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E-Book

Von Humanae vitae bis Amoris laetitia

Die Geschichte einer umstrittenen Lehre

AutorMartin M. Lintner
VerlagTyrolia
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783702237226
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wie kein anderes päpstliches Lehrschreiben zuvor und danach löste dieses Dokument, meist nur Pillenenzyklika genannt, jahrzehntelange kontroverse Diskussionen aus. Viele Ehepaare, Theologinnen und Theologen, aber auch Bischöfe waren und sind weiterhin überzeugt, dass die Entscheidung von Papst Paul VI., künstliche Methoden der Empfängnisregelung als unsittlich zu bewerten, eine Fehlentscheidung war. Dabei hatte das II. Vatikanische Konzil die Ehe als personale Liebesgemeinschaft neu beurteilt und eine funktionalistische Sicht der Sexualität (erster Ehezweck ist die Zeugung von Nachkommen) überwunden. Doch Paul VI. entschied, die Frage der Geburtenregelung den Konzilsvätern zu entziehen und sich selbst vorzubehalten. Warum letztendlich der Papst dem Minderheitsvotum der bereits von Johannes XXIII. eingesetzten Studienkommission gefolgt ist, welche Reaktionen Humane vitae hervorgerufen hat und wie die nachfolgenden Päpste die Enzyklika rezipiert haben, wird in diesem Buch beschrieben. Der Autor reflektiert kritisch die Argumentationsformen gegen die künstliche Empfängnisregelung und geht - auf dem Hintergrund von Amoris laetitia, dem nachsynodalen Apostolischen Schreiben von Papst Franziskus aus dem Jahr 2016 - neuralgischen Fragen nach: der Gewissensbildung, dem Verhältnis zwischen Tradition und Lehre, dem Unterschied zwischen Glaubensgehorsam und Loyalität zur Kirche, damit letztendlich die Botschaft von Humanae vitae, nämlich die Ehelehre des Konzils zu vertiefen und vor den möglichen Folgen einer von der Zeugung vollkommen gelösten Sexualität zu warnen, wiederentdeckt werden kann.

MARTIN M. LINTNER, geb. 1972, Professor für Theologische Ethik an der PTH Brixen und Mitglied des Servitenordens, Präsident der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie (2013-2015) und bei INSeCT (International Network of Societies for Catholic Theology, 2014-2017), seit Sept. 2017 1. Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik. Bei Tyrolia erschienen das Tierethikbuch 'Der Mensch und das liebe Vieh' (2017) und das Sexualethikbuch 'Den Eros entgiften' (2011)

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Leseprobe

Einleitung


Am 25. Juli 2018 jährt sich zum 50. Mal der Tag der Veröffentlichung von Humanae vitae, der Enzyklika über die Weitergabe des Lebens von Papst Paul VI.1 Wie kein anderes päpstliches Lehrschreiben zuvor und danach löste es jahrzehntelange kontroverse Diskussionen aus. Auch die Versuche, besonders von Papst Johannes Paul II., Kritik an Humanae vitae zu unterbinden oder durch Disziplinarmaßnahmen eine Zustimmung zur Enzyklika zu erwirken, konnten nicht über die Diskrepanzen hinwegtäuschen, die hinsichtlich der sittlichen Bewertung der Methoden der Empfängnisregelung bestehen blieben – bis heute. Es ist ein offenes Geheimnis: Viele Ehepaare, Katholiken und Katholikinnen, Theologen und Theologinnen2 sind überzeugt, dass die diesbezügliche Entscheidung von Paul VI. eine Fehlentscheidung war, und selbst Bischöfe äußern Bedenken in diese Richtung3. Es stellt sich daher ernsthaft die Frage, ob diese anhaltende fehlende Zustimmung seitens der Mehrheit der Gläubigen nicht im Sinne des Glaubenssinns des Volkes Gottes ein deutliches Indiz dafür ist, die Lehre zu überdenken.

