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Höflichkeitsformen im Italienischen und Portugiesischen

AutorThomas Strobel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl89 Seiten
ISBN9783638840743
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Romanistik - Vergleichende Romanistik, Note: 1,3, Universität Passau (Lehrstuhl für Allgemeine Linguistik), 136 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Rahmen der vorliegenden, synchron ausgerichteten Arbeit zu den Höflichkeitsformen in den romanischen Sprachen, speziell im Italienischen und Portugiesischen, sollen als zentrale höflichkeitsrelevante Bereiche die Anrede, die Modalität und die Lexik im Vordergrund stehen. Außerdem wird ein Abriss zur pragma- und soziolinguistischen Höflichkeitsforschung gegeben, die u. a. eine Erklärung dafür bieten kann, wieso (universal) überhaupt Höflichkeitsstrategien angewandt werden und infolgedessen entsprechende Formen dafür grammatikalisiert bzw. lexikalisiert sind.

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Leseprobe

3 Anredesystem


 

Das Anredesystem einer Sprache umfasst die Gesamtheit der in dieser Sprache zur Verfügung stehenden Mittel der Anrede. Dabei versteht man unter Anrede die explizite sprachliche Referenz eines Sprechers auf seine(n) faktisch oder imaginär vorhandenen Gesprächspartner (vgl. Czachur 2004: 741 f., Hammermüller 1993a: 1).

 

Zu den Anredeformen als (grammatikalisierte) sprachliche Mittel zur Herstellung eines zwischenmenschlichen Kontakts und/oder zur Verdeutlichung der Stellung der Gesprächs-partner zueinander gehören alle sprachlichen Erscheinungen, die für diese Bezugnahme verwendet werden. Dies sind Anredepronomina (eine spezielle Form der Personalpronomina, die wiederum eine Untergruppe der Pronomina darstellen) ebenso wie Anredenomina bzw. Vokative (Namen, Titel, Verwandtschaftsbezeichnungen). Die Abgrenzung zwischen pronominaler und nominaler Anrede ist beispielsweise im Portugiesischen (wie auch im Polnischen, vgl. dazu Czachur 2004: 746 ff.) nicht immer problemlos möglich (vgl. Abschnitt 3.1.4: o senhor).

 

Es lassen sich morphosyntaktische und lexikalische Anredeformen unterscheiden (vgl. Laroche-Bouvÿ 1989: 85). Zu den morphosyntaktischen Anredeformen gehören Pronomina bzw. Elemente mit deren Funktion (z.B. pg. o senhor), lexikalische Anredeformen sind entweder isolierte Lexeme, vgl. (1a), oder Nominalsyntagmen wie in (1b):

 

(1) a.   Monsieur, Docteur, Président, Dupont, Paul

b.   Monsieur le Président, Paul Dupont, cher ami, mon vieux, oncle Paul

 

Bisweilen findet sich auch eine Unterscheidung zwischen „gebundener“ und „freier“ Anrede (so z.B. bei Czachur 2004: 744 oder Haase 1994: 32), wobei unter „gebundener“ Anrede syntaktisch in einen Satz integrierte Formen verstanden werden, die die Funktion eines Subjekts, Objekts oder Attributs ausfüllen, wohingegen im Fall von „freier“ Anrede ein verbloser Satz allein geäußert wird bzw. eine entsprechende (vokativisch gebrauchte) Anredeform vor einem, hinter einem oder als Einschub in einen Satz steht, ohne in ihm eine syntaktische Funktion auszufüllen. Es lässt sich tendenziell eine Korrelation zwischen (pro)nominalen Anredeformen und deren Gebundenheit vs. Freiheit feststellen, wonach pronominale Anredeformen in der Regel syntaktisch gebunden und nominale Formen freistehend sind[16]. Es besteht jedoch durchaus die Möglichkeit der freien Bezugnahme auf einen Gesprächspartner durch Pronomina, vgl. (2a), und der gebundenen Bezugnahme durch Nominalformen wie in (2b) (vgl. Haase 1994: 32). Letztere ist insbesondere für das Portugiesische von Bedeutung (vgl. 3.1.4).

