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E-Book

Hitlers Weltkriege

Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde

AutorHenrik Eberle
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783455851038
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Vom Gefreiten der Reichswehr zum Oberbefehlshaber der Wehrmacht - Mit neuesten Erkenntnissen zeigt der Historiker und Nationalsozialismus-Experte Henrik Eberle, wie Hitlers Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg dessen Politik, Ideologie und militärische Vorstellungen beeinflussten. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes attestierte Generaloberst Franz Halder dem einstigen 'Führer' mangelndes strategisches Denken, als Politiker habe er versagt, und 'er war erst recht kein Feldherr' - ein einfacher Gefreiter eben, der nie an vorderster Front gekämpft habe. Andere bezeichneten Hitler als feigen Soldaten des Ersten Weltkriegs, er habe sich das Eiserne Kreuz erschlichen und sei am Ende als 'Hysteriker' in der Psychiatrie gelandet. Henrik Eberle spürt diesen Aussagen anhand gründlicher Recherchen in Archiven und Bibliotheken nach und findet ein anderes Bild. Zugleich beantwortet er viele umstrittene Fragen. Formierte Hitler die Gesellschaft neu, um einen weiteren 'Dolchstoß' im Zweiten Weltkrieg zu vermeiden? Resultierte Hitlers Achtung vor dem britischen Empire aus seinem Einsatz gegen die Engländer im Ersten Weltkrieg? Unterschätzte er die Russen, weil er sie nicht kannte? Ein Buch, das den Gefreiten mit dem Diktator in Verbindung setzt und Zusammenhänge verständlich macht.

Henrik Eberle wurde 1970 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren. Er studierte Geschichte, promovierte 2002 und lehrt heute an der Martin-Luther-Universität in Halle. Seine Forschungsschwerpunkte sind die beiden deutschen Diktaturen und die extremistischen Parteien der Gegenwart. Zu seinen Publikationen gehören u. a. Das Buch Hitler (2005) und Briefe an Hitler (2007).

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Leseprobe

Der Alleinschuldige: ein Konstrukt Halders


Nach dem verlorenen Krieg, der vielen Millionen das Leben gekostet hatte, suchten die Militärs nach den Ursachen der Niederlage. Dabei trieb die Offiziere auch ein psychologisches Motiv: Sie wollten sich von dem Makel reinwaschen, Hitler gedient zu haben. Zur Schlüsselfigur dieser Geschichtspolitik wurde Generaloberst Franz Halder, der sich 1945 den Amerikanern zur Verfügung stellte und von ihnen zum Leiter der deutschen Abteilung ihrer »Historical Division« ernannt wurde. Während seiner Amtszeit entstanden in den Kriegsgefangenen- und Internierungslagern mehr als 2500 Studien zum Zweiten Weltkrieg, auf die er massiv Einfluss nahm, indem er die Verfasser anhielt, Befehlsketten zu verschleiern und vorsätzlich für Ungenauigkeiten und Widersprüche zu sorgen.[15] Die Studien über die Schlachten bei Moskau, El Alamein und Stalingrad wurden in diesem Sinne erstellt und benannten einen Alleinschuldigen der »fatalen Entscheidungen«: Adolf Hitler.[16]

