„Golden girl oder bad boy?“[1] , “Weltmeisterin soll ein Zwitter sein”[2] , solche oder ähnliche Titel ließen sich im Sommer 2009 in jeder Zeitung oder Zeitschrift Deutschlands und Europas finden. Die Rede ist von Caster Semenya, einer 18-jährigen Athletin aus Südafrika. Sie holte überraschend die Goldmedaille im 800-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen in Berlin. So überraschend, dass Zweifel an ihrem Geschlecht aufkamen und sie sich einem Geschlechtstest unterziehen musste.[3] Von ihrem Sieg und ihrer Leistung war nur noch selten die Rede, wichtiger schien die Frage nach ihrem Geschlecht zu sein. Dass die Geschlechtertests allerdings schon seit dem Jahr 2000 vom IOC, dem International Olympic Committee, abgeschafft worden waren, ist weniger bekannt. In einigen Ausnahmefällen dürfen die Tests aber durchgeführt werden und Caster scheint eine solche Ausnahme zu sein. Dass hier eine Athletin aus dem subsaharischen Afrika im Mittelpunkt steht, verwundert kaum.
Die Neugier am Geschlecht und der Sexualität eines Menschen reiht sich in eine lange Geschichte ein. Das Interesse an der Sexualität, am Geschlecht oder am Sexleben anderer Kulturen oder einzelner Personen war schon immer groß. Diese Sexualisierung, die vor allem Afrika und den Orient betrifft, geht schon auf das Mittelalter zurück. Bilder von unbeschränkter, extrovertierter Sexualität, der einfachen sexuellen Verfügbarkeit afrikanischer Frauen, dem Mangel an sexueller Moral bestimmten lange Zeit das Bild vom Sexleben der „Afrikaner“. Dieses steht in engem Zusammenhang zum Stereotyp des „Wilden“. Dieser steht in ständigem Kampf mit seiner Natur und Sexualität, derer er kaum Herr wird. Dabei schwankten die Darstellungen von der Idealisierung als eine Art Paradies, bis hin zu Ablehnung der vermeintlichen Sexualität der „Anderen“.[4] Das einige Afrika auch als „Paradies“ für homosexuelle Neigungen ansahen, konnte Robert Aldrich aufzeigen. Er stellt fest, dass viele Männer, die im Zusammenhang mit dem europäischen Imperialismus standen, sexuelle und emotionale Neigungen zu Männern aufzeigten; darunter Henry Morton Stanley (1841-1904) oder Marshall Hubert Lyautey (1854-1934). Daneben gab es aber auch Schriftsteller, wie Arthur Rimbaud (1854-1891) und André Gide (1869-1951), die es vermehrt in die Kolonien zog. Einige Kolonien waren regelrecht „berühmt“ als Orte, an denen gleichgeschlechtliche Neigungen ausgelebt werden konnten.[5] Dabei konnten die Grenzen zwischen Homosexualität, intimen Freundschaften, Verbundenheit unter Männern, paternalistische oder onkelhafte Empfindungen schnell verwischen.[6] Auf der anderen Seite steht der Mythos homosexuelle Praktiken würden im subsaharischen Afrika nicht vorkommen (siehe 2.2, unten). Die Rolle von Anthropologen, die stark vom Kolonialismus geprägt waren, ist evident. Denn sie waren diejenigen, die sich dem Thema Sexualität widmeten und diese dokumentierten. Entscheidend waren ihre Vorstellungen von der Sexualität der „Afrikaner“. Oftmals wurden selektiv bestimmte Formen von Sexualität dokumentiert, andere Formen dafür ignoriert. Dies ist vor allem in Bezug auf gleichgeschlechtliche Praktiken im subsaharischen Afrika geschehen. Es entstanden verschiedene Dichotomien und Hierarchien, die nicht nur das „Andere“ abgrenzen sollten, sondern auch als „besser“ oder „schlechter“ einstuften und zugleich definierten was „normal - anormal“ ist. Die Ausblendung homosexueller Praktiken ist eine Folge dessen, was Marc Epprecht den „Heterosexismus der Ethnografie“ nennt.[7] Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass der Diskurs über Homosexualität erst Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Hier entstand nicht nur die Abgrenzung zur Heterosexualität, sondern auch verschiedene Konzepte, die vor allem durch die Psychotherapie und die Kirche geprägt wurden (siehe 2.1, unten). Diese Konzepte sollten eine Erklärung für das „Andere“, in diesem Fall die Homosexualität liefern.
Diese Stereotype über Sexualität, insbesondere über Homosexualität, der Heterosexismus und der einsetzende Diskurs über Homosexualität prägen auch den Umgang der Religionen Afrikas - die traditionellen[8] Religionen, den Islam und das Christentum - mit dem Thema der Homosexualität. Welche Positionen nehmen die drei Religionen in Bezug auf Homosexualität ein? Gibt es Unterschiede oder Gemeinsamkeiten im Umgang mit gleichgeschlechtlichen Neigungen? Wie stellen sich gleichgeschlechtliche Praktiken im afrikanischen Kontext überhaupt dar? Wie nehmen sich Homosexuelle in religiös geprägten Gesellschaften wahr und wie werden sie von diesen wahrgenommen? Diesen Fragestellungen soll in der Arbeit nachgegangen werden.
