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Ich muss doch meinen Vater lieben, oder?

Die Lebensgeschichte der Monika Göth, der Tochter des KZ-Kommandanten aus 'Schindlers Liste'

AutorMatthias Kessler
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783838757254
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Amon Göth wurde bekannt als Symbol unmenschlicher Grausamkeit in Steven Spielbergs Film 'Schindlers Liste'. Er war ein Massenmörder, 500 Juden soll er eigenhändig erschossen haben. 1946 wurde der 'König von Plaszow' zum Tode verurteilt und gehängt. Monika Göth wurde 1945 von der Geliebten Amon Göths, genannt Majola, zur Welt gebracht. Als Teenager beginnt sie Fragen zu stellen, aber erst Anfang der 80er Jahre, als ihre Mutter dem englischen Fernsehen ein Interview gibt, bestätigen sich Monikas Ahnungen. Die Mutter vergiftet sich mit Schlaftabletten. In einem Interview-Experiment, das von Matthias Kessler für die Buchausgabe bearbeitet und mit bislang unveröffentlichtem Archivmaterial ergänzt wurde, stellt Monika Göth sich erstmals der Öffentlichkeit. Schonungslos sich selbst gegenüber erzählt sie ihre Geschichte.

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Leseprobe

Heitschi Bumbeitschi


Das ist der zweite Tag des Interview-Experiments. Wie hast Du geschlafen?

Wie eine Tote.

Wie geht es Dir im Moment?

Jetzt geht’s mir gut.

Du hast mir heute morgen erzählt, dass Du eine andere Sichtweise hast, was dieses Experiment betrifft.

Ja. Aber gestern nacht hab ich das nicht bemerkt, da war ich nur müde. Das kam eigentlich erst heute früh – vielleicht hab ich doch was geträumt? Mir ist plötzlich klar geworden, dass mein Leben schon während der Zeit in Tölz geprägt wurde, und nicht erst in München.

Du hast heute morgen gesagt, dass sich das Reden darüber…

Genau, durch das Reden hab ich gemerkt, dass diese frühen Kindheitserinnerungen schuld gewesen sind. Die Beziehungen zu Captain Gordon und zur Genoveva, der Geni, dieser Tante, das war eigentlich das Hauptproblem in meinem Leben. Ich hing sehr an beiden. Captain Gordon war für mich die Idealfigur des Vaters. Beide sind gegangen, und zwar ganz still und leise, ohne sich von mir zu verabschieden.

In meinem Leben, später, hatte ich dann Angst. Angst, mich wieder an jemand zu binden, weil ich genau gewusst hab, irgendwann hauen die ab. Und die sagen einem nicht mal auf Wiedersehen.

Bei der Geni war es so, die saß am Abend immer an meinem Bett und hat gesungen. Sie war für mich eine Art Mutterersatz. Die Geni hat gemacht, was die Oma und meine Mutter nicht gemacht haben: Sie hat mit mir gespielt, richtig, wie man halt mit einem Kind spielt. Ausgerechnet die Geni, die immer gesungen hat an meinem Bett, »Aber heitschi bumbeitschi bumbum«, die ist sang- und klanglos abgehauen.

Ich hab meine Mutter gefragt: »Wo ist die Tante Geni?« Meine Mutter hat nur gemeint, »ach ja, die Geni ist nach Holland gegangen, die hat geheiratet und bleibt jetzt in Holland.« Ich war total geschockt, dass sie nie wiederkommt. Kurz drauf ist dann der Onkel Gordon gegangen. Er ist genauso heimlich, still und leise verschwunden wie Geni. Von Irene und Oma haben sie sich bestimmt verabschiedet. Ich aber war einfach die kleine Monika, zu der keiner was gesagt hat. Kinder nimmt man nicht für voll.

Wie alt warst Du damals?

Bei der Geni war ich ungefähr viereinhalb, und beim Captain Gordon war ich dann fünf.

In welcher Beziehung stand Geni zu Deiner Mutter?

Die Geni war eine gute Freundin meiner Mutter, die sehr viel bei uns gewesen ist. Das war keine Tante, ich hab nur »Tante Geni« zu ihr gesagt. Genoveva hieß sie. Komisch, ich hab diese Frau nie in meinem Leben vergessen, weil sie mit mir gespielt hat.

