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E-Book

Iberische Diktaturen

Portugal unter Salazar, Spanien unter Franco

AutorUrsula Prutsch
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl234 Seiten
ISBN9783706557016
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Francisco Franco in Spanien und António de Oliveira Salazar in Portugal waren fast 40 Jahre lang an der Macht. Das schwierige Erbe der Diktaturen prägt die Geschichte der beiden iberischen Staaten bis heute - sei es durch zahlreiche Prozesse der Aufarbeitung, sei es durch revisionistische Beschönigung ihrer Herrschaft. Der vorliegende Band stützt sich auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Er beschreibt die Etablierung und Erhaltung von Machtstrukturen in Systemen, die auf Dauer ausgerichtet waren, jedoch gerade deshalb ein gewisses Maß an Flexibilität aufwiesen. Der Inszenierung von Geschichtsbildern und Identitäten, der Konstruktion von Feindbildern und vielfältigen Unterdrückungsmechanismen wird ebenso Raum gegeben wie dem kulturellen Leben unter Franco und Salazar. Der Band erzählt von Anpassung, Widerstand und Flucht ins Exil.

Ursula Prutsch hat in Graz Geschichte und Spanisch studiert und sich in Wien im Fach Neuere Geschichte habilitiert. Seit 2007 lehrt sie als Dozentin am Amerika-Institut der LMU München US-amerikanische und lateinamerikanische Geschichte.

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Leseprobe

„Im Dienste der Ordnung“ – der Repressionsapparat des Estado Novo


Potenzielle und aktivistische Regimegegner des Estado Novo wurden durch die Politische Polizei überwacht, verfolgt, oftmals gefoltert und interniert. Zu den gefährdeten Gruppierungen zählten auch Feinde befreundeter Staaten, wie etwa nach Portugal geflohene republikanische Spanier. Einige Oppositionelle wählten das Exil, wobei sich Brasilien und Frankreich, die späteren Hauptaufnahmeländer portugiesischer Migranten, besonders anboten. Die politische Emigration nahm aufgrund der ethnischen Homogenität des metropolitanen Portugal und der unblutigen Machtübernahme Salazars nie solche Dimensionen an wie in Spanien. Im Gegensatz zum Franco-Regime, zur Sowjetunion, dem Dritten Reich, dem Regime Enver Hoxhas in Albanien, hatte der Salazarismus trotz seines komplexen und auf totale Überwachung ausgerichteten Repressionsapparates vergleichsweise wenig Opfer zu beklagen. Dass im Laufe von 48 Jahren „nur“ einige hundert Regimegegner ermordet wurden, verleitete beispielsweise den US-amerikanischen Historiker Tom Gallagher zum problematischen Begriff der „humanen Tyrannei“.225

Die berüchtigte Policía de Vigilância e Defesa do Estado (PVDE), die Politische Polizei, gilt als Kernstück des Estado Novo, als „Quintessenz des Regimes“.226 Als sie am 29. August 1933 ins Leben gerufen wurde, konnte sie bereits auf Strukturen aufbauen, die von Sidónio Pais und der Militärdiktatur geschaffen worden waren. Die Politische Polizei war ein fundamentales Instrument für die rasche und möglichst flächendeckende Implementierung des Estado Novo. Sie erhielt rasch eine Fülle von Kompetenzen, die in drei komplexe und ausdifferenzierte Aufgabenbereiche unterteilt waren: erstens in Prävention und Abschreckung (prevenção-dissuasão), zweitens in Überwachung und Untersuchung (vigilância-investigação) und drittens in Bestrafung und Repression (punição-repressão). Mit ihren Geheimdiensten und den zwei Spezialeinheiten, der Secção de Defesa Política e Social und der Secção International, erweiterte die Politische Polizei, die formal wie einige andere Polizeiapparate dem Innenministerium unterstand, 1933 sogleich ihren Aktionsradius beträchtlich.227

