II. Eine „neue Weltordnung“ – Die humanitäre Intervention als Instrument der US-Außen- und Sicherheitspolitik
- Die humanitäre Intervention in Somalia 1993
1. 1 Hintergrund
1988 brach in Somalia zwischen dem herrschenden Regime von Siad Barre und oppositionellen Clans ein Bürgerkrieg aus, der verheerende Konsequenzen für die Zivilbevölkerung hatte. Im Januar 1991 eroberten regierungsfeindliche Rebellen des United Somali Congress (USC) die Hauptstadt Mogadischu und beendeten die rund 20 Jahre andauernde Gewaltherrschaft durch die Barre-Diktatur. Die blutigen Auseinandersetzungen setzten sich zwischen den beiden rivalisierenden Gruppierungen innerhalb des USC, angeführt vom Geschäftsmann Ali Mahdi Mohammed und dem General Mohammed Farah Aidid, fort.
Die anhaltenden Gefechte um die Herrschaft in Mogadischu töteten Tausende von Zivilsten und zerstörten nahezu die gesamte Infrastruktur der Hauptstadt. Die Kampfhandlungen dehnten sich auch auf weite Teile des Landes aus, sodass sich die politische Lage zunehmend destabilisierte. Seit dem Frühjahr 1992 existierte in Somalia weder eine effektive Regierungsgewalt noch ein funktionierender Verwaltungsapparat. Der Staat Somalia verlor sein Gewaltmonopol und zerfiel in zahlreiche Zonen, in denen Clans und Warlords um die militärische Kontrolle kämpften.[57]
Das Ende der Lebensmittelversorgung für die Bevölkerung infolge des Zusammenbruchs der somalischen Wirtschaft löste im Zusammenspiel mit ausbleibenden Regenfällen eine der größten Hungersnöte des afrikanischen Kontinents aus. Die internationale Gemeinschaft reagierte im April 1992 auf die drohende humanitäre Katastrophe mit der Entsendung der United Nations Operation in Somalia (UNOSOM), deren eingesetzte Beobachter den Waffenstillstand zwischen den Warlords überwachen und die Verteilung der Hilfsgüter schützen sollten.[58] Inzwischen verschärfte sich jedoch die Lage der Not leidenden Bevölkerung, da die andauernden militärischen Auseinandersetzungen die Lieferung von Lebensmitteln nahezu unmöglich machten. [59]
Innerhalb von 18 Monaten verhungerten 300,000 Menschen und 4,5 Millionen Somalis benötigten akut humanitäre Hilfe. Insgesamt flohen 1, 5 Millionen Somalis in Auffanglager nach Äthiopien, Kenia, Djibuti, Saudi-Arabien und dem Jemen.[60]
Ende November 1992 sprach sich Generalsekretär Boutros-Ghali schließlich für eine Peaceenforcement-Operation nach Kapitel VII UN-Charta aus: „The Security Council were to decide to authorize Member States to use forceful means to ensure the delivery of relief supplies to the people of Somalia, the United States would be ready to take the lead in organizing and commanding such an operation“.[61]
Mit der Resolution 794 vom 3. Dezember 1992 erweiterte der UN-Sicherheitsrat das bis dato unzureichende Mandat der UNOSOM, welches den Gebrauch von Waffen ausschließlich zur Selbstverteidigung der UN-Soldaten vorsah. Erste Einheiten dieser neu-gegründeten Unified Task Force (UNITAF) trafen am 9. Dezember 1992 in Mogadischu ein. Die USA beteiligten sich mit knapp 28,000 US-Soldaten an der Operation „Restore Hope“.[62]
1. 2 Die Hungersnot in Somalia auf der politischen Agenda der USA
Das Verhalten der USA gegenüber der problematischen Lage der humanitären Situation in Somalia lässt sich in zwei Phasen einteilen. Zunächst versuchten die Vereinigten Staaten, eine Auseinandersetzung des UN-Sicherheitsrates in der Position als ständiges Mitglied mit dem Bürgerkrieg am Horn von Afrika zu verhindern. Bis zum Sommer 1992 setzte sich Washington D.C. als Vetomacht dafür ein, dass im Rahmen der Vereinten Nationen keine Friedensmissionen nach Mogadischu geschickt wurden. Die USA schwächten die vom UN–Sicherheitsrat am 23. Januar 1992 verabschiedete Resolution 733, die sich erstmals mit der Lage in Somalia beschäftigte, in wesentlichen Punkten ab. Ebenso lehnte Präsident Bush Sr. eine vom US-Kongress im April 1992 erlassene Resolution ab, die sich für eine aktivere Rolle der USA in der Somalia-Politik aussprach mit den Worten „indeed, the administration rejected proposals to put Somalia on the U. N. Security Council agenda.“[63]
Demgegenüber stand die zunehmend aktive Haltung der amerikanischen Regierung ab August 1992, welche zur Errichtung einer Luftbrücke zum Zwecke der Versorgung der hungernden Bevölkerung führte und schließlich in der Entscheidung kulminierte, US-Soldaten nach Somalia zu entsenden. Die offizielle Begründung des militärischen Eingreifens zum Interventionszeitpunkt, nämlich die Beendigung der humanitären Katastrophe, ist im Folgenden noch explizit zu prüfen, da „at the time of the August Airlift, conditions were no different in Somalia than they had been for six months. Neither political or logistical factors were altered.“[64] Demzufolge waren für die Interventionsentscheidung der USA keine spezifischen Faktoren hinsichtlich der innerstaatlichen Geschehnisse in Somalia relevant, sondern vielmehr ein Wandel der Politik innerhalb im Weißen Haus.