 

(2) a.   Du, ich muss dir was erzählen.

 b.   Wünscht die Dame zu speisen?

 

Die Definition von „freier“ bzw. „gebundener“ Anrede stimmt mit der – hier bevorzugten – Unterscheidung zwischen vokativischen und nicht-vokativischen Anredeformen (vgl. Kilbury Meißner 1982) überein. Vokative sind also im Gegensatz zu den nicht-vokativischen Anredeformen nicht syntagmatisch in den jeweiligen Satz integriert („freie“ Anrede), sie stehen außerhalb der Satzsyntax und der spezifischen satzintonatorischen Kontur (vgl. Simon 2003: 1). Der Differenzierung nach vokativischen und nicht-vokativischen Anredeformen entspricht eine Unterscheidung zwischen „Anrede“ und „Anruf“ auf konzeptueller Seite. Wie bereits in (2) verdeutlicht wurde, kann jedoch zwischen diesen beiden Ebenen keine Eins-zu-eins-Entsprechung angenommen werden, denn „Anrufe“ sind auch durch normalerweise nicht-vokativisch gebrauchte Anredeformen ausdrückbar und umgekehrt (vgl. Hammermüller 1993a: 34, 36 ff.; Hammermüller 1997: 27).

 

Als weiterer Begriff ist der v.a. in der soziolinguistischen Literatur geläufige Terminus der „indirekten Anrede“ zu nennen (vgl. z.B. Czachur 2004: 752). Unter „direkter An-rede“ versteht man normalerweise die Anredepronomina, als die „eigentlichen“ Formen der Anrede, oder auch den Vokativ (vgl. Hundertmark-Santos Martins 21998: 370). Dagegen werden unter „indirekter Anrede“, die in (3) mit der entsprechenden deutschen Übersetzung in (3a) für das Portugiesische exemplifiziert wird (ferner auch pg. o sr. Doutor, o Manuel, o pai, a colega etc.)[17] Formen subsumiert, die gewöhnlich zur Bezugnahme auf Personen außerhalb der unmittelbaren Sprecher-Hörer-Beziehung gebraucht werden, wie aus der alternativen Übersetzung in (3b) deutlich wird. Diese gehen mit einer Verbform der (grammatischen) 3. Person einher:

 

(3) O senhor Martins já viu esta peça?

a.   „Haben Sie dieses Theaterstück schon gesehen(, Herr Martins)?“

 b.   „Hat Herr Martins dieses Theaterstück schon gesehen?“

 

Zu einer Kritik an diesen Begriffen sei auf Hammermüller (1993a: 32, 34 f.; 1993b: 33 f.) und Haase (1994: 32) verwiesen.

 

Bezüglich des Anredeverhaltens, d.h. des Gebrauchs, den ein Sprecher von den ihm grundsätzlich zur Verfügung stehenden Anredeformen macht, kann zwischen symmetrischer und asymmetrischer Verwendung der Anredeformen unterschieden werden. Symmetrisch ist beispielsweise im Deutschen der wechselseitige Gebrauch der distanzierten Anrede mit SieSie bzw. der familiären Anrede mit dudu, wohingegen die reziproke Anrede mit Siedu asymmetrisch ist. Letzterer Gebrauch findet sich nach Brown/Gilman (1960: 255 ff.) v.a. in sozial stratifizierten Gesellschaften, in denen der Faktor power dominierend ist. Im Falle von symmetrischem Anredeverhalten überwiegt umgekehrt der Faktor solidarity (vgl. ibd.: 257 ff.). Ein Rückgang asymmetrischer zugunsten symmetrischer Anredeverhältnisse aufgrund der von Brown/Gilman (ibd.: 260) festgestellten Entwicklung, wonach sich solidarity gegenüber power durchgesetzt habe, ließe sich wahrscheinlich nicht nur für das Französische, Italienische und Deutsche (ibd.: 264) feststellen.