Die Politische Polizei wurde zwar sukzessive zum mächtigsten, aber nicht einzigen Polizeiapparat des Landes ausgebaut. Sie beobachtete, verfolgte und inhaftierte politische Verdächtige, Oppositionelle des Regimes und Kriminelle. Ab 1934 verwaltete sie durch ihre Secção Prisional auch die Gefängnisse und ihre aus politischen und „sozialen“ Gründen – ohne oder mit Gerichtsurteil – inhaftierten Insassen. Während Aljube, Peniche und Caxias, die drei Haftanstalten auf dem Festland, meist „sozialen Gefangenen“ vorbehalten waren, wurden die politischen Gefangenen nach Angra do Heroismo auf den Azoren und in das berüchtigte „Lager des langsamen Todes“ Tarrafal auf den Kapverden verbracht. Das von 1936 bis 1954 benützte Gefängnis wurde in der Literatur gelegentlich auch als Konzentrationslager bezeichnet. 1961 sollte es für die afrikanischen Nationalisten wiedereröffnet werden. Hier war jahrelang Salazars späterer Bodyguard Henrique Seixas tätig.228

In ihrer Funktion als Internationale Polizei informierte sich die PVDE über die politischen Haltungen von Auslands-Portugiesen – vor allem in den Hauptaufnahmestaaten Brasilien und Frankreich. Als Migrationspolizei kontrollierte sie Pässe, überwachte Hitlerflüchtlinge, die das Land als Transitroute gewählt hatten, spanische Exilanten und Touristen. Die PVDE kontrollierte die Staatsgrenzen, Häfen, Eisenbahnzüge sowie Schiffe, die in die Kolonien fuhren. Als Zensurbehörde hatte sie das Recht, verbotene Bücher zu vernichten. Schließlich agierte sie als Sicherheitspolizei für hochrangige politische Beamte und einige Betriebe.229

Zwischen 1933 und 1945 war die Politische Polizei hierarchisch in dreißig Einheiten untergliedert. Abgesehen vom Präsidium in Lissabon unterhielt sie Niederlassungen in Porto, Funchal (auf Madeira) und Ponta Delgada, Inspektorate in Coimbra und Chaves und eine Reihe von Stützpunkten entlang der spanischen Grenze. Während des Zweiten Weltkrieges sandte sie Agenten nach Angola, Guinea-Bissau und Mozambique. In Widerspruch zu dieser Kompetenzfülle steht das geringe Personal der PVDE: im Jahr 1945 waren es 400 Beamte.230

Aufgrund ihrer knappen personellen Ressourcen war die Politische Polizei auf die Kooperation mit dem Militär, den Zensurbehörden, mit der paramilitärischen Legião Portuguesa, der Staatsjugend Mocidade Portuguesa, der katholischen Kirche und lokalen politischen Autoritäten angewiesen, die als Informanten und Denunzianten agierten. 20.000 Personen dürften dabei involviert gewesen sein.231 Es galt das Prinzip der totalen Überwachung in den Arbeitsstätten, im öffentlichen Raum und der Privatsphäre – von Bespitzelungen in Betrieben, Krankenanstalten, Universitäten, in Kaffeehäusern und Gaststätten, über das Abhören von Telefonen bis zum Öffnen der Korrespondenz – , wobei die PVDE auf die Kollaboration der Post angewiesen war. Zwischen 1943 und 1944 publizierte die Politische Polizei als Gegenpropaganda zur kommunistischen Avante! die Zeitung Alerta und ließ sie, ohne die Herausgeberschaft bekannt zu geben, von den Mitgliedern der Legião Portuguesa verteilen.232

