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Hygienebeauftragte im Rettungs- und Sozialdienst

Lehr- und Praxisbuch

AutorAndreas Schwarzkopf, Brigitte Finsterer, Daniela Leibinger, Wolfgang Tanzer
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl142 Seiten
ISBN9783170264861
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Im Rettungsdienst wie in der ambulanten Pflege spielt die Hygiene eine eher ambivalente Rolle. Zum einen wird sie - auch situationsgegeben - nachlässig behandelt ('Not kennt kein Gebot' oder 'zu Hause gibt es keine Infektionen'); zum anderen wird sie panisch betrachtet und ein Angstszenario geschürt. Formale Vorgaben der einzelnen Rechtsvorschriften werden eher locker gehandhabt, obwohl sie genau so gelten wie in Arztpraxen oder stationären Bereichen. Dieser Problematik widmet sich das vorliegende Buch. Es ist aus der Notwendigkeit entstanden, den Interessierten und den Teilnehmern der einschlägigen Fort- und/oder Weiterbildung ein praxisnahes Werk zu bieten, das die tägliche Arbeit erleichtert. Bewusst widmet es sich nicht exotischen Situationen, sondern Fragen, die jeden Tag gestellt werden. Ein Kapitel für Kindereinrichtungen ergänzt das Buch.

PD Dr. Andreas Schwarzkopf, Hygieniker, Mikrobiologe, Erfahrung im Notarztdienst. Wolfgang Tanzer, Krankenpfleger, Brigitte Finsterer, Krankenschwester, und Daniela Leibinger, Med. Fachangestellte, sind Rettungsassistent/innen und praktisch und als Dozenten tätig.

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Leseprobe

2 Denken Sie mal nach!


2.1 Die Hygiene ist eine alte junge Wissenschaft


Ötzis Kenntnisse

Als im Ötztal die tief gefrorene 5000 Jahre alte Mumie des Gletschermanns gefunden wurde, hatte die Archäologie manche Nuss zu knacken. Besonders die Medizingeschichtler rätselten, wie er in einer lebensfeindlichen Umwelt existieren konnte. Musste er nicht Infektionen schutzlos ausgeliefert sein? Tatsächlich hat man aber bei seinen Utensilien antimikrobiell wirksame Pilze, Flechten und Spinnweben gefunden. Unser jungsteinzeitlicher Vorfahr musste also schon Kenntnisse über Antisepsis und anderes medizinisches Wissen gehabt haben, auch wenn diese wahrscheinlich (und ich sage das zur Entschuldigung der Ärzte im letzten Jahrtausend) rein empirisch erworben waren.

Hygiene heute

Heute glauben wir, in einer hygienisch abgesicherten Welt zu leben. Für die westlichen Industrieländer gilt das auch, zumindest für einen Großteil der Bevölkerung. In den so genannten Entwicklungsländern und sicher auch bei weiten Teilen unserer mitteleuropäischen Mitbürger sieht das anders aus. Die Kindervernachlässigung, die AIDS-Problematik, Berufserkrankungen, Arbeitsunfälle u. a. sprechen eine beredte Sprache.

2.1.1 Die Antike wusste viel


Empirisch und religiös vermittelte Hygiene

Auf einem Relief aus dem ägyptischen Tal der Könige ist deutlich die Folge einer überstandenen Poliomyelitis zu erkennen. Ein verkrüppeltes Bein, der Mann stützt sich zum Gehen auf einen Krückstock.

Wie viele andere Krankheiten auch war die Poliomyelitis auf Papyri beschrieben. Dort wurde auch zwischen behandelbaren und unbehandelbaren Krankheiten unterschieden. Sicherheitshalber verband der altägyptische Arzt die Therapie mit Opfern, Beschwörungen und Anrufungen der Götter. Im Codex Hammurabi aus dem alten Babylon wurden bereits die Eigenschaften des Arztes und der Pflegenden festgeschrieben. Über den idealen Patienten steht: „Er sei geduldig und reich!“