Es gehört zur Tragik von Humanae vitae, dass sie sofort nach Erscheinen als „Pillenenzyklika“ disqualifiziert und damit auf das Verbot der künstlichen Methoden der Empfängnisregelung reduziert worden ist. Papst Franziskus fordert im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia (2016): „Es gilt, die Botschaft der Enzyklika Humanae vitae Papst Pauls VI. wiederzuentdecken, die hervorhebt, dass bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss“ (AL 82). Diese Forderung findet sich bereits in den Schlussberichten der Bischofssynoden 2014 und 2015. Dabei fällt auf, dass weder die beiden Bischofssynoden noch Papst Franziskus im nachsynodalen Schreiben die normative Lehre des kategorischen Verbots der künstlichen Empfängnisregelung explizit wiederholen und einschärfen, sondern als wesentliche Kriterien für die sittliche Bewertung der angewandten Methode die grundsätzliche Offenheit einer Ehe für Kinder (vgl. AL 222) sowie die Respektierung der Würde der Person (vgl. AL 82) anführen. Zur Anwendung der Methoden, die auf den natürlichen Zeiten der Fruchtbarkeit beruhen, wird ermutigt (vgl. AL 222). Bestärkend und motivierend werden hierfür einige positive Effekte in Erinnerung gerufen, die die natürlichen Methoden der Empfängnisregelung für Ehepartner haben können (vgl. ebd.).

Amoris laetitia zitiert bei den einschlägigen Passagen übrigens immer den Schlussbericht der Bischofssynode 2015. Das macht deutlich, dass Papst Franziskus den Prozess der synodalen Konsensfindung gewählt hat und der großen Mehrheit der 260 Bischöfe gefolgt ist, die die 14. ordentliche Generalversammlung gebildet haben: die Vorsitzenden der regionalen Bischofskonferenzen sowie – je nach deren Größe – ein oder mehrere Vertreter. Amoris laetitia spiegelt also die Position und Überzeugung des überwiegenden Teils der Bischöfe weltweit wider.

Die Diktion der Texte der Bischofssynoden 2014 und 2015 sowie von Amoris laetitia von der „wiederzuentdeckenden Botschaft“ von Humanae vitae sowie von der „Ermutigung“ zur Anwendung der natürlichen Methoden der Geburtenregelung liegt in einer Linie mit Aussagen von Papst Benedikt XVI. Es ist auffallend, dass dieser sich sowohl als Präfekt der Glaubenskongregation als auch als Papst in Bezug auf die normative Frage der Empfängnisregelung kaum und wennschon nur sehr zurückhaltend geäußert hat: Man dürfe nicht lediglich die weiterhin gültigen Perspektiven von Humanae vitae verkünden, sondern müsse auch Wege der Lebbarkeit finden.

Man kann davon ausgehen, dass mit den Bischofssynoden 2014 und 2015 sowie mit Amoris laetitia die jahrzehntelangen kontroversen Diskussionen um die normative Lehre von Humanae vitae entschärft worden sind, vielleicht ein Ende gefunden haben. Damit wird auch der Blick wieder frei, wichtige Anliegen der Enzyklika neu in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Publikation anlässlich des 50. Jahrtages des Erscheinens der Enzyklika will hierfür einen Beitrag leisten. Dabei kann es von Vorteil sein, dass der Verfasser selbst jünger ist als die Enzyklika. Er hat die intensiv und emotional geführten kontroversen Diskussionen nicht als Zeitzeuge miterlebt, was ihm zugleich eine gewisse Distanz verschafft und eine nüchternere Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht.