Wie sah sie aus?

Sie war dunkelhaarig, sehr hübsch und hatte etwas, was meine Mutter nicht hatte, etwas Mütterliches, etwas Umsorgendes. Geni ging mit mir spazieren, nicht wie Irene, die mich irgendwo stehenließ, und ich musste mich dann mit mir selbst beschäftigen, sondern sie spielte mit mir. Sie zeigte mir die Isar, die Blumen… Und wir warfen Steine in die Isar, weißt schon, solche, die hüpfen. Oder wir sammelten Holz und brachten das heim zur Oma. Meine Oma hätte sich so eine Tochter gewünscht wie die Geni. Geni war modern und lustig, aber sie war nicht mondän. Sie kam mit meiner Großmutter gut zurecht. Das war so ein richtiges Familienleben. Bei der Geni lief ich auch nie weg. Dagegen, wenn Irene mit Captain Gordon zusammen … das weiß ich noch ganz genau, Irene ist mit Captain Gordon auf eine Nachmittagsparty gegangen, ein Barbecue. Da war ich vier. Mir war dort stinkend langweilig. Es waren keine Kinder da, Irene hat mit ihrem Captain Gordon geturtelt. Jetzt geh ich heim, hab ich mir gedacht, zur Geni und zur Oma. Und dann hab ich mich auf die Socken gemacht. Ich bin über die Isarbrücke marschiert, und es hat bestimmt zwei Stunden gedauert. Ich hab den Weg gar nicht gekannt, mich aber immer an der Isar orientiert. Ich bin dann zu Hause angekommen, und meine Großmutter hat gesagt: »Ja, Monika, wo ist denn deine Mutter?« »Die ist auf der Party.« »Ja, und die schickt dich nach Hause?« »Nö, ich bin gegangen, das war mir zu langweilig.« »Um Gottes willen, die suchen dich bestimmt überall.« Das war mir wurscht, die hätten sich ja um mich kümmern können.

Dann kamen sie mit ihrem Jeep. Und ich wurde fürchterlich ausgeschimpft, von beiden. Ich hab nur erklärt, ihr habt keine Zeit für mich gehabt, dann bin ich halt heimgegangen. Von dem Tag an hat der Captain Gordon immer aufgepasst, dass ich ja nicht wieder verschwinde. Er hat mit meiner Mutter poussiert, aber er hat auch nach mir geschaut.

Sprach Gordon Deutsch?

Er hat Englisch gesprochen und war so schätzungsweise 38. Das war ein Bilderbuchvater.

Hatten die beiden ein Verhältnis?

Ja. Aber das ging mehr von ihm aus als von ihr. Er schrieb ihr bis zu ihrem Tode jede Woche einen Brief. Jeder Brief begann mit »My darling«. Er schickte ihr auch monatlich Geld. Sie antwortete an eine Deckadresse in Texas, postlagernd. Sie schrieb vielleicht zweimal im Jahr.

Wie entstand die Freundschaft zwischen Geni und Deiner Mutter?

Die Geni hat mit meiner Mutter zusammengearbeitet. Tagsüber Sekretärin, abends Bardame. Das Haus, in dem wir in Tölz wohnten, war gleich gegenüber vom Jodquellenhof. Bevor sie am Abend angefangen haben zu arbeiten, kam die Geni zu uns. Geni hatte auch niemanden mehr, keine Eltern und nichts. Sie suchte Familienanschluss. Und den hat sie bei uns gefunden. Dann hat sie sich eben in diesen Holländer verliebt und ist fortgegangen. Das ist schon ganz schön gemein, hab ich mir gedacht, weil jedes Kind hat sein Recht auf einen Abschied.

Warum hast Du später nicht Kontakt mit Captain Gordon aufgenommen, als Du erwachsen warst?

Er hat ja geschrieben. Er hat jede Woche meiner Mutter einen Brief geschrieben.

Ja, aber nicht Dir.

Nein, mir nicht. Warum mir? Er war doch in meine Mutter verliebt, und nicht in mich.

Hat er Grüße an Dich ausrichten lassen?

