolle in Europa zurückerlangen. Hitler wollte das Territorium Deutschlands in den Osten ausdehnen, um der nach seiner Ideologie höherwertigen arischen Rasse den von ihr so »dringend benötigten Lebensraum« zur Verfügung zu stellen. Diese weiten Gebiete, in denen Polen und Russen lebten, sollten annektiert und Teil des Dritten Reichs werden. Die überlegenen Arier nahmen – ihrer Meinung nach mit vollem Recht – ihren unseligen Nachbarn alles weg. Diese galten als niedere Rasse, als »Untermenschen«; als solche konnten sie ausgerottet oder versklavt werden, je nachdem, was Hitler für angebracht hielt – mitsamt den Juden, die als die »niedrigsten Wesen« angesehen wurden.

Aus Sicht der Nationalsozialisten hatten die Juden durch eine internationale Verschwörung den desaströsen Krieg von 1914–1918 herbeigeführt, der wiederum das Erscheinen der verhassten Bolschewisten erst möglich gemacht hatte und zugleich deren Bestehen sicherte. Die Bolschewisten drohten, ganz Europa einzunehmen. Aus der Sicht der Nationalsozialisten waren die Juden ein Krebsgeschwür, das es herauszuschneiden galt. Genau das äußerte Hitler in seiner Rede vom 30. Januar 1939: »Und eines möchte ich an diesem vielleicht nicht nur für uns Deutsche denkwürdigen Tage nun aussprechen: Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, daß dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.«1

Der »Führer« war dabei, das judenfreie Arierparadies im eigenen Land wie auch im Ausland mittels Waffengewalt oder auch nur durch die bloße Androhung von Gewalt zu verwirklichen. Die Innen- und Außenpolitik nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 zeichnete sich nicht durch diplomatische Feinfühligkeit aus. Fast täglich verkündeten die Schlagzeilen neue Verstöße gegen den Versailler Friedensvertrag: die Remilitarisierung des Rheinlandes, die Besetzung des Sudetenlandes, eine massive Wiederaufrüstung. Täglich fanden neue Angriffe auf politische Gegner des Regimes statt, täglich wurden neue Gräueltaten oder Morde begangen. Konzentrationslager und institutionalisierte Gewalt waren die Losungen jener Tage, ganz zu schweigen von der Zersetzung des kompletten Rechtssystems, das schließlich vom tyrannischen NS-Regime vollends instrumentalisiert wurde. Das Gesetz wurde zu einem Ausdruck von Hitlers Willen.

Ein Kapitel nach dem anderen schrieb das große NS-Geschichtsbuch, das der Welt gefährliche Zeiten bescherte. Eine Welt freilich, die weit entfernt war von der französischen Halbinsel Cotentin und den Menschen, die auf den küstennahen Kanalinseln lebten. Während der 1930er Jahre, als Hitler seine politischen Gegner ermorden oder in Konzentrationslager einsperren ließ, während er sich dem staatlichen Terror hingab und um sich herum Angst und Schrecken verbreitete, gingen die Bewohner der Kanalinseln Jersey, Guernsey, Alderney und Sark in einer friedvollen Isolation ruhig und gelassen auf gewohnte Weise ihren täglichen Geschäften nach, so wie sie es schon seit Urzeiten getan hatten.

Die Kanalinseln werden zwar zu den britischen Inseln (British Isles) gezählt, und doch sind sie ein ganz ungewöhnlicher Teil Großbritanniens. Daher ist es unangebracht, von den auf den Kanalinseln gemachten Kriegserfahrungen generell darauf zu schließen, wie sich die britische Gesellschaft verhalten hätte, wäre das britische Festland von den Deutschen besetzt worden. Da die Inseln eine Besonderheit darstellen, können sie auch nicht für die gesamte britische Gesellschaft als Paradebeispiel herhalten.

Jersey ist mit einer Größe von 117 Quadratkilometern die größte der Kanalinseln. 1940 lebten ungefähr 35 000 Menschen auf Jersey, das zu jener Zeit bereits berühmt war für seine Rinder: hohlrückig, großäugig und von einer schönen hellbraunen Farbe. Bekannt war die Insel außerdem für die Kartoffelsorte Jersey Royal, die – bedeckt mit großen, an den Stränden entlang der Küste aufgelaufenen Seetangschichten – im nahrhaften Boden der Abhänge wächst. Der großartige, aus Jersey stammende Künstler Edmund Blampied, der die Briefmarken und Banknoten während der Besatzungszeit gestaltete, hat auf vielen herrlichen Gemälden und Kupferstichen die Seetangernte festgehalten; sie zeigen prächtige Pferde unter flammender Sonne vor der aufgewühlten See.

Das wirkt idyllisch – und idyllisch war es auch. Trotzdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass eine nicht geringe Armut herrschte auf den Inseln, insbesondere unter den kleinbäuerlichen Pächtern: Diese lebten in winzigen verdreckten Hütten, ohne Gas oder Elektrizität und ohne WC im Haus. Ein entscheidendes Kriterium der Nationalsozialisten bei der Klassifizierung einer Rasse scheint übrigens der Mangel an sanitären Anlagen gewesen zu sein – wenigstens, wenn man die Aussagen eines an der Ostfront stationierten deutschen Offiziers ernst nimmt: Er behauptete, dass sich der rassisch Höhergestellte von einem »Untermenschen« dadurch unterscheide, dass jenem ein Abort im Innern des Hauses zur Verfügung stünde. Nach dieser Einschätzung musste ein Großteil der Insulaner (ganz zu schweigen von der Bevölkerung des britischen Festlands) von einer untergeordneten Spezies gewesen sein.

Ein wesentlicher Teil des Einkommens der Inseln stammte aus dem damals noch nicht so umfänglichen Bankwesen, das mit dem heutigen nicht zu vergleichen ist. Eine weitere Einnahmequelle war der Tourismus: Die Urlauber waren bemüht – und sei es auch nur für wenige Tage –, dem Lärm und der Hektik der Städte auf dem britischen Festland zu entkommen. Sie verbrachten die wenige, aber kostbare Zeit am Strand von St. Brelades Bay oder schwammen in den kristallklaren Gewässern – und dann genossen sie vielleicht einen köstlichen Jersey cream tea in einem der luxuriösen Hotels. Man ließ es sich gut gehen in einer Welt, die weit entfernt war vom bedrängten Europa und seinen tollwütigen Diktatoren.

Historisch gehörten Jersey und die anderen Kanalinseln zum Herzogtum der Normandie. Als...

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