Wie das Thema der Arbeit erkennen lässt, soll es zum einen um Homosexualität, zum anderen um Religion im subsaharischen Afrika gehen und in welcher Beziehung beide Komponenten zueinander stehen. Schon der Titel macht eine Zweiteilung der Arbeit deutlich. Um sich dem Thema zu nähern, soll zunächst geklärt werden, wie sich Sexualität und in diesem Falle Homosexualität definiert. Hierzu sollen die Theorien des Essentialismus und Konstruktivismus nicht nur eine theoretische Grundlage liefern, sondern auch helfen Sexualität näher einzuordnen. Eine spezifische theoretische Basis bildet dann Barry Adams vierfache Typologie der gleichgeschlechtlichen Praktiken. In einem allgemeinen Blick auf den afrikanischen Kontinent sollen Diskurse im Hinblick auf Homosexualität im subsaharischen Afrika dargestellt werden. Zudem solle eine Vorstellung vermittelt werden, wie sich gleichgeschlechtliche Praktiken im afrikanischen Kontext ausdrücken. Hierfür sollen exemplarisch Beispiele herausgegriffen werden, die sich an Adams Typologie orientieren. Es soll auch klar werden, wie vielfältig gleichgeschlechtliche Neigungen und Praktiken aussehen können und zudem hervorgehoben werden, dass kein einheitliches Bild des „Homosexuellen“, welches universal anwendbar ist, existiert. Zugleich wird ein kurzer Einblick gegeben, wie Homosexualität im subsaharischen Afrika wahrgenommen wird.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit den drei dominanten Religionen Afrikas: den traditionellen Religionen, dem Islam und dem Christentum. Bevor alle drei Religionen einzeln betrachtet werden, wird der Versuch einer Definition von Religion vorangestellt. Ein Versuch muss es schon deshalb bleiben, da es für den Begriff der Religion keine klare eindeutige Definition gibt, allerdings verschiedene Perspektiven aus denen man dieselbe betrachten kann. Die folgenden drei Kapitel beschäftigen sich dann mit den einzelnen Glaubensrichtungen. Zunächst soll eine kurze Einführung aufzeigen, wie sich die Religionen im afrikanischen Kontext konstituieren und präsentieren. Dabei soll es jedoch nicht Aufgabe sein, die Religionen in all ihren Facetten darzustellen, sondern einen kurzen Überblick zu geben. Wichtiger wird die Rolle von Religion in Bezug auf Homosexualität sein. Dafür sollen für die sogenannten Buchreligionen, den Islam und das Christentum, die wichtigsten Quellen untersucht werden: der Qur’an, Ahadith, Sharia und die Bibel. Für die traditionellen afrikanischen Religionen soll ein allgemeiner Überblick gegeben werden. Der theoretische Komplex liefert die Grundlagen für die Fallbeispiele, die einzelne Komponenten beleuchten sollen. Die Auswahl der Fallbeispiele ist auf die Quellen- und Literaturlage zurück zu führen.
Die Schlussbetrachtung soll als Zusammenfassung dienen und zudem die vorangestellten Fragen noch einmal näher betrachten.
Während die Geschichte der Sexualität für verschiedene Kulturkreise relativ gut erforscht ist, so ist die Geschichte der Homosexualität bisher vernachlässigt worden. Besonders für den muslimischen Kulturkreis und für das subsaharische Afrika liegen bisher nur wenige Arbeiten vor. Beiden Themen hat sich Stephen O. Murray, amerikanischer Soziologe und Anthropologe, gewidmet und mit seinen beiden Werken „Islamic Homosexualities“ von 1997 und „Boy-wives and female husbands“ aus dem Jahre 1998 Grundlagen geschaffen. Letzteres bildet auch eines der wenigen Bücher, die sich dem ganzen subsaharischen Afrika annehmen. Daneben existieren vor allem Studien über das südliche Afrika. Marc Epprecht hat für Simbabwe und Südafrika Aufklärungsleistung vollbracht. West-, Zentral- und Ostafrika bleiben in den meisten Publikationen dagegen weit zurück. Meist sind es nur einzelne Kapitel oder spezifische Studien, sie sich mit diesen Gebieten befassen. Dabei wird weibliche Homosexualität in vielen Publikationen nur am Rande diskutiert. Eine Ausnahme bildet „Tommy boys, lesbian men and ancestral wives“ von Ruth Morgan und Saskia Wieringa. Beide haben verschiedene Frauen aus dem südlichen und östlichen Afrika, Kenia und Tansania, interviewt und deren Erfahrungen in diesem Buch zusammengefasst.
Studien zu Homosexualität in Zusammenhang mit den traditionellen Religionen Afrikas bleiben marginal. Die meisten Berichte stammen von Ethnologen, Reisenden, Regierungsbeamten, die fremden politischen Systemen entstammten, oder christlichen Missionaren. Diese waren nicht nur Außenstehende, was soziale oder sexuelle Beziehungen angeht, sondern auch was die religiösen Traditionen betraf.[9] Ein Vorreiter, allerdings nicht in Bezug auf afrikanische Religionen, bildet Gilbert Herdt, der Homosexualität in Papua...