Ich glaub nicht. (Überlegt.) Er kam ja noch mal. 1955 oder ’56 war er wieder in Deutschland. Mit seiner Frau. Sie besuchten München und Heidelberg. Und er war auch bei uns. An Weihnachten. Wir gingen sogar zusammen zur Christmette in die Theatiner-Kirche. »Wenn du nur ein bisschen anders wärst«, hab ich zu meiner Mutter gemeint, »dann würde Captain Gordon bei uns bleiben.« Sie hat nur gesagt, das ginge nun mal nicht, er sei verheiratet, und er würde wahrscheinlich nicht in Deutschland bleiben: »Er wird immer zurück nach Amerika gehen. Und wenn ich mitgehe, dann wird er bei einer Scheidung wieder alles verlieren. Er hat schon bei der ersten Scheidung sein Vermögen verloren.«

Dann musst du ihn halt ziehen lassen, hab ich mir gedacht. Ich hing viel mehr an Captain Gordon als Irene.

Wie war das, als er Dich wiedersah?

Er war sehr nett zu mir. Wir machten in Heidelberg extra ein Erinnerungsfoto für ihn: »Dear Captain Gordon, a picture of her and me and Monsieur standing on the historic bridge.« Irgendwann war er wieder entschwunden. Wie ein Geist. Er schrieb und schickte jeden Monat seinen Scheck, und das ging bis zu ihrem Selbstmord.

Wahrzeichen Schläfenlocken


Ärgert Dich Antisemitismus?

Ja. Der Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der ist mir von Anfang an sympathisch gewesen. Aber irgendwie kommt der mir immer deprimierter vor und so resignierend gegenüber dieser Welt.

Er hat mal gesagt, dass das sehr anstrengend sei und er diesen latenten Antisemitismus sehr zu spüren bekomme. Ich hab mir gedacht, alles Schmarrn, das gibt’s heute sowieso nicht mehr, und das wird alles maßlos übertrieben. Dann hab ich eine Fernsehsendung über das Internet gesehen, und da haben sie berichtet, dass es im Internet ein Lied gibt, von Neonazis, das heißt: »Der Tag, an dem Ignaz Bubis starb«. In welcher Welt leben wir eigentlich? Spinnen die?

Ein paar Tage später hab ich erneut eine Sendung gesehen, da ist ebenfalls über ein Lied und dessen Text reportiert worden. In dem Text geht es um verlauste Judenbärte. Erst ein paar Tage vorher hab ich, und das muss man sich mal bildlich vorstellen, vor der Feldherrnhalle einen Rabbi gesehen, einen echten Rabbi mit schwarzer Kleidung, Hut und Schläfenlocken. »Mensch, schau!« hab ich zu meinem Mann gesagt. Wenn man sich das vorstellt, vor einem halben Jahrhundert ist der Hitler dort aufmarschiert, und heute steht wieder ein Rabbi da, und es ist gut so. Mir hat das gefallen, und dann steht im Internet ein solcher Dreck.

Was schätzt Du an Paul Spiegel?

Es fasziniert mich einfach, dass Paul Spiegel versucht, Juden nach Deutschland zu holen. Endlich bringt man diese alte Kultur wieder zum Leben.

Weißt Du, irgendwie spürt man bei vielen Deutschen, und das schockiert mich, eigentlich überhaupt keine Trauer. Wenn man sich das mal anschaut, das stößt mich ab. Auch im Fernsehen. Man bringt pausenlos was Neues, Hitlers Kinder, Hitlers Großeltern, Hitlers was weiß ich, aber Trauer – das hab ich noch nicht erlebt. Sondern immer nur Selbstmitleid. »Was haben wir gemacht!« Das wissen wir ja, was wir gemacht haben.

In Israel wird am Tag des Holocaust, soweit ich weiß, für eine kurze Zeit die Arbeit niedergelegt. Im Gedenken an die Opfer. Warum macht man das nicht in Deutschland? In Deutschland führt man große Diskussionen um ein Mahnmal. Es ist bei der Anzahl der ermordeten Juden eine Selbstverständlichkeit, dass man in Berlin ein Mahnmal hinstellt. Man müsste es auch bebildern. Sechs Millionen Fotos… Man muss...

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