Doch warum änderte die Regierung Bush ihre Politik im Laufe des Jahres 1992 ihre politische Einstellung zugunsten einer humanitären Intervention? Welche innenpolitischen Faktoren führten zu einem Wechsel im Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen in Somalia?
1. 3 Der innenpolitische Entscheidungsprozess innerhalb der Bush-Regierung im November 1992
Bereits im Winter 1991 informierte die verantwortliche Entwicklungshilfeagentur U.S. Agency for International Development (USAID) die Fachausschüsse des Kongresses, insbesondere das Committee on Hunger im Repräsentantenhaus und den Unterausschuss für Afrikapolitik im Senat, über die sich stetig verschlechternde Lage in Somalia.
Obwohl die USAID direkt dem Außenministerium unterstand und als zuverlässige Quelle der Regierungen für Informationen über weltweite humanitäre Katastrophen fungierte, gelang es nicht, die Öffentlichkeit und Politik für die Krisenregion in Afrika zu interessieren.[65] Die humanitäre Krise in Somalia blieb im Verlauf des Jahres 1991 „still a third-tier issue in the Washington scheme of things, and there existed a hope at intermediate and high policy levels that the United States could avoid costs and complications of a deeper involvement.“[66] Erst die erschütternden Berichte der Senatorin und Afrikaexpertin Nancy Landon Kassebaum, welche sich im Juli 1992 selbst ein Bild von der Hungersnot in Somalia machte sowie ein Telegramm des US-Botschafters Smith Hempstone Jr. an das State Department brachten die menschliche Tragödie auf die politische Agenda des Weißen Hauses. George Bush Sr. zeigte sich nach der Lektüre des Fernschreibens mit dem Titel „A Day in Hell“ sehr bestürzt.
Auch der Congressional Black Caucas (CBC)[67] zeigte sich in den Debatten bezüglich der humanitären Katastrophe in Somalia sehr aktiv. Im April 1992 schickte der Caucas einen Brief an Außenminister James Baker, in welchem er die USA bat, eine „initiative in the United Nations in forcefully advocating a high-level U.N. presence in Somalia“[68] zu starten. Im Oktober folgte schließlich eine Resolution – eingereicht von CBC-Mitglied Lewis - im Repräsentantenhaus, welche die Beteiligung der USA an einer künftigen humanitären Intervention in Somalia forderte.
Am 3. August 1992 reichten Kassebaum und Paul Simon, Vorsitzender des Afrika-Unterausschusses eine Resolution (S. Con. Res. 132) im Senat ein, welche den US-Präsidenten dazu aufforderte, sich bei den Vereinten Nationen für eine rasche Entsendung von Blauhelmen nach Mogadischu stark zu machen.[69] Eine Woche später stimmten beide Häuser der Resolution, welche rechtlich jedoch nicht bindend war, zu.
Obwohl sich die Mehrheit des Kongresses für ein US-Engagement in Somalia aussprach, äußerten dennoch zahlreiche „congressional heavyweights“[70] Bedenken hinsichtlich der Präzedenzwirkung für künftige humanitäre Intervention und einer fehlenden Bedrohung der vitalen Interessen der USA. „When I see the pictures [of starving people], I have the same concern, but I don´t see the national interest,“ so John P. Murtha, Vorsitzender des House Defense Appropiations Subcommittee.[71]
Das State Department hielt den Einsatz von UN-Soldaten für verfrüht, da zum einen kein Waffenstillstand zwischen den verfeindeten Gruppierungen existierte und zum anderen die Zustimmung der beiden Kriegsparteien zur Präsenz einer multinationalen Truppe in Somalia fehlte. Während der Sommermonate stieg die Anzahl der Artikel in den großen Tageszeitungen an. Das Internationale Rote Kreuz lud eine Journalistin der New York Times, Jane Perlez, zu einer Reise nach Somalia ein. Das Erscheinen ihres Berichts am 31. Juli 1992 löste in der US-amerikanischen Öffentlichkeit eine Welle des Mitgefühls für die leidende somalische Bevölkerung aus. Wenige Tage später veröffentlichte das Weiße Haus eine Pressemitteilung, in der es sich erstmals für...