Die Willkür der PVDE beruhte auf ihrem Recht einer eigenen politischen Justiz, die von den Instanzen der Judikative unabhängig funktionierte. Maria da Conceição Ribeiro spricht deshalb von einem „System der Paralleljustiz“. Da Datenschutz nicht existierte, und da öffentliche Institutionen aufgerufen waren, der Politischen Polizei alles mitzuteilen, was nicht konform mit der politischen Linie zu sein schien, war die Zivilgesellschaft rasch polizeilicher Willkür ohne Rechtsschutz preisgegeben. Ein anonymer Hinweis reichte zur Verhaftung. Gerichtsurteile wurden erst nach jahrelanger Haft oder Deportation gefällt, zynischerweise lauteten dann einige auf Freispruch; sie beruhten vielfach auf einer juristischen Farce. Gewalt sollte exemplarisch wirken, um mit permanenter Kontrolle, präventiver Überwachung und Bestrafung einiger die „Ruhe“ aller zu gewährleisten. Bei Verhören wurden Geständnisse meist durch Folter erpresst; sie lief im internen Jargon auch unter „präventiver Verweis“. Der Soziologe Herminio Martins bezeichnete das Klima der Furcht und Abhängigkeit mit dem Begriff ótimo de terror, d.h der Salazarismus wandte „optimalen“ und nicht „maximalen“ Terror an.233

Zwischen 1932 und 1945 waren laut Statistiken 16.895 Personen inhaftiert gewesen, davon 13.648 aus „politischen Gründen“. Auffallend ist das hohe Ausmaß der Gefangenenzahlen zwischen 1936 und 1938, dem Höhepunkt des anti-kommunistischen, vom Spanischen Bürgerkrieg beeinflussten Kampfes. Ein Drittel der Inhaftierten kam aus dem Arbeitermilieu, 4,9 Prozent stammten aus dem Militär; Mitglieder der verbotenen Kommunistischen Partei waren länger interniert als andere Gefangene. Die Todesstrafe wurde für zivile und politische Vergehen jedoch selten angewandt. Viele Gefangenen starben allerdings unter den grausamen Haftbedingungen; manche wurden aus Fenstern geworfen oder verschwanden.234 Bei prominenten Gefangenen wandte die Politische Polizei auch absurde Methoden der Strafdosierung an. Ein Beispiel dafür war Cândido de Oliveira. Der portugiesische Weltklassefußballer, Mitglied eines kurzlebigen britischen Spionageringes, der vom Special Operations Executive (SOE) aufgezogen worden war, wurde 1942 von der PVDE verhaftet, von einem seiner ehemaligen Schulkollegen verhört und gefoltert. Nachdem man ihm die Zähne ausgeschlagen hatte, wurden sie durch mehrmalige Zahnarztbesuche auf Staatskosten repariert, bevor man ihn in Tarrafal auf den Kapverden inhaftierte.235

Die soziale Herkunft dürfte sich auch auf das Strafausmaß ausgewirkt haben. Tom Gallagher führt an, dass der aus bescheidenen Verhältnissen stammende erste Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Bento Gonçalves, in Tarrafal nach jahrelanger Haft verstorben sei, während sein möglicher Parteinachfolger Álvaro Cunhal, der aus einem wohlhabenden liberalen Haus stammte, zweimal arretiert, wieder freigelassen und nie nach Tarrafal deportiert wurde, obwohl er zu den meistgesuchten Regimefeinden gezählt habe.236

Obwohl António Salazar an der Struktur der Politischen Polizei maßgeblichen Anteil gehabt haben dürfte,237 wurde sie von ihrem langjährigen Direktor Agostinho Lourenço geprägt. Lourenço war schon 1931 Polizeidirektor gewesen und leitete die PVDE bis 1945.238 Der Infanterieoffizier hatte während des Ersten Weltkriegs als Mitglied des Portugiesischen Expeditionskorps in Frankreich gekämpft und 1921 eine hohe britische Auszeichnung erhalten, weil er den Prinzen of Wales beschützt hatte. Diese Erfahrung habe ihn laut Douglas Wheeler dazu bewogen, einige Strukturen der britischen Geheimdienste MI 5 und MI 6 auf die Politische Polizei zu übertragen. Damit wies Wheeler bereits 1983 den Einfluss der britischen Geheimdienste MI 6 auf die PVDE und ihre intensiven Kontakte während des Zweiten Weltkriegs nach und entkräftete den Mythos, der „semi-legendäre“ Polizeiapparat sei...

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