Auch der jüdische Religionsgründer und Gesetzgeber Moses hatte medizinische Kenntnisse. Das Schweinefleischverbot resultierte daraus, dass er um die Gefahren des trichinösen Fleisches wusste, aber keine Möglichkeit hatte, diese zu erkennen. So musste eben ganz auf Schweinefleisch verzichtet werden. Die religiös begründete Beschneidung hat ebenfalls eine medizinische Ursache: Es ist bekannt, dass Frauen, die mit beschnittenen Männern verkehren, signifikant weniger an Gebärmutterhalskrebs erkranken. Das kommt daher, dass altes Smegma zu den auslösenden Noxen des Karzinoms gehört. Weitere Vorschriften aus dem Pentateuch, z. B. über die Anlage des Nomadenlagers, haben ebenfalls eine hygienische Grundlage. Griechen und Römer stellten diese zunächst empirische und religiös vermittelte Hygiene auf ein wissenschaftliches Fundament. Ihre Lehrbücher wurden bis weit ins europäische Mittelalter zur Grundlage der Wissenschaft. Ihre Bäderkultur und nicht zuletzt die Anlage von Aquädukten und Abwasserkanälen ließen das Leben in den antiken Städten ohne Seuchen erst möglich werden.

2.1.2 Der Orient bewahrte die Medizinkultur


Ibn Abu Sina

Jüdische, islamische und indische Ärzte führten das Werk der Antike fort. Noah Gordon beschreibt in seinem „Medicus“ sehr gut und genau die Universität von Isfahan, wo nicht nur gelehrt und geforscht, sondern auch eine Klinik betrieben wurde. Diese Klinik unter der Leitung des in Europa als Avicenna bekannten Ibn Abu Sina kam einem modernen Krankenhausbetrieb sehr nahe. Ibn Abu Sina war es auch, der das gesamte medizinische Wissen der Zeit in seinen „Canones“ zusammenfasste und publizierte. Wer diese allerdings nach Europa brachte, hatte es schwer.

2.1.3 Das christliche Mittelalter räumte gründlich auf


Entstehung von Seuchen

Die antiken Schriften galten als Heidenwerk. Akademisch gebildete Ärzte waren verdächtig und fielen der Inquisition zum Opfer, jedenfalls sofern sie Erfolge aufzuweisen hatten. Hatten sie keine, wurden sie von den Angehörigen ihrer Patienten erschlagen. Heilkundige Frauen wurden der Einfachheit halber als Hexen verbrannt.

  • Der Verlust des antiken Standards,
  • das Vergessen ätiologischer Kenntnisse,
  • Körper- und Sexualfeindlichkeit,
  • gedrängte Wohnverhältnisse

führten schnell zu unglaublichen hygienischen Zuständen. Die Tatsache, dass die Aquädukte durch Pumpen gleich neben der Sickergrube für Fäkalien ersetzt wurden und der Abwasserkanal einem Nachttopf wich, der morgens aus dem Fenster gekippt wurde, spricht Bände. Neben der Plage durch Ratten- und andere Flöhe war das die Ursache für Seuchenzüge, die ganze Landstriche entvölkerten. Diese Ursache versuchte man in „Miasmen“ zu sehen, den ungesunden Ausdünstungen der Kranken. Allein die Namensgebung der Malaria („Mala Aria“ heißt schlechte Luft) zeugt davon. Sie war damals und bis weit ins 19. Jahrhundert auch bei uns heimisch. Der Franke spricht vom „Tod von Forchheim“, wenn er einen ungesund aussehenden Menschen sieht.

Hospitalbrand

Die Nürnberger Stadtväter mussten sich den Vorwurf der Verschwendung gefallen lassen, als im 14. Jahrhundert jeder Patient des Heilig-Geist-Spitals ein Bett erhielt. In anderen Anstalten war es durchaus üblich, dass sich fünf und mehr Kranke ein Bett teilten. Das war sicher warm und in manchen Fällen auch angenehm (schließlich wurde nicht nach Männer- und Frauenstationen unterschieden), aber aus infektiologischer Sicht eher fragwürdig. Während in Indien ästhetische Nasenkorrekturen und im präkolumbianischen Amerika Schädeleröffnungen erfolgreich vorgenommen wurden, blieben dem europäischen Chirurgen Infektionen meist nicht erspart. Instrumente wurden, wenn überhaupt, nur grob gereinigt. Die unvermeidliche Folge war der gefürchtete „Hospitalbrand“. Heute würde man von nosokomialer Infektion reden. Die Maßnahmen der Ärzte brachten nur geringe Verbesserungen.