Im ersten Teil4 wird die wechselvolle Entstehungsgeschichte des Lehrschreibens nachgezeichnet, die sich phasenweise fast wie ein Krimi liest. Obwohl die entsprechenden Archive des Vatikans noch nicht öffentlich zugänglich sind, kann die Genealogie der Enzyklika aus den zugänglichen Quellen relativ detailliert rekonstruiert werden.5 Sie beginnt mit der Gründung der „Päpstlichen Kommission für Familien-, Bevölkerungsfragen und Geburtenhäufigkeit“ durch Papst Johannes XXIII. im März 1963. Eine wichtige Bedeutung gewinnen die Diskussionen während des Zweiten Vatikanischen Konzils und hier besonders die Arbeiten der „Subkommission über die Ehe und Familie“, die schließlich die Ehelehre des Konzils in Gaudium et spes 47–52 wesentlich prägen. Noch in den letzten Tagen vor der definitiven Abstimmung über diesen Text tobt ein heftiger Kampf darüber, ob die Ehelehre von Casti connubii (1931) und ihre Auslegung durch Pius XII. weiterentwickelt werden kann oder nicht. Eine kleine Minderheit von Kurienkardinälen und Konzilstheologen interveniert diesbezüglich bei Paul VI., damit dieser direkt in die Kommissionsarbeit eingreife und eine solche Fortentwicklung verhindere, letztlich jedoch nicht mit dem von den Initiatoren erwünschten Erfolg.6 Als folgenschwer erweist sich jedoch der Entschluss des Papstes, die Entscheidung über die sittliche Beurteilung der Methoden der Empfängnisregelung den Konzilsvätern zu entziehen und sich selbst vorzubehalten.7 Schließlich setzt er im März 1966 eine Bischofskommission ein mit dem Auftrag, den Abschlussbericht der päpstlichen Studienkommission zu prüfen, die von einem gesonderten Bericht einer kleinen Minderheit der Kommissionsmitglieder, die dem Kommissionsbericht nicht zustimmen wollte, flankiert worden ist. Die Mehrheit sowohl der Studienkommission als auch dieser Bischofskommission empfiehlt dem Papst, die Frage der Methoden der Geburtenregelung der Gewissensentscheidung der Ehepartner zu überantworten. Der Papst wird sich diesem zweimaligen Mehrheitsvotum jedoch nicht anschließen, sondern dem zweifachen Minderheitsvotum folgen. Das kollegiale Bemühen um größtmöglichen Konsens, das den Prozess des Zweiten Vatikanums ausgezeichnet hat, hat Paul VI. jedenfalls beiseitegelassen.8 Festzuhalten bleibt, dass er dazu formell zweifelsohne ermächtigt war; ob es klug war, darüber mag man streiten. Beleuchtet wird auch die Rolle einer vom damaligen Krakauer Kardinal Karol Wojtyła in Auftrag gegebenen Denkschrift, des sogenannten „Krakauer Memorandums“, welches Paul VI. im Februar 1968 zugespielt worden ist. Dieser Text liegt zwar nicht im Argumentationsduktus, wohl aber in den Schlussfolgerungen hinsichtlich der normativen Untrennbarkeit der einheitsstiftenden und fortpflanzungsoffenen Dimension der Sexualität im einzelnen ehelichen Akt ganz auf der Linie des Minderheitsvotums.

Der zweite Teil ist der Rezeptionsgeschichte von Humanae vitae gewidmet, beginnend von den ersten Reaktionen und den Stellungnahmen von weltweit 38 Bischofskonferenzen, von denen jene der italienischen, deutschen, österreichischen und belgischen exemplarisch herausgegriffen werden, bis zu Amoris laetitia. Kritisch untersucht wird auch die Frage, ob die von Anfang mangelhafte Rezeption der Enzyklika nicht auch damit zu tun hat, dass hier Positionen bezüglich Ehe und Familie in eine lehramtliche Verlautbarung „zurückgeholt“ werden, die bei den Konzilsberatungen keine Mehrheit mehr gefunden haben, sondern die man zu überwinden versuchte. Diese Minderheit, die sich auf dem Konzil nicht durchsetzen konnte, wollte durch Humanae vitae einzelne Aspekte der konziliaren Ehelehre gleichsam korrigieren und hat einen enormen Druck auf den Papst ausgeübt bis dahin, dass andersdenkende Theologen, ehemalige Konzilsberater und Mitglieder der Konzilssubkommission über die Ehe und Familie nicht mehr zu ihm vorgelassen worden sind.

Ein besonderes Augenmerk gilt in der Rezeptionsgeschichte Johannes Paul II., einem entschiedenen Verfechter von Humanae vitae, der aber durchaus auch hat durchblicken lassen, dass die Enzyklika seines Erachtens an einer biblischen und anthropologischen Grundlegung mangle. Er hat es sich auf dem Hintergrund seines personalistischen philosophischen Ansatzes zur Aufgabe gemacht, die biblischen, anthropologischen und moralischen Fundamente der Lehre von Humanae vitae zu erhellen und mit Vehemenz zu verteidigen. Dabei geht er sogar so weit, die Ablehnung der Enzyklika mit der Ablehnung des Gedankens der Heiligkeit Gottes...

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