 

Im Folgenden sollen zunächst die Pronominalsysteme des Italienischen und Portugie-sischen in ihren Grundzügen dargestellt sowie anschließend untersucht werden, in welchem Bereich des Pronominalsystems in diesen beiden Sprachen Höflichkeit ausgedrückt wird. Dabei soll das Hauptaugenmerk auf den grammatischen Besonderheiten des Systems der heutigen Anredepronomina im Italienischen und Portugiesischen liegen. Insbesondere für das Portugiesische sollen weiterhin nicht-pronominale, d.h. Anredenomina als nicht-vokativische Anredeformen dargestellt werden. Den Abschluss bildet eine Betrachtung zu den Vokativen in beiden Sprachen.

 

3.1 Pronominale und nominale nicht-vokativische Anredeformen


 

In fast allen (west)indoeuropäischen Sprachen der Gegenwart gibt es für die Anrede einer einzelnen Person mindestens zwei im Höflichkeitsgrad unterschiedene Pronomina. Aus-nahmen hierzu bilden v.a. das Englische sowie, auf dialektaler Ebene, bestimmte süd-italienische[18] Varietäten. Manche Sprachen besitzen autonome Sonderformen für das höfliche Anredepronomen, die synchron sonst nirgends im Pronominalsystem auftreten (z.B. sp. usted, niederl. U). Dagegen finden sich die höflichen Anredepronomina anderer Sprachen (z.B. dt. Sie, fr. vous) auch unter den „normalen“ Personalpronomina (3. Ps. Pl. bzw. 2. Ps. Pl.) wieder (vgl. Simon 2003: 89 ff.).

 

In diesem Kapitel sollen nach einer knappen Darstellung der Pronominalsysteme des Italienischen und Portugiesischen die höflichkeitsrelevanten Pronomina darin für beide Sprachen untersucht werden. Es werden, traditionell gesprochen, die Subjekt- und (un-) betonten Objektformen der Personalpronomina sowie Possessiv- und Reflexivpronomina berücksichtigt.

 

3.1.1 Die Pronominalsysteme des Italienischen und Portugiesischen


 

In (4) ist das Paradigma der italienischen Personalpronomina dargestellt, in (5) das der portugiesischen Personalpronomina. Die Achsen der (zweidimensionalen) Paradigmentafel werden durch die grammatischen Kategorien Numerus (Sg./Pl.) bzw. Person (1., 2., 3. Ps.) und Kasus (Nom., Akk. = dir. Obj., Dat. = ind. Obj.) gebildet. Innerhalb der 3. Ps. kommt (teilweise) noch eine Unterscheidung nach Genus (Mask./Fem.) hinzu.

 

Die Frage danach, wo innerhalb dieses Paradigmas die Höflichkeitsformen einzuordnen sind, wird erst Gegenstand der nächsten beiden Abschnitte sein (vgl. 3.1.2 für das Italienische bzw. 3.1.3 für das Portugiesische).

 

 

 

In beiden Sprachen ist es möglich, pronominale Subjekte unausgedrückt zu lassen. Dies ist keine universale Eigenschaft von Sprachen, d.h. crosslinguistisch variieren Sprachen bezüglich eines Pro-drop-Parameters. Italienisch und Portugiesisch sowie beispielsweise auch das Spanische fixieren den Wert des Pro-drop-Parameters positiv; im Gegensatz dazu gehören etwa das Französische, Englische oder Deutsche nicht zu den Pro-drop-Sprachen[19]. Das dennoch mitverstandene Subjekt in Pro-drop-Sprachen wird syntaktisch durch ein nicht-overtes Pronomen repräsentiert, wie im...

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