2.1.4 Die Neuzeit machte es in vielen Bereichen nur noch schlimmer


Folgen sozialer Veränderungen

Die hygienischen Verbesserungen betrafen nur den Adel und die bürgerliche Oberschicht. Die sozialen Veränderungen mit der Proletarisierung der Bevölkerung ließen diese nur kränker und anfälliger werden. Mangelernährung und gedrängte, ungesunde Wohnverhältnisse bereiteten Krankheiten wie der Tuberkulose den Boden. Die entstehende Promiskuität und die aus der Not geborene Prostitution führten zu einem sprunghaften Anstieg der sexuell übertragbaren Infektionen. Die Belastungen aus der Arbeitswelt ließen Berufserkrankungen entstehen. Besonders schlimm traf es die Kinder. Als im 19. Jahrhundert der preußische Kriegsminister feststellen musste, dass es nicht mehr ausreichend gesunde Rekruten gab, wurde die Arbeitszeit für Kinder unter zehn Jahren im Bergbau auf zwölf Stunden am Tag verkürzt! (Einen Gesundheitsminister gab es noch nicht.) Endlich wurde das ungesunde Wasser als eine der Ursachen der Magen-Darm-Infektionen erkannt. 1828 warnte ein Flugblatt die Londoner vor dem Genuss (?) des Themsewassers.

Choleraepidemie von 1899

1899 suchte eine verheerende Choleraepidemie Hamburg heim. Wieder einmal war es das Trinkwasser, das die Seuche aus dem Brunnen ins Haus brachte. Wieder einmal war es die fehlende Kanalisation, die die Seuche verbreitete. Im benachbarten Altona gab es bereits Wasser- und Abwasserleitungen. Die Seuche hatte keine Chance. Vor den Toren Hamburgs wurden Zeltlazarette angelegt, um die Kranken von den Gesunden zu trennen. Die Wohnverhältnisse der Arbeiter im Kaiserreich ließen eine Isolierung nicht zu. Wo achtköpfige Familien und mehrere „Schlafburschen“ in einem einzigen Raum hausten, mussten Infektionskrankheiten gedeihen.

Ein bedeutender Forscher dieser Zeit war Max von Pettenkofer, der als erster Lehrstuhlinhaber für Hygiene in München die Grundlage für ein modernes Gesundheitswesen bereitete. Seine Form der Wasser- und Abwasserwirtschaft führte zu einem rapiden Rückgang der Cholera.

Robert Koch, zunächst Landarzt in Wollstein, gehörte zu den Vätern der Mikrobiologie. Seine Arbeiten in aller Welt brachten die Erforschung der Infektionskrankheiten einen großen Schritt weiter. Nachdem er die Ätiologie und den Erreger der Tuberkulose entdeckt hatte, wurde er zum ersten Leiter eines staatlichen Gesundheitsamts berufen.

Louis Pasteur, sein französisches Pendant, war ursprünglich Chemiker und Weinbauer. Seine Arbeiten zur Impfprophylaxe machten ihn schnell weltbekannt.

Übersicht 2: Große Namen der Hygiene und Mikrobiologie

Sozialhygiene

Die Sozialhygiene war nicht untätig geblieben. In Zeitschriften (die sich nur die Reichen leisten konnten) wurde für das Bad geworben. Sicher eine segensreiche Idee. Es ist aber zu bedenken, dass die erwähnten 10 Pfennig für ein Bad dem heutigen Wert von 10 Euro entsprachen. Für viele war das ein unerschwinglicher Luxus. „Die Kunst, das Leben des schönen Geschlechtes zu verlängern“ war der Titel einer Schrift aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Hier wandte man sich bewusst an die bürgerlichen Frauen, die im Gegensatz zu den Frauen aus Arbeiterfamilien nicht berufstätig waren. Sie sollten als natürlich unbezahlte Säule der Familie, als Krankenpflegerin und als Hüterin von Haus und Hof herangezogen werden. Bildung,...

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