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Hongkong Neo-Noir. Narrative und ästhetische Kennzeichen des Film Noir am Beispiel von John Woos 'The Killer'

AutorJürgen Overheid
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl138 Seiten
ISBN9783638579445
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Film und Fernsehen, Note: 1,0, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (nstitut für Kommunikationswissenschaft (IfK-Bonn)), 117 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Schatten des klassischen Film Noir sind lang - und das nicht nur in einer zeitlichen, sondern auch in einer räumlichen Dimension. In der Zeit nach Orson Welles Epitaph TOUCH OF EVIL hatte der Neo-Noir den Weg angetreten, das reiche Erbe des klassischen Film Noir an narrativen und stilistischen Konventionen fortzuführen, und konnte sich auf seinem langen Weg von einem nationalen zu einem internationalen Phänomen entwickeln. Da sich die filmwissenschaftlichen Diskurse über das Noir-Phänomen bislang ausschließlich auf die amerikanische und europäische Filmlandschaft bezogen haben, ist eine analytische Auseinandersetzung mit dem asiatischen Kino bisher ausgeblieben. Dass sein 'universal appeal' aber auch vor dem Hongkong-Kino keinen Halt machte, verdeutlicht und analysiert die Arbeit anhand einer detaillierten und aufschlussreichen Filmanalyse von John Woos kantonesischem Meisterwerk THE KILLER. Der Autor nimmt dabei zunächst Rekurs auf den klassischen Film Noir und gibt einen ausführlichen Überblick über die Komplexität und Vielschichtigkeit seiner Erscheinungsformen sowie die damit verbundenen Definitionsprobleme für die Filmwissenschaft. Zudem werden die entstehungsgeschichtlichen Kontextbedingungen und die damit verbundenen Einflussnahmen auf seine einzigartige Erscheinungsform behandelt. Dabei werden sowohl soziokulturelle und gesellschaftspolitische Einflüsse als auch filmhistorische und literarische Beeinflussungen aufgezeigt, die seine narrativen und ästhetischen Verfahrensweisen sowie seine charakteristischen Figurentypen nachhaltig prägten. Daneben wird der visuelle Stil des Film Noir ebenso beleuchtet, wie die vielfältigen und Wesensbestimmenden narrativen Strukturelemente und die charakteristischen Handlungsmotive. Darüber hinaus verfolgt der Autor die Metamorphose eines nicht einvernehmlich klassifizierbaren Phänomens zu einem allgemein anerkannten Genre Neo-Noir und zeigt in einem Exkurs zur Selbstreflexivität im Neo-Noir-Film das postmoderne Zitatenspiel des neuen Genres auf. Ausgehend von dieser etablierten Analysegrundlage folgt die fundierte Auseinandersetzung zu John Woos Film THE KILLER, die durch zahlreiche Abbildungen, ein ausführliches Sequenzprotokoll und eine umfangreiche Literaturliste abgerundet wird.

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Leseprobe

3. Die Wurzeln des Film Noir


 

3.1 Historische Einflüsse

 

Die Entstehung des Film Noir war eng mit den politischen, ökonomischen und sozialen Erfahrungen der USA während der 40er und 50er Jahre verbunden. Der Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941, kurz nach dem Erscheinen von John Hustons The Maltese Falcon, erschütterte die amerikanische Nation in ihren Grundfesten und führte zur Kriegserklärung gegen Japan und wenig später auch gegen Deutschland und Italien. Mit dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg vermied Hollywood zunächst die Produktion weiterer Film Noirs zugunsten patriotischer und propagandistischer Filme.[66] Auch die Verschärfung des Production Code[67] mit seinem Motto „crime does not pay“ führte zwischen 1941 und 1943 zu einer relativen Stagnation des gerade aufblühenden Noir-Films:

 

‘Scenes of lawlessness or disorder in which order is restored and offenders punished’ might be allowed if lawlessness was not the main theme of a picture. Gangster pictures were the most troubling example of this type of film. The censors believed that such productions discredited the American political system in the eyes of foreigners, but they were not banned per se.[68]

 