Wie Halder seinen Oberbefehlshaber gesehen haben wollte, zeigt eine Broschüre, die er 1949 unter dem marktschreierischen Titel »Hitler als Feldherr – Der ehemalige Chef des Generalstabes berichtet die Wahrheit« veröffentlichte. Dieser »dämonische Mann« sei »kein soldatischer Führer« gewesen und erst recht »kein Feldherr«.[17] Dann arbeitete sich Halder an einzelnen Punkten ab. Rüstung? Hitler habe durch seine Hektik oft mehr zerstört, als er geschaffen habe. Luftwaffe? Hier »triumphierte der Zahlenrausch« statt echter Kampfkraft. Vorstoß auf Stalingrad? Ideologisch motiviert, meinte Halder und verschwieg, dass er selbst die Fortsetzung des Feldzugs in den Süden der Sowjetunion ausgearbeitet hatte. Mehr noch, bei der Definition der Kriegsziele Stalingrad und Leningrad habe es sich um blanken »Größenwahn« gehandelt. Sie seien »bloße Augenblickseingebungen« gewesen, verursacht durch die »krankhafte Überschätzung« der eigenen Kraft, die mit einer »verbrecherischen Unterschätzung« des Feindes einhergegangen sei. Für andere Behauptungen seiner Broschüre blieb Halder die Belege schuldig, etwa für das ständige Zaudern Hitlers. Selbst bei dem innovativen Feldzugsplan gegen Frankreich 1940 sprach Halder dem einstigen Oberkommandierenden jede Mitwirkung ab, obwohl es Hitler gewesen war, der den »Sichelschnitt-Plan« durchgesetzt hatte, und zwar gegen den Willen des Generalstabs.[18]

Legendenbildung 1949. Der ehemalige Generalstabschef Franz Halder stilisierte Hitler zum Alleinschuldigen an der Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Der ehemalige Gefreite, behauptete er, habe zahllose falsche strategische und taktische Entscheidungen getroffen. Die Militärs hätten an ihnen nicht mitgewirkt.

(Copyright ©: Sammlung Eberle)

Zugleich vermied es Halder, Fragen anzuschneiden, die andere, klügere Generale beschäftigten. So befand Heinz Guderian den italienischen Angriff gegen Griechenland für ebenso »leichtfertig wie überflüssig«. Es hätte »gemeinsamen« deutschen und italienischen Interessen entsprochen, auf das »griechische Abenteuer« zu verzichten und stattdessen die Lage in Afrika zu »festigen«, schrieb er in seinen 1951 veröffentlichten Memoiren.[19] Er sah es auch als falsch an, aus »eigenem Entschluss« Krieg gegen Russland zu führen, zumal der Feldzugsplan seinen persönlichen Vorstellungen widersprach. »Klotzen, nicht kleckern«, hatte Guderian immer wieder gefordert, und so hielt er den Versuch, drei nahezu gleich starke Heeresgruppen mit divergierenden Zielen in den russischen Raum hineinzutreiben, für unsinnig.[20] Der ranghöhere Halder war an beiden Entscheidungen beteiligt gewesen. Guderian hatte ihm seine Bedenken durch seinen Stabschef übermitteln lassen, ohne, wie er in seinen Memoiren schrieb, »das mindeste zu erreichen«.[21] Der Generalstab war, ausgehend von den Erfahrungen der Invasion in Frankreich, zu dem Schluss gekommen, die Sowjetunion ließe sich in einem neun- bis siebzehnwöchigen Feldzug niederringen.[22]

Bei den davongekommenen Generalen herrschte ein starker Drang, alle Niederlagen auf einsame Beschlüsse Hitlers zurückzuführen und alle Siege für die militärischen Stellen zu reklamieren. Dabei scheuten sie auch vor Lügen und Ungenauigkeiten nicht zurück. So behauptete der Schöpfer des V2-Raketenprogramms Generalmajor Walter Dornberger, Hitler habe die Entwicklung durch mangelnde Zuteilung von Arbeitskräften und Material eineinhalb Jahre zurückgeworfen.[23] Tatsächlich verweigerte Hitler lediglich zusätzliche Stahlzuteilungen, die Dornberger einforderte, um seine Bauvorhaben in Peenemünde schneller als geplant voranzutreiben.[24] Auch der General der Jagdflieger Adolf Galland führte die zahlreichen Leser seiner Memoiren vorsätzlich in die Irre. »Was hatten wir für Möglichkeiten«, seufzte er rhetorisch in einer Kapitelüberschrift, um dann mehrere Seiten lang über die verpasste Chance zum Einsatz des ersten Düsenjägers der Welt, der Messerschmidt 262, zu lamentieren. Hitler persönlich habe 1940 einen Entwicklungsstopp befohlen, sodass mindestens anderthalb Jahre Zeit verloren worden seien. Dann sei Hitler im Dezember 1943 auf die Idee verfallen, das Flugzeug zum »Blitz-Bomber« umkonstruieren zu lassen, was wieder Zeit gekostet habe. Überhaupt sei das der abwegige »Einfall eines Laien« gewesen, den niemand, schon gar nicht die Experten der Luftwaffe, ernst genommen habe.[25] Das Gegenteil ist wahr. Gerade die technischen Experten, und mit ihnen die gesamte Luftwaffenführung, fieberten der Fertigstellung eines Bombenflugzeugs entgegen, das schneller sein sollte als die feindlichen Jäger. Die Me 262 war von Anfang an als Bombenträger konzipiert, Schwierigkeiten bei der Fertigung verzögerten den ohnehin erst für 1945 geplanten Einsatz, nicht die angeblich laienhaften Einfälle Hitlers.[26]