Die amoralische Weltanschauung des Film Noir stand im direkten Widerspruch zu der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von moralischen Wertvorstellungen eines sich im Krieg befindenden Landes. Krutnik verweist am Beispiel von The Maltese Falcon auf die Problematik, die der Film Noir während der ersten Kriegsjahre, insbesondere in der Darstellung der Frauenrolle, mit sich brachte:

 

The Maltese Falcon did not offer a viable inspirational model – its stress upon the cynical, self-reliant hero who lives by his own code, its disdain for the establish forces of social order, and its overt misogyny were especially problematic at this time.[69]

 

Mit dem Kriegseintritt der USA vollzog sich auch eine Verschiebung des Geschlechterverhältnisses innerhalb des patriarchalischen Diskurses. Die Rolle der Frau veränderte sich völlig. Sie war nun für ihren Lebensunterhalt mitverantwortlich und avancierte in den Jahren des Krieges zu einer treibenden wirtschaftlichen Kraft. Während die Männer in der Armee dienten, übernahmen die Frauen weitgehend deren Aufgaben im Privat- und Arbeitsleben - „they replaced men at every level doing war work and business jobs.”[70] Nach Kriegsende waren Frauen und Männer sich entfremdet. Die ökonomische, politische und sexuelle Freiheit, die sich die Frauen in den Kriegsjahren erworben hatten, kollidierte mit den traditionellen Rollenerwartungen der heimkehrenden Männer und führte zu einem Gefühl der Desillusionierung und Ernüchterung in breiten Schichten der amerikanischen Gesellschaft.[71] Infolgedessen begann die Regierung den Frauen nahe zu legen, wieder aus dem Berufsleben auszuscheiden. Diese Eindämmung der liberalisierten Auffassung der Geschlechterrolle, „the need to reconstruct an economy based on a division of labour by which men command the means of production and women remain within the family [...] to reconstruct a failing partrichal order“[72] gelang den reaktionären Kräften schließlich in den 50er Jahren. Die daraus entstandene Ernüchterung und Unsicherheit fand ihren filmischen Ausdruck im Fatalismus des städtischen Kriminalfilms und seiner sich nun veränderten Darstellung der Frauenrolle.[73]

 

Neben dem gesellschaftlichen Umbruch beeinflussten auch die veränderten politischen Gegebenheiten, wie Kalter Krieg, Antikommunismus und Korea Krieg die Entstehung des Film Noir. Die nach dem Krieg von Harry S. Truman betriebene Politik des „containment“[74], der mit ihm einhergehende „McCarthyism“[75]und die „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten innerhalb der amerikanischen Bevölkerung während der 40er und 50er Jahre führte letztlich zu „panischen Reaktionen sowohl seitens der Verfolger als auch der Verfolgten.“[76] Das entstandene Klima der Massenhysterie und Paranoia dieser Zeit wurde noch unterstützt durch die Angst vor einer neuen wirtschaftlichen Krise, die die Depressionsjahre der USA seit dem Börsensturz von 1929 bestimmte. Infolgedessen verdüsterte sich auch der amerikanische Film zunehmend und der Film Noir erlebte eine wahre Hochkonjunktur nach dem Ende des Krieges.[77] „Der Krieg geht weiter“, konstatiert Paul Schrader, „aber nun wendet sich der Antagonismus neu belebt gegen die amerikanische Gesellschaft selbst.“[78] Dieses Klima, der existentiellen Verunsicherung des Individuums, der ideologischen Paranoia, der Ambivalenz gegenüber dem anderen Geschlecht aufgrund der veränderten Geschlechterverhältnisse waren der Nährboden für den Film Noir, der „bis in feinste Verästelungen hinein den gesellschaftlichen Veränderungen im Amerika der vierziger und frühen fünfziger Jahre“[79] folgte.

 

3.2 Literarische Einflüsse

 

Die amerikanische hard-boiled school of fiction[80], die sich mit dem Beginn der 20er Jahre zunächst in dem neuartigen pulp magazine[81]Black Mask etablierte, gilt in der Noir-Kritik als „la source immédiate du film noir.“[82] Das Magazin Black Mask erschien zunächst in den frühen 20er Jahren, mit einem Mix verschiedener Genres und spezialisierte sich im Laufe seiner Zeit immer mehr auf Kriminalgeschichten.[83] Bereits mit der ersten Ausgabe von Black Mask im Jahre 1923 erschien eine Kurzgeschichte mit dem Titel Arson Plus von dem jungen Autoren Dashiell Hammett, „who was to prove the most influential early exponent of ’hard- boiled’ writing.“[84]

 

Unter der Ägide von Joseph T. Shaw, der von 1926 bis 1936 als Herausgeber die Verantwortung für das Magazin übernahm, änderte sich auch die Agenda für die Kriminal- und Detektiverzählungen.[85] Standen diese noch zu Beginn der Reihe überwiegend in der Tradition klassischer Erzählweisen eines Edgar Allan Poe oder Arthur Conan Doyle, in denen ein scharfsinniger Detektiv die Verbrechen aufklärte, wurden sie gegen Ende der 20er Jahre komplett durch den neuen Typus von Literatur ersetzt:

 

In the ’hard-boiled’ mode, ratiocination – the power of the deductive reasoning – is replaced by action, and the mystery element is displaced in favour of suspense. Gunplay, illicit or exotic sexuality, the corruption of the social forces of law, and personal danger to the hero are placed in the fore.[86]

 

Die Protagonisten sind nun persönlich in das Geschehen involviert und die Bedrohung richtet sich direkt gegen ihre eigene Person. Die hard-boiled school unterschied sich somit in Inhalt und Stil von ihrem generischen Vorgänger, dem klassischen whodunit, bzw. der arm-chair novel, deren Protagonisten noch das Verständnis einer viktorianischen, grundsätzlich geordneten Welt repräsentierten.

 

Dashiell Hammetts Kurzgeschichten erwiesen sich während der 20er Jahre als sehr erfolgreich und Joseph T. Shaw ermutigte die Autoren von Black Mask den literarischen Stil Hammetts nachzuahmen und ihre Geschichten nun auch in Romanform zu verfassen.[87] Diese „hartgesottenen“ Romane befassten sich vornehmlich mit der Kehrseite der amerikanischen Gesellschaft, deren fatalistische Ausdrucksformen sich immer mehr in den Großstädten manifestierten:

 

Die Welt der ’hard boiled school’ und ihrer Protagonisten ist nicht mehr die nur durch vereinzelte Verbrechen gestörte Ruhe des viktorianischen Landes, sondern die Bedrohung endemisch kriminell durchsetzter amerikanischer Metropolen des 20. Jahrhunderts.

 

Die Handlung der Romane spielte nicht mehr, wie bei Christi oder Poe in den höheren oder aristokratischen Gesellschaftsschichten, sondern verlagerte sich zunehmend zu den einfachen Leuten einer städtischen Unter- und Mittelschicht. Dabei zeichneten sich die Romane durch eine genaue, realistische und wirklichkeitsgetreue Beobachtung der Menschen aus und die Autoren warfen erstmals einen zynischen Blick auf den American Dream, „fully recognizing its darker side, and had an outlook that bordered upon existentialism:“[88]

 

Hammett brachte den Mord zu der Sorte von Menschen zurück, die mit wirklichen Gründen morden, nicht nur um dem Autor eine Leiche zu liefern, und mit realistischen Gegenständen, nicht mit handgearbeiteten Duellpistolen, Curare und tropischen Fischen. Er brachte diese Menschen aufs Papier, wie sie waren und er ließ sie in der Sprache reden und denken, für die ihnen unter solchen Umständen der Schnabel gewachsen war.[89]

 

Nicht nur die Sicht der Welt änderte sich mit der „hartgesottenen“ Literatur, sondern auch die Sprache, die diese Welt bestimmte. Frank Krutnik bemerkt dazu: „The ’hard-boiled’ idiom is tough, cynical, epigrammatic, controlled – a sign of the hero’s potency.”[90] Die Verwendung dieser neuen und unorthodoxen Sprache, des so...

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