Noch wolkiger als die Davongekommenen argumentierten die Befehlshaber und Generalstäbler, die angeklagt wurden. Die wenigsten übernahmen Verantwortung für das, was sie getan hatten[27], die meisten stilisierten sich zu Verführten Hitlers oder gar zu dessen Opfern. Ein Beispiel dafür bietet Hitlers Anwalt Hans Frank, der für seinen Einsatz mit dem Posten als Generalgouverneur der einst polnischen Gebiete belohnt worden war. Bei Hitler habe sich eine Charakterveränderung vollzogen, versuchte er zu suggerieren: »Aus Mut wurde Übermut, aus Kraft wurde Kraftmeierei, aus Vernunft wurde Unsinn, aus Energie wurde Gewalt, aus Macht wurde Brutalität, aus lichtem Traum reiner Hoffnungen wurden furchtbare, hassverzerrte Nachtvisionen.«[28] Welchen »lichten Traum reiner Hoffnungen« er bei Hitler erkennen wollte, verschwieg er allerdings.

Hitlers engster militärischer Berater Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabs, versuchte beim Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg eine noch radikalere Verteidigungsstrategie. Die ganze deutsche Wehrmacht habe 1939 vor einer »unlösbaren Aufgabe« gestanden, sagte er dem Gericht, »nämlich: einen Krieg zu führen, den sie nicht gewollt, unter einem Oberbefehlshaber, dessen Vertrauen sie nicht besaßen und dem sie selbst nur beschränkt vertrauten, mit Methoden, die oft ihrem Führungsgrundsatz und ihren erprobten Anschauungen widersprachen, mit Truppen und Polizeikräften, die nicht ihrer vollen Befehlsgewalt unterstanden, und mit einem Nachrichtendienst, der teilweise für den Gegner arbeitete«.[29] Gegenüber seiner Frau flüchtete er dann allerdings in die gleiche Opferrolle, die schon Frank öffentlich eingenommen hatte. »Hat er nicht auch mit meinem Idealismus gespielt«, fragte er rhetorisch, »und ihn nur benutzt zu Zwecken, die er in seinem Innersten verbarg?« Jodls Ehefrau klammerte sich an diese Version des Geschehens und gestattete die Veröffentlichung des in der Nürnberger Zelle geschriebenen Briefs.[30] Wie stark sich Jodls Bild von Hitler gewandelt hatte, zeigt eine Aussage, die er einem sowjetischen Vernehmungsprotokoll zufolge 1945 im Kriegsgefangenenlager Mondorf (Luxemburg) machte. »Unbestreitbar« sei Hitler »ein Genie, ein ungewöhnlicher Mensch« gewesen, urteilte er, als von einer Anklage als Kriegsverbrecher noch nicht die Rede war. »Die Fähigkeit zur Arbeit« sei diesem angeboren gewesen, er habe ständig gearbeitet und alle mit seinem bemerkenswerten Gedächtnis überrascht. Bewundernd setzte er hinzu: »Privat lebte er so, wie er es auch selbst predigte – bescheiden und einfach.« Das Einzige, was er in der Rückschau an ihm bemängele, sei die übermäßige Härte: »Trotz der...

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